Diese Woche im Blick:
- Chronica Feudalis
Chronica Feudalis ist was passiert wenn man einen kleinen Scherz etwas zu weit treibt, und dabei im Fantasy-Heartbreaker hängen bleibt. Das 2009 veröffentlichte Historien-Rollenspiel schreibt sich selbst auf die Fahne, die Übersetzung eines antiken Textes aus dem 12ten Jahrhundert, ungefähr 1150 CE zu sein, und spielt primär im angelsächsischen Bereich Europas, also England, Schottland, Wales und Irland, sowie ein bisschen Normandie. Kennt man ja soweits, und durchaus ein interessantes Thema, ist doch gerade England zerfressen von internen Streitigkeiten, Wikingerüberfällen und Krieg mit dem Kontinent nachdem um 1066 gerade erst die Normannen mit ihrer Invasion ein neues Königsgeschlecht an die Macht gebracht haben.
All das interessiert Chronica Feudalis, das sich selber auf Basis der OGL von Wizards in der Tradition Anno 2000 sieht, eher wenig, und schnell ist zu befürchten, dass hier ein weiterer d20-Heartbreaker vor mir sitzt. Neben enorm viel "pretentious medievale olde-speak", mit andereren Worten altmodisch klingender Geschwätzigkeit die für niemanden interessant ist ausser für den Autoren selbst, der Brite würde das als "Circlejerking" bezeichnen, werden erstmal die Würfel vorgestellt und die Idee dahinter. Je nachdem, wie gut man in etwas ist, kriegt man eine andere Würfelgröße, wobei ein w4 für Kindsgleich und ein w10 Atheleten-Leistung steht. Leider macht das Spiel hier nicht klar, ob denn nun der w6 oder der w8 durchschnittliche ERwachsenenleistung darstellt, aber gut.
Charaktere haben keine Attribute, sondern stattdessen Skills, Tools, Aspects und Backgrounds, sowie Ardor und Vigor-Punkte. Skills aka. Fertigkeiten besitzen einen Würfelwert, der die Qualifikation darstellt, Tools stellt alle Ausrüstung dar, und funktioniert faktisch wie eine Würfelgröße als Bonus für Aufgabe, wohingegen Aspekte eher bekannt aus Fate dazu dienen, frei formuliert zu werden, und ebenso angewandt werden können, sie referenzieren hier auch Fate.V3. Auch sie sind mit einer Würfelgröße von w4 bis w12 versehen. Backgrounds, also Hintergründe, sind reind desktriptive Hintergrundbeschreibungen oder Zusammenfassungen, welche keine nummerischen oder mechanischen Auswirkungen zu haben scheinen. Können also erstmal eher ignoriert werden.
Ardor ist das Wort für Bennies bzw. Fate-Punkte, da man es bekommt wenn ein Aspekt eingesetzt wird, während Vigor indirekt Lebenskraft bzw. Staying Power darstellt, und wenn man kein Vigor mehr hat, ist kein Teilnehmen mehr an einer Szene möglich. Schon fast theatralisch, aber elegagnt gelöst. Okay, bisher wirkt es noch nicht so sehr wie ein w20-Heartbreaker. Aber gucken wir mal, wann das eigentliche Würfelsystem erläutert wird.
Grundlegend wird bei CF ein Würfelpool gebildet, aus Skill, Tool und Aspects, wobei Vigor die obere Würfelgrenze bildet, was natürlich indirekt bedeutet, da man mit 3 Punkten startet und das meistens nur runtergeht, man also eine indirekte Verletzungsspirale abbildet. Mali etc. entfernen dabei zusätzlich ganze Würfel, und geben nicht nur einen Würfelmalus. Okay. Danach wird gewürfelt, und es wird nur die höchste gewürfelte Zahl gezählt und mit der Zielzahl verglichen, sei es dem Ergebnis des Kontrahenten oder der Schwierigkeit wie durch den SL festgelegt. Ist das Ergebnis gleich oder höher, ist die Probe erfolgreich. Hmm, das heißt je nachdem, wie die Schwierigkeiten angesetzt sind, kann es sein, dass eine ganze Reichweite an Würfeln einfach nutzlos ist, insbesondere da es scheinbar keine Würfelboni gibt. Ok.
