20140302

Fall 1 - XIV


Um mich herum ist alles schwarz. Für einen Moment verfluche ich mein Schicksal. Es scheint ein stetiges Vorkommnis zu werden, dass ich mich in solchen Situationen wiederfinde. Nicht gerade glücklich drüber. Erst mal umschauen. Nein. Nur Schwärze. Ob der letzte Sturz so ungünstig war, dass ich irgendwo auf meinem Kopf gelandet bin? Was wenn ich nie wieder aufwache? Komapatient und Schlafender Tod nach 30 Jahren?! HALLO! HALLOOO?!

Keine Reaktion. Shit. Vielleicht war es auch zu viel. Die Schmerzmittel waren bereits dabei wieder abzuklingen und ich Trottel musste einen auf Action-Held machen. Das kommt davon, wenn man sich solche Dinge zu Herzen nimmt, eh Zeichner. Toller Schlamassel. Und jetzt bin ich hier...irgendwo in einer schwarzen Leere. Das erinnert mich an eine Sitzung mit Dr.B´Quija. Wann war das nochmal? Mindestens ein Jahr her. Wenn nicht länger. Es muss gewesen sein, kurz nachdem ich damals für Anderson angefangen zu arbeiten. Moment, war das nicht vor drei Jahren? Ich kann keinen klaren Zeitpunkt fassen. 

Seltsam. An bestimmte Details erinnern kann ich mich als wäre es erst gestern passiert. Das Geräusch der stetig tickenden Großvateruhr im Hintergrund. Der übersteigerte Geruch von Vanille in der Luft. Der Blick aus dem engen Fenster auf die Stadt unter uns. Der irgendwie immer unbequeme Liegesessel, in welchem ich Platz nehmen musste.

Wie war das noch? Ich hatte den Termin über Mr.Calloway bekommen, nachdem ich ihm geholfen hatte, seine Finanzen auf Vordermann zu bringen. War nach der Schießerei in der Firma auch dringend notwendig. Wie merkwürdig solche Dinge sein können. Ein so freundlicher Mann mit einem so geringen Einkommen aber einer solch großen Summe die er vor der Staatshand verstecken musste. Aber der Gedanke war nicht ungerechtfertigt. Die Therapie bei Dr. Neeis schien ja schon da nicht anzuschlagen. Ich hatte Nachts Probleme einzuschlafen, morgens war ich immer fertig und traute mich an manchen Tagen nicht mal, den Weg zur Arbeit zu nehmen. Er hatte eine Visitenkarte dabei. Er hatte noch mehr von denen in seiner Tasche. Ist das üblich, dass man Visitenkarten zum angeblich besten Psychiater der Stadt einfach mal eben so auf Dutzend dabei hat?

Nach dem ein Termin überraschend schnell vereinbart war, bin ich pünktlich am Coldman-Tower aufgetaucht. Ein Monstrum von Hochhaus inmitten der belebtesten Straßenzüge mit 100 Stockwerken. Das einzige mit solch überwältigender Höhe in der gesamten Stadt, aber nicht das einzige Hochhaus. Bei weitem nicht. Nachdem ich mich durch den Trubel der Menschen zu den Fahrstühlen durch gemacht habe, kann ich durch den an der Außenfassade hochfahrenden Fahstuhl unter mir die Lichter der Stadt immer kleiner werden sehen. 30ste Etage. Es ist schon verdammt hoch. 60ste Etage. Langsam ein mulmiges Gefühl. Von hier oben war alles unter mir so groß wie in einem Ameisenhaufen. Auf der 93sten Etage bleibt der Fahrstuhl mit einem sanften *Pling* stehen. Zu diesem Zeitpunkt bin ich die letzte Person im Fahrstuhl. Der edel aufgemachte Flur im Stil der 1920er führt nur zum Treppenhaus oder der Praxis. 

Ich vermeide es, nach hinten zu blicken. Das Praxis-Schild ist aus offensichtlich eigens angefertigter Bronze als eine Plakette neben die Tür gesetzt worden. Wirkt etwas dekadent. Passt zu Umgebung. Ich greife zum Türgriff, rüttle unversehens dran, aber die Tür öffnet sich nicht. Bin einen Moment etwas verwundert. Als ich den Knopf unter der Plakette sehe, drücke ich kurz entschlossen drauf. Es dauert einen Moment, bis ich ein Klacken in der Tür höre und sie mit einem harten Geräuscht ein paar Zentimeter aufspringt. Seltsamer Sicherheitsmechanismus.

