20170202

Fall 1 - LXVIII

Keuchen. Der Druck auf der Brust. Der Schweiß, der langsam durch das Haar Richtung Hals und Nacken, über die Augenbrauen und die Nase rinnt. Brauche etwas mehr Eisen im Blute. Drücke mich von der Brüstung ab. Darf keine Müdigkeit vorschützen. Die halb aufstehende Tür vom Treppenhaus, welche dasselbe mit dem Foyer verbindet, wirkt einladend und abschreckend. Ein einsames, Bullaugen-gleiches Fenster im oberen Drittel, durch das ich das schwache Licht der Nachtbeleuchtung erkennen kann, das immer wieder flackert. Ich kann hier drinnen schon den Lärm des Regens hören, der gegen die große Front-Fassade des Turms hämmert.
Drücke mich vorsichtig um die Ecke. Ein Fehler an dieser Stelle kann mein Ende bedeuten. Ein Bye Bye Zeichner. Mit dem Unterschied, dass sie meine Leiche niemals auffinden lassen werden. Nur ein weiterer Irrer im Fluss, der die Green Bay entlang geschwemmt wird. In der Mitte des Foyers der dunkle Basalt-verkleidete Block, in dem die Fahrstühle unter gebracht sind, gedeckt durch den vorderen Eingangsbereich. Ah.

Offensichtlich der mittlere der Fahrstühle, gerade auf Ebene 6. Ich habe noch ein paar Sekunden. Ausgehend davon, dass mein Plan funktioniert hat. Und wenn nicht, ist es jetzt auch zu spät. Unter mir scheint, reflektiert der Marmorboden mein verzerrtes Antlitz. Einzelne Schritte lassen immer wieder einen Tropf, ob Regenwasser oder Schweiß, hinunter klatschen.

Schleiche langsam um den Block herum. Fahrstühle zum Vordereingang mitsamt Rezeption. Dieselbe ist unbesetzt, ein einfacher Drehstuhl steht inmitten der kleinen Dienststelle, angestrahlt von grell-hellen Monitoren. Kameras. Aber kein Wachmann in Sichtweite. Ein Flackern. Für einen Augenblick war das Licht weg. Etwas knallt draußen. Ein Blitz. Eine kleine Wellte sprenkelt die Außenfassade. Da ist gerade etwas von oben irgendwo herunter gestürzt. Ein Baustück, Trümmer des Nebengebäudes? Ein Helikopter. Fokus!

Weiter um den Block umher. Lastenfahrstühle. Keinerlei Freischaltmechanismus. Weiter. Ahhh. Eine Reihe von drei Fahrstühlen im hinteren Eck, versteckt hinter Sitzbanken, einer Betreten-Verboten-Tür mit Stromzeichen und ein paar Getränkeautomaten. Zwei davon stehen auf B1. Ein Pfad in die Tiefgarage. Der mittlere Fahrstuhl, auf der Null stehend, steht offen. Ein Spiel mit dem Teufel. Hmm. Wandere in den Fahrstuhl hinein. Drei Knöpfe. EG. B1. B2. Drücke auf B2. Ein sanftes Klingeln im Hintergrund. Der vordere Fahrstuhl ist im Treppenhaus angekommen. Vor mir schließen sich die Fahrstuhltür und mein letzter Ausweg. Ein entfernter, rollender Donner begleitet den Augenblick. Surrend setzt sich der Fahrstuhl in Bewegung, hinab, in die Tiefe.

Krame in den Taschen. Schwierig, immer noch das B3 Astor in der Hand. Selbst mit leichtem Bruch drin reagiert es noch auf die wichtigsten Bewegungen. Gewählte Nummern. Heh. Vielleicht sollte ich Rückmeldung geben? Informationen einholen? Wer kann mir jetzt noch weiterhelfen? Rieé. Er sich auf jeden Fall verwickelt, spätestens durch seinen Neffen. Auf einen Versuch kann ich es ankommen lassen. Wahlwiederholung bekannter Nummern. Dieselbe Nummer, unter der ich damals auch Handekker erreicht habe. Er versucht eine Verbindung aufzubauen. Vermutlich schwierig unter den aktuellen Umständen.

