Ich fühle die Straße unter meinen Füßen. Ihren ruhigen Puls.Mit dem aufklaren des Himmels geht auch die Wiederbelebung einher. Menschen kehren, vereinzelt noch mit kleinen Regenschirmen zurück in die Adern, um Tagesgeschäften nach zu gehen.
Jeder Schritt bringt mich meinem Ziel näher. Rechterhand über die St.Andrews Street, die Kreuzung überquerend auf den Hudson Drive, dann 2 Kilometer die Straße entlang, an Caffees und Bistros vorbei, an Boutiquen und Bekleidungsgeschäften, Restaurants und Pubs, Kneipen und Elektrofachgeschäften. In einiger Entfernung kann ich schon das Rauschen des Wassers vernehmen. Aber es ist nur eine Illusion, hier inmitten der wimmelnde Masse von Mensch und Urbanem.
Wasser spritzt unter jedem meiner Schritte, während ich gehe, und als ich Mickeys Kneipe streife, bleibe ich für einen kurzen Moment stehen. Das Wasserloch wirkt in diesen Minuten selbst von außen einigermaßen respektabel, solange man den Penner davor ignoriert, der sich mit einigen Zeitungen und einem Umzugskarton eine Behausung eingerichtet hat, welche nun ein einziges großes Gematsche darstellt, da es vollkommen durchnässt ist. Der Penner flucht auch nicht gerade freundlich. Klingt nach Seeman.
Glücklicherweise haben meine Füße manchmal ihre eigenen Willen, und ehe ich noch nach der Türklinke greifen kann, bin ich schon am weitergehen. Längst ist die Stadt wieder zum Leben erwacht. Wieso auch nicht, war es doch keiner der Ruinenstürme meiner Kindheit. Das waren noch Zeiten als...
Ich bleibe rechzeitig stehen, um zu bemerken, dass ich genau vor einem Ampelmast stehe. Ein paar Passanten grinsen und schmunzeln, als ich meinen Trenchcoat zurecht rücke und drumherum über die Fahrbahn latsche, während noch Verkehr herrscht. WIldes Gehupe und Reifengequitsche folgt. Hier und da wünscht mir einer der Fahrer Pest, Cholera und Sackratten an den Hals. Das übliche. Als ich die Straße überquert habe, schlägt die Ampel auf Grün und ich setze meinen Marsch unbeirrt fort. Nicht weit von mir beginnt der Stadtpark, der an den Fluss angrenzt. Ich kann bereits das Flussufer erkennen.
Es ist eine dreckige Brühe, die da durch das Flußbett fließt. Je näher ich komme, umso mehr bekommt man den Eindruck, dass hier auch ein Klärwerk nicht mehr helfen kann. Kein Wunder, seit die Stadtverwaltung Antrag 18 durchbekommen hat dürfen die Chemiefabriken ihren ganzen Müll in den Fluß entsorgen. Letzte Woche hatte er eine pink-undurchsichtige Schaumschicht. Wenigstens heute wirkt der Fluß einigermaßen blau, aber ich kann immernoch niemanden empfehlen daraus zu trinken. Ist vermutlich alles umweltschädliches Färbemittel.
Am Flußufer fährt gerade ein Radfahrer entlang, ein Sportkurier, wie ich an seiner Kleidung erkenne. Das Rot-Weiß sieht man öfter durch die Stadt flitzen, die Jungs und Mädels vom One Time Courier Service leisten oft genug bessere Arbeit als die meisten örtlichen Poststellen. Kein Wunder, OTCS-Fahrer handeln ihren Preis selber aus, was auch dringend notwendig ist, wenn man überlegt, das sich in manche dieser Viertel nicht einmal mehr die Polizei ohne Geleitschutz hineintraut.Mit einem Mal überkommt mich das Verlangen, nach dem Revolver zu tasten. Immernoch da. Keine echte Sicherheit, aber auch das Gefühl reicht schon aus.
Unter meinen Füßen knirscht jetzt Kies. Ich betrete den Pfad am Flußufer, der direkt zum eigentlichen Pflasterweg führt, an dem man die Kloake betrachten kann, welche sich Fluß schimpft. In einiger Entfernung sehe es auch. Das Polizeiabsperrband. Der Polizeiwagen.Ein paar Streifenpolizisten und die Herren in den weißen Anzügen, die wohl von der Spurensicherung sind. Ich taste mich langsam heran, etwas so wie ein langsamer, verirrter Passant oder Fußgänger. Viel finden werden sie nach dem Wetter vermutlich nicht mehr, aber hey, immerhin sind sie so fleißig.
