20190730

The Witcher Rollenspiel: Eine Studie in Monsterblut

tl;dr - Das Witcher-PnP ist, mit kleinen Schnitzern, ein gutes Dark-Fantasy-Rollenspiel für alle SimTak-Freunde, und bietet eine reichhaltige und erschöpfende Übersicht über die Witcher-Welt der PC-Spiele. Freunde narrativer Spiele können reinschnuppern in das schöne Buch, sollten sich den Kauf aber überlegen.

Zunächst der Hintergrund. Meine erste Begegnung mit der Witcher-Reihe kam 2007, als das erste PC-Spiel auf Basis der Neverwinter Nights-Engine rauskam. Das Spiel, das ich mehrfach durchspielte, flashte mich genügend, dass ich anfing, mir die Bücher zu besorgen und durch zu suchten. 

Über die Jahre wurde ich genügend Fan, dass sogar die eher schlechte polnische TV-Serie schaute und Witcher-Fanmade-Rollenspiel auf Cons spielte. Insofern bin ich leicht skeptisch angesichts des schweren Hardcover-Bands, aber gucken wir mal....

Wir gehen kapitelweise durch das Buch, angefangen mit Aussehen, Inhaltsbeschreibung, und Kontext. Am Ende gibt es ein Gesamt-Fazit und der weitere Ausblick.

Zunächst zum Produkt selbst. Das The Witcher Rollenspielregelwerk von R.Talsorian Games, übersetzt und vertrieben über Truant Spiele in Deutschland, ist basierend auf der Lizenz von CD Projekt Red ein Spiel auf Basis der Witcher PC-Spiele, und kommt als Hardcover-Band, vollfarbig mit Hochglanz-Papier auf 336 Seiten daher. Es wirkt massiver als es letztlich daherkommt.

Das Spiel hätte schon vor 2 Jahren veröffentlicht werden, aufgrund von Produktionshindernissen kam es jedoch zu wiederholten Verzögerungen. Das vorliegende Spiel ist dabei nicht die erste Umsetzung der Witcher-Welt als PnP-RPG, diese kam 2001 schon durch ein polnisches Spiel welches die Bücher direkt umsetzte, daher.

Das erste Kapitel führt den Leser mit geschichtlichem Hintergrund, und nebenstehenden Kommentaren durch eine Reihe von NSCs in die Spielwelt und die grundlegenden Mechaniken ein. Das Spiel nutzt w6 & w10, spielt in der Witcher-Welt zur Zeit von Witcher 3: Wild Hunt, weswegen auch die Wilde Jagd ein Thema ist. Danach kriegt der geneigte Leser die bekannten Witcher-Charaktere mit ihren Spieldaten ins Gesicht gedrückt. Nett, aber nicht wirklich hilfreich, wir wissen ja schließlich noch gar nicht, was wir mit den Werten machen sollen.

Die vorgestellten Charaktere sind dabei allesamt der Spielreihe, primär ab Witcher 2 und 3 entlehnt, von Iorveth, Roche & Letho zeichnet das besonders, da diese im populärsten Teil der Reihe ja nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Dijkstra, Shani oder andere fehlen noch. 

Dem nachfolgend kommen wir zur Charaktererschaffung, welche in 7 Phasen aufgeteilt ist. Volk, Lebenspfad, Beruf, Eigenschaften, Fertigkeiten, Geld & Ausrüstung. Dabei verwendet Witcher wie schon das aus dem gleichen Hause stammende Cyberpunk 2020 ein Lifepath-System, um die Charaktere zu erschaffen.

Das gewählte Volk gibt eine Reihe von Vor- und Nachteilen, sowie einen sozialen Stand in den jeweiligen Spielregionen. Was mich dabei überrascht ist nur, dass Witcher, oder korrekt übersetzt Hexer, als eigenes Volk auftreten. Verwunderlich insofern, als dass Hexer auch noch ein separat zu wählender Beruf ist. Befremdlich. Aber ich greife vor. Das Volk gibt, neben typischen kleinen RPG-Boni für Würfelfertigkeiten, auch den Rassismus mechanisch wieder, wobei dieser sich in -2 auf Charisma und verbundene Würfe erschöpft, wenn man vollends verhasst ist.

