Für den kürzesten möglichen Moment schwebe ich in der Luft, als meine Füße
den Kontakt mit dem Erdboden verlieren, und ich langsam nach unten sinke. Trotz
der Langsamkeit, mit der es vor meinen Augen abläuft ist es nur ein Spiel von
Sekunden, als ich nach dem Rohransatz greife, der unterhalb des Sprungpunktes
angesetzt ist. Es reißt an meinen Händen und ich verliere beinah den Griff. Es
ist glitschig und feucht, greift aggressiv meine Hände an. Dazu der Druck, der
auf meinen Armen lastet, als mein ganzer Körper nach unten zieht durch den
Sprung.
Ich versuche den Schwung auszunutzen und als meine Finger abgleiten müssen,
lande ich nur knapp am Rohrinneren. Verliere beinah die Balance, muss mich am
Gatter festgreifen, damit ich nicht nach hinten stürze. Für einen Moment habe
ich das Schicksal vor Augen, wie mein zerschellter Körper auf den Felsen des Flusses
liegt, bis er irgendwann von der Strömung mitgezogen wird. Ein so unrühmliches
Ende.
Ich greife das Gatter. Unglücklicherweise scheint es nicht fest zu sein, als
es mir gelingt, die Finger einzuhaken, und im nächsten Moment schwing es mit
mir daran raus. Ich hänge am Gatter und befinde mich beinah erneut im freien
Fall, nur mit dem Rest meines rechten Fußes kann ich überhaupt noch den Stand
im Rohrinneren halten. Es wird zu einer Zerreißprobe. Über mir höre ich Gerufe
und Stimmen. Sie kommen näher. Ich trete mit dem linken Fuß aus und
tatsächlich, irgendwas scheint getroffen zu werden. Ich suche mit ihm danach,
bis ich es unter meinem Schuh spüre und trete mich komplett ab.
Der Schwung katapultiert mich am Gatter beinah komplett ins Rohr und mich
direkt in das laufende Wasser, das von dort hinauskommt. Es ist kein schönes
Zeug, das ich in diesem Moment schlucken muss. Ich wälze mich auf, krame eine
kleine Lampe aus der Innentasche des Trenchcoats und schaue mich um. Ich bin
tatsächlich in einem Abflussrohr unterhalb des Sprungpunktes gelandet, das von
hier direkt in den Fluss geht.
Da mir der Geruch eh schon in die Nase steigt, brauch ich mir auch nichts
mehr vorhalten, und beginne hinunter zu stapfen. Irgendwo hinter mir, da
draußen, kann ich ihre Stimmen hören. Ich gehe schneller, weiß nicht, wie lange
sie brauchen, bis sie entdecken, dass ich nicht unten aufgekommen bin. Durch
das Rinnsal zu waten ist unangenehm, und mit einem mal bemerke ich, wie mein
Fuß ausgleitet. Panisch suchen meine Hände nach Hatl, aber an den feuchten
Wänden gibt es keinen. Mit einem unschönen Geräusch lande ich auf dem Boden,
lege mich fast längs hin in die Jauche, die unter mir durchfließt.
Mein Kopf kommt hart auf, für einen Moment bin ich benommen. Schüttle
denselben. Suche langsam meine Sinne zusammen zu bekommen, beuge mich vor und,
die Knie anziehend, komme ich wieder auf die Beine. Der Trenchcoat tropft von
unten bis oben und Teile der Flüssigkeit sind mir in die Kleidung geronnen, irgendetwas
schweres scheint gleichzeitig hinten mit zu hängen, aber in leichter Panik, in
der ich gerade bin, versuche ich diese Tatsache zu ignorieren. Mir fällt auf,
dass die Taschenlampe nicht mehr in meiner Hand ist und ich muss fluchen. Beuge
mich auf den Boden und fange an mit den Fingern in Rinnsal umherzutasten.
Da ergreife ich etwas, ziehe es heraus, und tatsächlich, es ist die
Taschenlampe. Glück gehabt. Das Glas ist leicht zerkratzt, aber ansonsten wenig
passiert. Ein Blick nach hinten, noch immer kann ich am Rande meines
Bewusstseins Stimmen vernehmen. Ich kann nicht unterscheiden, ob es sich um
welche von menschlicher Natur handelt oder ob meine Paranoia mich bereits Dinge
hören lässt, und ich stapfe weiter nach vorne.
