20161122

Fall 1 - LXIII

Schatten umfangen mich hier in der Nische. Halb genuschelte Stimmen von der anderen Seite. Muss mich ein wenig anstrengen, um besser hören zu können. Es ist definitiv Anderson, der da am Tisch sitzt. Der Geschmack von Galle auf der Zunge. Wie passend. Der langsame Zug an etwas, das nur seine Zigarren sein können.

Ein tiefes, entspanntes Exhalieren. Mindestens eine andere Person, die neben ihm spricht. Durch die Ansammlung von Hintergrundgeräuschen ist es umso schwerer, zu verstehen, wer das sein mag. Kann nicht einmal das Geschlecht bestimmen?

Anderson – Es war mir eine Freude, das fest zu machen. Wie geht es danach weiter?

Versuche mit dem Kopf etwas höher zu kommen, ohne aus dem Schatten der Nische auffällig zu werden. Verdammt, Grünzeug das mir die Sicht versperrt!

Die andere Person antwortet. Etwas an der Stimmlage. Tief. Beruhigend. Eine dunkle Stimme, wie ein Hauch von Schokolade, der einem ins Ohr fließt….woher kenne ich diese Stimme?

Anderson – Und damit waren die Herren einverstanden?

Wenn ich wissen will, mit wem Anderson da spricht und worüber, muss ich irgendwie einen Blick erhaschen, ohne dass man mich erkennt, und gleichzeitig erwischt zu werden. Wobei mich das immer noch zur Frage bringt, wie Anderson überhaupt ins Neptun gekommen ist.

Anderson – Dafür dass die Re-Programmierung so lange gedauert hat, hat sie sich gut gehalten.

Vielleicht, wenn ich vorsichtig das jeweilige Gestrüpp und Grünzeug aus dem Weg schiebe, so dass ich bessere Sicht auf die Person da drüben habe? Gehe langsam mit den Fingern in das, die Nischen trennenden Äste.

Anderson – [offensichtlich angesäuert] Ich würde gerne von angenehmeren Dingen sprechen, Herr Doktor, aber sie haben das Thema angeschnitten.

Durch das vorsichtige beiseite drücken des Grünzeugs, ohne allzu viel Geraschel, sehe ich einen Stichpunkt mehr. Anderson trägt wieder seinen feinen Zwirn, soweit ich das sehen kann, die burgunderrote Krawatte auf Schwarz. Der Mann hatte noch nie Geschmack. Er blickt auf seinen Gegenüber, welcher mir bekannt vorkommt, aber ich kann das Gesicht nicht zuordnen, welches über dem Tweed-Jackett hervor lugt, mit der schiefen Nase und dem Grau werdenden schwarzhaarigen Ansatz.

Person Gegenüber Anderson – Ist Ihnen schon aufgefallen, dass wir nicht allein sind.

Anderson – [amüsiert] Natürlich nicht, aber ich dachte immer sie nehmen Abstand von Neptuns Praktiken? …reden wir von derselben Sache?

Person Gegenüber Anderson – Hinter Ihnen, auf den Bänken neben unserer.

Die Lautsprecher müssen kaputt sein, ich kann das Rauschen hören, dass zu hohe Frequenzen begleitet, wenn die Soundanlage dafür nicht ausgelegt ist. Wie ein Kratzen, ein Rauschen, das Fernsehschnee gleich droht alles andERe auszublenden, während AndERson sich panisch umguckt. Falle zurück, etwas plump, auf die Rückbank. Unangenehm für die Knie. Hat ER mich gehört?

Person Gegenüber Anderson – Sie können rauskommen.

Wenn ich entdeckt wurde, besteht die Gefahr, dass ich rausgeschmissen werde. Also heißt es jetzt oder nie. Drücke mich zwischen dem Nischenplatz hERvor, und um die Ecke. Zwei PERsonen. Wie ERwartet. AndERson und eine weitERe PERson, ein ältERER HERr. ER kommt mir bekannt vor, aber ich kann den FingER nicht drauf legen, wohER das sein könnte. AndERson ist offensichtlich übERrascht, sein Gegenüber scheint mehr amüsiERt zu sein.

Anderson – GrundgütigER, ZeichnER! Sie hiER?! Wie sind sie hiER rein gekommen? Wie sehen sie übERhaupt aus?!