Durch die Tür betrete ich eine Art Lounge. Zu meiner Linken ist vor einem Gemälde von Rembrandt eine Rezeption eingerichtet, hinter der in sanfter Beleuchtung eine junge Frau sitzt und mich anlächelt, während zu meiner Rechten mehrere Sichtschirme stehen und eine paar Sitzsessel nebst einigen Zeitschriften. Einem leeren, blanken, vor Sauberkeit blitzenden Aschenbecher. Im Hintergrund säuselt irgendein sanfter Flötenspieler seine Töne vor sich hin. An den Wänden ist offensichtlich eine Holzvertäfelung angebracht, welche von einem stetig hinunterlaufenden Wasserlauf überschattet wird. Die Rezeptionistin schaut mich erwartungsvoll an. Ich lächle. Nun, ich verziehe die Mundwinkel etwas.

Rezeptionistin - Guten Tag. Wie können wir ihnen dienen?

Zeichner - Ähh...ich habe einen Termin in... ein paar Minuten. Auf den Namen Zeichner? Michael Zeichner?

Rezeptionistin - Natürlich Herr Zeichner, der Fünf-Uhr-Termin. Sie sind in unserem System. Dr.B´Quija hat gleich Zeit für sie, wenn sie noch einen Augenblick in einem Sessel gegenüber Platz nehmen möchten.

Zeichner - Natürlich.

Ich mache meinen Weg rüber zu einem Der Sessel, der den Blick auf die Tür in das Büro des Onkel Doktors erlaubt. Man ist ja neugierig. Ich weiß, dass die junge Frau noch kam und mir einen Kaffee brachte, aber an dieser Stelle ist meine Erinnerung etwas...unscharf. War es Kaffee? Hab ich ihn erst bestellt oder wurde er mir unaufgefordert gebracht? Irgendwann ging die Tür zum Büro auf. Die Zeitspanne ist mir ungewiss. Vielleicht bin ich zwischendurch weggenickt. Im Türrahmen sehe ich einen älteren Herren, Haarkranz, Grauer Ansatz in schwarzen Haaren, kein Baart, ein etwas ovaler Kopf, eine etwas schief wirkende Nase, vermutlich mal in erneute Position gebracht, dazu ein schmaler Mund mit dem er sich gerade mit der jungen Person vor ihm unterhält. Es muss eine Frau sein, soweit ich den Blick erhaschen kann, aber irgendwie ist an dieser Stelle mein Blick wieder unscharf. Es ist, als ob ich sie durch eine Art Sichtschutz betrachten würde. Sie reden zu leise, als dass ich irgendwelche Worte ausmachen kann. Sie verabschiedet sich und verschwindet damit aus meinem Sichtfeld. Ich erhebe mich, aber der Herr kommt schon auf mich zu.

Herr - Herr Zeichner! Schön sie wieder zu sehen. Kommen sie.

Nehme seine Hand, schüttle sie kurz. Ich schüttle den Kopf. Hat sich hier etwas vermischt? Ist das noch Teil meiner ERinnerung? Ich war nur einmal bei diesem Arzt...

Zeichner - Guten Tag, sie sind vermutlich Doktor B´Quija?

Dr.B - Richtig. Wenn sie mich begleiten würden.

Er führt den Weg in sein Büro, hinter uns höre ich noch das Klacken der großen Eingangstür, mit den Sicherheitsmechanismen, aber als ich den Kopf drehe ich ist die Dame schon weg. Er führt mich in sein Büro, schließt hinter mir die Tür, setzt sich in einen großen, hart wirkenden Sessel bei einem weiteren Liegesessel. Auf einem kleinen Tisch daneben steht eine Tasse frisch gebrühter Kaffee und ein kleiner Notizblock mit irgendwelchen Zeichnungen drauf. Er leitet mich zum Liegesessel, auf dem ich, in halb liegender, halb sitzender Position aus dem Fenster schauen muss. Ich schlucke etwas. 