Nach der Wahl des Volks kommen wir zum Lebenspfad. Ganz in CP20²-Tradition wählen wir unser Heimatland, bekommen dafür entweder gewürfelt oder gewählt Boni, bestimmen das Schicksal der Familie, Eltern, evtl. der Geschwister, dem Familienstand, sowie den Ereignissen der Jahre, ob Glücksfall oder Feindschaften. Eine amüsante und oftmals ganz angenehme Hilfe. Zudem gibt es eine Übersicht über das einzigartige persönliche Merkmal, von den Werten, Namen oder dem Stil, der den Charakter ausmachen sollte.

Sobald der Hintergrund steht, kommt die davon...etwas abgekoppelte Berufswahl. Immerhin praktisch, Hexer-Spezies-Charaktere (Spezies, nicht Volk? Inkonsequenz, das gibt Abzug in der B-Note!) müssen dabei Hexer als Beruf nehmen, die Regelung ist so geschrieben, dass nur Hexer Hexer werden. Warum nicht nur Menschen als Hexer liegt vermutlich daran, dass der Charakter so mit eigenem Lebenspfad noch spezieller werden kann. 

Auch Magier sind auf Menschen und Elfen beschränkt. Interessant dabei, dass Charaktere anders als in anderen Spielen, diesen Beruf auch neben dem Spiel für ihren Lebensunterhalt ausüben. Man ist nicht, wie in DSA, ursprünglich Kesselflicker und jetzt Held, sondern immer noch Gelehrter, Barde, oder Soldat. Die Berufe haben dabei alle jeweils eine Besondere Fertigkeit mitsamt dazugehörigen Attribut, vermutlich um den Würfelwert zu bestimmen? 

Der Barde hat zudem als Kommentator Dandelion, welcher 20 Seiten zuvor noch als Rittersporn übersetzt wurde. Was denn nun? Eigennamen beibehalten oder übersetzen? Kleiner Patzer, ärgert mich einfach persönlich. Charaktere können Arzt, Barde, Händler, Handwerker, Hexer, Magier, Priester, Verbrecher oder Waffenknecht sein. Dabei haben Priester, Hexer und Magier Elan, ein Kraftpunkte-Pool, mit dem übernatürliche Fähigkeiten bezahlt werden.

Als Teil der Charaktererschaffung werden nach den Berufen die Eigenschaften erläutert. Charaktere haben 9 Eigenschaften (lies: Attribute) [Intelligenz, Reflex, Geschicklichkeit, Kraft, Schnelligkeit, Empathie, Handwerk, Willenskraft, Glück], die noch in 9 weitere abgeleitet werden. Ähnlich der Cthulhu-Optionalregel können Glückspunkte dabei benutzt werden, um die Schwierigkeit von Würfen zu manipulieren. Amüsanter weise weiß ich immer noch nicht, wie man würfelt in diesem Spiel. Ist hoch gut, oder niedrig? Immerhin sind hohe Werte gut. 

Nach den festgelegten Eigenschaften kommen die den Eigenschaften zugeordneten Fertigkeiten. Dabei bekommt man eine Reihe von Punkten für die Fertigkeiten nach dem gewählten Beruf, sowie Zusatzpunkte nach der Mischung von zwei weiteren Eigenschaften. Dem folgt eine Erläuterung der einzelnen Fertigkeiten, sowie beispielhaft, was man bei bestimmten Werten weiß, um eine Grundahnung davon zu haben. In einem Nebensatz wird erwähnt, dass man Eigenschafts- und Fertigkeitswerte auf den Wurf addiert.

Dem folgen die Fertigkeitsnutzungsregeln, und hier wird erläutert wie das geht. w10 + Eigenschaft + Fertigkeitswert gegen die Schwierigkeit. Sieh an. Recht simples System. Dabei fährt das Spielsystem einen sehr simulationistischen Ansatz mit kleinen Modifikatoren (+3 SG bei Ablenkung, oder +4 bei Feinden in der Nähe, oder +5 beim Arbeiten in Dunkelheit) und sieht Schwierigkeiten von 10 bis 30 vor. Letztere wären passend "Fast unmöglich".

Danach kommen wir zu den Aufstiegsregeln. Charaktere sammeln Steigerungspunkte, welche universell für Charakterwerte ausgegeben werden dürfen, und, je nach Ereignis, auch Ruf, der darstellt, wie bekannt man ist, und ob man für den Ruf was bekommen kann.