Es folgt eine Erläuterung wie es zum Kampf, bzw. Konflikt kommt, der ja mehr als nur die Köpfe einschlagen sein kann, sowie wie Szenen aufgebaut sind, wobei das sehr verkürzt dargestellt wird. Dabei erhalten Charaktere immer am Begin einer Szene vollständige Vigor-Punkte, ist also theoretisch immer voll dabei. Anderes Problem ist, das ein Charakter damit theoretisch in jeder geplant zu involvieren wäre, was nicht immer sinnvoll ist. Dabei bleibt die Erläuterung auch sehr kurzweilig und knapp, aber nicht unbedingt präzise. Der faux-medievale Stil bleibt weiterhin und der Autor bemüht sich weiterhin darauf hinzuweisen, dass es sich hier ja um ein Mönchswerk aus dem Mittelalter handeln soll von Bruder WIlliam, einem englischen Mönch. Das ist belletristisch nett und konsequent, je länger es sich fortzieht, umso langwieriger und nerviger wird es jedoch. In einem Regelbuch ist es in meinen Augen auch fehl am Platze.
Die Charaktererschaffung erinnert mich ein wenig an Burning-Wheel, wobei man weniger Lifepath als mehr Personen erstellt, welche am eigenen Lebenen beteiligt waren in Form von Mentoren, welche Tools mitgeben, sowie Skills, und dabei indirekt bestimmen, wie gut man in bestimmten Fertigkeiten ist, die durch Addition ihrer Nennung ihr Fertigkeitsniveau bestimmen. Da alle Skills auf w4 anfangen, heißt das, wer zweimal Aim bekommen hat, hat Aim auf w6, bei dreimal Aim also auf w8. Das scheint aber, bei einer Spanne bis w20 auch schon das Maximum in der Charaktererschaffung. Hmm. Nachfolgend notiert man sich die Ausrüstung und ihre Werte, Waffen haben Werte von w8 bis w10, ein Schild kann w12 haben, Pferde als Beispiel haben als Hilfswert w20, sind also extrem mächtig in ihrer Nützlichkeit. Nach Skills und Tools kommen Aspects, drei Stück hat jeder Charakter, und alle fangen mit w8 an. Zuletzt wird der Background notiert, aber auch hier wird wieder betont, dass sie mechanisch nutzlos sind, und reinen Rollenspielfluff darstellen.
Das nachfolgende Kapitel erklärt SL-Charaktere, aufgeteilt in eine Reihe von Spezialisten, namens Mentors, Agents, Antagonists und ähnliche, gefolgt von einer Fertigkeitsübersicht. Mäßig logische Aufteilung. Auch die SL-Charakter-Auflistung dient nur dazu, uns zu sagen, welche Würfelgröße und wieviel Vigor diese haben. Ok, reduziert auf das mindeste, verständlich, auch wenn ein bisschen zuviel Fließtext in meinen Augen.
Schliesslich kommt wir zum eigentlichen "Play"-Kapitel, worin erklärt wird, wie man Szenen aufbaut, das diese Szenen-Aspekte haben können, und wie eine Szene verlaufen kann. Auffällig ist die Logik, nach der ein Wurf für eine Probe verlangt wird: "When an ability of your protagonist is being tested...[...]", quasi wenn eine Fähigkeit herausgefordert wird. Das schwierige daran ist, dass die Fähigkeiten ja eher ein Niveau von w4 bis w8 im besten Falle haben, also werden diese für die meisten heldenhaften Fähigkeiten herausgefordert, würfelt man also am Ende des Tages doch wieder mehr als weniger. Uncool.
Immerhin erläutert das Kapitel, dass die Standardschwierigkeit für die meisten Würfe ohne Besonderheiten gegen 4 geht. Vernünftig, da es die Mindestwürfelgröße ist. Interessant, aber letztlich unnötigt ist der Zusatz der sogenannten Dynamischen schwierigkeit, welche durch das Würfeln eines Würfels durch den SL zustande kommt und in meinen Augen absoluter Humbug ist, sowohl als Tipp wie auch als Mechanik. Einen Wurf nicht bestehen kann in Conditions und Injuries resultieren, mit Würfelgrößen versehenen mechanischen Nachteilen oder Verletzungen, wie Überreizter Knöchel w8 etc. Auch hier wieder mehr FATE, denn DnD. Zudem, das System kennt auch außergewöhnliche Erfolge, in Form von Doppel oder Dreifacherfolgen, wenn die Schwierigkeit durch mehr als einen Würfel getroffen wurde, was durch den Würfelpool ja letztlich begrenzt eine sinnvolle Anwendung ist. Manöver gibt es auch, und sie stellen Aspekt-artig das Aufstellen von solchen dar, ist also auch eher Standard. Dies ist auch insofern wichtig, als dass durch das Nutzen von Ardor solche Aspekte und ihre Würfelgröße durch einen FATE-Invoke zum Würfelpool addiert werden können.
