20140218

Fall 1 - X

Langsame Schritte, vorbei an den Regenpfützen. Als ob ich hier her gehöre. Ruhiger Ton, Atmung kontrolliert. An den ersten großen Säulen der großen Eingangstreppe. Kurz stehenbleiben. An die Säule lehnen. Wenig Verkehr hier gerade. Greife in die Tasche. Drehe die Verschlusskappe auf. An den Mund gezogen und einfach geschluckt. Innehalten. Wirken lassen. Die Nebenwirkungen könnten sonst was sein, aber für den Moment helfen die Schmerzmittel wieder. Wenn das so weitergeht, muss ich die anfangen zu fressen wie andere Dragees oder Bonbons zu sich nehmen.

Aufrappeln. Jacke zurecht rücken. Gerader Schritt. Steige die Treppe hinauf, Schritt für Schritt an den Inschriften die auf jeder Treppenstufe eingraviert sind vorbei. Namen von Polizisten, die im Dienste der Stadt ihr Leben gelassen haben. Namen. Dienstgrade. Jahr. Hat etwas bedrückendes, wenn man sich die Zahl vor Augen führt. Die Zahl der Namen, die auf dieser Treppe stehen.

Oben angekommen. Vor mich eröffnet sich, von den Säulen eingerahmt, die große Eingangshalle. Marmorfußboden, großes Portal, eine goldene Inschrift über dem Eingang. Veritas Superat Semper. Die Wahrheit überlebt immer. Ziemlich warm hier. Muss an der Jahreszeit liegen. Hineingehen. Großer Empfang, dunkles Teak-Holz, ein paar Herren die an Apparaten sitzen, ein älterer Herr vor einem Computer am eintippen. Nebenher klingeln irgendwo ständig die Telefone, Leute sitzen auf Bänken am Rand, während links und rechts Durchgänge mit Metalldetektoren bereitstehen, an denen man sein Gepäck durch ein Röntgenlaufband schicken muss. Klar, dass die Beamten hier alle vollbewaffnet sind. Ein paar Multidirektional-Kameras runden das allgemeine Bild ab. Eine stetige Geräuschkulisse von Personen, Telefonen und Aktivität tut ihr übriges. Bin mir inzwischen sicher, dass die Nervosität mir ins Gesicht geschrieben stehen muss.

Öffne meine Jacke etwas, bleibe mitten im Weg stehen. Krame eine Zigarette heraus, nur um sie dann wieder einzupacken. Hier ist Rauchverbot, wenn ich als angeblicher Bulle hier anfange zu smoken, bin ich gleich raus. Mist. Beobachte die Durchgänge. Ein paar Polizisten gehen gerade durch den rechten, einer von ihnen unterhält sich mit dem Officer der, dort die Stellung hält. Ohren gespitzt. Kriege von der Unterhaltung so ziemlich Garnichts mit, aber sie haben sich mit Namen angesprochen. Jenkins. Ist nur die Frage, ob das der Name einer dritten Person ist, des Cops der durch will oder der Name desjenigen, der dort die Kontrolle macht. Kann es auf einen Versuch ankommen lassen. Risiko steigt an. Wie automatisch fangen meine Beine an zu gehen.

Er kommt näher. Jetzt heißt es Ruhe bewahren. Schaut noch nicht einmal auf. Er muss einen Monitor oder etwas ähnliches haben. Ob er mich schon bemerkt hat? Ziehe hast mit der linken Hand noch einmal die Marke and er Kette hervor und versuche sie etwas zentral zu halten. Mistding wackelt die ganze Zeit über die Brust als wäre ich ein Segelschiff im Sturm. Wenn das der Fall wäre, kann ich nur hoffen, dass ich in diesem Beispiel nicht die Andrea Gail bin.

Nur noch wenige Meter vom Detektor entfernt, stehe am Band, gehe weiter. Schritt für Schritt. Er schaut nicht hoch. Er schaut nicht hoch. Er schaut nicht hoch. Er schaut nicht ...FUCK Er schaut hoch. Ich gucke ihn nicht an. Gehe schnurstracks durch. Hebe dabei die rechte Hand wie zum laschen Gruß, nuschel irgendwas undeutliches das ansatzweise wie "n´abend" klingen könnte. Bin durch, schaut er mir nach? Gehe langsam weiter, irgendwo da vorne ist eine Ecke um die ich biegen kann, wenn ich um die Ecke bin bin ich fein raus, dann kann ich endlich in aller Ruhe weiterlatschen, dann kann er mich nicht mehr kriegen, dann

Polizist - HEY

FUUUUUUUUUUUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK FUCK

FUCK

Drehe mich um. Betont lässig. Langsam. Ruhig. Schwitze wie ein verurteilter Straftäter in einer Sauna. Er schaut mich an, hält einen Stift in der Hand. Er wirkt ganz cool. Ruhig. Wedelt ein paar Mal mit dem Stift.

Zeichner - Huh?

Polizist - Sie haben vergessen sich einzutragen, Detective.