Als ich näher komme, bemerke ich, dass auch der Leichnam schon verschwunden ist. Wird schon vor einer ganzen Weile abtransportiert worden sein. Gleichzeitig, wenn die Leiche hier angespült wurde, kann er nicht von hier gesprungen sein. Also vermutlich etwas weiter am Flußbett entlang, vermutlich an der Greenbay. Dem typischen Ort, wo jemand in den Fluß springt. 470 Tote pro Jahr im Schnitt. Eigentlich kein Tag, wo sich nicht jemand dort das Leben nimmt. Als es vor ein paar Jahren ein junges Ehepaar erwischt hat, haben die Medien einen großen Wind drum gemacht, aber mehr als versprochen, sich um das Problem zu kümmern, ist eigentlich auch nicht passiert. Wobei, das ist nicht so ganz richtig, die Stadtverwaltung war so nett ein Schild aufzustellen mit der Bitte, nicht zu den Zeiten zu springen, an denen Kinder anwesend sein könnten. He.
Ich habe inzwischen das Absperrband erreicht und betrachte die Szene. Ungefähr am direkten Ufer zieht sich ein hart-bläulicher Streifen an der Uferbank entlang, bis er schließlich da liegen bleibt, wo jetzt noch ein paar Weißkittel dabei sind, Fotos zu machen und Abdrücke zu nehmen. Ich bemerke den Streifenpolizisten, der auf mich zukommt
Polizist - Sir, bitte gehen sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen.
Zeichner - Äh...was ist denn hier passiert?
Polizist - <Verdutzt> Ein Springer. Schon wieder. Was haben sie denn gedacht?
Zeichner - Ach, wissen sie, wenn man hier die Tage so entlang spaziert, sieht man ja so allerhand. War es jemand bekanntes?
Polizist - <Augenbraue-nach-oben> Nein, nur irgendso ein Niemand. Können sie jetzt weitergehen? Wenn sie noch länger hier herumstehen muss ich sie drängen, und <Die Hand auf dem Schlagstock> das kann unangenehm werden.
Zeichner - Meine Güte, schon so spät! Ich muss dann mal weiter, einen schönen Tag noch, Officer.
Seine Hand geht ans Polizeimütchen zur Verabschiedung, dann stapfen wir auseinander. Ich werde zurück kommen müssen, wenn das Einsatzkommando abgerückt ist. Vielleicht sollte ich mal der örtlichen Wache einen Besuch abstatten. Wobei, ein Obduktionslabor sollte nur das Hauptdezernat in der Innenstadt haben. Vermutlich ist die Leiche direkt überstellt worden.
Mit leicht beschwingtem Tritt gehe ich also Richtung Greenbay, ein kurzer Blick nach Hinten zeigt mir, dass mich der Streifenpolizist noch beobachtet. Als er merkt dass ich ihn ankucke, schaut er weg. Verstört? Nein, er spricht in das Schulterradio. Das erinnert mich daran, dass ich eigentlich die Tage Zugang zum Polizeifunk haben wollte.
Ein Läuferpaar rennt an mir vorbei. Schwung und Schwung und...hallo schöner Damenhintern! Leicht hypnotisch folge ich dem Paar. das an mir vorbeirennt für ein paar Meter, ehe ihre Geschwindigkeit und eine Kurve sie aus meiner Sicht bringt. Ich sollte mit Joggen anfangen, wenn sowas da rumläuft.
Ich schüttele den Kopf. Konzentrieren Zeichner. Der Fall! Also auf zur Greenbay. Schon lange bevor ich da bin kann ich den großen Leuchtturm an ihrem Ende entdecken, welcher die Ecke dieser Seite der Greenbay markiert, mitsamt der Würstchenbude und einer öffentlichen Toilette. Irgendwo auf dem Wasser sieht man inzwischen wieder ein paar Hobbyisten Boote fahren. Meine Schritte führen schnutzstracks zur Würstchenbude. Information und Magenauffüllung sind gleichzeitig erlangbar vorzüglich.
