20140203

Fall 1 - V


Endlich ist der Trockner fertig. Trenchcoat herausgeholt. Seltsam, hat eine ganz komische Braun-In-Braun-Färbung angenommen. Aber die Kruste ist komplett ab. Das Ding hat Außentaschen! Warum ist mir das noch nicht vorher aufgefallen? Was ist denn da drin? Rein gegriffen. Ein Plüsch-Schweif-Schlüsselanhänger auf der rechten und ... hmm..irgendwas gummiartig und leicht klebendes. 

Ich kann reindrücken, fühlt sich wie Gummi an. Etwas dran zerren und. Ich halte in meiner Hand ein Konglomerat an Kaugummis. Wie viele in dem seltsamen Ball sind, kann ich nicht genau bestimmen. Ekel steigt in mir hoch. Hey, da ist eine Münze am kleben. Schnell abgefriemmelt und den Ball entsorgt. Kein Mülleimer in der Nähe. Wohin mit dem Mistding also, wenn man schnell einen Ausweg sucht.

Mir fällt der Fressnapf einer kleinen Tölle auf. Gehört wohl der Frau, die den Wachsaloon leitet. Schnell deponiert und ich gehe ruhigen Gewissens zur Tür. Die Münze ist immerhin ganze fünfzig Cent. Hat sich gelohnt. Hinter mir kommen Erstickungsgeräusche. Kurzer Blick zur Seite. Ihr Hund hat angefangen den Ball zu fressen. Jetzt stapft Sie auch noch aufgeregt zum Tier, ich sollte zusehen dass ich Land gewinne. Schnell aus der Tür raus.

Stehe auf der Straße, Kragen hochgeschlagen, ein paar Schritte den Gehweg hinunter. Ein paar Rikschas donnern an mir vorbei, der Fußgängerstrom ist hier etwas schwächer, verglichen mit den Hauptgehzonen. Ein bisschen kommt man sich hier schon vor wie in einem fremden Land. Kein Wunder, heißt ja auch Chinatown.

Erst mal orientieren. Der kleine Ausflug in die Kanalisation hat mein Mobiltelefon geschrotet. Hier muss doch irgendwo ein Bezahltelefon stehen. Asiatisches Restaurant links, Spielhölle rechts, daneben ein Internetcafe und die Wäscherei aus der ich gerade komme. Weiter die Straße hinunter gibt es noch diverse kleine Obskuritätenhändler, und natürlich der Kräuterladen die Straße hinauf. 

Manche Passanten beobachten mich beim Vorübergehen, schenken mir aber ansonsten keine weitere Beachtung. Die bekomme ich beim Latschen schon durch die aus den Läden oder an ihren Türen stehenden Aufpasser und halbstarken, welche nebenbei mit Butterfly-Messer oder ähnlichem rumspielen. Mist, weiter runter gibt es nur noch ein Bordell, das den restlichen Straßenzug bis zur Kreuzung einnimmt. Wobei, so eine Puffmutter muss ja auch einiges wissen. Zum stählernen Drachen. Schlechter Wortwitz. Probieren wir mal das Internetcafe.

Der Eingang wird blockiert durch 2 Halbstarke in Hocke, die dabei anscheinend ihre 20zigste Zigarette Quarzen. Der linke trägt eine Elvistolle und dazu passend eine schwarze Leder-Glitter-Kombo, während sein rechter Mann bunte Strähnchen in Violett und Blau in das tiefschwarze Haar geflochten hat und eine Visage hat, durch die vor kurzem ein Messer gegangen sein muss, wenn ich mir die Narbe über dem Auge ankucke. Wenigstens ist er normal gekleidet mit einfacher grauer Regenjacke und Jeans, im Gegensatz zu seinem Kollegen.

Ich trete heran, die beiden schauen zu mir hoch. Machen keine Anstrengung, mir aus dem Weg zu gehen. Rüber steigen ist nicht, dafür sind sie zu hoch, und ich nicht athletisch genug, in einem Satz aus dem Stand rüber zuspringen. Davon ab, dass ich davon ausgehen kann das sie mir dann etwas antun werden wollen. Hier muss diplomatisch gehandelt werden.

