Silverhill.
Komme auf einem Parkplatz nicht weit vom Checkpoint stehen.
Sicherheitsbedingungen wie am Eisernen Vorhang. Eine mehrere Meter hohe Mauer
umgibt das gesamte Viertel. Ein Stacheldrahtzaun tut sein übriges. Und hier am
Checkpoint selbst hat man das Gefühl, an einem Grenzübergang zu stehen. Schwere
Tore, festungs-artig gebaute Sicherheitsbuchten, Kameras, Sicherheitsteams mit
Kevlarwesten und Maschinenpistolen. Und am Tage kann man ab und zu eine Patrouille
mit Hunden spazieren gehen. Vielleicht könnte man auch denken, dass sich hier
Fort Knox oder das Pentagon hinter verbirgt, aber eigentlich ist es nur ein
Wohnsitz der Reichen und Dekadenten. Villen, große Anwesen, Palazzos,
Lustschlösser. Solange man das Geld besitzt, um hier zu leben, lebt man wie die
Made im Speck.
Circa 200 Meter weiter beginnt der Checkpoint, durch den ich müsste. Der
natürlich auch um diese Uhrzeit besetzt ist. Und ich steh hier neben dem Auto
und rauche genüsslich eine. Sofern man bei der Marke um die Uhrzeit noch von
genüsslich sprechen kann. Kurzer Blick auf die Fahrzeuguhr. Kurz vor 4h
Morgens. Bald ist Sonnenaufgang.
Kurzer Faktencheck. Ich weiß, dass Mokhov in seiner Wohnung ein Bild von
sich und einer jungen Dame namens Tatianna hatte. Das Bild ist vom letzten
Dezember. Tatianna wiederum tauchte auf einem Bild in einem Interview von
Newsday auf. Ausgehend davon, dass das Bild in Mokhovs Wohnung vom letzten
Dezember ist, müsste das Interview vermutlich in dieselbe Zeit fallen. Welche
Verbindung beide zu Rieé haben, ist natürlich nicht ermittelbar.
Setze mich in den Wagen, starte den Motor. Vom Parkplatz runter, Richtung
Checkpoint. Schon hier darf man nur mit verringerter Geschwindigkeit fahren.
Nähre mich auf vielleicht 100 Meter. Ich kann zusehen, wie sich ein
Scheinwerfer über die Umgebung bewegt. Völlig absurde Sicherheitsumgebung,
Leute. Fahre langsam zum Kontrollpunkt. Vor mir fahren Rollläden hoch. Ich kann
nur wenige Meter hineinfahren, ehe ich erneute anhalten muss. Zu meiner linken
schaue ich auf eine sauber wirkende Wand aus Granit. Weiß, hell. Grell. Zu
meiner Rechten öffnet sich ein weiterer Rollladen, während hinter mir eine
Schranke runterkommt und mir den Rückweg versperrt. Als der Rollladen rechts
oben ist, kann ich auf ein durch Glas abgetrennten Arbeitsbereich sehen.
Diverse Monitore, die den Van in verschiedenen Perspektiven zeigen und mein
Gesicht in glorreichem HD von schräg oben. Kurzer Blick dahin offenbart eine
sehr gut versteckte Kamera. Hinter dem Glas sitzt ein älterer Herr, das Haar
schon als Kranz in Resten auf dem Haupte, im Alter ergraut, er selbst ein etwas
überbeleibter Mann irgendwo im Bereiche Ende Fünfzig und einen Tag vor der
Pensionierung. Senioren-Sicherheitskraft? Er schaut mich ungefähr so an, wie
man es für diese Uhrzeit erwarten würde. Griesgrämig. Vermutlich habe ich ihn
bei irgendetwas Wichtigem gestört.
Ich rücke auf den Beifahrerplatz rüber, kurbel das Fenster runter. Grinse
ihn an. Er wirkt wenig erfreut. Drückt auf einen Knopf vor sich, woraufhin ich
das verzerrte Knistern und Knacken einer Gegensprechanlage vernehmen kann.
