20161116

Fall 1 - LXII

Doch ich habe Glück. Sie entdecken mich nicht, während ihr Getrappel offensichtlich eine gewisse Unruhe auslöst. Ich kann von meiner Sitznische aus sehen, wie sich ein paar Anzugträger, vermutlich die Sicherheit des Etablissements, in Bewegung setzt, um die Herrenrasse entweder zu vertreiben oder unter Kontrolle zu kriegen.

Das dumpfe Umhergestiere der Jungs ist schon etwas geradezu peinlich Berührendes für eine solche Gruppe von Trotteln. Theo hechtet jetzt an den Rand des Beckens, um einen besseren Überblick zu haben. Bringt ihm aber nichts, drei der Anzugträger umzingeln und drängen ihn durch die die Doppelklappentür heraus, ebenso wie seine Untergebenen.

Im restlichen Lokal ist durchaus eine gewisse Anspannung zu bemerken, das stetige Niveau und die Lautstärke des Gemurmels der Anwesenden, vermutlich der Reichen und Mächtigen, übertönt selbst das sanfte Klaviergespiele, das von der anderen Ecke des Saals leicht herüber hängen würde.

Das Licht wird gedämpft, im Hintergrund hört die Musik jetzt auf. Das Becken wird mit Flutscheinlicht beleuchtet. Ein Show-Act beginnt. Junge Frauen in seltsamen Kostümen, die wenig der Fantasie überlassen, bewegen sich lasziv durch die künstlichen Wellen des großen Beckens, und man kann durchaus bemerken, dass hier Wallungen im Raum existieren. Der letzte Rest Gemurmel verstimmt, während man erkennen kann, wie das Klavier mitsamt Plattform, wohl von mechanischen Getrieben bewegt, ins Zentrum des Beckens geht. Die Scheinwerfer wandern auseinander, wodurch das Klavier im Dunkeln steht, während nur der Rest des Beckens und der Nixen beleuchtet wird. Ein neuer Scheinwerfer, in einem tiefen Rotton geht an, und ersetzt das Licht der anderen Scheinwerfer auf dem Klavier, auf dem ich jetzt Matti sitzen sehe, neben dem Klavierspieler.

Ganz schön warm hier drin. Mein Hemd klebt, die Luftfeuchtigkeit durch das Becken ist höher als ich erwartet habe. Mir steht der Schweiß auf der Stirn. Wische mir langsam mit dem Handrücken über die Stirn. Kann hören, wie der Show-Act im Hintergrund jetzt so richtig losgeht. Eine sanfte Klaviernummer mit einer schönen Frau auf dem Klavier. Ich fühle mich wie in einem Raymond-Chandler-Roman.

Trotz der Wärme und Feuchtigkeit drücke ich mich tiefer in die Dunkelheit, klebe mich selbst gegen die Sitzfläche, schmiege mich geradezu an sie. Die Nische hat in ihrer Einsamkeit etwas Wohltuendes. Eine Anonymität, welche nur selten gegeben ist. Der Blick nach draußen, egal wie begrenzt, ohne selbst gesehen zu werden. Der Show-Act selbst plätschert im Hintergrund dahin. Mein Blick ist auf die Deckenfenster gerichtet. An strategischen Stellen über dem Becken sind immer wieder größere Deckenfenster platziert. Durch das Stakkato-artige Regnen hat sich ein Eindruck von Überschwemmung übergeben, welche selbst auf dem Dach hier seltsam aussehen muss.

Stimme – Schön, nicht wahr?

Ich fahre hinauf, stoße mir die Knie an der Tischplatte in der Sitznische, als ich die Stimme neben mir vernehme, welche in der Dunkelheit aufkommt. Mein Puls geht auf 180, Schweiß rast mir die Stirn herunter, während mein Rücken sich schmerzhaft von der Polsterung löst.

Keinen Meter von mir entfernt, kann ich in der Dunkelheit das Klicken eines Feuerzeuges hören, und sehe das Aufglimmen einer Zigarette. Undeutlich, durch Feuchtigkeit und Schweiß, kann ich das Gesicht meines Gegenübers nicht erkennen. Nur das leuchtende Ende des Glimmstängels verrät überhaupt seine Anwesenheit. Die tiefe, männliche Stimme dahinter lässt keinen Zweifel an ihrer Existenz. Sie klingt seltsam. Nicht besonders alt, aber auch nicht jungenhaft. Ambivalent.