Inzwischen sollte soweit klar sein, es handelt sich hier weniger um einen Fantasy-Heartbreaker, sondern mehr um einen Historical-FATEbreaker, aber okay. Weitere Regeln, mal sehen, Aspekte, Invoke, Compel, Ausrüstung kann verbraucht werden bei Wurf von 4 auf w4, seltsam für ein Schwert aber gut, das stumpft halt ab, Hexerei gibts auch, als Aspekte von dunkler Natur, Krankheiten erhalten nichtmal eine Halbseite, was ich positiv finde. Heroische Charaktere leiden nicht unter Schnupfen! Skillverbesserung wird durch Zeitinvestment oder Training mit Mentoren durchgeführt, was scheinbar aber nicht dauerhaft, sondern eher kleinteilig passiert, so wird als Beispiel eine Steigerung von w4 auf w6 dargestellt und nicht als permanent behandelt. DIes wird es erst, wenn ein Charakter "Erfahrungspunkte" auch dafür ausgibt.
Weitere Inhalte....Aspekte werden am Ende einer Seitzung verbessert oder veschlechtert, es scheint aber keinen Antrieb für Spieler zu geben, diese generisch in beide Richtung zu ermöglichen, hmm, die Kampfregeln sind recht einfach durch die Vigor-Grundlagen gehalten, Initiative wird durch Reflex-Skill-Würfe dargestellt, die meisten Spieler die sowas nicht durch ihren Mentor bekommen, werden hier mit w4 also regelmäßig untergehen, okay. Spieler können durch Doppelerfolge oder besser einen Punkt Vigor zurückerhalten, auch mitten im Kampf, nett, aber statistisch nicht gut berechenbar. Interessant ist primär die Einteilung in Konflict, Kampf selbst, und dann Parley, also Sozialkampf, sowie Subterfuge, Intrigenkampf. Etwas verwunderlich, warum das nicht in ein Kapitel zusammengesetzt wurde, insbesondere weil die Inhalte hinter den Kulissen sich letztlich wenig unterscheiden.
Die letzten Seiten 94-108 beschreiben dann noch ein wenig das Setting, was für die Seitenzahl von 130 Seiten schon fast beschämend kurz ist, und folgen noch mit Beispiel-Appendix für Mentoren, Antagonisten, Tieren(?), Index bzw. Glossar und OGL und Charakterbogen. Die Anwesenheit der OGL ist etwas seltsam, wenn man überlegt, das es mit WotC´ies D20 wenig zu tun hab, und sich scheinbar darauf stützen will, dass andere das System für weitere Inhalte nutzen können sollen, aber das scheint mir hier übertrieben, da das System Fate-artig darauf ausgelegt sein sollte, dynamisches Storytelling zu unterstützen. Der Charakterbogen ist zwechmäßig und nicht großartig der Erwähnung wert.
Aber viel wichtiger als alles andere, Fazit! Würde ich Chronica Feudalis spielen? Hmm, schwierig. Der Ersteindruck ist überraschend positiv, ein FATE-iges Spiel das sich mit 1150 AD einem eher wenig beschriebenem Zeitraum nimmt, wenngleich das mittelalterliche England vielleicht nicht der spannendste, weil als Beispiel öfter genommene Ort, ist. Trotzdem würde ich die Finger von lassen. Warum? Weil es unausgereift wirkt, und letztlich halbgar. Der SL bleibt scheinbar weiterhin der Allmeister, da auf die Idee, das Spieler das Spielgeschehen großartig Einfluss nehmen garnicht eingegangen wird, es gibt 4 verschiedene Arten von Konflikt welche letztlich alle gleich funktionieren und ich bin dem Würfelsystem gegenüber unangebracht skeptisch, Von der Idee her also nett, aber hätte ruhig noch ein paar Monate am Reißbrett verbringen können.
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