Etwas bemerkenswerter ist, dass Charaktere im Witcher-Rollenspiel Fertigkeitsbäume haben, welche zunächst an Star Wars erinnern, aber letztlich nur erweiterte Boni bringen, um den Berufen etwas Varianz zu verleihen. Man kann dabei sich auf einen konzentrieren, oder seine Punkte gleichmäßig verteilen. Das schöne ist, das man dadurch aber auch unter mehreren Charakteren mit gleichem Beruf etwas Varianz in diesen hat. Nettes Detail.

Das Ausrüstungskapitel, in dem Waffen & Rüstungen natürlich einen großen Anteil haben, beschreibt recht erschöpfend eine Reihe von möglichen Waffen & Rüsttypen, die ich im Detail gar nicht weiter erläutern will. Kennt man meistens, und die Modifikationen, oder Alchemika und normale Ausrüstung sind der Spielwelt entlehnt.

Dem anschließend kommt das Magie-Kapitel. In der Welt von Witcher gibt es 5 Arten von Magie. Zauberei, Anrufungen, Hexer-Zeichen, Rituale und Verhexungen (Lies: Flüche). Die ersten drei sind dabei klar bestimmten Berufen zugeordnet, während Rituale beliebig erlernbar aber nicht weit verbreitet sind, und Flüche sind für Magier wie Priester verfügbar, aber können auch zurückfallen. Es verwundert etwas, dass die latente Fluch-Gefahr, welche von normalem Volke ausgeht, hier nicht charakterisiert wird, da es gerade in der Hintergrundwelt von Witcher ja auch einem normalen Fluch viel Macht beimessen kann. Worte haben in der Witcher-Welt große Macht.

Magie muss, neben den Steigerungspunkten, zudem mit Zeit und Würfelwürfen besetzt werden, da Magie aufgrund der ihr innewohnenden Macht viel gefährlicher und seltener zum Einsatz kommt. 

Dem Magie-System nachgeordnet aber nicht weniger wichtig ist Alchemie und Handwerk. Da Crafting in der Witcher-Serie immer einen gewissen Stellenwert hatte, findet sich dies auch im Rollenspiel wieder, von Metall-Werten, Finde-Arten, Wertigkeiten und den Modifikationen an Ausrüstung, sowie diversen Listen mit Gegenständen, die nur geübte Handwerker mit seltenen Materialien herstellen können. Nettes Detail, aber letztlich nur Namen mit besseren Werten ohne eine dazugehörige Bebilderung. Wichtig ist hier aber auch nur, dass es schön ist, es zu haben.

Ähnlich wie das Handwerk mit den Erztypen, Gegenstandslisten und Materialien zum Verbessern kommt das Alchemie-System her, das ein geradezu klassisch mittelalterliches System alá Witcher-3-Elementen nutzt, um Tränke zu brauen. Dabei sind die Materialien schön nach Farbsymbol aufgeteilt, was das Lesen auf den ersten Blick aber etwas anstrengender macht.

Kampf ist klassisch, man kann schnell oder hart angreifen, es gibt viele Modifikationen, ein Blickfeld nach Marker-Art, implizit sollte man also mit Battlemap arbeiten. Trefferzonen machen fest, wo man trifft, Rüstung absorbiert Schaden, kann aber kaputtgehen und verlangsamen, da man dadurch im Grunde genommen sich zu Tode schleppt. Patzer oder Kritische Erfolge geben dabei entsprechend Vor- und Nachteile. Dabei werden kritische Erfolge aufgeteilt in bis zu 4 Typen, von einfach zu tödlich. Die Effekte ergeben sich nach Bezeichnung.

Faszinierender weise gibt es neben den Kampf-Regeln noch die "Detaillierter-Kampf-Regeln", welche noch auf die Besonderheit von Raufen, Ringen, spezielle Angriffsarten, Armbrustladen, Bomben, Umwelteffekte etc. eingehen. Also erweiterte Regeln. Magie kann auch im Kampf eingesetzt werden, verbraucht dabei Elan und Ausdauer, und kann zu bedenklichen Patzern führen. Zuletzt kommen noch Regeln für Reiterei, ein Kampfbeispiel, Heilungsregeln (recht langsam, also sollte man nicht oft kämpfen) sowie Regeln für Adrenalin oder Roman-Monster, und für verbale Kämpfe. Nett.

