20180524

Der Turm

Als die Tür aufschwang, konnte er im Hintergrund das sanfte Plätschern des Gebirgsflusses hören, welcher die Geräuschkulisse neben den einfachen Panflötenklängen dominierte. Das Büro, besser noch, das Vorzimmer, war trotz seiner unglaublichen Höhe im 93sten Stock, durch den kleinen, schweren Korridor hindurch, auf weißem, geputztem Marmor-Fußboden vorbei, und durch die schweren Zedernholztüren hindurch, welche, mit Art-Deco-Verzierungen versehen neben der dicken Bronze-Plakette auffielen, überraschend gut besucht zu dieser Tageszeit.

Er trat herein, und neben diffusem Licht, das den gesamten Vorraum in einen undurchdringlichen Schein von Grau und sachten, gelblichen Weißtönen hüllte, sorgten die großen mit einem Knickmuster versehenen zinnoberroten Wände dafür, dass kein Blick auf die Personen zu erhaschen war, welche außer ihm hier noch auf ihren Termin warten mochten.

Selbst der Wasserlauf, der so im zentralen Bereich des Vorraums hin plätscherte, sanft an den dunklen Wänden herunter, im Rücken der Rezeptionistin, welche, mit ihrem Head-Set und einem pastellfarbenen Konzernanzug, geschnitten für besonders eng anliegende Körpertypen, ihm regelrecht den Schweiß auf die Stirn trieben. Aber dafür war er heute nicht hier.

Sie lächelte ihn an, und er konnte ihre aufgelegte Freundlichkeit förmlich in der dicken Luft spüren, mit der sie ihn ansprach, wie andere einen Knüppel schwangen. >Willkommen zurück, Herr Meissner. Der Herr Doktor erwartet sie bereits. Sie können einfach hinein gehen. <

Ein Summen und Knacken später konnte er den starken Lichtschein sehen, der, einem Fanal gleich, wie ein Messer die Luft durchschnitt. Sehen, wie sie ihren Finger von der kleinen Konsole hinter dem Rezeptionspult hob, und ihm Zugang verschafft hatte. Er setzte ein schiefes Grinsen auf. Fühlte sich in diesem Augenblick 'verwegen'. Ihr Lächeln blieb starr. Ein Augenblick verstrich, ehe er seufzte, und sich missmutig Richtung Büro machte.

Er kannte das Spielchen schon. Sie alle kannten es. Es war Vorschrift. Nach jedem Einsatz war ein Termin beim Therapeuten vonnöten. Um runter zu kommen. Sich zu erholen. Wieder auf 'menschliches Maß' kommen. Er fühlte sich nicht dermaßen, dass er es gebraucht hätte. Oder?

Mit einem lauten Krachen fiel die Tür hinter ihm wieder zu. Der schwere Donner von draußen erhellte einen Augenblick lang die Umgebung. Hauchte alles in einen Schein grellsten Weißes. Längst war der leichte Gebirgsfluss hinter ihm vergessen, und das stetige Tippeln von Regeln erfüllte die Luft. Herr Doktor stand am Fenster, blickte neben dem schweren Ohrensessel stehend heraus, in seiner Linken ein schweres Schriftwerk, eine Mappe von unzähligen Dokumenten, Einträgen, Aufnahmen, Unterlagen.

Seine? Unwillkürlich zog er sich die linke hinter den Kopf, kratzte sich, wie geistesabwesend, ehe er einen weiteren Schritt nach vorne machte. Hatte er ihn bemerkt? Er räusperte sich vernehmlich, aber noch immer machte der Therapeut keinen Schritt. Drehte sich auch nicht um. Wieder ging der Fuß voran, er musste schon Vorsicht walten lassen, nicht einfach gegen den einladenden, bequem wirkenden Sessel zu stoßen, in welchem er schon diverse Sitzungen hatte über sich ergehen lassen. Selbst seine Zeit bei der Polizei hatte ihn nicht so viele Therapiestunden erleiden lassen.

Der tiefe Bariton überraschte ihn. Das beinah gebrummte >Hmmm. < hatte eine Finalität, die ihn kurzzeitig schlucken ließ. Er befeuchtet sich die Lippen. Sprach. >Herr Doktor? Ich bin da...für ...meinen Termin? <

So fragend, wie überrascht es klang, so wenig war es dergleichen. Er ließ sich, mit der quietschenden Lederjacke, in den Sessel fallen, und knautschte sich tief hinein. Genoss den Augenblick, in dem der Donner erneut los legte, und hörte einen Moment lang nur das Rauschen von Wind und Regeln. Sah die Welt kommen und gehen. Das leichte Licht, welches so hartnäckig leuchtete, wirkte hier, im Inneren des Büros, weniger statisch, weit weniger beißend.