Zeichner - Mach Platz.

Ich setze mein bestes Clint Eastwood-Gesicht auf, als ich den beiden Trotteln die Aussage entgegen schmettere. Sie wirken unbeeindruckt.

Rechti - Ni ta ma de, mosheng ren, zai women zheli shiqule naixin.

Okay, so gut ist mein Mandarin doch nicht.

Zeichner - Was? Wie bitte? Sag das nochmal!

Er schaut mich mit diesem Ausdruck an, den man kennt, wenn jemand sagen will "Verpiss dich", ohne dass man die notwendige Körpersprache dafür beherrscht. Sein Kumpel schaltet sich ein.

Lefti - Er meinen, du nicht gehören hier her. Du gehen.

Ich schaue die beiden halbbelustigt, halb-verwundert an. Auf offener Straße Drohungen. Von halbstarken. Sind die Gangs hier schon so weit gesunken?

Zeichner - Und was wenn nicht?

Lefti - Dann Er sehr böse. Machen Schmerzen.

Zeichner - Pfff. Als ob ich vor euch Angst hätte.

Ich bemerke die Regung des rechten, als er sich blitzartig nach oben erhebt und mit einer Hand das Messer zückt und Richtung Kopf damit geht. Meine Hand gleitet in das Mantelinnere. Im nächsten Moment ist die Klingenspitze an meiner Kehle.

Rechti - Zuihou de jihui!

Ich fühle den Druck des Messers, Schweiß beginnt sich zu sammeln und runter zulaufen, als ich in aller Ruhe den Hahn des Revolvers spanne. Sein Kumpel bekommt große Augen, und auch Er muss für einen Moment hinunterschauen um zu bemerken, wie ich den Revolver Richtung seiner Brust halte. Er schaut mich an. Ich kann die Abscheu in seinen Augen regelrecht fühlen.

Lefti - Gege. Ta yu qiang!

So stehen wir nun. Messer an meiner Kehle, Revolver an seiner Brust. Er muss ja nicht wissen, das die Waffe nicht geladen ist. Es ist ein Bluff. Klar. Der Einsatz ist ja nur mein verficktes Leben. 

Er nimmt das Messer runter. Ich lasse die Pistole sinken. Er zeigt mit dem Finger rein, packt die Klinge wieder ein. Ich holstere meinen Schießprügel. Kann mir das Grinsen nicht verkneifen. Muss gerade aussehen wie ein Schneekönig. Wie gut dass es drinnen ein angenehmes Halbdunkel gibt, sonst könnte er mitbekommen wie bleich ist sein muss. 

Das Cafe selber spottet jeder Beschreibung. CRT-Monitore reihen sich aneinander, während unzählige Kabel zwischen den einzelnen Sitzplätze stehen. Das einzige Licht kommt von den Monitoren selber, die grell die davor sitzenden Menschen anstrahlen, während aus irgendeinem Lautsprecher typische Loungemusik kommt. Ich hasse Girl from Ipanema.

Am hinteren Tresen sitzt ein älterer Herr, das Haar schon fast vollkommen in der Versenkung verschwunden, die Brille reflektiert irgendein Video auf den Gläsern. Als ich näherkomme, schaut er nicht mal auf, legt mir mit der rechten aber einen Flyer hin.

Alter Mann - 5 die halbe Stunde. 8 die volle Stunde. 180 bis Mitternacht. Karte oder in Cash.

Zeichner - Ich brauch eigentlich nur ein Telefon.

Er schaut aut. Entnervt. Eigentlich sollte ich doch so gucken. Arschloch. Er guckt mich an, zeigt dann nach mit dem Daumen hinter sich.

Alter Mann - Neben den Toiletten.

