20140131

Fall 1 - IV

Für den kürzesten möglichen Moment schwebe ich in der Luft, als meine Füße den Kontakt mit dem Erdboden verlieren, und ich langsam nach unten sinke. Trotz der Langsamkeit, mit der es vor meinen Augen abläuft ist es nur ein Spiel von Sekunden, als ich nach dem Rohransatz greife, der unterhalb des Sprungpunktes angesetzt ist. Es reißt an meinen Händen und ich verliere beinah den Griff. Es ist glitschig und feucht, greift aggressiv meine Hände an. Dazu der Druck, der auf meinen Armen lastet, als mein ganzer Körper nach unten zieht durch den Sprung. 

Ich versuche den Schwung auszunutzen und als meine Finger abgleiten müssen, lande ich nur knapp am Rohrinneren. Verliere beinah die Balance, muss mich am Gatter festgreifen, damit ich nicht nach hinten stürze. Für einen Moment habe ich das Schicksal vor Augen, wie mein zerschellter Körper auf den Felsen des Flusses liegt, bis er irgendwann von der Strömung mitgezogen wird. Ein so unrühmliches Ende.

Ich greife das Gatter. Unglücklicherweise scheint es nicht fest zu sein, als es mir gelingt, die Finger einzuhaken, und im nächsten Moment schwing es mit mir daran raus. Ich hänge am Gatter und befinde mich beinah erneut im freien Fall, nur mit dem Rest meines rechten Fußes kann ich überhaupt noch den Stand im Rohrinneren halten. Es wird zu einer Zerreißprobe. Über mir höre ich Gerufe und Stimmen. Sie kommen näher. Ich trete mit dem linken Fuß aus und tatsächlich, irgendwas scheint getroffen zu werden. Ich suche mit ihm danach, bis ich es unter meinem Schuh spüre und trete mich komplett ab. 

Der Schwung katapultiert mich am Gatter beinah komplett ins Rohr und mich direkt in das laufende Wasser, das von dort hinauskommt. Es ist kein schönes Zeug, das ich in diesem Moment schlucken muss. Ich wälze mich auf, krame eine kleine Lampe aus der Innentasche des Trenchcoats und schaue mich um. Ich bin tatsächlich in einem Abflussrohr unterhalb des Sprungpunktes gelandet, das von hier direkt in den Fluss geht.

Da mir der Geruch eh schon in die Nase steigt, brauch ich mir auch nichts mehr vorhalten, und beginne hinunter zu stapfen. Irgendwo hinter mir, da draußen, kann ich ihre Stimmen hören. Ich gehe schneller, weiß nicht, wie lange sie brauchen, bis sie entdecken, dass ich nicht unten aufgekommen bin. Durch das Rinnsal zu waten ist unangenehm, und mit einem mal bemerke ich, wie mein Fuß ausgleitet. Panisch suchen meine Hände nach Hatl, aber an den feuchten Wänden gibt es keinen. Mit einem unschönen Geräusch lande ich auf dem Boden, lege mich fast längs hin in die Jauche, die unter mir durchfließt.

Mein Kopf kommt hart auf, für einen Moment bin ich benommen. Schüttle denselben. Suche langsam meine Sinne zusammen zu bekommen, beuge mich vor und, die Knie anziehend, komme ich wieder auf die Beine. Der Trenchcoat tropft von unten bis oben und Teile der Flüssigkeit sind mir in die Kleidung geronnen, irgendetwas schweres scheint gleichzeitig hinten mit zu hängen, aber in leichter Panik, in der ich gerade bin, versuche ich diese Tatsache zu ignorieren. Mir fällt auf, dass die Taschenlampe nicht mehr in meiner Hand ist und ich muss fluchen. Beuge mich auf den Boden und fange an mit den Fingern in Rinnsal umherzutasten.

Da ergreife ich etwas, ziehe es heraus, und tatsächlich, es ist die Taschenlampe. Glück gehabt. Das Glas ist leicht zerkratzt, aber ansonsten wenig passiert. Ein Blick nach hinten, noch immer kann ich am Rande meines Bewusstseins Stimmen vernehmen. Ich kann nicht unterscheiden, ob es sich um welche von menschlicher Natur handelt oder ob meine Paranoia mich bereits Dinge hören lässt, und ich stapfe weiter nach vorne.