Wo ist eigentlich meine Jacke hin? Wann hat er sich den Kaffee gekocht?

Er setzt sich auf seinen Platz, nimmt seinen Notizblock, blättert ein bisschen.

Dr.B - Nun, Herr Zeichner, das ist ja nunmehr unsere elfte Sitzung. Wie fühlen sie sich?

Es ist, als ob bei bestimmten Worten von ihm ein großes Kratzen und Kreischen erklingt, wie ein Störsignal aus einem etwas zu alten Radio der Fünfziger. Ich kann es nicht genau ausmachen. Es fühlt sich falsch an.

Ich sehe mich erzählen. Von den Anfängen bis zum momentanen Stand. Und Dr.B´Quija schreibt und schreibt und schreibt.. Irgendwann habe ich das Gefühl, dass er denselben Block seit Ewigkeiten beschreibt. Dann legt er ihn beiseite. Schaut mich an. Mich. Wie ich unverwandt dort stehe, in mitten meiner eigenen Gedanken, und auf die Szenerie blicke, wie ein von außen Beobachtender. Es erschreckt mich, als er mich so offen anschaut. Oder durch mich durch schaut? Sein Kopf wendet sich wieder dem liegenden Ich zu.

Dr.B - Herr Zeichner, wir haben ja beim letzten Mal über gewisse Meditationstechniken geredet. Lassen sie uns diese auch heute einmal durchgehen.

Ich kann beobachten wie sich meine Atmung verlangsamt, meine Augenlider schwer werden und ich gänzlich in einen leichten Schlaf übergehe. Um mich herum verliert die Welt Konturen, geht ins Schwarz über, aus dem es gekommen ist. Im Hintergrund vernehme ich das stetige Schlagen einer sehr alten Uhr. 

Tick. Tack. Tick. Tack.Tick. Tack.Tick. Tack.Tick. Tack.Tick. Tack.Tick. Tack.Tick. Tack.Tick. Tack.

Am Ende bleibt nur das Fenster mit seiner Aussicht, ich auf dem Liegesessel und Ich beim beobachten von mir von außerhalb. Und Dr.B´Quija. 

Dr.B - Können sie mich hören, Herr Zeichner? Gut. Konzentrieren sie sich, Herr Zeichner. Lassen sie sich zurückfallen. Ihr Körper ist leicht. Ihr Geist von seinen Zwängen gelöst. Konzentrieren sie sich. Konzentrieren sie sich. KONZENTRIEREN SIE SICH!

Inmitten der Schwärze löst sich mein andERes Ich auf, wie Staub vom Wind wird es hinfort geweht, als das Abbild des Doktors sich mir zuwendet und enERgischer verlangt. Ich fühle mich in die Ecke gedrängt. Irgendwas ist da. Irgendetwas, das mir damals nicht aufgefallen ist. Etwas, das in meinem Besuch bei ihm vERborgen war. Es kommt nicht hERaus. Ich halte meinen Kopf. Es dröhnt. Es rauscht. Es reißt sich aus meinER ERinnerung los, als ob es ein Eigenleben hat. Schmerz. ER wandERt von meinen Füßen hinauf. Als ob meine Beine Stück für Stück. Knochen für Knochen brechen würden. Geht in den Torso übER. Luft holen wird schwiERiger. HypERventiliere ich? Meine Arme wERden taub. Es ist, als ob man mir den Boden untER den Füßen wegzieht. Ich scheine zu fallen, abER in der Dunkelheit gibt es keinen Boden. Ich kann meine Augen vor ihr nicht vERschließen!

Dr.B - KONZENTRATION, HERR ZEICHNER.

Es ist alles, was mir bleibt. Ich fokussiere alles auf diesen Punkt. Auf die Herkunft seiner Stimme.

Der Schmerz ist überwältigend.

7 Kommentare:

  1. Hallo Alex, wie geht es dir? Kennste mich noch? Spieltroll Calling! Hab mich gerade an deinen Blog erinnert und mal geschaut ob er noch da ist... und unfassbar da ist er noch!

