Endlich ist der Trockner fertig. Trenchcoat herausgeholt. Seltsam, hat eine
ganz komische Braun-In-Braun-Färbung angenommen. Aber die Kruste ist komplett
ab. Das Ding hat Außentaschen! Warum ist mir das noch nicht vorher aufgefallen?
Was ist denn da drin? Rein gegriffen. Ein Plüsch-Schweif-Schlüsselanhänger auf
der rechten und ... hmm..irgendwas gummiartig und leicht klebendes.
Ich kann reindrücken, fühlt sich wie Gummi an. Etwas dran zerren und. Ich
halte in meiner Hand ein Konglomerat an Kaugummis. Wie viele in dem seltsamen
Ball sind, kann ich nicht genau bestimmen. Ekel steigt in mir hoch. Hey, da ist
eine Münze am kleben. Schnell abgefriemmelt und den Ball entsorgt. Kein
Mülleimer in der Nähe. Wohin mit dem Mistding also, wenn man schnell einen
Ausweg sucht.
Mir fällt der Fressnapf einer kleinen Tölle auf. Gehört wohl der Frau, die
den Wachsaloon leitet. Schnell deponiert und ich gehe ruhigen Gewissens zur
Tür. Die Münze ist immerhin ganze fünfzig Cent. Hat sich gelohnt. Hinter mir
kommen Erstickungsgeräusche. Kurzer Blick zur Seite. Ihr Hund hat angefangen
den Ball zu fressen. Jetzt stapft Sie auch noch aufgeregt zum Tier, ich sollte
zusehen dass ich Land gewinne. Schnell aus der Tür raus.
Stehe auf der Straße, Kragen hochgeschlagen, ein paar Schritte den Gehweg
hinunter. Ein paar Rikschas donnern an mir vorbei, der Fußgängerstrom ist hier
etwas schwächer, verglichen mit den Hauptgehzonen. Ein bisschen kommt man sich
hier schon vor wie in einem fremden Land. Kein Wunder, heißt ja auch Chinatown.
Erst mal orientieren. Der kleine Ausflug in die Kanalisation hat mein
Mobiltelefon geschrotet. Hier muss doch irgendwo ein Bezahltelefon stehen.
Asiatisches Restaurant links, Spielhölle rechts, daneben ein Internetcafe und
die Wäscherei aus der ich gerade komme. Weiter die Straße hinunter gibt es noch
diverse kleine Obskuritätenhändler, und natürlich der Kräuterladen die Straße
hinauf.
Manche Passanten beobachten mich beim Vorübergehen, schenken mir aber
ansonsten keine weitere Beachtung. Die bekomme ich beim Latschen schon durch
die aus den Läden oder an ihren Türen stehenden Aufpasser und halbstarken,
welche nebenbei mit Butterfly-Messer oder ähnlichem rumspielen. Mist, weiter
runter gibt es nur noch ein Bordell, das den restlichen Straßenzug bis zur Kreuzung
einnimmt. Wobei, so eine Puffmutter muss ja auch einiges wissen. Zum stählernen
Drachen. Schlechter Wortwitz. Probieren wir mal das Internetcafe.
Der Eingang wird blockiert durch 2 Halbstarke in Hocke, die dabei
anscheinend ihre 20zigste Zigarette Quarzen. Der linke trägt eine Elvistolle
und dazu passend eine schwarze Leder-Glitter-Kombo, während sein rechter Mann
bunte Strähnchen in Violett und Blau in das tiefschwarze Haar geflochten hat
und eine Visage hat, durch die vor kurzem ein Messer gegangen sein muss, wenn
ich mir die Narbe über dem Auge ankucke. Wenigstens ist er normal gekleidet mit
einfacher grauer Regenjacke und Jeans, im Gegensatz zu seinem Kollegen.
Ich trete heran, die beiden schauen zu mir hoch. Machen keine Anstrengung,
mir aus dem Weg zu gehen. Rüber steigen ist nicht, dafür sind sie zu hoch, und
ich nicht athletisch genug, in einem Satz aus dem Stand rüber zuspringen. Davon
ab, dass ich davon ausgehen kann das sie mir dann etwas antun werden wollen.
