20140131

Fall 1 - IV

Für den kürzesten möglichen Moment schwebe ich in der Luft, als meine Füße den Kontakt mit dem Erdboden verlieren, und ich langsam nach unten sinke. Trotz der Langsamkeit, mit der es vor meinen Augen abläuft ist es nur ein Spiel von Sekunden, als ich nach dem Rohransatz greife, der unterhalb des Sprungpunktes angesetzt ist. Es reißt an meinen Händen und ich verliere beinah den Griff. Es ist glitschig und feucht, greift aggressiv meine Hände an. Dazu der Druck, der auf meinen Armen lastet, als mein ganzer Körper nach unten zieht durch den Sprung. 

Ich versuche den Schwung auszunutzen und als meine Finger abgleiten müssen, lande ich nur knapp am Rohrinneren. Verliere beinah die Balance, muss mich am Gatter festgreifen, damit ich nicht nach hinten stürze. Für einen Moment habe ich das Schicksal vor Augen, wie mein zerschellter Körper auf den Felsen des Flusses liegt, bis er irgendwann von der Strömung mitgezogen wird. Ein so unrühmliches Ende.

Ich greife das Gatter. Unglücklicherweise scheint es nicht fest zu sein, als es mir gelingt, die Finger einzuhaken, und im nächsten Moment schwing es mit mir daran raus. Ich hänge am Gatter und befinde mich beinah erneut im freien Fall, nur mit dem Rest meines rechten Fußes kann ich überhaupt noch den Stand im Rohrinneren halten. Es wird zu einer Zerreißprobe. Über mir höre ich Gerufe und Stimmen. Sie kommen näher. Ich trete mit dem linken Fuß aus und tatsächlich, irgendwas scheint getroffen zu werden. Ich suche mit ihm danach, bis ich es unter meinem Schuh spüre und trete mich komplett ab. 

Der Schwung katapultiert mich am Gatter beinah komplett ins Rohr und mich direkt in das laufende Wasser, das von dort hinauskommt. Es ist kein schönes Zeug, das ich in diesem Moment schlucken muss. Ich wälze mich auf, krame eine kleine Lampe aus der Innentasche des Trenchcoats und schaue mich um. Ich bin tatsächlich in einem Abflussrohr unterhalb des Sprungpunktes gelandet, das von hier direkt in den Fluss geht.

Da mir der Geruch eh schon in die Nase steigt, brauch ich mir auch nichts mehr vorhalten, und beginne hinunter zu stapfen. Irgendwo hinter mir, da draußen, kann ich ihre Stimmen hören. Ich gehe schneller, weiß nicht, wie lange sie brauchen, bis sie entdecken, dass ich nicht unten aufgekommen bin. Durch das Rinnsal zu waten ist unangenehm, und mit einem mal bemerke ich, wie mein Fuß ausgleitet. Panisch suchen meine Hände nach Hatl, aber an den feuchten Wänden gibt es keinen. Mit einem unschönen Geräusch lande ich auf dem Boden, lege mich fast längs hin in die Jauche, die unter mir durchfließt.

Mein Kopf kommt hart auf, für einen Moment bin ich benommen. Schüttle denselben. Suche langsam meine Sinne zusammen zu bekommen, beuge mich vor und, die Knie anziehend, komme ich wieder auf die Beine. Der Trenchcoat tropft von unten bis oben und Teile der Flüssigkeit sind mir in die Kleidung geronnen, irgendetwas schweres scheint gleichzeitig hinten mit zu hängen, aber in leichter Panik, in der ich gerade bin, versuche ich diese Tatsache zu ignorieren. Mir fällt auf, dass die Taschenlampe nicht mehr in meiner Hand ist und ich muss fluchen. Beuge mich auf den Boden und fange an mit den Fingern in Rinnsal umherzutasten.

Da ergreife ich etwas, ziehe es heraus, und tatsächlich, es ist die Taschenlampe. Glück gehabt. Das Glas ist leicht zerkratzt, aber ansonsten wenig passiert. Ein Blick nach hinten, noch immer kann ich am Rande meines Bewusstseins Stimmen vernehmen. Ich kann nicht unterscheiden, ob es sich um welche von menschlicher Natur handelt oder ob meine Paranoia mich bereits Dinge hören lässt, und ich stapfe weiter nach vorne.

Das Abflussrohr geht eine ganze Weile durch das Erdreich. Ich weiß nicht wie lange ich schon hier unten bin, das einzige was neben mir zu sein scheint sind die seltsamen Reste die mit der Flüssigkeit mit gespült werden, die jetzt zwischen meinen Füßen und Drumherum weiterspült. Unter mir schwimmt gerade ein aufgequollener Rattenkorpus entlang. Werden verdammt groß dieser Tage. Muss am chemischen Abfall liegen.

Seit einiger Zeit wird es wärmer, man hat fast das Gefühl irgendwo rumzulaufen wo das Wetter sonst nicht so scheußlich ist. Es ist einigermaßen warm und feucht. Stetig dunkel. Ich kann nicht nach oben blicken, ohne das Gefühl zu bekommen, über mir nur Dunkelheit wahrzunehmen, die jeden Moment einstürzen könnte. Ich darf nicht hoch gucken. Mein Blick wird leicht wirr. Als würde ich durch ein Dschungelbecken waten. Den Kopf schütteln, einmal ordentlich auf die Wangen hauen. Durchatmen. Bäh. Aber der Blick wird klarer. Und ein Kriegsflashback kann ich jetzt nicht gebrauchen.

Langsam wird der Weg breiter und an den Seiten beginnt sich ein Weg zu öffnen, auf dem man laufen kann, ohne gleich ins Wasser zu müssen. Langsam, methodisch gehe ich ran und klettere hinauf. Muss ja nicht gleich eine Krise heraufbeschwören, nur um für mich selbst cool zu wirken. Das Auftauchen der Seitenwege ist gut. Impliziert Wartungswege. Es geht noch ein paar Meter so weiter. Dann fällt mir auf, das etwas vor mir eine Tür an der Seite ist. Endlich ein Ausweg aus dieser Misere. Mit wenigen Schritten dran, zerre ich an der Klinke. Vergeblich. Das Mistding ist verschlossen. Ein verzweifelter Tritt, aber es hilft nix. Stabil. Müsste auf Wartungsarbeiten warten. Natürlich ist das wieder einer dieser Momente, wo ich mich ärgere, niemals gelernt zu haben, wie man ein Schloss knackt. Aber selbst wenn, vermutlich wäre dann mein Werkzeug abhanden gekommen, oder etwas ähnlich albernes passiert.

Die Helden der Romane mussten sich nie mit so einem Unsinn auseinandersetzen. Bleibt mir vorerst nur, dass ich dem Tunnel weiter folgen muss. Das geht auch noch für ein paar Minuten gut so, bis ich an eine Stelle komme, wo mein Plan scheitert. Vor mir geht es mehrere Meter in die Tiefe, ein Auffangbecken oder sowas, rundlich, locker 4m breit inmitten meines Weges. Vor mir ergießt sich ein Schwall von Flüssigkeit in das Becken, der aus einem oberhalb angrenzenden Tunnel durchläuft. Müssen knapp 80cm sein, die der andere Tunnel höher sitzt. An Weiterkommen nicht zu denken, es sei denn ich setze mein Leben aufs Spiel. Ganz oben dringt schwach Licht herein, stetiges Wechselspiel. Vorsichtig taste ich mich an den Rohrrand und schaue hinauf. Ein Kanalisationsgatter. Menschen die oben umher wandeln. Eine leicht belebte Gegend. Ich muss inzwischen den Rand des Parks erreicht haben. Als ich mich darauf konzentriere, das Wasser auszublenden, bemerke ich auch Autogeräusche im Hintergrund. Ganz klar, hier muss es irgendwo auch einen normalen Zugang geben. Aber da ich die Tür nicht klein kriege bleibt mir nur der Weg zurück, oder der Sprung ins Verderben.