Etwas dröhnen kommen von irgendwo um das Glas gesetzt Worte aus Lautsprechern.
Pförtner - Name und Grund ihres Besuchs.
Zeichner - Michael Zeichner. Ich bin geschäftlich hier.
Er hebt eine Augenbraue. Gut, verständlich. Um diese Uhrzeit kommt jemand
mit einem schwarzen Van vorbei. Da würde ich auch nicht unbedingt an eine
freundliche Begegnung denken sondern eher einen wahnsinnigen Axtmörder auf dem
Weg zu seiner täglichen Mörderfahrt, aber ich kann ja für das Fahrzeug auch
nichts.
Pförtner - Zu wem wollen Sie denn?
Zeichner - Culf Rieé.
Er schaut mich schon wieder verwundert an. Seine Finger fliegen über die
Tasten, er schaut nach unten, blickt dann wieder mich an.
Pförtner - Mr.Rieé empfängt um diese Uhrzeit keine unangekündigten
Besucher. Zisch ab, Freundchen.
Zeichner - Ich glaube kaum, dass Mr.Rieé sich
freuen wird, zu erfahren, dass Sie mich hier abgewiesen haben. Noch dazu, wenn
er hört warum ich gekommen bin. Zwischen uns beiden Betschwestern hier, ich
sage mal, ich werde nicht derjenige sein, der danach einen neuen Job braucht.
Die Rädchen in seinem Kopf bewegen sich. Er denkt nach. Überlegt. Wägt ab,
ob ich die Wahrheit erzähle. Ich kann sehen, wie seine linke Hand zum Hörer
greift, diesen aber noch nicht abnimmt. Er scheint noch unsicher. Greift aber
zu. Zieht den Hörer ans Höre, wählt. Dreht sich von mir weg. Drückt dabei einen
Knopf auf seiner Armatur, ich kann das Knacken in den Lautsprechern hören. Es
dauert einen Moment, ehe er sich wieder bewegt. Er scheint offensichtlich
jemanden am Telefon zu haben. Fuchtelt mit einer Hand leicht aufgeregt in der
Luft rum, als ob seine Gegenüber beim Telefonieren ihn sehen könnte. Legt den
Hörer auf die Schulter, aktiviert den Lautsprecher. Guckt mich unverwandt an.
Pförtner - Welche Art von Geschäft haben sie zu besorgen?
Zeichner - Es geht um eine Frau. Tatianna.
Er gibt die Aussage weiter, nachdem er die Lautsprecher abgeschaltet hat.
Kann ihn noch kurz am Telefon hantieren sehen. Dann legt er auf. Atmet tief
durch, dreht sich wieder zu mir. Leichter Schweißfilm auf der Stirn. Frage mich
was ihm gesagt wurde. Überlege, den Motor zu starten und nach hinten
auszubrechen. Wäre zu auffällig. Andererseits, vielleicht wurde er auch gerade
darüber informiert, dass die Polizei mich sucht. Wobei, ich hab nichts im Radio
gehört. Sucht die Polizei mich überhaupt?
Das Knacken des Lautsprechers reißt mich aus meinen Gedanken.
Pförtner - Mr.Rieé wird sie empfangen. Zwei Wachmänner kommen gleich und
holen sie ab. Folgen sie dem Fahrzeug, weichen sie nicht vom Pfad ab, ich bin
verpflichtet ihnen mitzuteilen, dass wir andernfalls die Genehmigung haben, mit
Gewalt gegen sie vorzugehen. Eine schöne Nacht noch.
Mit dem vertraut klingenden Knacken ist der Lautsprecher wieder tot, während
vor mir die Rollläden hochfahren und hinter mir sich senken. Jetzt heißt es
cool bleiben. Da das Ganze auch voll in die Hose gehen kann. Vor mir eröffnet
sich die gesamte Welt des Silverhill. Apartmenthäuser, Condos, Villen, größere
und kleinere Anwesen. Einwohnerzahl: Unter Tausend.