Jetzt guckt er wieder auf den Bildschirm. Toller Kundenservice hier. Ich latsche am Tresen vorbei, durch die Tür auf der in fetten Lettern Rest Rooms steht. Grelles Neonlicht blinzelt mich an, ein enger Korridor vor mir, knappe 2m breit, mehrere Meter lang. An seinem Ende gibt es anscheinend die Abgrenzung Männlein/Weiblein. An der rechten Seite ist eine kleine Einbuchtung, wo ein Telefonhörer rausguckt. Auf dem Fußboden, gegen die Buchtenwand gelehnt, sitzt ein ziemlich fertig aussehender Junkie. Ich trete über ihn hinweg zum Telefon, greife den Hörer, schmeiße die Münze ein, die ich vorhin aus dem Trenchcoat gesammelt habe und wähle meine Büronummer. 555-93424637. Es klingelt. Dann nimmt wer ab.

Schwarz - Detektei Zeichner, mein Name ist Frau Schwarz, wie kann ich behilflich sein?

Zeichner - Ich bin´s. Haben sie

Schwarz - Herr Zeichner! Sie leben noch?!

Zeichner - Ähh..ja? Natürlich. Warum sollte ich denn nicht mehr leben?

Schwarz - Sie gucken nicht viel fern, oder? Seit einer halben Stunde sieht man ihr grob-pixeliges Konterfei in den Spätnachrichten. Als Springer.

Zeichner - Ach das, das war ja nur halb so wild. Ich hatte, sagen wir mal,. ein paar unfreundliche Gesellen auf den Versen. Das ist aber jetzt gar nicht so wichtig. Haben sie schon etwas über Mokhov herausgefunden?

Schwarz - Ja nicht so wirklich. In den üblichen Sozialnetzen existiert er anscheinend nicht oder wenn unter falschem Namen. Aber ich hab seine Zimmernummer. Es ist die Nr.12.

Zeichner - Immerhin etwas. Haben sie sonst noch etwas?

Schwarz - Nur das über die Kundin selbst, aber das habe ich ihnen doch schon geschickt. Oder haben sie noch nicht auf ihr Handy geguckt?

Zeichner - Sagen wir mal, es ist mir....verschütt gegangen. Auf Nimmerwiedersehen gestorben. Nirvana. Fudschikato. By by Baby, quasi.

Schwarz - Haben sie es wieder vor Frust gegen die Wand geschmissen?

Zeichner - Nein! Ich..das tut doch jetzt auch Garnichts zur Sache. Frau Schwarz, teilen sie mir einfach in kurzen knappen Sätzen mit, was sie herausgefunden haben.

Schwarz - Sie sind der Boss. Lebenslauf...Krankenakte....ach hier. Sie wohnt in der Madison Lane und ist die Frau von Mikhail Rassila. Die beiden haben vor kurzem ohne große Ankündigung geheiratet und laut Vanitystar.com soll ein Kind im Spiel sein das...

Zeichner - Kurz und knapp, Frau Schwarz!

Schwarz - Hmpf. Jedenfalls stinkt die Alte ebenso wie ihr Macker vor Geld, aber er hat angeblich Kontakte zur russischen Mafia, genannt die Vory. Und zu mindestens kann ich online nichts über einen Bruder finden.

Zeichner - Okay, soweit so gut. Die Spur verdichtet sich. Suchen sie weiter. Dabei fällt mir ein. Wie kamen sie auf die Zimmernummer von Mokhov?

Schwarz - Ich hab den Vermieter angerufen.

Zeichner - Woher haben sie denn die Nummer? Wenn ich mich recht erinnere habe ich doch vergessen ihnen mitzuteilen, wo Mokhov wohnt.

Schwarz - Ja schon, aber ich hab ja die Visitenkarte hier.

Zeichner - Was? Aber ich hab doch

Ich taste in meinen Taschen. Brieftasche, Jacke, Trenchcoat, Hose. Nix.

Zeichner - Frau Schwarz, haben sie mir etwa die Visitenkarte entwendet?

Schwarz - Wieso denn entwendet? Die ist ihnen beim Gehen aus der Tasche gefallen.

Zeichner - Wir reden darüber, wenn ich wieder ins Büro komme. Ich melde mich, sobald ich hier weiter bin. Suchen sie weiter.