Stimme – Ha..ha…ha….machen sie sich keine Sorgen. Ich werde den Sikas nicht Bescheid geben. Sie können sich in aller Ruhe wieder zurück lehnen. Die Show genießen.

Wie um seine Worte zu unterstreichen, kommt ein genüsslicher Zug der Zigarette vor, und ein dichter Qualm entspinnt sich aus der Dunkelheit. Meine Augen sind, durch die stetig wechselnden Lichtverhältnisse nur schlecht an die Beleuchtung gewöhnt. Ich kann meinen Nebensitzer kaum erkennen.

Zeichner – Ich wusste nicht…dass die Nische besetzt ist.

Erneutes leichtes, zuckendes Gelächter.

Stimme – Ha…ha…ha. Das ist Absicht. Ich mag es, hier zu sitzen. Es ist mein Fenster zur Welt. Niemand setzt sich in eine dunkle Nische. Sie sind der Erste.

Zeichner – Und in wessen …Nische habe ich mich gesetzt?

Stimme – Namen sind Schall und Rauch. Sie tun hier, im Schatten Neptuns, nichts zur Sachen. Einigen wir uns darauf, dass sie mich A nennen können, und ich sie O nenne.

Ich kann mir nicht helfen, aber der Typ grinst doch angesichts seiner geradezu abfälligen Art, wie er das sagt in sich hinein. A und O. Alpha und Omega. Anfang und Ende. A und Z. Weiß er, wer ich bin?

A – Nun, Herr O, wie gefällt ihnen die Show. Ich kann nie genug davon bekommen. Die Erwartung. Die Leiber. Die Perfektion. Die Choreographie. Es ist ein Kunstwerk, das nur für diesen Moment existiert und in dieser Form so nie wieder kommen wird.

Mit einem langsamen Ruck, rutsche ich etwas zur linken, Richtung Nischenausgang. Selbst wenn ich das Interesse daran hätte, würde ich mich für die Show nicht besonders interessieren.

A – Und sie alle kommen, um zu starren, manche sogar, um sich zukünftige Mätressen zu sichern. Da Vorn, in der Nische auf der Gegenseite, sitzt der Bezirksstaatsanwalt. Daneben der Aufsichtsratsvorsitzende von Taggart Energy. Die Nische daneben gehört den Botschaftern, sofern einer sich hier blicken lässt. Zu schade, dass bei diesem Wetter deren Nische ebenso leer und dunkel ist, wie die Leute, denen die Nische gehört.

Warum erzählt er mir das? Ist dies eine der verschrobenen Gestalten, die zu treffen ein Schicksalswink ist?

A – Die Nische daneben gehört Anderson und Zeiler, welche sich

Was? Das kann kein Zufall sein!

Zeichner – Anderson? Von der Detektei Anderson?

A – Aber aber, O. Regen sie sich nicht über Gebühr auf. Das erregt hier nur Aufmerksamkeit. Und die wollten sie doch vermeiden. Aber ja, von der Detektei.

Ein weiterer Rauchstoß. Wie lange raucht er diese Zigarette schon? Mir ist leicht übel. Wie ein gallenhafter Geschmack auf der Zunge. Mein Blick folgt seiner Beschreibung und zwingt mich, etwas über den Rand zu gucken. Ich kann durch die stetig verschobenen Lichter nur wenig ausmachen, wohl aber ist die Nische, wenn auch nur gedämpft, immer noch beleuchtet. Es ist tatsächlich Anderson. Er sitzt, wohl nicht alleine dort. Es wäre verlockend, zu erfahren, was er JETZT hier macht.

Zeichner – Sie müssen mich entschuldigen, …ich muss da etwas nachgehen.

Drehe den Kopf, einen letzten Blick in die Nische. Die Zigarette ist erloschen. Der Stummel, ausgedrückt im Aschenbecher, im Halbdunkel auf dem Tisch, neben einem zweiten, wohl älteren Stummel liegend. Keine Antwort erklingt aus der Dunkelheit. Muss er selbst wissen, wenn er den Mysteriösen spielen will.

Ein Moment! Ich drücke mich aus der Nische, und nutze den Augenblick, wo die Lichter wandern. Husche im dunkelsten Moment herüber hinter dem Becken, von Punkt zu Punkt, ehe ich auf der anderen Seite ankomme, und mich in die Nische der Botschafter dränge.

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