Das Abflussrohr geht eine ganze Weile durch das Erdreich. Ich weiß nicht wie lange ich schon hier unten bin, das einzige was neben mir zu sein scheint sind die seltsamen Reste die mit der Flüssigkeit mit gespült werden, die jetzt zwischen meinen Füßen und Drumherum weiterspült. Unter mir schwimmt gerade ein aufgequollener Rattenkorpus entlang. Werden verdammt groß dieser Tage. Muss am chemischen Abfall liegen.

Seit einiger Zeit wird es wärmer, man hat fast das Gefühl irgendwo rumzulaufen wo das Wetter sonst nicht so scheußlich ist. Es ist einigermaßen warm und feucht. Stetig dunkel. Ich kann nicht nach oben blicken, ohne das Gefühl zu bekommen, über mir nur Dunkelheit wahrzunehmen, die jeden Moment einstürzen könnte. Ich darf nicht hoch gucken. Mein Blick wird leicht wirr. Als würde ich durch ein Dschungelbecken waten. Den Kopf schütteln, einmal ordentlich auf die Wangen hauen. Durchatmen. Bäh. Aber der Blick wird klarer. Und ein Kriegsflashback kann ich jetzt nicht gebrauchen.

Langsam wird der Weg breiter und an den Seiten beginnt sich ein Weg zu öffnen, auf dem man laufen kann, ohne gleich ins Wasser zu müssen. Langsam, methodisch gehe ich ran und klettere hinauf. Muss ja nicht gleich eine Krise heraufbeschwören, nur um für mich selbst cool zu wirken. Das Auftauchen der Seitenwege ist gut. Impliziert Wartungswege. Es geht noch ein paar Meter so weiter. Dann fällt mir auf, das etwas vor mir eine Tür an der Seite ist. Endlich ein Ausweg aus dieser Misere. Mit wenigen Schritten dran, zerre ich an der Klinke. Vergeblich. Das Mistding ist verschlossen. Ein verzweifelter Tritt, aber es hilft nix. Stabil. Müsste auf Wartungsarbeiten warten. Natürlich ist das wieder einer dieser Momente, wo ich mich ärgere, niemals gelernt zu haben, wie man ein Schloss knackt. Aber selbst wenn, vermutlich wäre dann mein Werkzeug abhanden gekommen, oder etwas ähnlich albernes passiert.

Die Helden der Romane mussten sich nie mit so einem Unsinn auseinandersetzen. Bleibt mir vorerst nur, dass ich dem Tunnel weiter folgen muss. Das geht auch noch für ein paar Minuten gut so, bis ich an eine Stelle komme, wo mein Plan scheitert. Vor mir geht es mehrere Meter in die Tiefe, ein Auffangbecken oder sowas, rundlich, locker 4m breit inmitten meines Weges. Vor mir ergießt sich ein Schwall von Flüssigkeit in das Becken, der aus einem oberhalb angrenzenden Tunnel durchläuft. Müssen knapp 80cm sein, die der andere Tunnel höher sitzt. An Weiterkommen nicht zu denken, es sei denn ich setze mein Leben aufs Spiel. Ganz oben dringt schwach Licht herein, stetiges Wechselspiel. Vorsichtig taste ich mich an den Rohrrand und schaue hinauf. Ein Kanalisationsgatter. Menschen die oben umher wandeln. Eine leicht belebte Gegend. Ich muss inzwischen den Rand des Parks erreicht haben. Als ich mich darauf konzentriere, das Wasser auszublenden, bemerke ich auch Autogeräusche im Hintergrund. Ganz klar, hier muss es irgendwo auch einen normalen Zugang geben. Aber da ich die Tür nicht klein kriege bleibt mir nur der Weg zurück, oder der Sprung ins Verderben.

Problem ist, zurück in der Hoffnung, dass ich etwas übersehen habe oder dass die MIBs weg sind? Wenn sie auch nur halbwegs kompetent sind, werden sie entweder bereits jemanden rein geschickt haben, oder an den einfachsten Ausgängen wie der Wartungstür auf mich warten. Keine Option. Aber vielleicht habe ich einen Gang übersehen. Ich drehe mich wieder dem Tunnel zu. Ich halte inne. Irgendwas in der Dunkelheit. Das Geräusch kommt mir bekannt vor. Es klingt wie die kleinen Modellhubschrauber, die manche in den Parks zum Fliegen schicken. Scheiße. Drohne. Die Mistkerle sind nicht selber hinein gegangen. Panik. Adrenalin. Ich schaue mich um. Ich kann mich innerhalb des Beckens kaum an die Wand krallen, da ich dafür nicht die Kraft besitze. Einziger Ausweg. Ich packe die Taschenlampe ein, nehme kurz Anlauf, laufe los.