Der Arzt drehte sich um, blickte ihn an, wirkte fast überrascht, schien sich dann aber zu fassen, und setzte sich ihm gegenüber in den Sessel. Öffnete kurz die Akten, rückte dann die schwere Hornbrille zurecht, welche auf seiner schiefen Nase lag, wie ein sterbender Schwan im Sande. >Ahh. Meissner. Willkommen.<

Es war Geplänkel. Sie tauschten Begrüßungen aus. Oberflächlich. Kalt. Beide wussten, dass es zum Teil des gemeinsamen Rituals gehörte, konnten aber nicht ohne diese Floskeln auskommen, weigerten sich, das seltsame Spiel zu beginnen, dem sie beide angehörten. >Wie sie wissen, gehört es zum Teil ihres Debriefings, dass wir über die Ereignisse ihrer Mission sprechen. Zu diesem Zweck sind sie autorisiert, Inhalte zu deklassifizieren. Sind sie sich dessen bewusst? < Er nickte.

>Dann fangen sie doch an. Sie waren am Punkt Epsilon. Setzen sie bitte von dort an. < Er drückte sich tiefer in den Sessel hinein, und blickte aus diesem nun heraus, wie ein Schatten aus dem Grabe. Nur die Augen schienen heraus, und bei jedem Donnerschlag blinzelten sie wie unbeugsame Knöpfe einer grimmigen, gargylengleichen Fratze in seine Richtung. Nur die hervor lugenden Hände machten deutlich, dass ihm eine Person gegenüber saß. Sein Blick huschte kurz Richtung der Akten, aber das leichte Schwimmen und die schummrigen Buchstaben ließen kein Erkennen zu.

Er räusperte sich, begann dann aber zu erzählen. >Punkt Epsilon. Genau. Zelle P hatte uns mitgeteilt, dass ein Schiff seltsame Leuchtzeichen in der Umgebung gesehen hatte. Dazu kamen Berichte über seltsame Erscheinungen an der Küste. Deswegen sollten wir uns das einmal näher ansehen. < Er wurde unterbrochen. >Wir?< - >Ja, Helgeker und ich. Aber Helgeker war schon länger mit seiner Erkältung niedergestreckt und entschied sich, lieber an Land zu bleiben. < - >Kommen wir später dazu. Sie sind also alleine los? < - >Richtig. Nur ich, und das Boot. Heh. < Die Erinnerung überkam ihn, wie oft an solchen Punkten, in kleinen Zeichen. Momenten, wo Realität und Gedanke verschwamm. Er und Helgeker im Boot, Helgeker, wie er den Motor anzog und sie Richtung Punkt Epsilon fuhren.

>Und dann? < - >Die Fahrt war nicht sehr lang. Der Turm, so seltsam es klingen mag, ist schnell erreichbar an den Randregionen, und stand eigentlich die meiste Zeit wenig beachtet. Schon von weitem war mir klar, dass er einem den Schauer über den Rücken jagen konnte. Er ist mehrstöckig, wobei die unterste Ebene eigentlich auf einem Betonuntergrund stehend in die Tiefen reicht, und nur von den schweren Stahlstreben gezogen wird. < Helgeker mochte den Turm schon in der Anfahrt nicht. Noch weniger, angesichts des schweren Wetters, in dem sie hin fuhren. Er hatte schon den ganzen Tag über mit seiner Dienstwaffe gespielt, die Finger immer wieder nervös an den Holster gelegt, aber dies jagte ihm einen tieferen, gutturalen Schauer über den Rücken.

>Laut ihrem Bericht sind sie dort auf ...Land gestoßen? < - >Nicht ganz. Der Turm steht nicht wirklich auf seinen Streben selbst. Beinah vom Wasser verborgen, auf einem Bereich von vielleicht 36 Quadratmetern ist er auf einem künstlichen Aufschutt beständig, welcher selbst wiederum im Wasser gehalten wird. Trotz der leichten Wellen ziehen Wind und Strömung genügend Boden ab, dass dieser Bereich wiederum im Wasser erkennbar von einem kleinen Betonring, vielleicht 10m breit, umgeben war, welcher als künstliche Insel fungierte. Ich konnte früh das Boot verlassen, und Richtung Turm stapfen. < Helgeker brachte den Motor zum Stehen. Sie legten, im Angesicht der Knöcheltiefe des Betons unter Wasser, doch lieber erst am Turm an. Kein Tier war zu hören. Selbst die vermaledeiten Möwen schnitten diesen Ort. Nur das Rauschen des Windes zog über Ihnen seltsame Töne daher. Wie ein steter, klagender Ruf.

Wie um seinen Gedanken zu unterstreichen bei seiner Erzählung, donnerte es schwer, und der Blitz tauchte die Umgebung, den scheren, mit güldenen Verzierungen versehenen Eichenholzschreibtisch, welcher Richtung breiter Fensterwand den Arbeitsplatz darstellte, diesen und die Anwesenden in seinen unentrinnbaren Schein. Er konnte in diesem Moment den Blick vom gleißenden Licht nicht abwenden. Es schnitt sich in seine Augen.