Schwarz - Klaro. Duud Duud Duud Duud Duud...

Versteh das einer. Ich lege den Hörer auf, sammle die paar Centstücke ein, welche als Wechselgeld rauskommen und mache mich nach draußen. Als ich draußen am Türrahmen ankomme, bemerke ich, dass die Halbstarken weg sind. Vermutlich besser für sie, will sie ja nicht noch einmal blamieren müssen. Ich greife reflexartig in meine Innentasche. Keine Zigaretten. Mist.

Die Straße weiter runter sehe ich einen Taxistand und einen Zigarettenautomaten. Am Automaten schnell eine Schachtel geholt. Angezündet. Geteert ist die Lunge gleich viel entspannter. Ich gehe zum nächst stehenden Taxi, steige ein. Der Fahrer, ein junger Schwarzer mit Sonnenbrille und Spitzbart guckt mich fragen an.

Zeichner - Kipling Street.

Fahrer - Alles klar. Anschnallen.

Er gibt langsam Gas und wir ordnen uns in den Verkehr Richtung Docks ein. Die Straßen sind gut belebt, erst durch den Verkehr von Chinatown selbst, wo manches Mal beinah eine Rikscha über den Haufen gefahren wird, und dann durch die Masse an Menschen die es scheinbar gewohnt ist zu gehen, wo immer sie wollen. Endlich verlassen wir durch den großen Torbogen das Viertel und ordnen uns in den gewohnten Verkehr ein. 

Macht die Situation nicht viel besser. Schnell stehen wir in einem Stau mitten auf der mehrspurigen Stadtautobahn. Irgendwo vor uns ist offensichtlich ein Crash passiert. Ein LKW liegt seitwärts in der Leitplanke. Im Radio plärrt ein DJ auf Flash FM vor sich hin. Irgendein Unsinn, dann eine Werbeunterbrechung. Macht es nicht besser.

Irgendwas bewegt sich der Verkehr wieder etwas, und wir fahren endlich weiter. Ich kann schon von weitem die Kräne sehen, nicht weit davon die eigentliche Hafeneinfahrt. Lagerhäuser und Mietbarracken, miese Wohnung am Rande der Existenz und Brücken unter denen die Obdachlosen wohnen. Als wir die Abfahrt erreichen, sehe ich eine Gruppe von Typen in Trainingsanzügen an der Seite laufen. Yuppies die den Kick suchen vermutlich. 

In Gegenden wie dieser werden sie eher aufgerissen und abgestochen für ein paar gute Schuhe. An einer Häuserwand rennt ein Sprayer plötzlich davon, als sich das Taxi nähert. Seltsames Motiv und der Text ist unsinnig. Elvis has left the Building. Hmm. Vielleicht ne Metapher. Am Ende der Straße kann ich ein Schiff fahren sehen, ein kleiner Kutter, gerade am Anlegen. Das Fahrzeug wird langsamer. Wir halten. Er guckt mich an.

Fahrer - Jo Mann! Das wären dann zweiundzwanzig Mäuse.

Ich zähl ihm fünfundzwanzig ab, reiche ihm das Bündel und steig aus. Noch an der Tür stehend kann ich ihn rufen hören, während der Motor wieder startet.

Fahrer - Ey, danke Mann. Wenn du mal wieder nen Fahrer brauchst, frag nach David.

Ich drehe mich um, und kann beobachten wie das Fahrzeug anfährt. Ein Taxi der TransMotoCorp. Die Nummer auf der Infotafel auf dem Taxi ist einprägsam. 555-TMC. Ich atme tief ein, und mache mich los. Die Straße ist lang und Haus Nummer 24 sollte hier irgendwo sein. Ich setze nur den ersten Fuß vor den anderen und habe schon das Gefühl, beobachtet zu werden. Irgendwo in der Umgebung knallt ein Schuss. Aus einem Fenster kommt Babygeschreie. Am Ende der Straße läuft ein Penner mit Einkaufskorb und sammelt Müll ein.

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