Springe. Zweiter Sprung heute. Meine Gelenke protestieren energisch gegen die Aktion. Noch als ich mich in die Luft erhebe fällt mir ein, dass ich im Weitsprung immer eine Niete war und 4m sind auch für einen geübten Springer nicht zwingend drin. Der Moment in der Luft ist so schnell vorbei wie er gekommen ist, als ich gegen die Wand auf der anderen Seite des Beckens klatsche und meine Hände verzweifelt nach Halt greifen. Zu hoch. Bin beim Springen zu tief runter gekommen. Rutsche an der Wand wie ein Nasser Sack. Falle genau in das mehrere Meter unter mir gelegene Wasser.

Tauche tief ein, über mir schlagen kleine Schaumbläschen hoch, während ich verzweifelt nach Luft ringe. Versuche, auf keinen Fall auch nur einen Milliliter dieser Brühe in den Mund zu bekommen. Keine Chance. Wie ein Wahnsinniger schlage ich um mich, komme an die Oberfläche, pruste, spucke, huste, leichte Schwimmbewegungen, halte mich oben. Über mir wird das Rotorengeräusch lauter. Moment. Diese alten Tunnel haben doch meist auch Unterwasserverbindungen. Es ekelt sich alles in mir und ich bin mir sicher, dass ich vermutlich bald meinen Mageninhalt verlieren werde, aber was tut man nicht alles auf der Flucht. Ich atme die verseuchte Luft tief ein, und stucke mich selbst unter. Alleine die Anstrengung, die Augen in der Brühe aufzumachen. Es brennt in den Augen.

Vor Ekel öffne ich reflexartig den Mund, und Atemluft entweicht. Komme tiefer. Wie lange geht dieses Scheissding?! Da! Eine Öffnung. Mehr als Göttervertrauen geht nicht. Ich nutze meinen Tastsinn um hineinzufinden. Es ist ein Unterwassertunnel. Mehr von dem Zeug. Schwere Klimmzüge, immer wieder an der Wand anstoßend. Und anderen, unidentifizierbaren Dingen in der Dunkelheit. Lieber nicht wissen, was es war. Meine Lunge brennt, der Drang den Mund aufzumachen. Zu Atmen. Unerträglich. Hinauf. Nur Hinauf.

Ich haue mit dem Kopf gegen Stein. Noch nicht. Verzweiflung steigt in mir auf. Wenn er so lang ist, wie manch andere seiner Art kann er hunderte Meter gehen, ehe er eine Öffnung hat. Wenn ich nicht bald einen Ort finde an dem ich Luft holen kann, verrecke ich hier unten. Verzweifelt hämmer ich gegen den Boden, aber im Wasser scheint es als wäre es vollkommen sinnlos, kann mich nur weiter an der Decke entlang navigieren. Der Druck wird größer. Es ist nicht zum Aushalten. Als ob die Lunge platzen will. Zerrissen wird. Ich kann nicht mehr, in der Dunkelheit habe ich das Gefühl, dass ich ein Seitenstechen bekomme. Panik treibt mich vorwärts, Adrenalin hält mich am Leben.

Da. Über mir eröffnet sich ein Durchgang. Ich stoße mich hoch. Weiter und weiter in der Dunkelheit. Ich möchte nur den Mund aufmachen und schreien. Ein tödlicher Vorgang, hier in der Tiefe. Ich durchbreche die Wasseroberfläche. Fasse etwas an der Seite des Tunnels. Es ist kantig und das schabende Gefühl deutet Rost an. Mit letzter Kraft halte ich fest. Reiße mich dahin rüber. Es ist eine Leiter. Die Rettung. Mit ein paar Zügen bin ich oben. Knapp 20cm über dem Wasser vielleicht. Neben mir fließt der stetige Strom in einen kleinen Sog hinab. Dorther kam ich. Kriege den Kopf nicht klar. Als ich oben ankomme, komme ich nicht einmal auf die Beine. 