Problem ist, zurück in der Hoffnung, dass ich etwas übersehen habe oder dass die MIBs weg sind? Wenn sie auch nur halbwegs kompetent sind, werden sie entweder bereits jemanden rein geschickt haben, oder an den einfachsten Ausgängen wie der Wartungstür auf mich warten. Keine Option. Aber vielleicht habe ich einen Gang übersehen. Ich drehe mich wieder dem Tunnel zu. Ich halte inne. Irgendwas in der Dunkelheit. Das Geräusch kommt mir bekannt vor. Es klingt wie die kleinen Modellhubschrauber, die manche in den Parks zum Fliegen schicken. Scheiße. Drohne. Die Mistkerle sind nicht selber hinein gegangen. Panik. Adrenalin. Ich schaue mich um. Ich kann mich innerhalb des Beckens kaum an die Wand krallen, da ich dafür nicht die Kraft besitze. Einziger Ausweg. Ich packe die Taschenlampe ein, nehme kurz Anlauf, laufe los.

Springe. Zweiter Sprung heute. Meine Gelenke protestieren energisch gegen die Aktion. Noch als ich mich in die Luft erhebe fällt mir ein, dass ich im Weitsprung immer eine Niete war und 4m sind auch für einen geübten Springer nicht zwingend drin. Der Moment in der Luft ist so schnell vorbei wie er gekommen ist, als ich gegen die Wand auf der anderen Seite des Beckens klatsche und meine Hände verzweifelt nach Halt greifen. Zu hoch. Bin beim Springen zu tief runter gekommen. Rutsche an der Wand wie ein Nasser Sack. Falle genau in das mehrere Meter unter mir gelegene Wasser.

Tauche tief ein, über mir schlagen kleine Schaumbläschen hoch, während ich verzweifelt nach Luft ringe. Versuche, auf keinen Fall auch nur einen Milliliter dieser Brühe in den Mund zu bekommen. Keine Chance. Wie ein Wahnsinniger schlage ich um mich, komme an die Oberfläche, pruste, spucke, huste, leichte Schwimmbewegungen, halte mich oben. Über mir wird das Rotorengeräusch lauter. Moment. Diese alten Tunnel haben doch meist auch Unterwasserverbindungen. Es ekelt sich alles in mir und ich bin mir sicher, dass ich vermutlich bald meinen Mageninhalt verlieren werde, aber was tut man nicht alles auf der Flucht. Ich atme die verseuchte Luft tief ein, und stucke mich selbst unter. Alleine die Anstrengung, die Augen in der Brühe aufzumachen. Es brennt in den Augen.

Vor Ekel öffne ich reflexartig den Mund, und Atemluft entweicht. Komme tiefer. Wie lange geht dieses Scheissding?! Da! Eine Öffnung. Mehr als Göttervertrauen geht nicht. Ich nutze meinen Tastsinn um hineinzufinden. Es ist ein Unterwassertunnel. Mehr von dem Zeug. Schwere Klimmzüge, immer wieder an der Wand anstoßend. Und anderen, unidentifizierbaren Dingen in der Dunkelheit. Lieber nicht wissen, was es war. Meine Lunge brennt, der Drang den Mund aufzumachen. Zu Atmen. Unerträglich. Hinauf. Nur Hinauf.

Ich haue mit dem Kopf gegen Stein. Noch nicht. Verzweiflung steigt in mir auf. Wenn er so lang ist, wie manch andere seiner Art kann er hunderte Meter gehen, ehe er eine Öffnung hat. Wenn ich nicht bald einen Ort finde an dem ich Luft holen kann, verrecke ich hier unten. Verzweifelt hämmer ich gegen den Boden, aber im Wasser scheint es als wäre es vollkommen sinnlos, kann mich nur weiter an der Decke entlang navigieren. Der Druck wird größer. Es ist nicht zum Aushalten. Als ob die Lunge platzen will. Zerrissen wird. Ich kann nicht mehr, in der Dunkelheit habe ich das Gefühl, dass ich ein Seitenstechen bekomme. Panik treibt mich vorwärts, Adrenalin hält mich am Leben.

Da. Über mir eröffnet sich ein Durchgang. Ich stoße mich hoch. Weiter und weiter in der Dunkelheit. Ich möchte nur den Mund aufmachen und schreien. Ein tödlicher Vorgang, hier in der Tiefe. Ich durchbreche die Wasseroberfläche. Fasse etwas an der Seite des Tunnels. Es ist kantig und das schabende Gefühl deutet Rost an. Mit letzter Kraft halte ich fest. Reiße mich dahin rüber. Es ist eine Leiter. Die Rettung. Mit ein paar Zügen bin ich oben. Knapp 20cm über dem Wasser vielleicht. Neben mir fließt der stetige Strom in einen kleinen Sog hinab. Dorther kam ich. Kriege den Kopf nicht klar. Als ich oben ankomme, komme ich nicht einmal auf die Beine. 

Auf Knien, dann auf dem Bauch erbreche ich. Vermutlich alles was ich die letzten Tage inne hatte. Das gleichzeitige Schnappen nach Luft macht es nicht besser. Ich tropfe, schniefe, Rotz und Wasser, vermutlich auch der eine oder andere Blutstropfen entweichen mir. Unschöne Mischung. Als ich mich etwas zur Seite rolle, in diesem schon fast krampfhaften Anfall, bemerke ich nach nur wenigen Zentimetern eine Wand. Zusammengekauert liege ich da. Zeit vergeht, aber mein Gefühl ist vollkommen im Arsch. Können Stunden sein, können auch Minuten sein.

Ich erhebe mich langsam. Meine Kleidung, noch immer extrem feucht, die Feuchtigkeit zieht sich nun durch alles was ich an mir habe, klebt an mir wie eine zweite, etwas hässlichere und ekligere Hautschicht. Ich greife in meine Innentasche. Taschenlampe ist noch. Batterie hat sich etwas gelockert. Ein paar Schläge gegen die Seite und sie spendet etwas Licht. Nicht viel, aber gerade soviel dass meine Paranoia befriedigt wird. Wie gut, dass ich nicht schreckhaft bin.

Ich befinde mich in einem anderen, offensichtlich im Untergrund gelegenen Wartungstunnel. Den Ziegel um mich herum nach, bin ich schon seit langem der einzige, der sich hier herumtreibt. Bauart spätestens Sechziger, vermutlich eher die frühen Zwanziger Jahre. Aber keine Schmugglertunnel. Zu mindestens machen sie nicht den Eindruck dafür. Ich komme hoch. Der trockene Weg ist sehr schmal, aber ich kann ihn begehen. Solange ich nicht wegen Feuchtigkeit oder ähnlichem ausrutsche. Nach einigen Schritten gibt es eine kleine Treppe und auch der Wasserstrom kommt hier von weiter oben. Ich bin etwas verwirrt. Sollte ich tiefer getaucht sein als ich dachte? 

Ich gehe die Treppe hinauf und als ich oben ankomme, was einige Minuten in Anspruch nimmt, eröffnet sich der gesamte Tunnel zu einem großen Raum. Meine Taschenlampe reicht nicht an seine Ecken, also muss er mindestens an die 50m breit sein. Diverse Stützsäulen an strategischen Stellen deuten auf die Konstruktionsweise hin. Einfach. Plump. Funktionell. Der Pfad führt rechterhand herum. Gehe weiter. Da, an der Seite. Eine Nische eröffnet sich anscheinend hier. Es hat etwas wirklich gruseliges, aber in der Nische steht ernsthaft ein kindergroßes hölzernes Bett und ein kleiner Schemel mit einer ausgebrannten Kerze. Ich kann nicht anders. Fasse den Docht an. Leicht warm. Nicht durch Umgebungswärme. Jemand war vor kurzem noch hier, hatte Licht an. 