Warten ist angesagt. Also warte ich. Ein unangenehmes Gefühl. Eine private
Sicherheitstruppe. Was die wohl bekommen, so für diese Tätigkeit? Ausgehend
davon, dass sie auch die Drecksarbeit machen müssen, vermutlich stetig zu wenig.
Die Bewaffnung macht mir Sorgen. Zwar habe ich mich in den vergangenen 24
Stunden schon mit Leuten rumschlagen müssen, die vermutlich auch die eine oder
andere Waffen genutzt haben, habe ich noch nie mit Leuten zu tun gehabt, die
auch mal eben so mit MP5s umherlaufen. Oder Körperpanzerung. Mir wird etwas
mulmig. Vielleicht ist das hier auch eigentlich eine Liga zu groß für mich.
Schnell den Gedanken beiseite wischen. Mut, Zeichner. Du bist dem gewachsen.
Was dich nicht umbringt, macht dich härter.
Es dauert eine ganze Weile. Sehe immer noch kein Fahrzeug. Zünde mir erneut
eine Zigarette an. Atme tief durch. Puste den Rauch heraus. Beruhigt die
Nerven. ich wünsche mir manchmal, dass ich wie mein Großvater wäre. Nerven wie
Stahlseile. Teufelskerl. Aber muss man vermutlich auch sein. Immerhin hat der
Mann Korea und Vietnam überlebt.
Noch ein Weilchen länger, dann taucht vor mir in der Dunkelheit ein Fahrzeug
auf. Ein schwarzer Trans-Am? Nein, doch nicht. Ein schwarzer Jaguar. Nobel.
Durch die Innenbeleuchtung kann nich mindestens Zwei Personen erkennen. Der
Wagen wendet vor dem Checkpoint, eine Person steigt aus, kommt dann Richtung
Durchgangstor. Er ist schwarz, in einem dunklen Anzug, weißes Hemd, schwarze
Krawatte, Knopf im Ohr, und ... ernsthaft? Er trägt eine Sonnenbrille. Im
Dunkeln. Um Halb 5 Uhr morgens?! Ein gewisses Unwohlsein macht sich in meiner
Magengegend breit. Erinnert mich in der Aufmachung an die MIBs, welchen ich am
Sprungpunkt weggelaufen bin. Dieser hier jedenfalls scheint deutlich
durchsetzungsfähiger. Er ist an die 2m hoch, muskulös mit breitem Kreuz, keine
Haare auf der glänzenden Kuppel und kommt an die Linke Seite. Ich rücke derweil
zum Fahrersitz rüber. Er klopf an die Scheibe. Ich kurbel runter.
Wachmann - Mister Zeichner?
Zeichner - Ja?
Wachmann - Folgen sie uns bitte.
Ich nicke nur, woraufhin er sich umdreht, zum Wagen zurückgeht, einsteigt
und beginnt loszufahren. Ich mache es ihm nach und folge dem dunklen Fahrzeug.
Wir fahren durch das Viertel. Vielfach Zäune selbst innerhalb der Begrenzungen,
manchmal auch nur hier und da eine Hecke. Größere Parkanlagen, saubere Gehwege.
Keine Menschenseele weit und breit. Man könnte man, die Apokalypse hat
stattgefunden und alle Menschen mitgenommen, so selten wie ich dieser Tage
Leute sehe, die auf den Straßen rumlaufen. Es dauert tatsächlich eine ganze
Weile, bis wir auf den Stockson Drive kommen, aber schon von weitem kann ich
das Gelände erkennen, auf das wir zufahren. Das Gebäude ist ganz im
Kolonial-Stil des Südens gebaut, der Weg dahin ist weit und großflächig, von
außen begrenzt ein schmiedeeiserner Zaun das Areal. Als wir am Tor ankommen,
welches sich vor unseren Fahrzeugen öffnet, fahren wir über einen rustikal
wirkenden mit Kies gelegten Weg Richtung Haupthaus. Zweistöckig. Sehr breit,
schon auf dem Hinweg zähle ich mehr als 40 Fenster. Vor dem Gebäude kommen wir
in einem Rondell zum stehen. Vor mir steigen die beiden aus, an der Vordertür
sehe ich ,wie mehrere von ihnen rauskommen, Licht dringt von drinnen heraus. In
einiger Entfernung wird es bereits heller, die Sonne wird bald aufgehen. Mir
wird schlagartig bewusst, wie müde ich eigentlich bin, muss diesen Gedanken
aber beiseite schieben.