Auf Knien, dann auf dem Bauch erbreche ich. Vermutlich alles was ich die letzten Tage inne hatte. Das gleichzeitige Schnappen nach Luft macht es nicht besser. Ich tropfe, schniefe, Rotz und Wasser, vermutlich auch der eine oder andere Blutstropfen entweichen mir. Unschöne Mischung. Als ich mich etwas zur Seite rolle, in diesem schon fast krampfhaften Anfall, bemerke ich nach nur wenigen Zentimetern eine Wand. Zusammengekauert liege ich da. Zeit vergeht, aber mein Gefühl ist vollkommen im Arsch. Können Stunden sein, können auch Minuten sein.

Ich erhebe mich langsam. Meine Kleidung, noch immer extrem feucht, die Feuchtigkeit zieht sich nun durch alles was ich an mir habe, klebt an mir wie eine zweite, etwas hässlichere und ekligere Hautschicht. Ich greife in meine Innentasche. Taschenlampe ist noch. Batterie hat sich etwas gelockert. Ein paar Schläge gegen die Seite und sie spendet etwas Licht. Nicht viel, aber gerade soviel dass meine Paranoia befriedigt wird. Wie gut, dass ich nicht schreckhaft bin.

Ich befinde mich in einem anderen, offensichtlich im Untergrund gelegenen Wartungstunnel. Den Ziegel um mich herum nach, bin ich schon seit langem der einzige, der sich hier herumtreibt. Bauart spätestens Sechziger, vermutlich eher die frühen Zwanziger Jahre. Aber keine Schmugglertunnel. Zu mindestens machen sie nicht den Eindruck dafür. Ich komme hoch. Der trockene Weg ist sehr schmal, aber ich kann ihn begehen. Solange ich nicht wegen Feuchtigkeit oder ähnlichem ausrutsche. Nach einigen Schritten gibt es eine kleine Treppe und auch der Wasserstrom kommt hier von weiter oben. Ich bin etwas verwirrt. Sollte ich tiefer getaucht sein als ich dachte? 

Ich gehe die Treppe hinauf und als ich oben ankomme, was einige Minuten in Anspruch nimmt, eröffnet sich der gesamte Tunnel zu einem großen Raum. Meine Taschenlampe reicht nicht an seine Ecken, also muss er mindestens an die 50m breit sein. Diverse Stützsäulen an strategischen Stellen deuten auf die Konstruktionsweise hin. Einfach. Plump. Funktionell. Der Pfad führt rechterhand herum. Gehe weiter. Da, an der Seite. Eine Nische eröffnet sich anscheinend hier. Es hat etwas wirklich gruseliges, aber in der Nische steht ernsthaft ein kindergroßes hölzernes Bett und ein kleiner Schemel mit einer ausgebrannten Kerze. Ich kann nicht anders. Fasse den Docht an. Leicht warm. Nicht durch Umgebungswärme. Jemand war vor kurzem noch hier, hatte Licht an. 

Es gibt eine gewisse Sicherheit, zu wissen, dass diese Bereiche nicht vollkommen Tod sind. Andererseits schlägt mir das Herz gerade bis zum Hals, denn ich weiß jetzt, dass ich nicht alleine hier unten bin. Und seien wir ehrlich, ein kleines Kind inmitten einer dunklen Kanalisation. Ich hab ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Greife mit der anderen Hand zum Revolver. Typisch, steckt erst mal ein bisschen im Holster fest, und als ich ihn endlich gezogen bekomme, kommt erst mal etwas Wasser heraus. Selbst zur Einschüchterung ist der gerade nutzlos.

Ich muss weitergehen, da es keinen offensichtlichen Weg zurück gibt. Komme an der Seitenwand an. Der Raum muss locker an die 100 Schritt durchmessen, da ich selbst beim Zählen auf gut 50 kam. In beide Richtungen. Extrem groß also. Was zum Henker könnte das hier für einen Zweck haben. Ich drehe mich ruckartig herum. Ein Geräusch in der Dunkelheit? Irgendwo tropft etwas. Ich bin es definitiv nicht selber.

Im nächsten Moment wandert mein Lichtschein zur Decke. Staub rieselt von oben herab. Etwas schweres bewegt sich über uns. Ausgehend davon, dass mystische Kreaturen nicht existieren und die Welt nicht untergeht, wird das vermutlich eine U-Bahn sein. Die Rettung. Eine U-Bahnstation. Solange ich irgendwo mal einen Ausweg finde.

Es tropft immer noch, aber ich kann die Quelle nicht ausmachen. Gehe langsamen Schrittes weiter, habe aber das Gefühl, das das Tropfen in der Entfernung mit mir mitgeht. Wie seltsam. Endlich habe ich die nächste Wand erreicht und sehe eine breite Treppe vor mir. Sie ist alt und staubig, aber noch gut in Schuss. Definitiv ein Weg nach oben. Ich erklimme sie langsam, und kann mich, dankenswerterweise dem Bauamt der Stadt, an einem Treppengeländer an der Seite festhalten, was mir zusätzlichen Halt gibt. Am Ende der Treppe angekommen, immer noch kein Licht. Aber ein deutlich menschlich wirkender Raum. Links und Rechts stehen an der Wand Schließfächer. Seltsame Anordnung. Wand am Ende, in der Mitte eine Tür. Ein Schauer jagt mir über den Rücken. Sie ist nicht durchsehbar, hat aber definitiv ein Glasfenster in der Mitte. Klein, nur gerade Kopfgroß. Es ist zwar durchschlagen, aber erst jetzt fällt mir auf, dass auf der anderen Seite anscheinend ein Holzbrett angeschlagen wurde.

Ein Lichtschein dringt durch. Ein so winziges Ding, ein so kleiner Lichtschein. Es tropft immer noch hinter mir. Ich schüttle mich, nehme die Taschenlampe zwischen die Zähne, passe den Weg ab. Nehme erneut Anlauf und renne mit voller Wucht gegen die Tür. Schulter voran, knall ich voll gegen, meine Schulter schreit auf, es tut tatsächlich mehr weh als ich gedacht hätte. Ich beiße die Zähne zusammen. Keine Zeit, mir über Schmerzen Gedanken zu machen. Erneuter Anlauf. Wieder knallt es, aber sie bleibt zu. Oder habe ich ein Knacken vernommen? Warum ist das Tropfen lauter geworden? Was zum Henker tropft da die ganze verfluchte Zeit hinter mir? Hab ich ein leckes Rohr erwischt und zerre es mit?!

Keine Müdigkeit vorschützen. Aller guten Dinge sind Drei. Noch einmal Position nehmen. Rutsche fast aus, als ich bemerke, dass an meiner Startposition inzwischen eine kleine Wasserlache ist. Muss wohl vom Trenchcoat abgeschüttelt sein. Beuge, und los. Mit einem lauten Krachen bretter ich gegen die Tür und bemerke noch beim dagegen wuchten dass sie nachgibt. Leider reichhaltiger als ich dachte.

Sie knallt, mit mir darauf, voll aus den Angel. Gebrochene Bretterpfosten tun ihr übrigens, mir ein Hindernis zu stellen, als ich auf der Tür ins Licht schlittere. Die Welt dreht sich. Für einen Moment bin ich wie benommen, das helle Licht um mich herum blendet meine Augen wie Zeus Blitze den Ungläubigen. Komme auf die Knie, schüttel den Kopf. Altbewährtes Mittel. Als ich ihn dann zwischen den Händen fixiere, hört die Welt auch langsam auf, sich zu drehen. Ich schaue mich um. Staune nicht schlecht.

Ich bin in einer alten U-Bahnstation gelandet. Offensichtlich war das eine wirklich eine Wartungstür. Erklärt zwar noch immer nicht die Schließfächer dahinter, aber wer bin ich das zu hinterfragen. Auf dem U-Bahnsteig stehend betrachte ich die Umgebung. Leere Plakatwände und Bereiche für Werbung gähnen mich an, während über mir das Neonlicht der Kunststoffröhren vor sich hin summt. Künstliches Licht. Fast so gut wie echtes. Aber auch nur fast. In der Mitte der Station gibt es linkerhand einen großen Aufgang. Ein Weg nach draußen? Ich hechte hin, aber schon als ich näherkomme kann ich feststellen, dass meine Hoffnung vergeblich ist. Große Eisengitter und ein schweres Schloss. Dunkelheit dahinter. Kein Durchkommen. Schaue mich um. Wundere mich inzwischen auch. Woher kommt der Strom? Fällt niemanden bei der Stadtverwaltung auf, dass sie mehr Strom brauchen als sie Stationen haben? Mein Blick fällt auf den Wartungsgang.