Es gibt eine gewisse Sicherheit, zu wissen, dass diese Bereiche nicht vollkommen Tod sind. Andererseits schlägt mir das Herz gerade bis zum Hals, denn ich weiß jetzt, dass ich nicht alleine hier unten bin. Und seien wir ehrlich, ein kleines Kind inmitten einer dunklen Kanalisation. Ich hab ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Greife mit der anderen Hand zum Revolver. Typisch, steckt erst mal ein bisschen im Holster fest, und als ich ihn endlich gezogen bekomme, kommt erst mal etwas Wasser heraus. Selbst zur Einschüchterung ist der gerade nutzlos.

Ich muss weitergehen, da es keinen offensichtlichen Weg zurück gibt. Komme an der Seitenwand an. Der Raum muss locker an die 100 Schritt durchmessen, da ich selbst beim Zählen auf gut 50 kam. In beide Richtungen. Extrem groß also. Was zum Henker könnte das hier für einen Zweck haben. Ich drehe mich ruckartig herum. Ein Geräusch in der Dunkelheit? Irgendwo tropft etwas. Ich bin es definitiv nicht selber.

Im nächsten Moment wandert mein Lichtschein zur Decke. Staub rieselt von oben herab. Etwas schweres bewegt sich über uns. Ausgehend davon, dass mystische Kreaturen nicht existieren und die Welt nicht untergeht, wird das vermutlich eine U-Bahn sein. Die Rettung. Eine U-Bahnstation. Solange ich irgendwo mal einen Ausweg finde.

Es tropft immer noch, aber ich kann die Quelle nicht ausmachen. Gehe langsamen Schrittes weiter, habe aber das Gefühl, das das Tropfen in der Entfernung mit mir mitgeht. Wie seltsam. Endlich habe ich die nächste Wand erreicht und sehe eine breite Treppe vor mir. Sie ist alt und staubig, aber noch gut in Schuss. Definitiv ein Weg nach oben. Ich erklimme sie langsam, und kann mich, dankenswerterweise dem Bauamt der Stadt, an einem Treppengeländer an der Seite festhalten, was mir zusätzlichen Halt gibt. Am Ende der Treppe angekommen, immer noch kein Licht. Aber ein deutlich menschlich wirkender Raum. Links und Rechts stehen an der Wand Schließfächer. Seltsame Anordnung. Wand am Ende, in der Mitte eine Tür. Ein Schauer jagt mir über den Rücken. Sie ist nicht durchsehbar, hat aber definitiv ein Glasfenster in der Mitte. Klein, nur gerade Kopfgroß. Es ist zwar durchschlagen, aber erst jetzt fällt mir auf, dass auf der anderen Seite anscheinend ein Holzbrett angeschlagen wurde.

Ein Lichtschein dringt durch. Ein so winziges Ding, ein so kleiner Lichtschein. Es tropft immer noch hinter mir. Ich schüttle mich, nehme die Taschenlampe zwischen die Zähne, passe den Weg ab. Nehme erneut Anlauf und renne mit voller Wucht gegen die Tür. Schulter voran, knall ich voll gegen, meine Schulter schreit auf, es tut tatsächlich mehr weh als ich gedacht hätte. Ich beiße die Zähne zusammen. Keine Zeit, mir über Schmerzen Gedanken zu machen. Erneuter Anlauf. Wieder knallt es, aber sie bleibt zu. Oder habe ich ein Knacken vernommen? Warum ist das Tropfen lauter geworden? Was zum Henker tropft da die ganze verfluchte Zeit hinter mir? Hab ich ein leckes Rohr erwischt und zerre es mit?!

Keine Müdigkeit vorschützen. Aller guten Dinge sind Drei. Noch einmal Position nehmen. Rutsche fast aus, als ich bemerke, dass an meiner Startposition inzwischen eine kleine Wasserlache ist. Muss wohl vom Trenchcoat abgeschüttelt sein. Beuge, und los. Mit einem lauten Krachen bretter ich gegen die Tür und bemerke noch beim dagegen wuchten dass sie nachgibt. Leider reichhaltiger als ich dachte.

Sie knallt, mit mir darauf, voll aus den Angel. Gebrochene Bretterpfosten tun ihr übrigens, mir ein Hindernis zu stellen, als ich auf der Tür ins Licht schlittere. Die Welt dreht sich. Für einen Moment bin ich wie benommen, das helle Licht um mich herum blendet meine Augen wie Zeus Blitze den Ungläubigen. Komme auf die Knie, schüttel den Kopf. Altbewährtes Mittel. Als ich ihn dann zwischen den Händen fixiere, hört die Welt auch langsam auf, sich zu drehen. Ich schaue mich um. Staune nicht schlecht.

Ich bin in einer alten U-Bahnstation gelandet. Offensichtlich war das eine wirklich eine Wartungstür. Erklärt zwar noch immer nicht die Schließfächer dahinter, aber wer bin ich das zu hinterfragen. Auf dem U-Bahnsteig stehend betrachte ich die Umgebung. Leere Plakatwände und Bereiche für Werbung gähnen mich an, während über mir das Neonlicht der Kunststoffröhren vor sich hin summt. Künstliches Licht. Fast so gut wie echtes. Aber auch nur fast. In der Mitte der Station gibt es linkerhand einen großen Aufgang. Ein Weg nach draußen? Ich hechte hin, aber schon als ich näherkomme kann ich feststellen, dass meine Hoffnung vergeblich ist. Große Eisengitter und ein schweres Schloss. Dunkelheit dahinter. Kein Durchkommen. Schaue mich um. Wundere mich inzwischen auch. Woher kommt der Strom? Fällt niemanden bei der Stadtverwaltung auf, dass sie mehr Strom brauchen als sie Stationen haben? Mein Blick fällt auf den Wartungsgang.

Licht hat offensichtlich durch den nun offenen Türrahmen den Weg in die dortige Dunkelheit gefunden, und als meine Augen sich einigermaßen an die neuen Lichtverhältnisse angepasst haben, fällt mir auf, dass jemand oder etwas da steht. Ein Tier? Nein, eine Person. Sie steht gerade so, dass ich nur silhouettenhaft erahnen kann, das sie da ist.

Zeichner - Hallo? Ist da wer?

Verharre für Momente gebannt. Als ich einmal blinzel, bin ich mir sicher Schritte zu hören. Das Tropfen hat inzwischen aufgehört. Bin ich wirklich verfolgt worden? Schaue die tiefer liegenden Schienen an. Achselzucken. Was soll man machen. Die Bahngleise gehen in beide Richtungen. Kann also gleisaufwärts der gleisabwärts gehen. Keine Ahnung, welche von beiden Richtungen jetzt besser ist. Spontan beginne ich, dem Weg gleisaufwärts zu folgen. 

Sporadisch leuchtende Lampen weisen mir einen Weg. Nach einigen Minuten muss ich stehen bleiben. Typisch. Schwere Holzpfosten und ein vernagelter Verschlag. Aber Halt. An der Seite ist eine Tür. Die Hand bewegt sich zum Griff. Ich drehe. Sie ist unverschlossen. Schwerer Seufzer. Erleichterung. Ich mache sie auf, schreite hindurch. Auf der anderen Seite gibt es eine Weggabelung, und von hier aus kann man diverse Schilder an der Holzwand erkennen. Gefahr, Danger, Betreten verboten, Stillgelegt. Die typische Mischung. Und am besten ist noch der Wartungsaufgang an der Seite weiter vorne. Horche in die Entfernung. Kein Zug zu hören. Ich sprinte rüber zur Wartungstür und versuche sie zu öffnen. Es gelingt. Ich husche hinein und eine Treppe nach oben winkt mir. Mit einigen beherzten Schritten komme ich ins Licht. 

