20160115

Fall 1 - XLIII

Mir ist noch nie so klar gewesen wie jetzt, wie kahl diese Gegend ist. Vielleicht ein paar hohe Sträucher hier und da, aber kaum etwas, das über einfaches Gestrüpp hinaus reichen würde. Der Moment, als ich mich in diesem dürren Dickicht versteckt hatte, erscheint mir wie eine kleine Ewigkeit her, dabei war das in derselben Nacht. Langsam spüre ich das Gewicht auf meinen Armen.

In der Entfernung, weit zu meiner Rechten, was eigentlich Norden sein müsste, kann ich die Lichter von White Springs sehen. Der Stunde geschuldet, scheint dort wenig Aktivität zu sein. Vor mir beginnt sich die Straße langsam zu verbreitern und in echten Asphalt über zu gehen, ein ganzes Stück weiter verbreitert sich die Straße schließlich wie eine T-Kreuzung in den Pfad Richtung Stadt und White Springs.

Nach und nach tragen mich meine Füße auf die Mitte der Kreuzung. Kein Verkehr um diese Uhrzeit. Ich wende mich zur Linken und marschiere langsam auf die rechte Straßenseite zu. Marschiere. Weiter. Immer weiter. Meter um Meter treiben mich meine Füße vorwärts. Es hat angefangen zu schmerzen. Meine Arme ermüden von der Tragelast, selbst einer solch einfachen. Bin es nicht gewohnt, eine Person so lange umher zu tragen. Meine Beine schieben sich nur noch automatisch nach vorne. Mein Brustkorb schmerzt, und das dumpfe Pochen in meiner Magengegend fühlt sich an, als würde jemand mit einem Hammer draufhauen.

Schüttel den Kopf. Kalter Schweiß fliegt umher. Das stetige, wenngleich dumpfe Aufhellen des Himmels deutet einen langsamen Sonnenaufgang an. Ein kühler Wind weht mir um die Nase, lässt mich schniefen. Einige hundert Meter vor mir kommt das große Willkommensschild von White Springs in Sichtweite. Da steht noch etwas anders. Ein Auto, auf dieser Seite des Schildes. Gut verborgen durch das Schild, etwas am Abseits. Kein Licht. Ich sehe keine Person weit und breit. Bleibe unschlüssig stehen. Oder versuche es zu mindestens, aber meine Beine schleppen sich unbarmherzig vorwärts. Keine Chance, nicht weiter zu kommen.

Jeder Schritt bringt mich näher. Das kann doch nicht. Das simple TTCT-Schild auf dem Dach. Ibrahims Taxi. Fuck. Und hier war ich und hatte ganz vergessen, dass der alte Mann auf meine Bitte hin von den Wichsern verfolgt worden ist. Ein unangenehmer Geschmack im Mund. Nur mehr noch Galle übrig, mit einer Spur von …Blut?

Immer und immer näher. Selbst in diesem Halbdunkel kann ich die Einschusslöcher sehen, welche die Heckscheibe zerrissen haben. Der ganze Wagen erscheint bei näherer Betrachtung demoliert. Ich kann froh sein, dass die Reifen noch einigermaßen stabil wirken. Mit einer Hand vorsichtig die Beifahrertür öffnen. Nicht überall sind Spuren von gesplittertem Glas, aber zu mindestens der Beifahrersitz ist übersät mit scharfkantigen Überresten. Vielleicht doch eher die Rückbank. Drücke die Tür auf. Der Großteil der Glassplitter ist im Fußraum. Vorsichtig jetzt. Bugsiere die junge Frau in meinen Armen so gut es geht auf die Rückbank. Hm. Anschnallen ist unter diesen Umständen wohl eher nicht.

Ein sanfter Regentropfen zerplatzt auf meiner Nase. Wenn gleich die Himmel sich ein wenig erhellt haben mögen, sie wirken zu diesem Zeitpunkt noch dunkel genug, um über uns eine Sintflut hereinbrechen zu lassen. Hat etwas geradezu Apokalyptisches. Schließe die Tür. Vorsichtig öffne ich die Fahrertür. Kein Körper zu sehen. Ich weiß nicht, ob ich erleichtert aufatmen oder mit zugedrücktem Hals spekulieren soll. Aber auch kein Blutfleck erkennbar. Nur ein paar Splitter hier und da. Wische sie herunter. Na dann. Drücke mich langsam in den Fahrersitz. Das Sitzen lässt meine Füße aufschrecken. Stunden um Stunden an endlosem Gehen ziehen sich ihren Zoll. Wenn ich mit dem Kopf jetzt langsam an die Kopflehne nicke, werde ich hier vermutlich fürs Erste gar nicht mehr wegkommen. Instinktiver Griff zum Autoschlüssel.

Es steckt keiner im Schlüsselloch. Natürlich nicht. Wäre ja auch zu einfach gewesen. Ich drücke die untere Armaturenbedeckung herunter, und reiße die Innenverkleidung auf. Ein Wirrwar an Kabeln. Wenn ich mich recht erinnere, dann muss dieses Kabel HIER und…das Kabel DORT…und wenn man die jetzt aufzwirbelt und dann miteinander verbindet…

Ein angenehmes Rumoren. Zuerst. Dann springt der Wagen beinahe das große Schild und versucht sich langsam durch zu drücken. Irgendein Hohlkopf hat den Gang drin gelassen. Ich wechsle, und setze langsam einen, zwei Meter zurück. Drehe den Wagen Richtung Straße und gebe schließlich sanft Gas. Mit einem Ruck bewegen wir uns auf den Asphalt und langsam Richtung der Stadt. Richtung Zivilisation. Richtung ehrlicher Ärzte und vertrauensvoller Menschen. Welch ein Hirngespinst. Auf der Frontschreibe fallen dicke, schwere Regentropfen, während ein Regenschauer einsetzt.

Die Landschaft zieht an mir vorüber. Orte, die ich bei der Herfahrt nur wie in einem Rausch von Farben und Momenten wahrgenommen habe, werden nunmehr deutlich und geben ein gänzliches eigenes Bild von sich ab, als wir die Straße entlang ziehen. In einiger Entfernung kann ich das Meer näherkommen sehen, und Wellenrauschen hören. Oder nicht wirklich. Stelle mir nur vor, wie die Wellen klingen müssen. Mit jeder Minute Fahrt wird der Regen schwerer, die Sicht schlechter. Trotz allem hat es etwas unglaublich beruhigendes, das Plätschern und Aufschlagen der Tropfen auf dem Wagen zu hören, während ich langsam auf dem nassen Pfaden durch die Landschaft fahre.

Ein einfacher Handgriff nebenbei, die Suche nach dem vermaledeiten Radio. Es muss doch hier irgendwo…ahhh. Gefunden. Ein einfacher Druck genügt, um es zu aktivieren. Das dröhnende weiße Rauschen, das durch die Boxen dringt, das immer wieder von Sekunden-artigen Stößen von menschlichen Stimmen unterbrochen wird, passt zum Wetter. Vermutlich ist die Antenne auch hin? Drehe ein wenig durch die Frequenzen…in der Hoffnung, etwas zu finden, das die Fahrt etwas unbeschwerter, etwas angenehmer macht. Menschlicher.

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