Das Abflussrohr geht eine ganze Weile durch das Erdreich. Ich weiß nicht wie
lange ich schon hier unten bin, das einzige was neben mir zu sein scheint sind
die seltsamen Reste die mit der Flüssigkeit mit gespült werden, die jetzt
zwischen meinen Füßen und Drumherum weiterspült. Unter mir schwimmt gerade ein aufgequollener
Rattenkorpus entlang. Werden verdammt groß dieser Tage. Muss am chemischen
Abfall liegen.
Seit einiger Zeit wird es wärmer, man hat fast das Gefühl irgendwo
rumzulaufen wo das Wetter sonst nicht so scheußlich ist. Es ist einigermaßen
warm und feucht. Stetig dunkel. Ich kann nicht nach oben blicken, ohne das
Gefühl zu bekommen, über mir nur Dunkelheit wahrzunehmen, die jeden Moment
einstürzen könnte. Ich darf nicht hoch gucken. Mein Blick wird leicht wirr. Als
würde ich durch ein Dschungelbecken waten. Den Kopf schütteln, einmal
ordentlich auf die Wangen hauen. Durchatmen. Bäh. Aber der Blick wird klarer.
Und ein Kriegsflashback kann ich jetzt nicht gebrauchen.
Langsam wird der Weg breiter und an den Seiten beginnt sich ein Weg zu
öffnen, auf dem man laufen kann, ohne gleich ins Wasser zu müssen. Langsam,
methodisch gehe ich ran und klettere hinauf. Muss ja nicht gleich eine Krise
heraufbeschwören, nur um für mich selbst cool zu wirken. Das Auftauchen der
Seitenwege ist gut. Impliziert Wartungswege. Es geht noch ein paar Meter so
weiter. Dann fällt mir auf, das etwas vor mir eine Tür an der Seite ist.
Endlich ein Ausweg aus dieser Misere. Mit wenigen Schritten dran, zerre ich an
der Klinke. Vergeblich. Das Mistding ist verschlossen. Ein verzweifelter Tritt,
aber es hilft nix. Stabil. Müsste auf Wartungsarbeiten warten. Natürlich ist
das wieder einer dieser Momente, wo ich mich ärgere, niemals gelernt zu haben,
wie man ein Schloss knackt. Aber selbst wenn, vermutlich wäre dann mein
Werkzeug abhanden gekommen, oder etwas ähnlich albernes passiert.
Die Helden der Romane mussten sich nie mit so einem Unsinn
auseinandersetzen. Bleibt mir vorerst nur, dass ich dem Tunnel weiter folgen
muss. Das geht auch noch für ein paar Minuten gut so, bis ich an eine Stelle
komme, wo mein Plan scheitert. Vor mir geht es mehrere Meter in die Tiefe, ein
Auffangbecken oder sowas, rundlich, locker 4m breit inmitten meines Weges. Vor
mir ergießt sich ein Schwall von Flüssigkeit in das Becken, der aus einem
oberhalb angrenzenden Tunnel durchläuft. Müssen knapp 80cm sein, die der andere
Tunnel höher sitzt. An Weiterkommen nicht zu denken, es sei denn ich setze mein
Leben aufs Spiel. Ganz oben dringt schwach Licht herein, stetiges Wechselspiel.
Vorsichtig taste ich mich an den Rohrrand und schaue hinauf. Ein
Kanalisationsgatter. Menschen die oben umher wandeln. Eine leicht belebte
Gegend. Ich muss inzwischen den Rand des Parks erreicht haben. Als ich mich
darauf konzentriere, das Wasser auszublenden, bemerke ich auch Autogeräusche im
Hintergrund. Ganz klar, hier muss es irgendwo auch einen normalen Zugang geben.
Aber da ich die Tür nicht klein kriege bleibt mir nur der Weg zurück, oder der
Sprung ins Verderben.
Problem ist, zurück in der Hoffnung, dass ich etwas übersehen habe oder dass
die MIBs weg sind? Wenn sie auch nur halbwegs kompetent sind, werden sie
entweder bereits jemanden rein geschickt haben, oder an den einfachsten Ausgängen
wie der Wartungstür auf mich warten. Keine Option. Aber vielleicht habe ich
einen Gang übersehen. Ich drehe mich wieder dem Tunnel zu. Ich halte inne.
Irgendwas in der Dunkelheit. Das Geräusch kommt mir bekannt vor. Es klingt wie
die kleinen Modellhubschrauber, die manche in den Parks zum Fliegen schicken.