Als ich die Tür oben öffne, schmeiße ich irgendwas um. Ein Ladenstand. Ein kleine Gestalt mit Reishut schaut mich finster an und beginnt mich in irgendeinem Kauderwelsch anzubrüllen. Als sie gewahr wird, wie ich aussehe, macht sie ein paar Handbewegungen und rennt davon. Meine Augen passen sich an die neuen Lichtverhältnisse nur langsam an, überall um mich herum ist Lärm, Bewegung. Menschen. Ich kann erst langsam einen Eindruck gewinnen. Aber die Geräusche und Gerüche sind eindeutig. Scharfe Gerüche und das stete Schaben von Messer? Pfannen die stetig zusammen geschlagen werden und Menschen mit undeutlichem Akzent? Freundliches Lächeln und der Dolch in der Hinterhand? Ich bin in Chinatown.

Ich schaue mich um, orientiere mich. Viele verschiedene Stände an den Seiten der kleinen Straße, alle preisen sie irgendwelche heimatlichen oder andere Waren an, während sich ein steter Strom an Personen zwischen ihnen hin und her bewegt. Ich habe offensichtlich einen Gemüsehändler um gerempelt, als ich die Wartungstür aufgemacht habe. Pech. Ich gucke nach einer Seitenstraße, und mache mich schnell aus dem Staub, vorbei an ein paar Müllcontainern und über mir hängenden Wäscheleinen. Als ich ein paar Straßen weiter bin, trotz allem falle ich in meiner Klamotte auf wie ein bunter Hund, sehe ich eine Wäscherei. Werden wohl ein paar Kröten fällig.

Ich sitze, in Unterhosen neben einem riesigen Trockner, während ein altes asiatisches Mütterchen ihre Zählmaschinen an meinen Geldscheinen ausprobiert und ein paar Damen unbestimmbaren Alters, wie das bei den Asiatinnen leider oft ist, sich anscheinend über den halbnackten Irren austauschen, der heute in ihrem Waschsalon breit gemacht hat. Frag mich wen sie meinen. Außer mir ist sonst nur das Mütterchen da.

20140128

Fall 1 - III

Ich fühle die Straße unter meinen Füßen. Ihren ruhigen Puls.Mit dem aufklaren des Himmels geht auch die Wiederbelebung einher. Menschen kehren, vereinzelt noch mit kleinen Regenschirmen zurück in die Adern, um Tagesgeschäften nach zu gehen.

Jeder Schritt bringt mich meinem Ziel näher. Rechterhand über die St.Andrews Street, die Kreuzung überquerend auf den Hudson Drive, dann 2 Kilometer die Straße entlang, an Caffees und Bistros vorbei, an Boutiquen und Bekleidungsgeschäften, Restaurants und Pubs, Kneipen und Elektrofachgeschäften. In einiger Entfernung kann ich schon das Rauschen des Wassers vernehmen. Aber es ist nur eine Illusion, hier inmitten der wimmelnde Masse von Mensch und Urbanem.

Wasser spritzt unter jedem meiner Schritte, während ich gehe, und als ich Mickeys Kneipe streife, bleibe ich für einen kurzen Moment stehen. Das Wasserloch wirkt in diesen Minuten selbst von außen einigermaßen respektabel, solange man den Penner davor ignoriert, der sich mit einigen Zeitungen und einem Umzugskarton eine Behausung eingerichtet hat, welche nun ein einziges großes Gematsche darstellt, da es vollkommen durchnässt ist. Der Penner flucht auch nicht gerade freundlich. Klingt nach Seeman.

Glücklicherweise haben meine Füße manchmal ihre eigenen Willen, und ehe ich noch nach der Türklinke greifen kann, bin ich schon am weitergehen. Längst ist die Stadt wieder zum Leben erwacht. Wieso auch nicht, war es doch keiner der Ruinenstürme meiner Kindheit. Das waren noch Zeiten als...

Ich bleibe rechzeitig stehen, um zu bemerken, dass ich genau vor einem Ampelmast stehe. Ein paar Passanten grinsen und schmunzeln, als ich meinen Trenchcoat zurecht rücke und drumherum über die Fahrbahn latsche, während noch Verkehr herrscht. WIldes Gehupe und Reifengequitsche folgt. Hier und da wünscht mir einer der Fahrer Pest, Cholera und Sackratten an den Hals. Das übliche. Als ich die Straße überquert habe, schlägt die Ampel auf Grün und ich setze meinen Marsch unbeirrt fort. Nicht weit von mir beginnt der Stadtpark, der an den Fluss angrenzt. Ich kann bereits das Flussufer erkennen.

Es ist eine dreckige Brühe, die da durch das Flußbett fließt. Je näher ich komme, umso mehr bekommt man den Eindruck, dass hier auch ein Klärwerk nicht mehr helfen kann. Kein Wunder, seit die Stadtverwaltung Antrag 18 durchbekommen hat dürfen die Chemiefabriken ihren ganzen Müll in den Fluß entsorgen. Letzte Woche hatte er eine pink-undurchsichtige Schaumschicht. Wenigstens heute wirkt der Fluß einigermaßen blau, aber ich kann immernoch niemanden empfehlen daraus zu trinken. Ist vermutlich alles umweltschädliches Färbemittel.

Am Flußufer fährt gerade ein Radfahrer entlang, ein Sportkurier, wie ich an seiner Kleidung erkenne. Das Rot-Weiß sieht man öfter durch die Stadt flitzen, die Jungs und Mädels vom One Time Courier Service leisten oft genug bessere Arbeit als die meisten örtlichen Poststellen. Kein Wunder, OTCS-Fahrer handeln ihren Preis selber aus, was auch dringend notwendig ist, wenn man überlegt, das sich in manche dieser Viertel nicht einmal mehr die Polizei ohne Geleitschutz hineintraut.Mit einem Mal überkommt mich das Verlangen, nach dem Revolver zu tasten. Immernoch da. Keine echte Sicherheit, aber auch das Gefühl reicht schon aus.

Unter meinen Füßen knirscht jetzt Kies. Ich betrete den Pfad am Flußufer, der direkt zum eigentlichen Pflasterweg führt, an dem man die Kloake betrachten kann, welche sich Fluß schimpft. In einiger Entfernung sehe es auch. Das Polizeiabsperrband. Der Polizeiwagen.Ein paar Streifenpolizisten und die Herren in den weißen Anzügen, die wohl von der Spurensicherung sind. Ich taste mich langsam heran, etwas so wie ein langsamer, verirrter Passant oder Fußgänger. Viel finden werden sie nach dem Wetter vermutlich nicht mehr, aber hey, immerhin sind sie so fleißig.

Als ich näher komme, bemerke ich, dass auch der Leichnam schon verschwunden ist. Wird schon vor einer ganzen Weile abtransportiert worden sein. Gleichzeitig, wenn die Leiche hier angespült wurde, kann er nicht von hier gesprungen sein. Also vermutlich etwas weiter am Flußbett entlang, vermutlich an der Greenbay. Dem typischen Ort, wo jemand in den Fluß springt. 470 Tote pro Jahr im Schnitt. Eigentlich kein Tag, wo sich nicht jemand dort das Leben nimmt. Als es vor ein paar Jahren ein junges Ehepaar erwischt hat, haben die Medien einen großen Wind drum gemacht, aber mehr als versprochen, sich um das Problem zu kümmern, ist eigentlich auch nicht passiert. Wobei, das ist nicht so ganz richtig, die Stadtverwaltung war so nett ein Schild aufzustellen mit der Bitte, nicht zu den Zeiten zu springen, an denen Kinder anwesend sein könnten. He.

