Diese Woche im Blick:
- The Northern Realm
Was für ein Schinken. Da kommt ja selbst Zweihander nicht mit, und das ist schon gigantisch. TNR kommt auf knapp 731 Seiten, mitsamt Front und Backcover, also effektiv 729 Seiten. Knapp 3/5 einer Bibel würde ich mal sagen. Etwa 200 Seiten mehr als Pathfinder, und nun, kurz gefasst einfach sehr sehr viel.
Der Eindruck wird auch durch das Inhaltsverzeichnis nicht besser, welches eine enorm große Anzahl an Unterpunkten hat, welche immer ebenfalls mit aufgeführt sind, darunter auch der Hinweis auf das eigentliche, dem Spiel unterliegende Setting, welches quasi recht stark in zwei Kapitel reingewürft wurde zwischen Spielmechanik-Kapitel in Form von Feats und Magie-Regeln.
Aber der Reihe nach. Wie funktioniert der Klopper denn jetzt, und was ist das überhaupt? TNR ist ein bei DriveThru erhältliches Indie-Rollenspiel von The Northern Realm Inc. und von Spencer Hudson geschrieben, als PayWhatYouWant. Dabei schreibt der Autor im Beschreibungstext davon, dass es sich um eine d20-Version mit Wert auf Realismus handle, dessen Setting ähnlich dem Sillmarillion funktioniere. Götter erbarmt euch meiner! Das wird ja immer schrecklicher. Immerhin wird schonmal klar, dass es sich vermutlich um einen mittelalterlichen Fantasy-Heartbreaker im d20-Stil handeln wird. Es graust mir jetzt schon.
Das Buch eröffnet dann im Weiteren mit einem Prolog, in dem ein wenig auf den Hintergrund eingegangen wird, eine fantastische Welt namens Rhen, welche die sogenannten Northern Realms darstellt. Dazu kommen zehn "Ideen" welche den eigentlichen Inhalt der Welt dominieren und darstellen sollen, unter welchen Prinzipien das Spiel aufgebaut wurde.
TNR schreibt sich selber "Realismus, Mystery und Grit, also Dunkle Fantasy" aufs Banner, und verlangt vom Spieler alles vom w4 bis w20 soweit so klassisch. Etwas stören tut mich der halbsatz über Abenteuer, in dem geschrieben wird "The rulings are called house-rules and the GM has the freedom to establish these pre-game". Keinerlei Konzept von Gruppen-Idee oder Einbezug. Nö. SL entscheidet ganz allein was ist, egal wie doof das sein mag. Täräää.
Immerhin, das Charakterbau-Kapitel beginnt mit "Building your character is the single most important thing you do in the game." Also nicht spielen, sondern Charaktere basteln ist die Funktion der Spieler? Das ist etwas verqueer Kinners, das wichtigste sollte das Spielen und Erleben sein, nicht das Charaktere bauen. Dafür brauch ich kein halbgares Indie-Rollenspiel das versucht DnD neuzuerfinden.
Viel schlimmer finde ich, das die Attribute erwürfelt werden. Willkommen in den 80ern. Ist ja nicht so, als ob selbst die angestammte Rollenspieltheorie erkannt hat, das Würfelwerte kacke sind für gute Geschichten, aber hey, Frust am Spieltisch und Spaß verdienen, ne ;) Immerhin ist die Methode die klassische GG-Methode des 4w6, niedrigsten ignorieren-Wertegenerierens, was recht stabil höhere Mittelwerte hervorbringt. Die Attribute sind wie bei DnD, Reichweite 3 bis 18, 10 ist der Mittelwert an Leistung. Es werden die 3.x klassischen Modifikatoren genannt.
Okay, es erscheint sogar soweit ein Heartbreaker, ab hier erwähne ich einfach nur was wirklich ANDERS ist.
Das Spiel kennt Nachteile auf den Wurf, interessanterweise aber keine Vorteile. Die Fertigkeiten wurden etwas zusammengeschrumpft auf nur noch 26, statt den seit 3.x typischen 40. Dafür kennt es auch keinen automatischen Erfolg oder Misserfolg mehr mit einer gewürfelten 1 oder 20 bei Fertigkeiten, sondern Erfolgsgrade die effektiv aufs gleiche rauskommen. Wer den Wurf um mehr als 10 versemmelt, kriegt Konsequenzen wie bei einem kritischen Misserfolg. Toller Ersatz.
Epische Stufen fangen ab Stufe 11 an, und gehen bis 20. Stufenaufstieg gibt es nur nach SL-Entscheid. Es gibt eine Reihe an illustren Rassen, von denen einige heißen wie die dazugehörige Klasse. Sehr verwirrend. Dazu jede Menge Klassen mit Leerstufen, eine Lektion die selbst Pathfinder lernte, das es besser ist, jede Stufe mit einer sinnvollen Verbesserung anzufüllen. Argh.
Wirklich durchdacht ist es natürlich nicht. Das kommt auch daher, das die Kampf dann irgendwann auf Seite 530+ im Bereich "Adventuring" quasi noch "dazu gegeben" werden, statt direkt vorne mit in wenigen Sätzen erläutert zu werden. Achso, und der Autor kann Coup de Gráce nicht schreiben. 'seufz'
Spätestens das 120seitige Bestiarium, das rein text-basiert ist, hat mir dann aber den Rest gegeben.
Okay. Es geht noch stringent kürzer zusammengefasst. Faktisch ein d20 Heartbreaker in einem vom Autoren selbst-verfassten Setting. Das Setting ist wenig interessant und besticht nicht wirklich durch Originalität, versucht zudem auch jeden Mumpitz unter zu bringen. Dazu kommt, dass es auch regeltechnisch nichts wirklich neues bringt. Die Behauptung, dass System wäre in IRGENDEINER Art und Weise gestreamlined ist ebenso Blödsinn und auch bei intensiverer Durchschau ist kein Hinweis darauf zu entdecken. Das Layout ist typisch mies und einen Index gibt es auch nicht, dafür aber ein ellenlanges Glossar für Schlüsselwörter.
Fazit: Bloss die Finger von weg lassen.
Es ist im Grund genommen schade. Mit einem interessanten Setting und ein paar sinnvollen Kürzungen, statt MEHR dazuzu packen hätte TNR ein richtig schönes Rollenspiel sein können. So ist es leider nur einer von unzähligen hunderten 08/15-DnD-Heartbreaker-Klonen, die kein Mensch braucht und der das Rad letztlich auch nicht neu erfindet, obwohl es sich so bewerben will. Ich sage mal, 0 von 10 Roten Drachen.
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