Scheiße. Drohne. Die Mistkerle sind nicht selber hinein gegangen. Panik.
Adrenalin. Ich schaue mich um. Ich kann mich innerhalb des Beckens kaum an die
Wand krallen, da ich dafür nicht die Kraft besitze. Einziger Ausweg. Ich packe
die Taschenlampe ein, nehme kurz Anlauf, laufe los.
Springe. Zweiter Sprung heute. Meine Gelenke protestieren energisch gegen
die Aktion. Noch als ich mich in die Luft erhebe fällt mir ein, dass ich im
Weitsprung immer eine Niete war und 4m sind auch für einen geübten Springer
nicht zwingend drin. Der Moment in der Luft ist so schnell vorbei wie er
gekommen ist, als ich gegen die Wand auf der anderen Seite des Beckens klatsche
und meine Hände verzweifelt nach Halt greifen. Zu hoch. Bin beim Springen zu
tief runter gekommen. Rutsche an der Wand wie ein Nasser Sack. Falle genau in
das mehrere Meter unter mir gelegene Wasser.
Tauche tief ein, über mir schlagen kleine Schaumbläschen hoch, während ich
verzweifelt nach Luft ringe. Versuche, auf keinen Fall auch nur einen Milliliter
dieser Brühe in den Mund zu bekommen. Keine Chance. Wie ein Wahnsinniger
schlage ich um mich, komme an die Oberfläche, pruste, spucke, huste, leichte
Schwimmbewegungen, halte mich oben. Über mir wird das Rotorengeräusch lauter.
Moment. Diese alten Tunnel haben doch meist auch Unterwasserverbindungen. Es
ekelt sich alles in mir und ich bin mir sicher, dass ich vermutlich bald meinen
Mageninhalt verlieren werde, aber was tut man nicht alles auf der Flucht. Ich
atme die verseuchte Luft tief ein, und stucke mich selbst unter. Alleine die
Anstrengung, die Augen in der Brühe aufzumachen. Es brennt in den Augen.
Vor Ekel öffne ich reflexartig den Mund, und Atemluft entweicht. Komme
tiefer. Wie lange geht dieses Scheissding?! Da! Eine Öffnung. Mehr als
Göttervertrauen geht nicht. Ich nutze meinen Tastsinn um hineinzufinden. Es ist
ein Unterwassertunnel. Mehr von dem Zeug. Schwere Klimmzüge, immer wieder an
der Wand anstoßend. Und anderen, unidentifizierbaren Dingen in der Dunkelheit.
Lieber nicht wissen, was es war. Meine Lunge brennt, der Drang den Mund
aufzumachen. Zu Atmen. Unerträglich. Hinauf. Nur Hinauf.
Ich haue mit dem Kopf gegen Stein. Noch nicht. Verzweiflung steigt in mir auf.
Wenn er so lang ist, wie manch andere seiner Art kann er hunderte Meter gehen,
ehe er eine Öffnung hat. Wenn ich nicht bald einen Ort finde an dem ich Luft
holen kann, verrecke ich hier unten. Verzweifelt hämmer ich gegen den Boden,
aber im Wasser scheint es als wäre es vollkommen sinnlos, kann mich nur weiter
an der Decke entlang navigieren. Der Druck wird größer. Es ist nicht zum
Aushalten. Als ob die Lunge platzen will. Zerrissen wird. Ich kann nicht mehr,
in der Dunkelheit habe ich das Gefühl, dass ich ein Seitenstechen bekomme.
Panik treibt mich vorwärts, Adrenalin hält mich am Leben.
Da. Über mir eröffnet sich ein Durchgang. Ich stoße mich hoch. Weiter und
weiter in der Dunkelheit. Ich möchte nur den Mund aufmachen und schreien. Ein
tödlicher Vorgang, hier in der Tiefe. Ich durchbreche die Wasseroberfläche. Fasse
etwas an der Seite des Tunnels. Es ist kantig und das schabende Gefühl deutet
Rost an. Mit letzter Kraft halte ich fest. Reiße mich dahin rüber. Es ist eine
Leiter. Die Rettung. Mit ein paar Zügen bin ich oben. Knapp 20cm über dem
Wasser vielleicht. Neben mir fließt der stetige Strom in einen kleinen Sog
hinab. Dorther kam ich. Kriege den Kopf nicht klar. Als ich oben ankomme, komme
ich nicht einmal auf die Beine.