Der große MIB kommt wieder zu meinem Fahrzeug, bedeutet mir auszusteigen.
Wachmann - Wir sind da, Sir. Wenn sie austeigen würden.
Im Moment habe ich da wohl wenig Wahl, eh? Ich steige aus, stecke den
Zündschlüssel ein. Unter Geleit werde ich zur Eingangstür und hinein geführt.
Als sie die doppelflügelige schwere Tür voll öffnen, werde ich vom Lichtschein
im ersten Moment beinah erschlagen. Eine große Eingangshalle, mindestens 10m
hoch, mehre dutzend Meter breit, der Fußboden mit Marmor ausgelegt, im
Hintergrund eine große Treppe welche von 2 Korridoren in den Hinteren Teil
flankiert wird, das ganze in einer Mischung aus hellem Weiß und Weiß-Grau, eine
Beleuchtung von Kronleuchtern an der Decke welche Stadionlichtern alle Ehre
machen würde. Und auf der Treppe ein junger Mann in Begleitung. Meine
Nackenhaare stellen sich auf. Der Junge Mann, ein etwas schmierig wirkender
Anfang-Zwanziger mit Sommersprossen und wild wucherndem rostrotem Haar, dazu
einer viel zu dürren Nase und einem Blick wie man ihn von einem Goldfisch
erwarten würde, in einem abscheulich aussehenden purpurnen Anzug, flankiert von
mehreren seiner Wachleute. Es ist definitiv nicht Rieé.
Junger Mann - Herr Zeichner! So schön! Kommen sie. Kommen Sie. Wir haben
viel zu besprechen.
Ein subtiler Schubser von hinten deutet an, dass ich vorwärts gehen soll,
und der junge Mann wendet sich bereits um und beginnt die Treppe hochzugehen.
Mit geschwindem Schritte eile ich dorthin, um zu verhindern, dass seine
Wachmannschaft gleich mit mir Ping-Pong spielt.
Junger Mann - Wir haben sie bereits erwartet.
Zeichner - Wie das?
Junger Mann - Sie haben sich am Tor angekündigt.
Zeichner - Achso.
Er dreht sich auf der obersten Treppenstufe zu mir um. Ich bleibe mitten in
der Bewegung stehen. Balance halten.
Junger Mann - Mein Onkel ist nicht hier, aber das macht ja nichts. Ist auch besser
für sie. Sie sagten sie kommen wegen Tatianna. Wo ist sie?
Zeichner - Ja. Das ist worüber ich mit ihrem Onkel reden wollte.
Er schaut mich an. Er ist überrascht. Ich kann sehen wie es in ihm hoch
kocht.Wie der Wahn in seinen Augen aufsteigt.
Neffe - Sie werden es mit mir bereden. Oder glauben sie, jeder daher
gelaufene Niemand wird einfach so zu meinem Onkel durchgelassen?! ALSO. WO. IST. TATIANNA?!
Zeichner - Äh...
Neffe - Sie wissen es nicht?
Nun, dann werden sie sicherlich kein Problem damit haben, wenn wir uns zusammen
setzen und wir darüber diskutieren, was sie wissen, nicht wahr?
Er grinst. Diabolisch. Druck an meinen Schultern. Seine Leute packen mich an
den Armen. Setzen mich fest. Mist.
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