Die Bude ist klein und greimig, ihr Inhaber ein kahlköpfiger Graubart, dessen Spitzbärtigkeit an einen österreichischen Fu Man Chu erinnern könnte. Die Schütze die er trägt, hat auch schon ihre eigene Kruste. Gegen ein paar Scheine bekomme ich eine Spezialität des Hauses. Eine Grillwurst. Welch Vergnügen für den Gaumen. Nicht, dass durch die Röstung noch irgendwas an Eigengeschmack dabei wäre, davon mal abgesehen dass ich mir nichtmal sicher sein kann, dass da Fleisch drin ist.
Hunger ist Hunger, und nachdem ich mir die Finger etwas ungeschickt ablecke und ein paar Servietten schnappe, drücke ich mir näher an den Tresen. Nur ein anderer Kunde, ein kettenrauchender Alter in dicker Bomberjacke und schwarzer Mütze sowie einem sehr traurig aussehenden Terrier stehen noch unter dem Regenschutz der Bude, und der scheint nicht zu Gespräch aufgelegt zu sein. Ich wende mich also dem Verkäufer zu.
Zeichner - Hey.
Fu Man Wurst- Hm? Noch ne Wurst?
Zeichner - Nein. Nein, wirklich nicht.Ich hab gehört hier ist heute morgen wieder einer gesprungen.
Fu Man Wurst - Hier springt eigentlich jeden Tag irgendwer.
Zeichner - Siehst du die alle?
Fu Man Wurst - <Achselzucken> Die meisten. Viele springen, solange es noch hell ist. Schon schräg, Selbstmörder und dann Angst im Dunkeln. <Er lacht kurz auf>
Zeichner - Kannst du mir was zu dem Typen heute morgen erzählen?
Fu Man Wurst - Warum? Bist du´n Bulle? Siehst nicht aus wie einer.
Zeichner - Grmpfl...ich bin ...Journalist. Schreibe den Artikel für die Abendausgabe. Dachte mir, ich frag mal rum.
Fu Man Wurst - Kriegt ihr nicht immer so eine Zusammenfassung von der Polizei? Wo ist dein Pressedingens?
Zeichner - Mein was?
Fu Man Wurst - Na das Dingens. Pressezeuch. Block. Stift, Kamera, Tablet, Ausweis.
Zeichner - Ach...das holen wir eigentlich nur heraus, damit die Leute uns als wichtig empfinden.
Fu Man Wurst - Aha! Hab ich mir es doch gleich gedacht. Ich hatte das schon vermutet, als ich die andere gesehen habe, die vorhin auch gefragt hat.
Zeichner - Welche andere?
Fu Man Wurst - Keine Kollegin, huh? Da war vorhin ne Schnalle von Daily Press hier, hat auch deswegen rumgefragt und mir die ganze Zeit ihre Kamera ins Gesicht gehalten, während sie Fragen gestellt hat.
Zeichner - Ach, sieh an. Kannst du sie noch näher beschreiben?
Fu Man Wurst - Öh. Weiblich?
Zeichner - Wow. An dir ist ja echt ein Schriftsteller verloren gegangen.
Fu Man Wurst - <Schaut etwas perplex drein> Naja, halt so, Regencape, Kamera, Mütze und so. Flach wie ein Brett.
Ich seufze. Neben mir grinst der Alte.
Zeichner - Und zum Springer?
Fu Man Wurst - Achso, ja. Das war ein komischer Kauz. Kommt heute morgen hier an, kauft sich erst ne Schachtel Zigaretten, dann ne doppelte Wurst und als ich mich umdrehe, um ihm die Wurst zuzubereiten, rennt er auf einmal wie ein Irrer davon. Dann flitzen hier zwei so Gorillas durch die Gegend und im nächsten Moment hör ichs knallen und klatschen und da war er auch schon gesprungen.
Zeichner - 2 Gorillas? Männer in Anzügen also?
Fu Man Wurst - Joar. So eben. 2 richtige Schränke halt. Und als er dann gesprungen ist, stehen die da noch herum, gucken kurz, und dann hauen sie wieder ab.
Zeichner - War sonst irgendetwas an ihnen auffällig?
Fu Man Wurst - Abgesehen von ihrer Größe, den schwarzen Sonnenbrillen, dem Knopf im Ohr und der Tatsache ,dass sie aussahen als wären sie aus einem geheimen Regierungsprogramm entkommen? Ne. Sonst nix.