Der Moment zieht sich. Habe das Gefühl, das mein Geist absolut leer ist. Ich schaue ihn etwas entgeistert an. Ich bin nicht aufgeflogen? Er hat mich angehalten weil ich vergessen habe irgendwann um kurz vor Mitternacht eine verschissene Anwesenheitsliste zu unterschreiben? YES! Home free Baby! Ich bin drin! Ich bin driiiiiiinnnn! Yessir Yessiree! Mache innerlich schon Faust in die Luft und Freudentanz, bewahre nach außen aber absolut Contenance. Schaue ihn etwas ...verdutzt an.

Zeichner - Huh? Achso, ´türlich. Moment.

Komme zu ihm rüber, er zeigt mir das kleine Büchlein, in dem für jeden Tag Ein- und Ausgänge stehen. Versuche fieberhaft einen Namen zu finden, der ungefähr nach dem wirkt, was ich sein soll. Links Ausgänge und Uhrzeit, rechts Eingang und Uhrzeit. Da, ein Det.Frederiksen. Ist gegen Mittag raus, noch nicht wieder rein. Schnell halbwegs ähnlich unterschrieben, eben ein Blick auf die große analoge Uhr an der gegenüberliegenden Wand.  Zwölf vor Zwölf. Reiche ihm den Stift wieder.

Zeichner - Reicht so?

Polizist - Jup. Frederiksen. Huh. Wie geht’s der Frau.

Test. Das ist ein Test. Er kennt Frederiksen anscheinend. Ich hab danebengegriffen. Nein, er wird vermutlich meisten Detectives ansatzweise kennen. Oder nur diesen? Oder hat er selber keine Ahnung und fragt aus Höflichkeit? Hat Frederiksen eine Frau? Frederiksen. Was für ein Typ ist Frederiksen? Klingt nach jemanden, der Regeln befolgt und auch sonst primär Disziplin und Strenge bevorzugt. Jemand, der Ehre hochhält und die Marke als oberste Richtlinie akzeptiert. Ein Paragraphenreiter, aber kein Kameradenschwein. Skandinavischer Name oder germanische Herkunft? Einwanderer or X-ste Generation? Oder zufällig als Name angenommen durch Einheirat? Mist, er guckt schon so komisch, er erwartet eine Antwort. Schnell, lass dir was einfallen Zeichner!

Zeichner - Gut. Gut. Danke der Nachfrage. Ich muss dann weiter.

Er blinzelt ein paar Mal. Falsche Antwort?

Polizist - Natürlich Detective. Angenehme Nachtschicht noch.

Zeichner - Ja...danke. Ha. Ha. Werde ich haben.

Ich hebe die Hand wie zum Abschiedsgruß, drehe mich um und gehe dann langsam davon. Hinter mir höre ich, wie er sein Büchlein zuklappt und sich hinsetzt. Meine Schritte werden etwas schneller. Nicht zu schnell. Will nicht den Anschein erwecken, dass ich wegrenne. Um die Ecke in den Korridor hinein. Okay, ich bin drin. Ungefähr auf der Hälfte des Korridors ist eine große Treppe eingelassen, links und rechts scheinen Büros zu sein, in nur wenigen von ihnen ist um diese Uhrzeit überhaupt noch Licht. Offensichtlich handelt es sich um verschiedene Abteilungen. Links Vice, Rechts Organized Crime. Großraumbüros. Meine Füße bewegen sich langsam den Korridor entlang. An der rechten Wand entdecke ich einen Plan. Eine Karte des Gebäudes. Glück gehabt. Schneller Blick rauf. Befinde mich im Erdgeschoß. Will zur Gerichtsmedizinischen Abteilung. Vermutlich im Keller? Kurzer Blick. Bingo. Der Weg führt zwar einmal durch das gesamte Untergeschoß, aber wenn ich an der nächsten Treppe hinunter gehe, sollte ich in ein paar Minuten da sein. Ausgehend davon, dass ich überhaupt Zugang bekomme. Drehe mich um, gehe den Korridor zur Treppe hin, und beginne diese hinunter zu steigen.

Auf der Treppe kommt mir jemand entgegen. Blaumann, Latzhose quasi, ein Mechaniker? Trägt an der Seite einen Werkzeugkoffer, zieht als er mir entgegenkommt die Arbeitsmütze ins Gesicht, ich bemerke im Halbdunkel nur den feinen Spitzbart. Wirkt gepflegt. Stolper durch die wandernde Aufmerksamkeit beinah die Treppe hinunter. Vorsichtig mein Lieber. Komme unten an. Die Temperatur hier unten ist deutlich kühler. Der Korridor ist lang und von verschiedenen Linien gesäumt, welche in unterschiedlichen Farben und Abkürzungen darauf hindeuten, wohin und was für Abteilungen man hier unten finden kann. Der schwarze Strich mit weißer Schrift ist mein Retter. Forensic Pathology. Ausgezeichnet, genau die Abteilung, nach der ich gesucht habe. Langsam folge ich dem Strich und einigen anderen durch die Dunkelheit. Nach einigen Dutzend Metern fällt mir auf, wie der Korridor abbiegt, und ich inmitten desselben auf eine In-Korridor-Sicherheitsstelle schaue.  Offene Sicherheitsglastür. Am Tisch daneben, über denselben gebeugt, an einem Computer, Hände in der Tasche, ein Polizist in Uniform. Trete langsam näher. Schläft der? Die offene Sicherheitstür verwundert mich umso mehr. Sollte es nicht Probleme geben, wenn die so offen bleibt? Der schwarze Strich jedenfalls geht weiter, auch unter der Tür hindurch. Kurzer Blick zu den Kamera, es sind zwar welche da, aber sie schauen mich glücklicherweise nicht direkt an. Heißt natürlich auch, dass der Posten nicht direkt durch sie geschützt ist.