Auf Knien, dann auf dem Bauch erbreche ich. Vermutlich alles was ich die
letzten Tage inne hatte. Das gleichzeitige Schnappen nach Luft macht es nicht
besser. Ich tropfe, schniefe, Rotz und Wasser, vermutlich auch der eine oder
andere Blutstropfen entweichen mir. Unschöne Mischung. Als ich mich etwas zur
Seite rolle, in diesem schon fast krampfhaften Anfall, bemerke ich nach nur
wenigen Zentimetern eine Wand. Zusammengekauert liege ich da. Zeit vergeht,
aber mein Gefühl ist vollkommen im Arsch. Können Stunden sein, können auch Minuten
sein.
Ich erhebe mich langsam. Meine Kleidung, noch immer extrem feucht, die
Feuchtigkeit zieht sich nun durch alles was ich an mir habe, klebt an mir wie
eine zweite, etwas hässlichere und ekligere Hautschicht. Ich greife in meine
Innentasche. Taschenlampe ist noch. Batterie hat sich etwas gelockert. Ein paar
Schläge gegen die Seite und sie spendet etwas Licht. Nicht viel, aber gerade
soviel dass meine Paranoia befriedigt wird. Wie gut, dass ich nicht schreckhaft
bin.
Ich befinde mich in einem anderen, offensichtlich im Untergrund gelegenen
Wartungstunnel. Den Ziegel um mich herum nach, bin ich schon seit langem der
einzige, der sich hier herumtreibt. Bauart spätestens Sechziger, vermutlich
eher die frühen Zwanziger Jahre. Aber keine Schmugglertunnel. Zu mindestens
machen sie nicht den Eindruck dafür. Ich komme hoch. Der trockene Weg ist sehr
schmal, aber ich kann ihn begehen. Solange ich nicht wegen Feuchtigkeit oder
ähnlichem ausrutsche. Nach einigen Schritten gibt es eine kleine Treppe und
auch der Wasserstrom kommt hier von weiter oben. Ich bin etwas verwirrt. Sollte
ich tiefer getaucht sein als ich dachte?
Ich gehe die Treppe hinauf und als ich oben ankomme, was einige Minuten in
Anspruch nimmt, eröffnet sich der gesamte Tunnel zu einem großen Raum. Meine
Taschenlampe reicht nicht an seine Ecken, also muss er mindestens an die 50m
breit sein. Diverse Stützsäulen an strategischen Stellen deuten auf die
Konstruktionsweise hin. Einfach. Plump. Funktionell. Der Pfad führt rechterhand
herum. Gehe weiter. Da, an der Seite. Eine Nische eröffnet sich anscheinend
hier. Es hat etwas wirklich gruseliges, aber in der Nische steht ernsthaft ein
kindergroßes hölzernes Bett und ein kleiner Schemel mit einer ausgebrannten
Kerze. Ich kann nicht anders. Fasse den Docht an. Leicht warm. Nicht durch
Umgebungswärme. Jemand war vor kurzem noch hier, hatte Licht an.
Es gibt eine gewisse Sicherheit, zu wissen, dass diese Bereiche nicht
vollkommen Tod sind. Andererseits schlägt mir das Herz gerade bis zum Hals,
denn ich weiß jetzt, dass ich nicht alleine hier unten bin. Und seien wir
ehrlich, ein kleines Kind inmitten einer dunklen Kanalisation. Ich hab ein
mulmiges Gefühl in der Magengegend. Greife mit der anderen Hand zum Revolver.
Typisch, steckt erst mal ein bisschen im Holster fest, und als ich ihn endlich
gezogen bekomme, kommt erst mal etwas Wasser heraus. Selbst zur Einschüchterung
ist der gerade nutzlos.
Ich muss weitergehen, da es keinen offensichtlichen Weg zurück gibt. Komme
an der Seitenwand an. Der Raum muss locker an die 100 Schritt durchmessen, da
ich selbst beim Zählen auf gut 50 kam. In beide Richtungen. Extrem groß also.
Was zum Henker könnte das hier für einen Zweck haben. Ich drehe mich ruckartig
herum. Ein Geräusch in der Dunkelheit? Irgendwo tropft etwas. Ich bin es
definitiv nicht selber.