Licht hat offensichtlich durch den nun offenen Türrahmen den Weg in die dortige Dunkelheit gefunden, und als meine Augen sich einigermaßen an die neuen Lichtverhältnisse angepasst haben, fällt mir auf, dass jemand oder etwas da steht. Ein Tier? Nein, eine Person. Sie steht gerade so, dass ich nur silhouettenhaft erahnen kann, das sie da ist.

Zeichner - Hallo? Ist da wer?

Verharre für Momente gebannt. Als ich einmal blinzel, bin ich mir sicher Schritte zu hören. Das Tropfen hat inzwischen aufgehört. Bin ich wirklich verfolgt worden? Schaue die tiefer liegenden Schienen an. Achselzucken. Was soll man machen. Die Bahngleise gehen in beide Richtungen. Kann also gleisaufwärts der gleisabwärts gehen. Keine Ahnung, welche von beiden Richtungen jetzt besser ist. Spontan beginne ich, dem Weg gleisaufwärts zu folgen. 

Sporadisch leuchtende Lampen weisen mir einen Weg. Nach einigen Minuten muss ich stehen bleiben. Typisch. Schwere Holzpfosten und ein vernagelter Verschlag. Aber Halt. An der Seite ist eine Tür. Die Hand bewegt sich zum Griff. Ich drehe. Sie ist unverschlossen. Schwerer Seufzer. Erleichterung. Ich mache sie auf, schreite hindurch. Auf der anderen Seite gibt es eine Weggabelung, und von hier aus kann man diverse Schilder an der Holzwand erkennen. Gefahr, Danger, Betreten verboten, Stillgelegt. Die typische Mischung. Und am besten ist noch der Wartungsaufgang an der Seite weiter vorne. Horche in die Entfernung. Kein Zug zu hören. Ich sprinte rüber zur Wartungstür und versuche sie zu öffnen. Es gelingt. Ich husche hinein und eine Treppe nach oben winkt mir. Mit einigen beherzten Schritten komme ich ins Licht. 

Als ich die Tür oben öffne, schmeiße ich irgendwas um. Ein Ladenstand. Ein kleine Gestalt mit Reishut schaut mich finster an und beginnt mich in irgendeinem Kauderwelsch anzubrüllen. Als sie gewahr wird, wie ich aussehe, macht sie ein paar Handbewegungen und rennt davon. Meine Augen passen sich an die neuen Lichtverhältnisse nur langsam an, überall um mich herum ist Lärm, Bewegung. Menschen. Ich kann erst langsam einen Eindruck gewinnen. Aber die Geräusche und Gerüche sind eindeutig. Scharfe Gerüche und das stete Schaben von Messer? Pfannen die stetig zusammen geschlagen werden und Menschen mit undeutlichem Akzent? Freundliches Lächeln und der Dolch in der Hinterhand? Ich bin in Chinatown.

Ich schaue mich um, orientiere mich. Viele verschiedene Stände an den Seiten der kleinen Straße, alle preisen sie irgendwelche heimatlichen oder andere Waren an, während sich ein steter Strom an Personen zwischen ihnen hin und her bewegt. Ich habe offensichtlich einen Gemüsehändler um gerempelt, als ich die Wartungstür aufgemacht habe. Pech. Ich gucke nach einer Seitenstraße, und mache mich schnell aus dem Staub, vorbei an ein paar Müllcontainern und über mir hängenden Wäscheleinen. Als ich ein paar Straßen weiter bin, trotz allem falle ich in meiner Klamotte auf wie ein bunter Hund, sehe ich eine Wäscherei. Werden wohl ein paar Kröten fällig.

Ich sitze, in Unterhosen neben einem riesigen Trockner, während ein altes asiatisches Mütterchen ihre Zählmaschinen an meinen Geldscheinen ausprobiert und ein paar Damen unbestimmbaren Alters, wie das bei den Asiatinnen leider oft ist, sich anscheinend über den halbnackten Irren austauschen, der heute in ihrem Waschsalon breit gemacht hat. Frag mich wen sie meinen. Außer mir ist sonst nur das Mütterchen da.

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