Ich habe inzwischen das Absperrband erreicht und betrachte die Szene. Ungefähr am direkten Ufer zieht sich ein hart-bläulicher Streifen an der Uferbank entlang, bis er schließlich da liegen bleibt, wo jetzt noch ein paar Weißkittel dabei sind, Fotos zu machen und Abdrücke zu nehmen. Ich bemerke den Streifenpolizisten, der auf mich zukommt

Polizist - Sir, bitte gehen sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen.

Zeichner - Äh...was ist denn hier passiert?

Polizist - <Verdutzt> Ein Springer. Schon wieder. Was haben sie denn gedacht?

Zeichner - Ach, wissen sie, wenn man hier die Tage so entlang spaziert, sieht man ja so allerhand. War es jemand bekanntes?

Polizist - <Augenbraue-nach-oben> Nein, nur irgendso ein Niemand. Können sie jetzt weitergehen? Wenn sie noch länger hier herumstehen muss ich sie drängen, und <Die Hand auf dem Schlagstock> das kann unangenehm werden.

Zeichner - Meine Güte, schon so spät! Ich muss dann mal weiter, einen schönen Tag noch, Officer.

Seine Hand geht ans Polizeimütchen zur Verabschiedung, dann stapfen wir auseinander. Ich werde zurück kommen müssen, wenn das Einsatzkommando abgerückt ist. Vielleicht sollte ich mal der örtlichen Wache einen Besuch abstatten. Wobei, ein Obduktionslabor sollte nur das Hauptdezernat in der Innenstadt haben. Vermutlich ist die Leiche direkt überstellt worden.

Mit leicht beschwingtem Tritt gehe ich also Richtung Greenbay, ein kurzer Blick nach Hinten zeigt mir, dass mich der Streifenpolizist noch beobachtet. Als er merkt dass ich ihn ankucke, schaut er weg. Verstört? Nein, er spricht in das Schulterradio. Das erinnert mich daran, dass ich eigentlich die Tage Zugang zum Polizeifunk haben wollte.

Ein Läuferpaar rennt an mir vorbei. Schwung und Schwung und...hallo schöner Damenhintern! Leicht hypnotisch folge ich dem Paar. das an mir vorbeirennt für ein paar Meter, ehe ihre Geschwindigkeit und eine Kurve sie aus meiner Sicht bringt. Ich sollte mit Joggen anfangen, wenn sowas da rumläuft.

Ich schüttele den Kopf. Konzentrieren Zeichner. Der Fall! Also auf zur Greenbay. Schon lange bevor ich da bin kann ich den großen Leuchtturm an ihrem Ende entdecken, welcher die Ecke dieser Seite der Greenbay markiert, mitsamt der Würstchenbude und einer öffentlichen Toilette. Irgendwo auf dem Wasser sieht man inzwischen wieder ein paar Hobbyisten Boote fahren. Meine Schritte führen schnutzstracks zur Würstchenbude. Information und Magenauffüllung sind gleichzeitig erlangbar vorzüglich.

Die Bude ist klein und greimig, ihr Inhaber ein kahlköpfiger Graubart, dessen Spitzbärtigkeit an einen österreichischen Fu Man Chu erinnern könnte. Die Schütze die er trägt, hat auch schon ihre eigene Kruste. Gegen ein paar Scheine bekomme ich eine Spezialität des Hauses. Eine Grillwurst. Welch Vergnügen für den Gaumen. Nicht, dass durch die Röstung noch irgendwas an Eigengeschmack dabei wäre, davon mal abgesehen dass ich mir nichtmal sicher sein kann, dass da Fleisch drin ist. 

Hunger ist Hunger, und nachdem ich mir die Finger etwas ungeschickt ablecke und ein paar Servietten schnappe, drücke ich mir näher an den Tresen. Nur ein anderer Kunde, ein kettenrauchender Alter in dicker Bomberjacke und schwarzer Mütze sowie einem sehr traurig aussehenden Terrier stehen noch unter dem Regenschutz der Bude, und der scheint nicht zu Gespräch aufgelegt zu sein. Ich wende mich also dem Verkäufer zu.

Zeichner - Hey.

Fu Man Wurst- Hm? Noch ne Wurst?

Zeichner - Nein. Nein, wirklich nicht.Ich hab gehört hier ist heute morgen wieder einer gesprungen.

Fu Man Wurst - Hier springt eigentlich jeden Tag irgendwer.

Zeichner - Siehst du die alle?

Fu Man Wurst - <Achselzucken> Die meisten. Viele springen, solange es noch hell ist. Schon schräg, Selbstmörder und dann Angst im Dunkeln. <Er lacht kurz auf>

Zeichner - Kannst du mir was zu dem Typen heute morgen erzählen?

Fu Man Wurst - Warum? Bist du´n Bulle? Siehst nicht aus wie einer.

Zeichner - Grmpfl...ich bin ...Journalist. Schreibe den Artikel für die Abendausgabe. Dachte mir, ich frag mal rum.

Fu Man Wurst - Kriegt ihr nicht immer so eine Zusammenfassung von der Polizei? Wo ist dein Pressedingens?

Zeichner - Mein was?

Fu Man Wurst - Na das Dingens. Pressezeuch. Block. Stift, Kamera, Tablet, Ausweis.

Zeichner - Ach...das holen wir eigentlich nur heraus, damit die Leute uns als wichtig empfinden.

Fu Man Wurst - Aha! Hab ich mir es doch gleich gedacht. Ich hatte das schon vermutet, als ich die andere gesehen habe, die vorhin auch gefragt hat.

Zeichner - Welche andere?

Fu Man Wurst - Keine Kollegin, huh? Da war vorhin ne Schnalle von Daily Press hier, hat auch deswegen rumgefragt und mir die ganze Zeit ihre Kamera ins Gesicht gehalten, während sie Fragen gestellt hat.

Zeichner - Ach, sieh an. Kannst du sie noch näher beschreiben?

Fu Man Wurst - Öh. Weiblich?

Zeichner - Wow. An dir ist ja echt ein Schriftsteller verloren gegangen.

Fu Man Wurst - <Schaut etwas perplex drein> Naja, halt so, Regencape, Kamera, Mütze und so. Flach wie ein Brett.

Ich seufze. Neben mir grinst der Alte.

Zeichner - Und zum Springer?

Fu Man Wurst - Achso, ja. Das war ein komischer Kauz. Kommt heute morgen hier an, kauft sich erst ne Schachtel Zigaretten, dann ne doppelte Wurst und als ich mich umdrehe, um ihm die Wurst zuzubereiten, rennt er auf einmal wie ein Irrer davon. Dann flitzen hier zwei so Gorillas durch die Gegend und im nächsten Moment hör ichs knallen und klatschen und da war er auch schon gesprungen.

Zeichner - 2 Gorillas? Männer in Anzügen also?

Fu Man Wurst - Joar. So eben. 2 richtige Schränke halt. Und als er dann gesprungen ist, stehen die da noch herum, gucken kurz, und dann hauen sie wieder ab.

Zeichner - War sonst irgendetwas an ihnen auffällig?

Fu Man Wurst - Abgesehen von ihrer Größe, den schwarzen Sonnenbrillen, dem Knopf im Ohr und der Tatsache ,dass sie aussahen als wären sie aus einem geheimen Regierungsprogramm entkommen? Ne. Sonst nix.

Zeichner - Klugscheißer. Hat ...meine Kollegin dazu noch etwas gesagt?

Fu Man Wurst - He, der Konkurrenz nachschnüffeln. Ich weiss ja nicht. Wurstverkauft geht heute recht schlecht.

Zeichner - Das ist jetzt nicht dein Ernst.

Fu Man Wurst - <Er zuckt mit den Achseln> Hey, man mus tun, was man kann. Welt ist hart und ungerecht.

Zeichner- <genervt>Wieviel?

Fu Man Wurst - Och, sagen wir mal...für die Megabox.

Zeichner - Einen Zwanziger? Boah....bekomm ich dafür wenigstens auch die Box?

Fu Man Wurst - Klar.

Ich reiche der stinkenden Visage das Geld, und er begibt sich nach hinten, wo er anfängt, eine Pappbox mit Wurst und Curry aufzufüllen. Der Geruch der Chemikalien macht es nicht besser. Könnte man vermutlich auch mit Flusswasser tränken, hat wohl den gleichen Effekt. Als er zurückkommt, reiche ich ihm das Geld und nehme meine volle Box mit ungesunden Essen entgegen.

Zeichner - Und, was ist jetzt?

Fu Man Wurst - Jajaa, mal langsam mit den jungen Pferden. Also, die Schnalle hat sich so einiges in den Bart gebrabbelt und gemeint, das er den Schlüssel nicht bei sich hätte, wenn er gesprungen ist.

Zeichner - Schlüssel? Was denn für ein Schlüssel?

Fu Man Wurst - Keine Ahnung. Wobei, ich erinner mich, dass er so ein Halsband getragen hat, so wie meine Tochter hat, für ihr Schmuckkästchen.

Zeichner - Huh. Hey, hast du das der Frau auch erzählt?

Fu Man Wurst - Ne, die hat nur die Nase über meine Würstchen gerümpft. Hatse nicht verdient.

Zeichner - Wenn ich dir noch´nen Zwanni gebe, behältst du das dann für dich?

Fu Man Wurst - Klar!

Ein weiterer Zwanziger wechselt den Besitzer. Teuer, solche Nachforschungen. Und was soll ich jetzt mit der Box anstellen. Auf einmal meldet sich der Alte neben uns zu Wort.

Alte - Sachma, Manni. Die Gorillas, sahen die so aus wie die Typen da vorne?

Ich drehe mich um, für einen Moment bleibt mein Herz stehen oder setzt aus...oder wie auch immer die richtige Formulierung für einen solchen Moment heißt.

Manni alias Fu Man Wurst - Mensch, da sind sie ja wieder. Hätt ich ja nicht gedacht. Na kuck, labern gerade mit dem Streifenpolizisten.

Tatsächlich reden sie mit dem Bullen, der mich vorhin am Absperrband aufgehalten hatte. Er macht ein paar Gesten und zeigt dann in Richtung der Würstchenbude. Als sie sich zu mir umdrehen, fällt mir beinah die Pappbox aus den Händen. Scheisse. War es zu offensichtlich, als ich nach dem Toten gefragt habe? ich schaue mich um.

Zeichner - Sachma, gibt es hier irgendwo einen Ort wo man schnell verschwinden kann?

Manni - Wie? Hier? Du kannst ja springen gehen.

Ich schaue ihn beleidigt an. Klar, er will mich verarschen, für ihn stehts ja nichts auf dem Spiel, aber ich kann es nicht haben, wenn noch am Beginn meines ersten Falles mich bereits die Bundesbeamten kriegen. Ich drück also dem Alten die Pappbox in die Arme und renne Richtung Sprungpunkt. Noch von hinter mir höre ich die Halt-Rufe aus Richtung des Streifenpolzisten und von den MIBs. Als ich den Aussichtspunkt mit dem Schild erreiche, sehe ich unter mir nur den harten Flußfelsen und die Strömung, welche stark am ziehen ist. Schaue nach links, nach rechts. Hier muss doch irgendwo...da fällt es mir auf. Genau unter dem Sprungpunkt kommt ein Kanalisationsrohr raus. Vermutlich ein Sturmrohr für den starken Wasserfluss. Ich drehe mich einmal um, sehe wie die beiden Männer in Schwarz bereits Lauf nehmen und mir hinter her jagen, irgendwas rufe.  Zu spät, denke ich mir, und springe.

20140125

Fall 1 - II

Der Regen schwächt ab. Es ist einer dieser seltenen Momente, wo echtes Sonnenlicht durch die stetige Wolkendecke bricht, welche sich über der Stadt eingenistet hat. Trotz allem fällt immer noch ein leichter Niesel, der stetig gegen die Scheibe pocht, wie ein stetiger Puls. Ich greife unter den Schreibtisch und ziehe am festgeklebten Revolver. Mit einem Klienten und einem Auftrag kommen Gefahren und Geheimnisse.

Ich gebe zu, den Großteil meine Arbeit aus Krimiserien und Romanen gelernt zu haben, aber in der heutigen Zeit scheint es sowieso wenig zu geben, dass nicht mit modernsten Mitteln aufzufinden ist. Der Revolver geht nicht ab. Ich muss etwas mehr Kraft aufwenden, was schwierig ist, wenn ich überlege, wieviel Aufwand ich damals verwandt hatte, um ihn überhaupt sicher da unten hängen zu haben, aber ich brauche ihn, zu meinem eigenen Schutz wie auch zur Unterstützung meiner Argumente, denn man weiß ja nie, was für ein Pack sich auf den Straßen rumtreibt.

Nun, eigentlich weiß man es schon, man muss nur die Augen offen halten, aber allein ein Blick auf die modernen Straßen zeigt bereits, dass die meisten von Uns mit Scheuklappen durchs Leben gehen und nur noch besondere Ereignisse, Krisen und Katastrophen einen wirklich aufwiegeln. Der typische Beobachter ist apathisch und gleichgültig. Und mit einem Fotohandy ausgestattet. Haha! Mit einem harten Ruck habe ich den Revolver endlich vom Klebestreifen gelöst, mit dem er befestgt war. Es hängen noch ein paar Fussel dran, aber insgesamt sollte es gehen. Kurzer Check der Munitionskammer. Jep, immer noch keine Kugeln.

Naja, muss ich mit leben. Als ich aufstehe, zu meiner Jacke gehe, welche neben der Tür auf einem Ständer hängt, und den Revolver in den Innenseitenholster packe, fällt mir auf, wie zerschlissen sie wirkt. Immer noch besser als der alte Trenchcoat, welchen ich im Streit mit einem Penner erbeutet habe, aber um authentisch zu wirken, muss es mies sein. Und Authentizität ist alles heutzutage. In einer Welt, in der Schein wichtiger als Sein ist, muss der Eindruck stimmen.

Ich streife mir meine Jacke über, der gefüllte Holster fühlt sich ungewohnt an, da ich dieser Tage nicht sehr oft mit Waffe rausgehe, kein Wunder, wenn man keine Kugeln dafür hat. Durch die Bürotür bemerke ich wie Frau Schwarz gespannt an ihrem Computer sitzt und sich durch irgendwa durchklickt. Vermutlich wieder irgendwelche Tierseiten, ich habe ihr schon letztes Mal gesagt, dass sie ein Hauptgrund für das Virenproblem ihres Arbeitsgerätes ist, aber scheinbar sind manche Menschen recht lernresistent.

Zeichner - Frau Schwarz, haben sie schon eine Akte für Frau Rassila angelegt?

Sie schaut auf, und ich bemerke, dass sie diesen typischen "Du-Nervst!"-Ausdruck trägt, den sie aufsetzt, wenn ihr ein Gesprächsthema nicht passt. Denke an ihr Gehalt und alles ist gut.

Schwarz - Der Ordner liegt auf dem Aktenschrank. Er ist unter R eingesetzt, nachdem ich eine tote Spinne entnommen habe und ordentlich durchgepustet.

Zeichner - Sie haben alle Zahlungsbestimmungen mit der Klientin abgemacht, bevor sie Sie ins Büro geschickt haben?

Schwarz - Sie hat für die Woche im voraus gezahlt. Ich hab mir mein Gehalt schon abgenommen.

Zeichner - Hatten wir nicht ausgemacht, dass sie ihr Gehalt am Anfang des Monats bekommen?

Schwarz - Bei den Chinesen ist heute Monatsanfang.

Zeichner - Wir sind aber nicht bei den Chinesen, Frau Schwarz. Nun, wo haben sie das Geld?