Im nächsten Moment wandert mein Lichtschein zur Decke. Staub rieselt von
oben herab. Etwas schweres bewegt sich über uns. Ausgehend davon, dass
mystische Kreaturen nicht existieren und die Welt nicht untergeht, wird das
vermutlich eine U-Bahn sein. Die Rettung. Eine U-Bahnstation. Solange ich
irgendwo mal einen Ausweg finde.
Es tropft immer noch, aber ich kann die Quelle nicht ausmachen. Gehe
langsamen Schrittes weiter, habe aber das Gefühl, das das Tropfen in der Entfernung
mit mir mitgeht. Wie seltsam. Endlich habe ich die nächste Wand erreicht und
sehe eine breite Treppe vor mir. Sie ist alt und staubig, aber noch gut in
Schuss. Definitiv ein Weg nach oben. Ich erklimme sie langsam, und kann mich,
dankenswerterweise dem Bauamt der Stadt, an einem Treppengeländer an der Seite
festhalten, was mir zusätzlichen Halt gibt. Am Ende der Treppe angekommen, immer
noch kein Licht. Aber ein deutlich menschlich wirkender Raum. Links und Rechts
stehen an der Wand Schließfächer. Seltsame Anordnung. Wand am Ende, in der
Mitte eine Tür. Ein Schauer jagt mir über den Rücken. Sie ist nicht
durchsehbar, hat aber definitiv ein Glasfenster in der Mitte. Klein, nur gerade
Kopfgroß. Es ist zwar durchschlagen, aber erst jetzt fällt mir auf, dass auf
der anderen Seite anscheinend ein Holzbrett angeschlagen wurde.
Ein Lichtschein dringt durch. Ein so winziges Ding, ein so kleiner
Lichtschein. Es tropft immer noch hinter mir. Ich schüttle mich, nehme die
Taschenlampe zwischen die Zähne, passe den Weg ab. Nehme erneut Anlauf und
renne mit voller Wucht gegen die Tür. Schulter voran, knall ich voll gegen,
meine Schulter schreit auf, es tut tatsächlich mehr weh als ich gedacht hätte.
Ich beiße die Zähne zusammen. Keine Zeit, mir über Schmerzen Gedanken zu
machen. Erneuter Anlauf. Wieder knallt es, aber sie bleibt zu. Oder habe ich
ein Knacken vernommen? Warum ist das Tropfen lauter geworden? Was zum Henker
tropft da die ganze verfluchte Zeit hinter mir? Hab ich ein leckes Rohr
erwischt und zerre es mit?!
Keine Müdigkeit vorschützen. Aller guten Dinge sind Drei. Noch einmal
Position nehmen. Rutsche fast aus, als ich bemerke, dass an meiner
Startposition inzwischen eine kleine Wasserlache ist. Muss wohl vom Trenchcoat
abgeschüttelt sein. Beuge, und los. Mit einem lauten Krachen bretter ich gegen
die Tür und bemerke noch beim dagegen wuchten dass sie nachgibt. Leider
reichhaltiger als ich dachte.
Sie knallt, mit mir darauf, voll aus den Angel. Gebrochene Bretterpfosten
tun ihr übrigens, mir ein Hindernis zu stellen, als ich auf der Tür ins Licht
schlittere. Die Welt dreht sich. Für einen Moment bin ich wie benommen, das
helle Licht um mich herum blendet meine Augen wie Zeus Blitze den Ungläubigen.
Komme auf die Knie, schüttel den Kopf. Altbewährtes Mittel. Als ich ihn dann
zwischen den Händen fixiere, hört die Welt auch langsam auf, sich zu drehen.
Ich schaue mich um. Staune nicht schlecht.
Ich bin in einer alten U-Bahnstation gelandet. Offensichtlich war das eine
wirklich eine Wartungstür. Erklärt zwar noch immer nicht die Schließfächer
dahinter, aber wer bin ich das zu hinterfragen. Auf dem U-Bahnsteig stehend
betrachte ich die Umgebung. Leere Plakatwände und Bereiche für Werbung gähnen
mich an, während über mir das Neonlicht der Kunststoffröhren vor sich hin
summt. Künstliches Licht. Fast so gut wie echtes. Aber auch nur fast. In der
Mitte der Station gibt es linkerhand einen großen Aufgang. Ein Weg nach
draußen? Ich hechte hin, aber schon als ich näherkomme kann ich feststellen,
dass meine Hoffnung vergeblich ist. Große Eisengitter und ein schweres Schloss.