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  2. Manche Dinge sind halt nicht tot zu kriegen, eh ^^
    Freut mich von dir zu hören, Marco. Wie ist es dir in all den Jahren ergangen? Viele der hier zurück gebliebenenen haben sich oft gefragt wie es dir seit deinem Umzug ergangen ist, weil man kaum ein Sterbenswörtchen gehört hat. Selbst Hagen und Co. haben gemeint, das man kaum etwas von dir hörte.

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    1. sag mal kam die Antwort auf den Kommentar an? weil hier gar nichts auftauchte. Dachte ich frag mal nach...

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    2. Höh? Nope, hab keine Antwort gesehen. Er zeigt mir aber auch unter Kommentare nichts an ausser der jetzt von dir gemachten.

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  3. So dann nochmal die Antwort ;)
    Im Vergleich mit anderen Menschen auf diesem Planeten geht es mir sicherlich gut, da will ich nicht klagen, aber wahrscheinlich bin ich jetzt einfach in dem Alter in dem immer mehr Dinge und Schiksalsschläge mit einem passieren und die machen einen immer wieder mehr oder weniger fertig. Wenn man in der Nähe seiner gewohnten Umgebung ist hilft einem das diese zu verarbeiten und zu überwinden und man wird nachdenklich und braucht Zeit. Wäre ich noch in Syke würden sicherlich alle Menschen die mich kennen wissen was so los ist, aber ich bin nicht mehr dort und muß das alles hier mit meiner "neuen" Familie bewältigen. Nachdem mein Vater letztes Jahr gestorben ist, hab ich kaum noch Familie dort. Und in den Jahren davor und auch jetzt danach hatte ich mit diversen Krankheiten zu kämpfen, alles so Sachen wo man sehr nachdenklich wird, wenn man eh ein Grübler ist so wie ich. Aber das klingt alles viel zu ernst, so schlimm ist das auch alles nicht, macht einen nur nachdenklich. Im Ruhrpott läßt es sich echt aushalten, nur jobmäßig ist hier total tote Hose, wird Zeit für den Aufbau-West!^^
    Was geht denn so ab bei euch da oben?

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  4. Wir bereiten momentan die 16ten Namenlosen Tage vor, ansonsten ist jobtechnisch es angeblich ganz positiv. Ich kann dazu wenig sagen, weil ich mein Studium letztes Jahr in den Sand gesetzt habe und mich jetzt mit Nebenjobs durchs Leben schlage. Ansonsten kann ich nur wenig erzählen, der Tabletopclub lebt noch, an der ehemaligen Location des Spieltrolls ist gefühlt jährlich ein neues Geschäft drin. Und was die Leute angeht? Von Hagen hab ich das letzte Mal was vor....pffff 2 Jahren gehört, Christian arbeitet wohl immernoch in dem Buchladen in Bremen, Kreet hab ich seit den damaligen 2ten oder 3ten NT nicht mehr gesehen, die Isensees hier oben sind immernoch im Tabletop aktiv hmm...ja, und persönlich ist ja auch nicht so recht viel zu erzählen. Das mit deinem Vater ist bedauerlich. Krankheiten klingen unfein, ist es etwas schwerwiegend ernstes? Davon ab, bist du immernoch mit...wie hieß sie damals noch....ich hab ihren Namen leider vergessen...zusammen? Die junge Dame die die Hexe in DSA gespielt hat? Oh Je, jetzt kommen die ganzen Erinnerungen an die DSA-Borbarad-Abende wieder....Schrecklichst :D

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  5. Hehe, ja Julia und ich sind noch zusammen und glücklich. Na ja ich bin jetzt Diabetiker und Asthmatiker... super Kombi ;) Ist im Prinzip nicht so schlimm, aber alles so zeug bei dem man sein Leben ein wenig umkrempeln muss. Das Asthma ist allergiebedingt, also mal schlimmer und mal besser, die Diabetes vererbt, aber zum Glück noch nur Typ2, muss also nur Pillen einwerfen und nicht fixen...
    Das mit den Geschäften hab ich ja mitbekommen, da hatte mein Vater kein Glück, wir versuchen gerade das Haus zu verkaufen. Aber das die Tage noch laufen find ich cool. Grüß mal alle die mich noch kennen :D Hagen ist Papa geworden und hat sich selbstständig gemacht, ist allerdings mein Stand von vor langer Zeit...

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