>Sie bestiegen dann den Turm? Was hat sie dazu veranlasst? < Die Frage des Arztes brachte ihn jäh zur Räson. Er blinzelte, um die Schatten seiner Netzhaut zu vertreiben, wie er auch die Geister seiner Vergangenheit vertreiben wollte. Es war ebenso wenig erfolgreich. >Notwendigkeit. Wenn Zelle P meint, dass wir uns das ansehen müssten, ist Gründlichkeit gefragt. < Helgeker hatte an Kletterzeug und ein schweres Seil gedacht. Es gebar einer Ironie des Schicksals, dass er, nachdem er oben angekommen war, eine alte, rostbewehrte Leiter runter stoßen konnte, auf welcher er ihm nachgekommen war.

>Ich sah mich dort oben erst mal um. Drei Stockwerke. Einsame Treppe im Inneren, welche in einen rechteckigen, vielleicht 4x6m großen Körper, der nach oben hin enger wurde, drehte. Demolierte Inneneinrichtung, vieles verfallen und von Schimmel, Staub und Jahrzenten dahingerafft. < Er drückte sich langsam die Treppe hinauf. Als sie die ersten Spuren der seltsamen, nach Fisch und Blut riechenden Symbole auf der Decke des untersten Stockwerkes gesehen hatten, waren sie beide mit der Waffe im Anschlag. >Eigentlich nichts Besonderes. Viel Möwenschiß. Staub, der hauptsächlich durch unsere Schuhe aufgewirbelt wurde. Überreste von altem Horchposten und rostigen Metallstreben.<

Sein geistiges Auge gebar der Momente, als sie in der zweiten Ebene angekommen waren. Die seltsamen, grünlich-gräulichen Schuppen-gleichen Geflechte, welche Stalagmiten gleich, wie Termitenhaufen in die Höhe ragten, und dabei einen Pfeifton von unterirdischer Höhe von sich gaben. Das Kreischen, als Helgeker das Haarspray und Feuerzeug zückte und anfing, dem ganzen ein feuriges Ende bereiten zu wollen. >Ich blieb nicht lange genug, um mir das Ganze auf den Grund der Tatsachen gehend anzuschauen, aber im Grunde genommen war es das auch schon. Geistergeschichten um einen alten Militärposten. Gibt es zuhauf an der Küste. <

Der Schrei, als er den Krallen auswich und neben ihm etwas aus dem Schuppenhaufen hervorbrach. Er die Treppe hinauf, unter den Kreischen, seinen Kollegen im Hintergrund wild feuernd hinter sich ließ, und im Obergeschoß ankam. Der Hilferuf, und dann der Schrei, als mit blutigem Zähnefletschen er die schweren Schritte hören konnte. Wie Helgeker wütend die Treppe hinauf kam, und neben ihm zum stehen kam. Den Blick auf den Spalt gerichtet, welcher die Decke des Obergeschoßes dominierte.

>Und als sie zurück fuhren war Herr Helgeker...fort. < Er blickte erneut in die Akten, runzelte die Knopfaugen, blickte dann erneut mit dem intensiven Blick Meissner, welcher schon so. lange diesen drohte zu durchbohren. >Richtig. Ich vermutete erst, dass er möglicherweise zurück ins Hotel gefahren wäre, aber dann fand ich die blutigen Spuren auf dem Beifahrersitz. Also habe ich, entsprechend Protokoll erst mal Zelle P verständigt, während ich an die örtlichen Behörden mit einer Vermisstenmeldung ging. < Er hielt Helgeker die Pistole an die Schläfe, als dieser wie in Panik ihn anblickte. Er wusste was zu tun war. Er konnte den Ruf der Wellen hören, als die dunklen, schattenhaften Glieder aus dem Spalt den zuckenden Leib seines Kollegen zu sich nahmen. Das schmatzende, knirschende Knacken der Knochen, als es im Schlund verschwand. Er spürte die erhebende Freude, als es seine Stirn berührte....

Der Arzt erhob sich. Sie schüttelten kurz die Hände, ehe er das Büro wieder verließ. Erneut belanglose Floskeln, diesmal wie zum Abschied. Ein Tag wie jeder andere. Der Schlund war sicher. Zelle P würde einen anderen Partner für ihn finden. Das Geheimnis der Tiefen wanderte in seinen Adern. Ein Grinsen umspielte sein Gesicht, als er in den Fahrstuhl stieg. Herr Doktor währenddessen, wanderte langsam zu seinem Telefon, wählte die Nummer, die ihm gegeben wurde. Es knackte kurz in der Leitung, als er hörte, wie die Box anspring und er begann >

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