Zeichner - Klugscheißer. Hat ...meine Kollegin dazu noch etwas gesagt?
Fu Man Wurst - He, der Konkurrenz nachschnüffeln. Ich weiss ja nicht. Wurstverkauft geht heute recht schlecht.
Zeichner - Das ist jetzt nicht dein Ernst.
Fu Man Wurst - <Er zuckt mit den Achseln> Hey, man mus tun, was man kann. Welt ist hart und ungerecht.
Zeichner- <genervt>Wieviel?
Fu Man Wurst - Och, sagen wir mal...für die Megabox.
Zeichner - Einen Zwanziger? Boah....bekomm ich dafür wenigstens auch die Box?
Fu Man Wurst - Klar.
Ich reiche der stinkenden Visage das Geld, und er begibt sich nach hinten, wo er anfängt, eine Pappbox mit Wurst und Curry aufzufüllen. Der Geruch der Chemikalien macht es nicht besser. Könnte man vermutlich auch mit Flusswasser tränken, hat wohl den gleichen Effekt. Als er zurückkommt, reiche ich ihm das Geld und nehme meine volle Box mit ungesunden Essen entgegen.
Zeichner - Und, was ist jetzt?
Fu Man Wurst - Jajaa, mal langsam mit den jungen Pferden. Also, die Schnalle hat sich so einiges in den Bart gebrabbelt und gemeint, das er den Schlüssel nicht bei sich hätte, wenn er gesprungen ist.
Zeichner - Schlüssel? Was denn für ein Schlüssel?
Fu Man Wurst - Keine Ahnung. Wobei, ich erinner mich, dass er so ein Halsband getragen hat, so wie meine Tochter hat, für ihr Schmuckkästchen.
Zeichner - Huh. Hey, hast du das der Frau auch erzählt?
Fu Man Wurst - Ne, die hat nur die Nase über meine Würstchen gerümpft. Hatse nicht verdient.
Zeichner - Wenn ich dir noch´nen Zwanni gebe, behältst du das dann für dich?
Fu Man Wurst - Klar!
Ein weiterer Zwanziger wechselt den Besitzer. Teuer, solche Nachforschungen. Und was soll ich jetzt mit der Box anstellen. Auf einmal meldet sich der Alte neben uns zu Wort.
Alte - Sachma, Manni. Die Gorillas, sahen die so aus wie die Typen da vorne?
Ich drehe mich um, für einen Moment bleibt mein Herz stehen oder setzt aus...oder wie auch immer die richtige Formulierung für einen solchen Moment heißt.
Manni alias Fu Man Wurst - Mensch, da sind sie ja wieder. Hätt ich ja nicht gedacht. Na kuck, labern gerade mit dem Streifenpolizisten.
Tatsächlich reden sie mit dem Bullen, der mich vorhin am Absperrband aufgehalten hatte. Er macht ein paar Gesten und zeigt dann in Richtung der Würstchenbude. Als sie sich zu mir umdrehen, fällt mir beinah die Pappbox aus den Händen. Scheisse. War es zu offensichtlich, als ich nach dem Toten gefragt habe? ich schaue mich um.
Zeichner - Sachma, gibt es hier irgendwo einen Ort wo man schnell verschwinden kann?
Manni - Wie? Hier? Du kannst ja springen gehen.
Ich schaue ihn beleidigt an. Klar, er will mich verarschen, für ihn stehts ja nichts auf dem Spiel, aber ich kann es nicht haben, wenn noch am Beginn meines ersten Falles mich bereits die Bundesbeamten kriegen. Ich drück also dem Alten die Pappbox in die Arme und renne Richtung Sprungpunkt. Noch von hinter mir höre ich die Halt-Rufe aus Richtung des Streifenpolzisten und von den MIBs. Als ich den Aussichtspunkt mit dem Schild erreiche, sehe ich unter mir nur den harten Flußfelsen und die Strömung, welche stark am ziehen ist. Schaue nach links, nach rechts. Hier muss doch irgendwo...da fällt es mir auf. Genau unter dem Sprungpunkt kommt ein Kanalisationsrohr raus. Vermutlich ein Sturmrohr für den starken Wasserfluss. Ich drehe mich einmal um, sehe wie die beiden Männer in Schwarz bereits Lauf nehmen und mir hinter her jagen, irgendwas rufe. Zu spät, denke ich mir, und springe.
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