Hier muss diplomatisch gehandelt werden.
Zeichner - Mach Platz.
Ich setze mein bestes Clint Eastwood-Gesicht auf, als ich den beiden Trotteln
die Aussage entgegen schmettere. Sie wirken unbeeindruckt.
Rechti - Ni ta ma de, mosheng ren, zai women zheli shiqule naixin.
Okay, so gut ist mein Mandarin doch nicht.
Zeichner - Was? Wie bitte? Sag das nochmal!
Er schaut mich mit diesem Ausdruck an, den man kennt, wenn jemand sagen will
"Verpiss dich", ohne dass man die notwendige Körpersprache dafür
beherrscht. Sein Kumpel schaltet sich ein.
Lefti - Er meinen, du nicht gehören hier her. Du gehen.
Ich schaue die beiden halbbelustigt, halb-verwundert an. Auf offener Straße
Drohungen. Von halbstarken. Sind die Gangs hier schon so weit gesunken?
Zeichner - Und was wenn nicht?
Lefti - Dann Er sehr böse. Machen Schmerzen.
Zeichner - Pfff. Als ob ich vor euch Angst hätte.
Ich bemerke die Regung des rechten, als er sich blitzartig nach oben erhebt
und mit einer Hand das Messer zückt und Richtung Kopf damit geht. Meine Hand
gleitet in das Mantelinnere. Im nächsten Moment ist die Klingenspitze an meiner
Kehle.
Rechti - Zuihou de jihui!
Ich fühle den Druck des Messers, Schweiß beginnt sich zu sammeln und runter
zulaufen, als ich in aller Ruhe den Hahn des Revolvers spanne. Sein Kumpel
bekommt große Augen, und auch Er muss für einen Moment hinunterschauen um zu
bemerken, wie ich den Revolver Richtung seiner Brust halte. Er schaut mich an.
Ich kann die Abscheu in seinen Augen regelrecht fühlen.
Lefti - Gege. Ta yu qiang!
So stehen wir nun. Messer an meiner Kehle, Revolver an seiner Brust. Er muss
ja nicht wissen, das die Waffe nicht geladen ist. Es ist ein Bluff. Klar. Der
Einsatz ist ja nur mein verficktes Leben.
Er nimmt das Messer runter. Ich lasse die Pistole sinken. Er zeigt mit dem
Finger rein, packt die Klinge wieder ein. Ich holstere meinen Schießprügel.
Kann mir das Grinsen nicht verkneifen. Muss gerade aussehen wie ein
Schneekönig. Wie gut dass es drinnen ein angenehmes Halbdunkel gibt, sonst
könnte er mitbekommen wie bleich ist sein muss.
Das Cafe selber spottet jeder Beschreibung. CRT-Monitore reihen sich
aneinander, während unzählige Kabel zwischen den einzelnen Sitzplätze stehen.
Das einzige Licht kommt von den Monitoren selber, die grell die davor sitzenden
Menschen anstrahlen, während aus irgendeinem Lautsprecher typische Loungemusik
kommt. Ich hasse Girl from Ipanema.
Am hinteren Tresen sitzt ein älterer Herr, das Haar schon fast vollkommen in
der Versenkung verschwunden, die Brille reflektiert irgendein Video auf den
Gläsern. Als ich näherkomme, schaut er nicht mal auf, legt mir mit der rechten
aber einen Flyer hin.
Alter Mann - 5 die halbe Stunde. 8 die volle Stunde. 180 bis
Mitternacht. Karte oder in Cash.
Zeichner - Ich brauch eigentlich nur ein Telefon.
Er schaut aut. Entnervt. Eigentlich sollte ich doch so gucken. Arschloch. Er
guckt mich an, zeigt dann nach mit dem Daumen hinter sich.
Alter Mann - Neben den Toiletten.