Sie beugt sich zu ihrem Schreibtisch hinunter und kramt ein wenig herum, bis sie endlich in einer Schublade eine große Zigarrenkiste gefunden hat. Marke Vengardt 88, ein Klassiker, die letzten Vengardt wurden 89, kurz vor Mauerfall produziert und seitdem ist es sehr schwer geworden, sie zu bekommen. Als ich die Kiste entdeckt hatte, war mir klar, dass ich sie erstehen musste. Zu dumm nur, dass auf dem Flohmarkt schon wer anders auf die Idee gekommen war, nur die Zigarren darin zu entnehmen und die Kiste zurück zu lassen. 

Na, hat sich trotzdem gelohnt, die Kiste ist stabil und mit dem blutroten Polster und dem feinen Schloss dran kann man selbst einen Dieb ärgern. Oh, sie hat das Geld in der Kiste verstaut. Ich blicke zwar etwas verwundert, aber sie schließt sie mit dem kleinen Schlüssel auf und nimmt diverse Bündel Geld heraus. Es ist eindeutig zu viel Geld für die üblichen Konditionen

Zeichner - Frau Schwarz...was für Konditionen haben sie der Klientin mitgeteilt, dass sie diverse Bündel hiergelassen hat? 

Mich besticht gleichzeitig eine andere Frage. Was für eine Person hat mal eben so ein paar Bündel mit Scheinen dabei, um einen Privatdetektiv anzuheuern. Wenn die Scheine auch nur von durschnittlicher Währungsgröße sind, muss ich Monate an Arbeit bringen, damit die Frau überhaupt ihre bezahlte Leistung bekommt. 

Schwarz - Nur die üblichen, wie sie auf ihrer Infotafel angegeben haben. <Sie wedelt mit der kleinen Papptafel herum, die auf ihrem Schreibtisch liegt. Hab ich ihr bei ihrer Einstellung gebastelt, damit sie sofort weiß, was die Preise sind.> Sie meinte trotzdem, den Rest dazu lassen, als Gefahrenzuschlag.

Zeichner - Nun, ich hoffe mal sie haben das Geld bereits verbucht? Nun, geben sie mir mal ein Bündel.

Sie reicht mir eines der Bündel und ich zähle mir eine stattliche Anzahl Scheine heraus. Gerade so viel, dass es für Tenderosa reicht und ich trotzdem noch etwas Geld für notwendige Zahlungen habe. Reiche ihr das Bündel zurück, und greife meinen Trenchcoat.

Zeichner - Ich muss dann außer Haus, wenn jemand einen Termin will, rufen sie mich an, ich weiß noch nicht wie lange es dauern kann.

Schwarz - Herr Zeichner, die Dame ist ihre erste Klientin in Neuneinhalb Wochen. Ich glaube, wenn heute noch eine Person durch diese Tür kommt, geh ich erstmal den Tag im Kalender anmalen und einrahmen.

Zeichner - Kein Grund, gleich so sarkastisch zu werden. Aller Anfang ist schwer.

Schwarz - Kucken sie deshalb jeden Tag rüber zu Anderson?

Zeichner - Das tut doch jetzt überhaupt nichts zur Sache. Recherchieren sie lieber! Die Klientin sollte ihnen ja die wichtigsten Daten gegeben haben, oder?

Schwarz - Nö.

Plopp, explodiert ihr Kaugummi, nachdem sie es zu voller Größe, ungefähr ihres eigenen Kopfes aufgeblasen hat. Diese Frau bringt mich noch zum Wahnsinn. Und kaut auch noch gemütlich weiter. Wenigstens scheint sie tippbereit zu sein.

Zeichner - Die Klientin will die Umstände des Todes ihres Bruders Damir Mokhov untersucht wissen. Sie will wissen warum er sich heute morgen in den Fluss geschmissen hat. Vermutlich haben Passanten das ganze mitbekommen und die Cops werden seine Leiche nach kurzem rausgezogen haben. So, das sollte doch wohl genügend sein, damit sie mal erste Nachforschungen anstellen, während ich rausgehe und mir den Tatort ansehe.

Das stetige Tippern ihrer Tastenanschläge knallt hinunter wie ein Axtblatt auf eine wehrlose Birke. Ich muss mal eine neue Tastatur anschaffen.

Schwarz - Wird gemacht. 

Zeichner - Gut. Rufen sie mich an, wenn sie was wichtiges haben. Und beim nächsten Mal nehmen sie bitte ein paar Grunddaten von den Klienten auf.

Ich ziehe mir den Trenchcoat über. Er sitzt gut, wie eine zweite Haut. Er ist ungefähr so hart wie eine, wenn ich genauer drüber nachdenke, was auch der Grund dafür sein könnte, dass sein Vorbesitzer ihn behalten wollte. Schwarz hält mir ein Victory-Zeichen mit ihrer rechten Hand entgegen und winkt dann. Wendet sich dann wieder dem Monitor zu und das Klicken der Maus beginnt von vorne.

Mit einem tiefen Seufzen öffne ich die Apartment-Tür und stapfe die Treppe hoch zu den Räumlichkeiten meiner Vermieterin. Das Treppenhaus hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Teile des Teppichs sind zerschlissen, hier und da hat man das Gefühl dass die rostroten Spuren Blut sein müssenm was vermutlich auch ganz richtig ist, aber die meisten werden dabei an etwas anderes denken. Auf der unteren Etage fehlt immernoch ein Stück des Geländers, seit Herr Falkner volltrunken durchgebrochen und zu Tode gestürzt ist, während durch ein notdürftig zugeklebtes Fenster Regen und Wind EInlass finden, das am Rand der Treppe inzwischen auf ist. Keine Ahnung warum das Fenster hin ist, seit ich hier mein Büro habe ist das schon so. Und so wie Tenderosa das Gebäude führt wird es die Tage über nicht anders werden.

Stapfend und schnaufend komme ich an. Ganz oben. Alle Stockwerke hoch. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass mit jedem Mal der Weg hinauf schwerer wird. Vielleicht sollte ich wieder anfangen Frühsport zu treiben. Egal. Ein paar mal an die Tür geklopft, schon höre ich die schweren Schritte des Pfundskerl dahinter. Als die Tür aufgeht, starre ich in die Fresse von Klausi.

Zeichner - Sag deiner Oma Bescheid, dass ich wegen der Miete hier bin.

Er starrt mich einen Moment lang an, als ob in seinem Kopf er noch die Gehirnwindungen in Gang gebracht werden müssen, und für einen Augenblick sieht es so aus, als ob man in seinen Augen diesen Vorgang bemerkt, den diese alten Fahrzeuge immer hatten, wo man früher noch kurbeln musste, damit sie anspringen. Nicht, dass irgendjemand bei Klausi kurbeln wollte. 

Klausi - Moment. <Dreht sich um und watschelt tiefer in die Wohnung hinein.>

So lässt er mich einen Moment lang stehen und erlaubt mir einen Blick ins Innere. Der Flur, auf welchen ich sehen kann, endet in einer T-Kreuzung, von der ich weiß, dass er links zum Wohnzimmer und rechts zur Küche geht. Als Klausi links abbiegt, wird mir bewusst, dass die Alte vermutlich wieder vor ihren Soaps hängt. Egal was man macht, wenn die Sendungen laufen, werden alle Verhandlungen bei laufendem Fernseher gemacht. Der Flur selber hat diesen typischen Geruch nach Mottenkugeln. Kein Wunder, die Tapeten sehen aus als wären sie aus den Siebzigern, die vielen Schwarz-Weiß-Fotos an der Wand machen ihr übriges, um den Eindruck einer Rentner-Wohnung zu vervollständigen.

Ich bekomme mit, wie irgendwer sich drinnen unterhält, und das Geräusch des laufenden Fernsehers dringt zu mir.