Dunkelheit dahinter. Kein Durchkommen. Schaue mich um. Wundere mich inzwischen
auch. Woher kommt der Strom? Fällt niemanden bei der Stadtverwaltung auf, dass
sie mehr Strom brauchen als sie Stationen haben? Mein Blick fällt auf den
Wartungsgang.
Licht hat offensichtlich durch den nun offenen Türrahmen den Weg in die
dortige Dunkelheit gefunden, und als meine Augen sich einigermaßen an die neuen
Lichtverhältnisse angepasst haben, fällt mir auf, dass jemand oder etwas da
steht. Ein Tier? Nein, eine Person. Sie steht gerade so, dass ich nur
silhouettenhaft erahnen kann, das sie da ist.
Zeichner - Hallo? Ist da wer?
Verharre für Momente gebannt. Als ich einmal blinzel, bin ich mir sicher Schritte
zu hören. Das Tropfen hat inzwischen aufgehört. Bin ich wirklich verfolgt
worden? Schaue die tiefer liegenden Schienen an. Achselzucken. Was soll man
machen. Die Bahngleise gehen in beide Richtungen. Kann also gleisaufwärts der
gleisabwärts gehen. Keine Ahnung, welche von beiden Richtungen jetzt besser
ist. Spontan beginne ich, dem Weg gleisaufwärts zu folgen.
Sporadisch leuchtende Lampen weisen mir einen Weg. Nach einigen Minuten muss
ich stehen bleiben. Typisch. Schwere Holzpfosten und ein vernagelter Verschlag.
Aber Halt. An der Seite ist eine Tür. Die Hand bewegt sich zum Griff. Ich
drehe. Sie ist unverschlossen. Schwerer Seufzer. Erleichterung. Ich mache sie
auf, schreite hindurch. Auf der anderen Seite gibt es eine Weggabelung, und von
hier aus kann man diverse Schilder an der Holzwand erkennen. Gefahr, Danger,
Betreten verboten, Stillgelegt. Die typische Mischung. Und am besten ist noch
der Wartungsaufgang an der Seite weiter vorne. Horche in die Entfernung. Kein
Zug zu hören. Ich sprinte rüber zur Wartungstür und versuche sie zu öffnen. Es
gelingt. Ich husche hinein und eine Treppe nach oben winkt mir. Mit einigen
beherzten Schritten komme ich ins Licht.
Als ich die Tür oben öffne, schmeiße ich irgendwas um. Ein Ladenstand. Ein
kleine Gestalt mit Reishut schaut mich finster an und beginnt mich in
irgendeinem Kauderwelsch anzubrüllen. Als sie gewahr wird, wie ich aussehe,
macht sie ein paar Handbewegungen und rennt davon. Meine Augen passen sich an
die neuen Lichtverhältnisse nur langsam an, überall um mich herum ist Lärm,
Bewegung. Menschen. Ich kann erst langsam einen Eindruck gewinnen. Aber die
Geräusche und Gerüche sind eindeutig. Scharfe Gerüche und das stete Schaben von
Messer? Pfannen die stetig zusammen geschlagen werden und Menschen mit
undeutlichem Akzent? Freundliches Lächeln und der Dolch in der Hinterhand? Ich
bin in Chinatown.
Ich schaue mich um, orientiere mich. Viele verschiedene Stände an den Seiten
der kleinen Straße, alle preisen sie irgendwelche heimatlichen oder andere Waren
an, während sich ein steter Strom an Personen zwischen ihnen hin und her bewegt.
Ich habe offensichtlich einen Gemüsehändler um gerempelt, als ich die
Wartungstür aufgemacht habe. Pech. Ich gucke nach einer Seitenstraße, und mache
mich schnell aus dem Staub, vorbei an ein paar Müllcontainern und über mir
hängenden Wäscheleinen. Als ich ein paar Straßen weiter bin, trotz allem falle
ich in meiner Klamotte auf wie ein bunter Hund, sehe ich eine Wäscherei. Werden
wohl ein paar Kröten fällig.
Ich sitze, in Unterhosen neben einem riesigen Trockner, während ein altes
asiatisches Mütterchen ihre Zählmaschinen an meinen Geldscheinen ausprobiert
und ein paar Damen unbestimmbaren Alters, wie das bei den Asiatinnen leider oft
ist, sich anscheinend über den halbnackten Irren austauschen, der heute in
ihrem Waschsalon breit gemacht hat. Frag mich wen sie meinen. Außer mir ist
sonst nur das Mütterchen da.
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