20140519

Fall 1 - XXXVII


Wie auch auf dem Weg hinauf, so dauert es für den Weg hinunter eine kleine Ewigkeit. Als ich die untere Tür erreiche, habe ich es längst bemerkt. Vor mir die Tür, welche auf das Gitter führen sollte, von dem aus ich die nächste Treppe und den Verbindungsbereich zum Hochofen und zum Tunnel selbst erreichen sollte. Aber es ist vor mir alles still. Die Tür war schon bei meinem letzten Besuch nicht massiv genug, dass sie die Geräuschkulisse abhalten hätte können. Also bedeutet das jetzige Fehlen der Industriegeräusche dahinter...was genau jetzt?



Es ist ein wiederkehrendes Problem. Mir fehlen zu viele Informationen über Sinn und Zweck dieser Anlage. Fouquier wird die Antworten haben. Mit diesem Gedanken reiße ich die Tür auf und trete hinaus.



Eine Abwesenheit von Tönen. Der Raum ist immer noch hell erleuchtet, ich kann die verschiedenen  Tanks und Rohre sehen, die Leuchtstrahler, die aufs aggressivste die Umgebung erhellen und dabei vor sich hin summen als hätten man einen halben Bienenschwarm losgelassen. Von hier oben auf dem Metallgitter aus kann ich über den Abgrund nicht einmal eine volle Übersicht über die Umgebung erlangen. An eines der Geländer gelehnt schaue ich hinab. Selbst mit den Strahlern wirkt es noch so, als ob sich dieser Raum weit, sehr weit in die Tiefe begeben würde. Weiter sicherlich, als ich über die verschiedenen Begehbarkeiten hier erreichen könnte. Kann dies einem Zweck dienen? Oder ist dies das Konstrukt eines wahnsinnigen Ingenieurs bei dem am Ende so etwas seltsames wie eine Tasse Tee herauskommt?



Ich kann es hören. Wie sich die Treibladung bewegt und das Rohr feuer spuckt. Wie Splitter und Metall kreischen und kratzen als sie aufeinander treffen. Spüren, wie meine Jacke aufgefetzt wird, rasiermesserscharfe Stücke über meine Schulter gleiten und sich dabei Millimeter um Millimeter durch das Fleisch mähen, als wäre es nur ein Gerstenkorn auf dem Felde.



Ich habe Glück im Unglück, stolpere durch den Schmerz und die überraschende Wucht nach hinten, auf die andere Seite des Metallgitters, gegen das Geländer kurz vor der Wand, nahe der Tür selbst. Der Schütze hat nicht gut gezielt, wenngleich die Spuren an mir und um mich herum deutliche Zeichen setzen.



Jemand hat auf mich geschossen. Durch den Nebel des Scherzes hindurch ist mir diese Tatsache mehr als nur bewusst. Die ist mir schmerzlich eingebrannt. Wer? Von Wo? Ich muss in Deckung!



Die Tür kann mir nicht helfen, sie ist nicht hart genug, eine solche Ladung abzuhalten. Meine Gedanken rasen, Adrenalin pumpt seinen Pfad durch meine Adern als wolle es die Zeit um mich gefrieren lassen.



Ich habe kein Aufglimmen gesehen, der Schuss traf mich an der linken Schulter und riss sich dabei in einem schrägen Schussverlauf über den Oberarm entlang zum Schlüsselbein knapp an meinem Hals vorbei. Die Schützenposition ist also etwas tiefer als meine und hat Einsicht auf das Metallgeländer vor mir. 



Drücke mich schlagartig vom hinteren Geländer ab, das sich bereits ungünstig anfängt in meinen Rücken zu bohren, während die Waffe rechterhand im Schlag nach einem Ziel sucht, meine Augen ein unruhiges Durcheinander von Punkten ab blickend.



Da bemerke ich es. Das hohle Klacken und Klinken, gefolgt vom Zusammenschluss der Kammern. Ein Einschüsser, vermutlich eine altmodische Jagdflinte, entweder Schrot oder ein Jagdgewehr, vermutlich eher Schrot, so wie das Blut meine Schulter hinab sickert. Problem ist, nur weil ich jetzt weiß, dass er nur einen Schuss hat, heißt das noch lange nicht, dass ich weiß, wo er sich hier verbirgt. Er könnte überall in diesem Wirrwarr von Streben und Gängen sein.



Bewegung am Rande meines Blickfeldes!



Mit einem Hechtsprung zur Seite, knallt es im selben Moment bereits, als mich die Treibladung nur um Haaresbreite verfehlt. Wäre ich nicht zur Seite gesprungen hätte ich mich vermutlich über ein paar neue Löcher freuen dürfen. Komme hart auf, was meinem Bauch überhaupt nicht gefällt, der sich daraufhin wie eine stetig pochende Wunde zu melden beginnt. Hab ich jetzt natürlich auch noch gebraucht.



Da ist es wieder, das Klacken. Ziehe mich am Geländer hoch. Beiß die Zähne zusammen, Zeichner! Der Schuss kam von einer Position von der aus er mich sehen konnte. Er muss mindestens eine Ebene unter mir sein. Jetzt wieder hinter einem Rohr. Meine Hand zittert, Schweiß läuft mir über die Stirn, während ich die Umgebung absuche.



Er hat nachgeladen. Er wird gleich wieder feuern. Ich kann nicht ewig Glück haben, aber vielleicht muss ich nur schneller sein als er. Schwungvoll renne ich zur Treppe nach unten, die ich in einem Affenzahn hinunterstürze, ohne Rücksicht auf meine eigene Sicherheit zu nehmen. Noch beim Laufen kann ich das Widerhallen von Metall hören, also bewegt sich der Schütze ebenso, als ich unversehens gegen das untere Geländer krache, dass ich fast vornüber kippe und drohe hinunter zu stürzen. 



Da sehe ich ihn. Auf dem mittleren Gang, neben einem großen Kessel rückwärts stolpernd, eine Schrotflinte in den übergroßen Pranken sitzend, das Gewehr am runter reißen, nur um mich zu erwischen, als ob er überrascht davon ist, dass ich plötzlich hier auftauche. Aber er da hat er mich unterschätzt.



Blindlings ziehe ich den rechten Arm hoch und drücke ab. Schüsse knallen, Ein Schuss, Zwei Schüsse, Drei Schüsse. Funkenschlag und Hochtöne jagen sich ob der Querschläger, die hier umher sausen. Ich habe nicht getroffen. Aber vielleicht musste ich auch nicht. Er schießt und verfehlt meilenweit. Schaut mich entsetzt an. Ich richte mich auf. Richte die Pistole auf ihn, der er am zurück weichen inzwischen die Treppe in den langen Gang erreicht hat.



Zeichner
Bleiben sie stehen oder ich schieße!



Er dreht sich um und rennt los. Ich versuche meinen linken Arm hoch zu bekommen, um ihm wenigstens ein paar Kugeln hinter her zu jagen, aber der Schmerz sorgt nur für ein unangenehmes Ziehen und Wummern in der Hand. Ich feuere ihm so nach. Mehrere Schuss peitschen aus dem Lauf, nur um ihm nachzusetzen. Getroffen habe ich wohl nicht und er verschwindet in der Dunkelheit. 



Reiß dich zusammen, Zeichner! Langsamen Schrittes, die Waffe immer im Anschlag, gehe ich ihm nach. In das Halbdunkel.

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