Fernseher - ...und wenn wir uns nicht lieben können, muss ich gehen! Lorenzo, ich kann ohne dich nicht, mein Herz...

Laute Schritte unterbrechen diesen Hochgenuss der Fernsehgeschichte, der eindeutig zu laut eingestellt ist für eine Person mit ordentlich funktionierenden Ohren, und Klausi kommt in Sichtweite, als er rasant um die Ecke biegt, nur um kurz vor dem Türrahmen zum Treppenhaus abrupt abzubremsen.

Klausi - Sie sollen reinkommen. Oma sagt, wenn sie jetzt kein Geld haben, sind sie geliefert.

Zeichner - Wuff.

Für einen Moment wird Klausi kreidebleich, dreht sich um und wirkt etwas kleiner. Bedeutet mir dann ihm zu folgen, geht den Flur entlang. Dreht sich noch einmal um. In der halben Dunkelheit des Flurs wirkt er etwas konfus.

Klaus - Oma sagt sie sollen damit aufhören. Sie mag es nicht, wenn sie sowas machen.

Ich zucke mit den Schultern und folge ihm hinein, linkerhand den Flur entlang in das zu groß geratene Wohnzimmer. Der Geruch nach Mottenkugeln wird hier drin nur stärker, und wenn ich nicht so ein harter Kerl wäre, ich müsste mir die Nase zuhalten. Ohrensessel, ein Sofa aus der Belle-Epoque und ein Schwarz-Weiß-Fernseher mit Antenne. Ein Teppich voll mit Krümmeln und die häßlichste Perserkatze, die jemals das Angesicht der Welt begnügt hat. Ich nehme auf dem Sofa Platz, welches direkt vor einem altmodischen Holztisch steht, der nicht nur optisch an Presspappe erinnert. Mir gegenüber sitzt im Ohrensessel, deutlich zu klein geraten, der Teufel. Ich meine natürlich Frau Antonia Tenderosa die Zweite. Meine Vermieterin. Schreckschraube ersten Ranges.

Fernseher - ... Giovanni, wenn du also deine Schurkereien einstellst, werde ich dir die Führung der Familie anvertrauen...

Schlohweißes Haar, das die enorm große Sonnenbrille umrahmt, die sie seit unserer ersten Begegnung trägt und angeblich einen Schutz für ihre sensiblen Augen darstellen sollen. Die Falkennase und das harte Kinn, das auch einem Bodybuilder gehören könne sowie ein Körper so gebrechlich wie ein neugeborener Spatz, eingewickelt in eine graue Wollbluse  und unter einer Holzfäller-Decke begraben sitzt sie, den Blick auf den Fernseher, in welchem immernoch das Tagesprogramm abspul. Sie würdigt mich keines Blickes. Mistige Kröte. Ruckartig dreht sich ihr Kopf zu mir. Kann sie etwa doch Gedanken lesen?

Tenderosa -  <Eine Stimme wie ein schartiges Reibeisen> Mein Kleiner hat mir gesagt, sie kämen wegen der Miete. Nun Zeichner, darf ich sie endlich rausschmeißen oder haben sie jetzt doch eine ehrliche Arbeit ergriffen?

*hüstel*...ich räuspere mich leicht. Die Spitze ist unverdient wie unnötig.

Fernseher - ... PENG...Ihr kriegt mich niemals lebend ihr Schweine! Lang lebe die Genovese Familie! PENG PENG...

Zeichner - Ich habe ihr Geld. <Ich ziehe das Bündel aus meiner Jackeninnentasche> Der gesamte Rückstand mitsamt der Miete für diesen Monat.

Sie nickt Klausi zu, der immer noch unverrichteter Dinge mitten im Raum steht und dessen Aufmerksamkeit mehr auf die Seifenoper gerichtet zu sein scheint, denn auf das Gespräch. Dann, mit einem Mal sieht er mich an, und greift das Bündel, das ich immernoch in Richtung Tenderosa halte. Und beginnt zu zählen. Von eins an. Als er bei Neunundfünfzig angekommen ist, platzt der alten der Geduldsfaden.

Tenderosa - Gib endlich her, du vermaledeite Ausgeburt der dreckigen Lenden eines nichtsnutzigen Sohnes!

Klausi zuckt scharf zusammen, und reicht ihr das Bündel. Sie beginnt selber mit geübten Fingern und einer überraschenden Schnelligkeit durchzuzählen. Dann ein Pfeifen.

Fernseher - ... Lorenzo, wenn du in Wirklichkeit Giovanni warst, warum hast du es mir nie gesagt?...

Tenderosa - Ich bin beeindruckt, Zeichner. Ich hätte nicht erwartet, dass sie das Geld noch zusammen bekommen. Vielleicht wird aus ihnen ja doch noch etwas. Ich habe mein Geld. Wollen sie noch etwas, oder muss ich ihnen auch noch Kaffee und Kuchen präsentieren?

Der leicht gereizte Ton in ihrer Stimme macht deutlich, welchen Missfallen ich für sie darstelle, da ich inmitten ihrer Serie gekommen bin. Hah, alte Krähe, so kann ich dir auch mal den Tag versauen. Ich klopfe noch einmal auf meinen Trenchcoat, erhebe mich dann von ihrem Sofa. Selbst wenn sie mir irgendwas kredenzen würde, müsste ich eher annehmen, dass sie es vergiftet hat.

Zeichner - Nein nein, ich bin nur auf dem Sprung und dachte, ich komme eben vorbei und regel das. Ich wünsche ihnen dann noch einen schönen Tag.

Ich kann ihren Blick nicht deuten durch die dicke Sonnenbrille, aber ich weiß, dass sie mich vermutlich anfunkelt wie ein Teufel den Heiligen. Eiligen Schrittes erreiche ich den Flur und schliesslich die Wohnungstür. Als ich den Griff halte und aufmache, kann ich mir ein Lächeln nicht verkneifen.

Fernseher - ... ist es vorbei? Gut. Sein Tod war von vornherein zu erwarten. Hier kann es nicht jeder schaffen...

Zeichner - Hehe. Wuff.

EIn Geräusch hinter mir lässt mir umfahren. Im Halbschatten steht Klausi. Ich habe ihn garnicht mir nachkommen gehört. Durch seine Höhe und die ungünstigen Lichtverhältnisse kann ich sein Gesicht nicht erkennen. Es hat etwas seltsames, aber ich weiß, dass ich das Knacken seiner Fäuste hören kann. Die Anspannung ist zum Zerreißen. Ich springe aus der Tür heraus und reiße hinter mir die Tür zu, eine schellstens die Treppe hinunter und breche mir fast den Hals, als ich am Geländer da ankomme, wo Falkner durchgebrochen ist. und ich mich beinah vergreife. Im letzten Augenblick schaffe ich es noch,  das Restgeländer zu ergreifen, das auch schon bedrohlich knarzt. Welch ein Zeichen, eh, Herr Falkner?

Nach einem Sicherheitsblick nach oben sehe ich Klausi, wie er das Treppenhaus von ganz oben aus nach unten blickt. Ich winke ihm kurz zu und gehe dann sachten Schrittes hinunter, an den Briefkästen vorbei und betrete die Straße. Der Regen hat inzwischen gänzlich aufgehört und die Straßen sind für eine kurze Weile über sauberer als vorher. 

Bevor der menschliche Abschaum sie wieder befleckt. Gegenüber leuchtet das Anderson-Neonzeichen, neuerdings mit dem kaputten A. Jetzt ringt es mir nur noch ein schwaches Grinsen ab. Ich schlage den Kragen meines Trenchcoats hoch und mache mich zum Fluß. Es ist ein langer Weg, die Straße entlang, wenn man kein Auto besitzt. Und trotzdem. Unter meinen Füßen habe ich das Gefühl, die Landschaft erst so richtig zu erfahren, als ich die Straße hinunter wandere.