Person Gegenüber Anderson – Immer mit der Ruhe. Michael. Warum sind sie hier?

Zeichner – Dass ich einer Spur gefolgt bin, werde ich Ihnen sicherlich nicht auf die Nase binden. Anderson. Dass sie da mit drinstecken, hätte ich mir auch gleich denken können.

AndERson wird rot, selbst im schlechten, schummrigen Lichte ist sein Kopf wie eine große Tomate die versucht noch mehr Farbe auszudrücken. Kann denn nicht mal jemand was wegen diesER verdammten Boxen unternehmen? Kratze mit dem kleinen FingER im Ohr für etwas LindERung. Es hilft nicht!

AndERson kramt in seinER Jacke, aber dER ältERe HERr legt ihm sanft die Hand auf den Arm. Was geht denn jetzt ab? Ich könnte schreien, inzwischen muss den Leuten doch das Rauschen aufgefallen sein? SchwERes Fußgetrappel. Mir läuft die Zeit davon, ein Blick nach hinten zeigt zwei der Anzugträger auf dem Weg zu uns.

Zeichner – Eine gute Frage, aber sie erwähnten da grade etwas ganz intERessantes. Re-Programmierung? Haben sie ihre FingER etwa in Dingen, die sie nichts angehen, AndERson?

AndERson blickt zum ältERen HERrn hERüber, dER nur nickt, und mich dann intensiv mustERt.

Älterer Herr (vormals Person gegenüber Anderson) – Michael. Kennen sie mich noch? Schauen sie mich an. Schauen sie mich genau an. ERkennen sie mich noch? Folgen sie dem Klang meiner Stimme, ERkennen sie mich noch?

[War es Kaffee?]

Zeichner – Ja.

Älterer Herr – Michael, ich bin entsetzt sie hier zu sehen. Setzen sie sich doch zu uns. Sie sehen furchtbar aus. Bitte, setzen sie sich, und erzählen sie uns, was Ihnen widerfahren ist.

[Hat sich hier etwas vermischt?]

Anderson – Alles in Ordnung, die Herren, der gute Mann gehört, trotz seines Äußeren, zu uns.

[Ich schlucke etwas.]

Älterer Herr – Das klingt ja schrecklich. Und all das in den letzten drei Wochen? Da werden wir Ihnen weiterhelfen können. Ich habe mir sagen lassen, dass sie Ihren Termin verpasst haben. Haben sie ihren Termin verpasst, Michael?

[Es fühlt sich falsch an.]

Zeichner – Ja.

[Schaut mich an.]

Anderson – Ich hab ihn gerade am Apparat. Er sagt er wäre gerade sowieso da, also könnten wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

[Im Hintergrund vernehme ich das stetige Schlagen einer sehr alten Uhr.]

Älterer Herr – Ihr Termin, Michael. Coldman Tower. Sie wissen, welche Etage. Sie brauchen nicht klopfen. Die Tür wird sich ihnen öffnen. Sie werden einen Weg finden. Sie haben einen Termin, Michael. Verpassen sie ihn nicht.

Zeichner – Ja.

[Irgendetwas, das mir damals nicht aufgefallen ist]

Ich entferne mich schnellen Schritten aus der Sitznische. Doktor B´Quija und Mr.Anderson winken mir noch nach. Die freundlichen Herren der Rezeption öffnen mir die Ausgangstür. Ich trete hinaus, der Regen ist immer noch recht stark. Meine Fahrgelegenheit wartet auf mich. Mit wenigen Schritten durch das ansammelnde Wasser auf der Straße komme ich zum TTCT-Taxi. Öffne die Tür zu den hinteren Sitze. Lasse mich hineinfallen, das Fahrzeug wackelt bedrohlich, der Fahrer blickt mich verwundert an. Regentropfen rinnen mir vom Haar auf Brust und Schulter.

Fahrer – Wohin?

Der Fahrer zieht von seiner Seite aus die Hintertür zu, wartet auf meine Antwort. Im Hintergrund spielt ein Rauschen alle Geräusche und Tonebenen durch.

Zeichner – Coldman Tower.


Lehne den Kopf nach hinten. Schließe die Augen.

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