Schnell hindurch geschlüpft, dem Pfad weiter gefolgt. Stehen geblieben. Zum Officer geblickt. Eine Schlüsselkarte hängt an seiner Seite. Ganz leise und langsam an diesen heran geschlichen. In die Hocke und vorsichtig die Karte abmachen. Erfolg! Moment. Warum ist da eine rote Lache unter dem Tisch? Ziehe den Officer auf seinem Drehstuhl nach hinten. Seine gesamte Front ist vom oberen Brustbereich an blutig, zieht sich über das Uniformhemd hinunter und Richtung Beine, Tropfen sind dick auf den Boden zu sehen, wo sie durch und runter getropft sind. 3 Einschusslöcher in der Brust deuten auf beide Lungenflügel und das Herz hin. Auftragsmord. Hätte ich mir denn keinen besseren Moment aussuchen können?! Na klar. Der Handwerker. Klassische Nummer. Ob es ein Mafiamord war? Egal, ich muss weg hier. Aber ich hab noch nicht mal die Leiche von Mokhov gesehen, verflucht! Egal. Schlüsselkarte genommen, schnell den Gang hinunterlaufen, da vorne ist die Tür zu der ich will. Natürlich laufe ich mit voller Wucht gegen. Zu schade, dass sie stärker ist als ich. Das tut verdammt weh. Hätte ich jetzt einen Körper wie Klausi oder die Muckiboys, wär mir das vermutlich nicht passiert. Mist.

Mit der Schlüsselkarte an den daneben angeschlossenen Kartenleser. Einmal die Karte durchgezogen. Jetzt piept das Ding auch noch komisch. Karte einmal gedreht. Piept immer noch. Willst du mich verarschen?! Karte noch einmal gedreht, durchgezogen. Grün! Warum?!

Mit einem sanften Zischen öffnet sich der Verschluss der Tür und kühle Luft strömt mir kurz entgegen. Licht geht im Inneren an. Klar, hier ist die gerichtsmedizinische Abteilung. An der linken Wand sind Reihe um Reihe von diesen lustigen metallenen Röhren in denen die Toten liegen, sowie die mit weißen Fliesen ausgelegten Tische und lustigen Werkzeuge, die von den Pathologen benutzt werden, um die Körper zu öffnen. Bäh. Wobei auf Quincy das nie so schlimm wirkte. Rechterhand scheint es ein paar Bürotische und eine Laboreinrichtung zu geben. Gehe rüber, und positiv, mir fällt auf, dass die Rechner offensichtlich wie an anderen Stellen hier nicht deaktiviert werden. Vermutlich fahren die auch noch Tests um diese Uhrzeit. Monitor aktiviert. Ha! Keine Passworteingabe von Nöten. Mal schauen. Oberflächenmaske für die Eingabe.

M-O-K-H-O-V

Okay. Was haben wir hier. Rohr 17. Nanu. Deuten auf mehrere Projektile in derselben Geschoßgröße hin? Tod, bevor er aufgeprallt ist? Kein Bild. Was zum Henker. Mokhov wurde erschossen? Striemen auf dem Rücken von einer Peitsche. Hmhm. Anzeichen von Raucherlunge und Tennisarm. Sieh an Sieh an. Ist mir vollkommen egal. Oh, das ist interessant. Patient hat vermutlich in den Stunden vor dem Ableben einen Coktail aus diversen Szenemitteln konsumiert in größerer Dosis. Er war quasi vollgekokst bis oben hin und wurde dann erschossen, eh? Als er sich also am Greenpoint hinunter geschmissen hat. Seltsam, das passt nicht so recht mit der Erzählung vom Wurstverkäufer zusammen. Na, dann schauen wir uns den Goldjungen mal an. Wo ist die...Ah. Kühlkammer freigeben und öffnen. Irgendwo höre ich einen Verschluss sich öffnen. Im gegenüberliegenden Raum ist das Licht endlich angegangen. Blendend helles weißes Licht strahlt die Fliesen aggressiv an, während eine Bahre inzwischen am Rausfahren ist. Okay.

Gehe rüber, in dem sicheren Gewissen, dass ich mit dem neugefundenen Wissen vermutlich einiges anfangen kann, wenn ich die Leiche betrachte. Inzwischen ist die Bahre komplett rausgefahren, stelle mich an der Seite auf, atme einmal tief durch, zünde mir eben eine Zigarette an. Nehme einen tiefen Zug. Schaue dann auf die Leiche. Shit.

Das ist nicht Mokhov.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen