20170118

Fall 1 - LXVI

Drücke mich langsam und vorsichtig vorwärts, lasse neben mir die Überreste des kaputten Aschenbechers auf dem Boden zurück. Tropfen fallen herab, wo mein vom Regen angefeuchteter Leib geschritten ist. Kann ich mich jetzt nicht auch noch drum kümmern. Die einsame Tür, ein Glasfenster mit milchigen Umrissen zeigt ein Firmenlogo, das seitenverkehrt nicht zu lesen ist von meiner Seite aus. 

Hoffentlich ist sie nicht abgeschlossen. Drücke die Türklinke herunter, nicht verschlossen. Husche schnell hindurch. Der dunkle Korridor vor mir, weiße Wände, an verschiedenen Abständen unterbrochen von Durchgängen in Nebenräume, öffnet sich an seinem Ende in einen großen Büroraum mit diversen kleinen Nischen-Arbeitsplätzen. Grausamer Gedanke, an so einen Ort wiederzukehren.

Nur ein paar Etagenlampen scheinen überhaupt etwas Licht hinzu, wenn der stetige Lärm hinter mir nicht durch den Splittersturm Wind, Wasser und die Überreste der Gebäudefassade hineindrücken würde, man wüsste hier drinnen nicht einmal, dass dort draußen so etwas wie Wetter existieren könnte. Ein schwerer Donnerhall. Das Licht flackert. Ich habe keine Taschenlampe dabei, das könnte schnell unangenehm werden.

Der große Büroraum, ausgelegt mit einem flauschigen dunkelblauen Teppich über seine gesamte Fläche, geht in verschiedene eigene kleinere Nebenräume ab, hier irgendwo muss doch Rezeption oder Eingang, auf jeden Fall ein Durchgang in ein Treppenhaus oder zu den Fahrstühlen existieren! Im Halbdunkel sehr schwer auszumachen. Ein einsamer Blitzschlag erhellt für einen Augenblick den Raum und leuchtet mir den Weg tiefer hinein. Navigiere vorsichtig an Blumenkübeln und Aktenschränken vorbei. Auf der gegenüberliegenden Seite ist eine doppelflügelige Tür mit dem Firmenlogo ausmachbar. Wenn das nicht der Eingang ist, fresse ich einen Besen.

Eine Lichtquelle! Etwas erhellt von außen die doppelflügelige Tür. Fahrstuhl-Licht? Das kann doch nicht wahr sein! Ich drücke mich schnell gegen die nächstbeste Tür, drehe am Türgriff, und lege diese sachte hinter mir zu ran. Mein Puls geht auf 180, mein Herzschlag dröhnt in den Ohren. Mein Rücken schmerzt vom akrobatischen Seil-Akt da draußen. Und der Mistkerl lässt einfach nicht locker!

Ich kann hören, wie jemand versucht, die Tür zu öffnen. Hah, Glück im Unglück, es ist abgeschlossen. Das Klirren des Glases spricht eine andere Sprache. Es wird nicht mehr lange dauern, und er wird hier vorbeikommen, wenn nicht…der Teppich. Er wird die nassen Spuren im Teppich direkt zu dieser Tür verfolgen können. Keine Panik, tief durchatmen, was habe ich hier zur Verfügung?

Kurzes Kramen in den Taschen. Das halbkaputte B3 Astor, das mir Ríee durch Handekker hat aushändigen lassen. Das Display ist angebrochen und auf der Rückseite ist der Hochleistungsakku notdürftig eingeklebt. Offensichtlich hatte da jemand die Finger dran. Immerhin, trotz der Beschädigung springt es noch an. Das grelle, bläuliche Aufleuchten blendet mich für einen Augenblick, ehe meine Augen sich daran gewöhnen. Irgendwo draußen knirscht es. Er ist aufs Glas getreten. Er ist drin.

Ich stehe in einem Versorgungsraum. Zu beiden Seiten Regale voll mit Spülmitteln, Decken, Reinigungshandschuhen, Besen, Deckeln, Müllsäcken. Was so ein typisches Büro halt braucht. Was es nicht unbedingt braucht, ist der Lüftungsschacht der ungefähr auf Deckenhöhe angebracht ist. Kletterpartie. Ich drücke mich rapide und unsanft am rechten Regal in die Höhe, greife mit einer Hand zur Abdeckung und ziehe so hart ich kann, als sich die dünnen Alu-Streben der Lüftung unter meinen Fingern abreißen. Es wird nicht schön werden, aber ist das schnellste was ich habe. 

Ich drücke mich mit ein zwei Bewegungen auf dem Regal hinauf, wie an einer unsicheren Leiter und greife mit beiden Händen in einem gewagten Absatz auf den Lüftungsschacht. Ziehe mich an diesem Hoch, hinein. Es ist eng. Sehr eng. Meine Arme sind in einem sehr unangenehmen Winkel angelegt, fast schon fokussiert, unter schmerzhafter Verrenkung drücken ich sie an mir vorbei nach vorne und fange an wie ein Wilder zu krabbeln. Er wird mich früher oder später sowieso hören.

Die Richtung ist unbestimmbar, das schlimmste das passieren könnte wäre, das es abwärts oder in einen riesigen Lüfter gehen könnte. Hinter mir höre ich das Quietschen der Tür, das unendlich langsam in den Schacht hinein hallt.

Ich drücke mich stetig weiter, immer vorwärts. Für den Augenblick ist mein gekeuchtes Atmen, das sich immer weiter stoßartig herausbringt das einzige, was neben dem entfernten Trippeln des Sturms Geräusche fabriziert. Ich werde fast taub. Der Knall, peitschenartig, reißt durch die Außenhaut des Lüftungsschachtes. Er schießt auf die Punkte, wo er vermutet, dass der Schacht verläuft und ich sein könnte. Etwas warmes läuft mein linkes Ohr entlang. Meine zuckende Hand greift nach vorne, mein Leib bewegt sich, Automaten-gleich weiter. Ich darf nicht stehen bleiben. Ein weiterer Peitschenknall, donnernd, bohrt sich in Leib und Ohren. Noch hat er mich nicht getroffen. Aber im schlimmsten Fall ist es nur eine Frage der Zeit.

Da vorn, ein Licht! Knapp über mir eröffnet sich dort ein Gatter, durch das Licht fällt, immer wieder zuckend durch Regen und Blitze präsent. Das Treppenhaus. Geballt drücke ich meinen Leib gegen das Gatter. Stoße mit den Füßen gegen. Drücke mich und das Gatter aus dem Schacht heraus. Ein dritter Knall, dort wo eben noch mein Körper im Schacht lag zerfetzt diesen. Ich komme derweil hart auf dem Boden der Zwischenebene des Treppenhauses auf. Hart. Aber nicht so schmerzhaft, wie der Fall aus der oberen Etage war. 

Also hoch mit dir!

Mein Atem geht etwas keuchend. Ich kann an der Seite die Tür zum Treppenhausdurchgang der Etage sehen. Dasselbe Firmenlogo. IDI. Huh, kommt mir bekannt vor. Egal. Halb gegen die Brüstung gedrückt, tapere ich hinunter, Etage um Etage. Es sind ja nur 92 Stockwerke hinunter. Mit der Zeit geht es, und ich fange an, die Stufen einzeln oder zwei zurzeit zu nehmen, 90ste Etage….89ste Etage. 88ste…87ste…

Über mir kracht es. Er hat das Treppenhaus gefunden. Nicht stehenbleiben. 86ste :..Der Peitschenknall, durch unzählige Reflektionen der kleinen Wände im Treppenhaus hin und her schallend ist ein ohrenbetäubendes Geräusch. Zu Mindestens für meine rechte Seite. Seltsam, ich hab das auf der linken gar nicht so recht vernommen. Weiter hinunter. Es knallt kein weiterer Schuss. 80ste Etage.

Je tiefer ich komme, desto billiger verputzt werden die Wände. Scheinbar hat man auf den Ebenen, die nicht direkt vermietet oder verkauft waren nicht so sehr auf das Innere Äußere geachtet, wie weiter Oben und Unten. Es ist Dröge. 60ste Etage. Erschöpfend. Keine Paranoia kann das Adrenalin so lange halten, wie ich noch brauche, um unten anzukommen.


Eine Pause. Das wäre eine großartige Idee. Machen wir eine kurze Verschnaufpause. Setze mich auf eine Treppenstufe. 56ste Etage. Fuck, ist das hoch. Der Regen trommelt immer noch in unerbittlicher Stärke gegen die Wände, wer weiß wann der Sturm aufhören wird, und was er alles in Mitleidenschaft ziehen wird, ehe er fertig ist. Selbst hier kann ich das leichte Wummern vernehmen, dass…Moment, das ist nicht der Sturm. Hand in die Tasche, hole ich das Mobiltelefon raus. Ein Anruf. Unbekannte Nummer.

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