Nach dem Kampf kommt eine Übersicht über die Welt, die Spielregionen, Königreiche, Götter, der typische Setting-Detail-Bereich. Soweit ok, sieht gut aus. Das SL-Kapitel ist...traditionell. Es sagt dem SL, dass er das wichtigste Mitglied ist, was nicht gut klingt, aber gleichzeitig auch nicht gegen die Spieler kämpft, und versucht, etwas holprig, die wichtigsten Lektionen zu übermitteln, um das Spiel voran zu bewegen, was in Witcher ja durch seine Mechaniken primär vom SL vorangetrieben wird, da das Spiel keine narrativen Mechaniken benutzt. 

Sehr positiv, dass sie über Romanzen im Spiel sprechen, ist ja auch ein Teil der Witcher-Story, und desweiteren die besonderen Themen von Witcher betrachten, also Rassismus, der Mensch als Monster, das nichts so ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Dafür, wenn es für meinen Geschmack mit 3 Seiten zu kurz ist, immer hin ein Daumen_Hoch!

Der Rest des SL-Kapitels ist Encounter-Größen, Kampagnen-Leitung, NSCs, die Welt darstellen, oder welche Folgen es für bestimmte Entscheidungen der Spielwelt durch Witcher-PC-Spiel-Entscheidungen vorkommen können. (Dabei fällt auf, der Eintrag für Letho und den Königsmörder ist gleich. Schande über euer Haupt, das ist schlechtes Lektorat! Vielleicht irre ich mich, aber ist für Henselts Überleben Ja & Nein vertauscht? Und Henselt ist in beiden Varianten tot, das erscheint bizarr!) Dafür ist es spannend als Fan, die unterschiedlichen Ausgänge noch nachzulesen.

Dem folgt das Hexer-Kapitel, mit den speziellen Hexer-Lebenspfaden, Vorteilen, der Ausrüstungsübersicht und was sonst für Hexer von Bedeutung ist. Eine nette Übersicht, aber etwas verwirrend, dass das stark regellastige Kapitel im Grunde genommen aus den anderen herausgetrennt wurde.

Danach kommen Zusatzregeln über Runen, Reliquien (Lies: Artefakte der Macht) und Experimentelle Technik. Dabei können besondere Waffen, Bomben, oder Alchemika hergestellt werden sowie ein paar der besonderen Waffen des Spiels mitsamt ihres mythologischen Hintergrunds erlangt werden.

Den Abschluss bildet, neben dem umfangreichen (und teils bebildertem!) Bestiarium schließlich ein paar Einsteigertipps, sowie Hilfestellungen mit einem Beispielabenteuer...sowie den dazugehörigen Kästchen-Karten für Battlemaps und der vierseitige Charakterbogen. Nach dem Index kommt schließlich noch eine Erläuterung der beiden Autoren (Cody & Lisa Pondsmith).

Was ist mein Fazit? Schönes Buch, sehr umfangreich, viel bedacht aus der Witcher-Welt, das in ein traditionell DnD-iges Rollenspiel umgearbeitet wurde. Für Freunde von SimTak-Spielen (Simulations- & Taktik) die gerne in der Witcher-Welt spielen wollen, ist es ein tolles Spiel, für eher narrativ veranlagte Gesellen ist es ein sehr altlastiges Battlemap-Crawlgame das wenig aus der Vorlage mitbringt und viel DnDisiert und nur als Regalwertiges Nachschlagewerk nützlich. Dafür ist es dann aber mit fast 50€ auch sehr teuer.

Wie komme ich zu letzterer Aussage? Weil es nichts gibt, was die Themen von Witcher bedeutend unterstützt. Die Lebenspfade bauen Hintergrund, geben aber keinen Handlungsmechanismus, die Beziehungen der Spieler & Plots müssen letztlich komplett gebaut werden, statt sich aus den Mechaniken zu ergeben, Spielthemen wie der Rassismus erschöpfen sich in kleinen Modifikatoren statt bedeutenden Hindernissen, und durch seine Art ist das Spiel sehr darauf bedacht, alle Inhalte umzusetzen, statt sich nach den Themen zu richten, denn nur weil das PC-Spiel Crafting hat, ist das für ein Rollenspiel nicht zwingend ebenso sinnvoll, aber ich weiß dass es einen bestimmten Schlag Spieler anspricht, der sich massiv darüber freuen wird. Ich werde es vermutlich eher zum Ausschlachten verwenden, mal gucken, vielleicht mit PDQ oder ähnlichem...

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