Immerhin hat die Verbindungsanzeige noch einen Balken. Es klingelt. Endlich mal etwas, das genau so funktioniert, wie es soll. Jetzt noch auf die Stimme vom Fließband warten nach der Abnahme und dann kann ich weiter sehen. Es klingelt immer noch. Hmm. Drittes Klingeln. Immer noch keine Reaktion. Und, was fast noch seltsamer ist, wir fahren immer noch in die Tiefe. Entweder ist das der langsamste Fahrstuhl aller Zeiten, oder es geht bei B2 deutlich tiefer, als die Bezeichnung erwarten lässt. Mist. Natürlich geht es noch tiefer. Vermutlich ist das so etwas wie der VIP-Eingang in den Club, der ja selbst noch ein paar „Ebenen“ tiefer gehen kann. Fünftes Klingeln. Kein Zweck. Lege auf. Seltsam.
Ruckartig kommt der bisher recht flüsterleise gefahrene Fahrstuhl zum Stehen. 

Die Tür öffnet sich. Greife nach dem Revolver, dessen Form sich hart an meine Linke schmiegt. Burgunder-rotes Licht dringt durch den sich öffnenden Türschlitz, und offenbart dunkle Wände in einem kleinen Raum, der nach wenigen Metern durch eine dunkle, schwarz anmutende Tür abgegrenzt wird. Eine einsame Lüftung in der Wand darüber, deutlich zu klein für eine Person, macht deutlich dass hier auf Ambiente Wert gelegt wird. Es spielt Musik im Hintergrund, irgendwas sanftes klassisches, wie man es von einer Jazz-Bar erwarten würde, nicht unbedingt von einem Club mit apokalyptischen Motiven. Die Wände selbst sind über und über mit Motiven der Endzeit besetzt. Engel. Dämonen. Hmm. Interessant, die Engel sind auf der Unterseite, die fratzenverzerrten Dämonen auf der oberen Seite der Wand angesetzt.

Schnell an die Tür, kurzer Griff zum Türknauf, der vorsichtig hinunter gedrückt wird, und ein Blick hindurch. Vor mir eröffnet sich ein mehrstöckiger, im Zentrum offener Raum, der an verschiedenen Stellen mit Glaspanelen den Blick und auch den Durchgang hinunter und hinauf erlaubt. Es geht noch mindestens zwei Stockwerke hoch, mindestens ein hinunter. Alles ist in das dunkle, rote Leuchten getaucht, offensichtlich wurde hier aufwendig Arbeit bezogen um einen gewissen Blick zu ermöglichen. Entlang der Galerie sind Holzbrüstungen mit handgearbeiteten Schnitzereien und Mustern im persischen Stil angebracht. Das erste Mal, das mir sowas auffällt. Hat sich der Kunstkurs an der Hochschule also doch gelohnt.


Der freie Raum vor mir, inmitten des großen Beriches, ist locker an die Zwanzig mal Zwanzig Meter groß, ein Riesenbereich. Vermutlich ein Zwischen-Bereich? Wäre für einen Club dieser Art nicht untypisch. Stimmen. In einiger Entfernung, langsam näher kommend?! Moment, nicht ganz. Sie bewegen sich, aber eher unter mir, als neben oder vor mir. Schiele über das Geländer hinüber. Personen, im Stockwerk unter mir. Anzugträger. Mist. Jetzt heißt es Alles oder nichts. Blick nach rechts, dem Geländer entlang Türen in unbekannte Räumlichkeiten. Noch keine Spur von Deep Throat oder Tatianna zu sehen. 

Die Anzugträger laufen unter mir zur linken weiter, offensichtlich ist der Bereich an der Stelle deutlich auslaufender noch mal. Der normale Zugangspunkt? Zu meiner linken geht das Geländer noch ein paar Meter, ehe es biegt und sich um die Ecke weiter fortsetzt, wo eine Treppe …EINE TREPPE! den Weg ins untere Stockwerk ermöglicht. Zu dumm nur, dass die beiden Anzugträger diese scheinbar genau jetzt ansteuern. Dunkelheit. Für einen Augenblick. Flackerndes Licht. Stromprobleme. Das kommt gelegen.

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