Jetzt guckt er wieder auf den Bildschirm. Toller Kundenservice hier. Ich
latsche am Tresen vorbei, durch die Tür auf der in fetten Lettern Rest Rooms
steht. Grelles Neonlicht blinzelt mich an, ein enger Korridor vor mir, knappe
2m breit, mehrere Meter lang. An seinem Ende gibt es anscheinend die Abgrenzung
Männlein/Weiblein. An der rechten Seite ist eine kleine Einbuchtung, wo ein
Telefonhörer rausguckt. Auf dem Fußboden, gegen die Buchtenwand gelehnt, sitzt
ein ziemlich fertig aussehender Junkie. Ich trete über ihn hinweg zum Telefon,
greife den Hörer, schmeiße die Münze ein, die ich vorhin aus dem Trenchcoat
gesammelt habe und wähle meine Büronummer. 555-93424637. Es klingelt. Dann
nimmt wer ab.
Schwarz - Detektei Zeichner, mein Name ist Frau Schwarz, wie kann ich
behilflich sein?
Zeichner - Ich bin´s. Haben sie
Schwarz - Herr Zeichner! Sie leben noch?!
Zeichner - Ähh..ja? Natürlich. Warum sollte ich denn nicht mehr leben?
Schwarz - Sie gucken nicht viel fern, oder? Seit einer halben Stunde sieht
man ihr grob-pixeliges Konterfei in den Spätnachrichten. Als Springer.
Zeichner - Ach das, das war ja nur halb so wild. Ich hatte, sagen wir
mal,. ein paar unfreundliche Gesellen auf den Versen. Das ist aber
jetzt gar nicht so wichtig. Haben sie schon etwas über Mokhov herausgefunden?
Schwarz - Ja nicht so wirklich. In den üblichen Sozialnetzen existiert er
anscheinend nicht oder wenn unter falschem Namen. Aber ich hab seine
Zimmernummer. Es ist die Nr.12.
Zeichner - Immerhin etwas. Haben sie sonst noch etwas?
Schwarz - Nur das über die Kundin selbst, aber das habe ich ihnen doch schon
geschickt. Oder haben sie noch nicht auf ihr Handy geguckt?
Zeichner - Sagen wir mal, es ist mir....verschütt gegangen. Auf Nimmerwiedersehen
gestorben. Nirvana. Fudschikato. By by Baby, quasi.
Schwarz - Haben sie es wieder vor Frust gegen die Wand geschmissen?
Zeichner - Nein! Ich..das tut doch jetzt auch Garnichts zur Sache. Frau
Schwarz, teilen sie mir einfach in kurzen knappen Sätzen mit, was sie
herausgefunden haben.
Schwarz - Sie sind der Boss. Lebenslauf...Krankenakte....ach hier. Sie wohnt in der Madison
Lane und ist die Frau von Mikhail Rassila. Die beiden haben vor kurzem ohne
große Ankündigung geheiratet und laut Vanitystar.com soll ein Kind im Spiel
sein das...
Zeichner - Kurz und knapp, Frau Schwarz!
Schwarz - Hmpf. Jedenfalls stinkt die Alte ebenso wie ihr Macker vor Geld,
aber er hat angeblich Kontakte zur russischen Mafia, genannt die Vory. Und zu
mindestens kann ich online nichts über einen Bruder finden.
Zeichner - Okay, soweit so gut. Die Spur verdichtet sich. Suchen sie weiter.
Dabei fällt mir ein. Wie kamen sie auf die Zimmernummer von Mokhov?
Schwarz - Ich hab den Vermieter angerufen.
Zeichner - Woher haben sie denn die Nummer? Wenn ich mich recht erinnere
habe ich doch vergessen ihnen mitzuteilen, wo Mokhov wohnt.
Schwarz - Ja schon, aber ich hab ja die Visitenkarte hier.
Zeichner - Was? Aber ich hab doch
Ich taste in meinen Taschen. Brieftasche, Jacke, Trenchcoat, Hose. Nix.
Zeichner - Frau Schwarz, haben sie mir etwa die Visitenkarte entwendet?
Schwarz - Wieso denn entwendet? Die ist ihnen beim Gehen aus der Tasche
gefallen.
Zeichner - Wir reden darüber, wenn ich wieder ins Büro
komme. Ich melde mich, sobald ich hier weiter bin. Suchen sie weiter.
Schwarz - Klaro. Duud Duud Duud Duud Duud...
Versteh das einer. Ich lege den Hörer auf, sammle die paar Centstücke ein,
welche als Wechselgeld rauskommen und mache mich nach draußen. Als ich draußen
am Türrahmen ankomme, bemerke ich, dass die Halbstarken weg sind. Vermutlich
besser für sie, will sie ja nicht noch einmal blamieren müssen. Ich greife
reflexartig in meine Innentasche. Keine Zigaretten. Mist.
Die Straße weiter runter sehe ich einen Taxistand und einen
Zigarettenautomaten. Am Automaten schnell eine Schachtel geholt. Angezündet.
Geteert ist die Lunge gleich viel entspannter. Ich gehe zum nächst stehenden
Taxi, steige ein. Der Fahrer, ein junger Schwarzer mit Sonnenbrille und
Spitzbart guckt mich fragen an.
Zeichner - Kipling Street.
Fahrer - Alles klar. Anschnallen.
Er gibt langsam Gas und wir ordnen uns in den Verkehr Richtung Docks ein.
Die Straßen sind gut belebt, erst durch den Verkehr von Chinatown selbst, wo
manches Mal beinah eine Rikscha über den Haufen gefahren wird, und dann durch
die Masse an Menschen die es scheinbar gewohnt ist zu gehen, wo immer sie
wollen. Endlich verlassen wir durch den großen Torbogen das Viertel und ordnen
uns in den gewohnten Verkehr ein.
Macht die Situation nicht viel besser.
Schnell stehen wir in einem Stau mitten auf der mehrspurigen Stadtautobahn.
Irgendwo vor uns ist offensichtlich ein Crash passiert. Ein LKW liegt seitwärts
in der Leitplanke. Im Radio plärrt ein DJ auf Flash FM vor sich hin. Irgendein
Unsinn, dann eine Werbeunterbrechung. Macht es nicht besser.
Irgendwas bewegt sich der Verkehr wieder etwas, und wir fahren endlich
weiter. Ich kann schon von weitem die Kräne sehen, nicht weit davon die
eigentliche Hafeneinfahrt. Lagerhäuser und Mietbarracken, miese Wohnung am
Rande der Existenz und Brücken unter denen die Obdachlosen wohnen. Als wir die
Abfahrt erreichen, sehe ich eine Gruppe von Typen in Trainingsanzügen an der
Seite laufen. Yuppies die den Kick suchen vermutlich.
In Gegenden wie dieser
werden sie eher aufgerissen und abgestochen für ein paar gute Schuhe. An einer
Häuserwand rennt ein Sprayer plötzlich davon, als sich das Taxi nähert. Seltsames
Motiv und der Text ist unsinnig. Elvis has left the Building. Hmm. Vielleicht
ne Metapher. Am Ende der Straße kann ich ein Schiff fahren sehen, ein kleiner
Kutter, gerade am Anlegen. Das Fahrzeug wird langsamer. Wir halten. Er guckt
mich an.
Fahrer - Jo Mann! Das wären dann zweiundzwanzig Mäuse.
Ich zähl ihm fünfundzwanzig ab, reiche ihm das Bündel und steig aus. Noch an
der Tür stehend kann ich ihn rufen hören, während der Motor wieder startet.
Fahrer - Ey, danke Mann. Wenn du mal wieder nen Fahrer brauchst, frag nach
David.
Ich drehe mich um, und kann beobachten wie das Fahrzeug anfährt. Ein Taxi
der TransMotoCorp. Die Nummer auf der Infotafel auf dem Taxi ist einprägsam.
555-TMC. Ich atme tief ein, und mache mich los. Die Straße ist lang und Haus
Nummer 24 sollte hier irgendwo sein. Ich setze nur den ersten Fuß vor den
anderen und habe schon das Gefühl, beobachtet zu werden. Irgendwo in der
Umgebung knallt ein Schuss. Aus einem Fenster kommt Babygeschreie. Am Ende der
Straße läuft ein Penner mit Einkaufskorb und sammelt Müll ein.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen