20140224

Fall 1 - XII

Silverhill.

Komme auf einem Parkplatz nicht weit vom Checkpoint stehen. Sicherheitsbedingungen wie am Eisernen Vorhang. Eine mehrere Meter hohe Mauer umgibt das gesamte Viertel. Ein Stacheldrahtzaun tut sein übriges. Und hier am Checkpoint selbst hat man das Gefühl, an einem Grenzübergang zu stehen. Schwere Tore, festungs-artig gebaute Sicherheitsbuchten, Kameras, Sicherheitsteams mit Kevlarwesten und Maschinenpistolen. Und am Tage kann man ab und zu eine Patrouille mit Hunden spazieren gehen. Vielleicht könnte man auch denken, dass sich hier Fort Knox oder das Pentagon hinter verbirgt, aber eigentlich ist es nur ein Wohnsitz der Reichen und Dekadenten. Villen, große Anwesen, Palazzos, Lustschlösser. Solange man das Geld besitzt, um hier zu leben, lebt man wie die Made im Speck.

Circa 200 Meter weiter beginnt der Checkpoint, durch den ich müsste. Der natürlich auch um diese Uhrzeit besetzt ist. Und ich steh hier neben dem Auto und rauche genüsslich eine. Sofern man bei der Marke um die Uhrzeit noch von genüsslich sprechen kann. Kurzer Blick auf die Fahrzeuguhr. Kurz vor 4h Morgens. Bald ist Sonnenaufgang.

Kurzer Faktencheck. Ich weiß, dass Mokhov in seiner Wohnung ein Bild von sich und einer jungen Dame namens Tatianna hatte. Das Bild ist vom letzten Dezember. Tatianna wiederum tauchte auf einem Bild in einem Interview von Newsday auf. Ausgehend davon, dass das Bild in Mokhovs Wohnung vom letzten Dezember ist, müsste das Interview vermutlich in dieselbe Zeit fallen. Welche Verbindung beide zu Rieé haben, ist natürlich nicht ermittelbar.

Setze mich in den Wagen, starte den Motor. Vom Parkplatz runter, Richtung Checkpoint. Schon hier darf man nur mit verringerter Geschwindigkeit fahren. Nähre mich auf vielleicht 100 Meter. Ich kann zusehen, wie sich ein Scheinwerfer über die Umgebung bewegt. Völlig absurde Sicherheitsumgebung, Leute. Fahre langsam zum Kontrollpunkt. Vor mir fahren Rollläden hoch. Ich kann nur wenige Meter hineinfahren, ehe ich erneute anhalten muss. Zu meiner linken schaue ich auf eine sauber wirkende Wand aus Granit. Weiß, hell. Grell. Zu meiner Rechten öffnet sich ein weiterer Rollladen, während hinter mir eine Schranke runterkommt und mir den Rückweg versperrt. Als der Rollladen rechts oben ist, kann ich auf ein durch Glas abgetrennten Arbeitsbereich sehen. Diverse Monitore, die den Van in verschiedenen Perspektiven zeigen und mein Gesicht in glorreichem HD von schräg oben. Kurzer Blick dahin offenbart eine sehr gut versteckte Kamera. Hinter dem Glas sitzt ein älterer Herr, das Haar schon als Kranz in Resten auf dem Haupte, im Alter ergraut, er selbst ein etwas überbeleibter Mann irgendwo im Bereiche Ende Fünfzig und einen Tag vor der Pensionierung. Senioren-Sicherheitskraft? Er schaut mich ungefähr so an, wie man es für diese Uhrzeit erwarten würde. Griesgrämig. Vermutlich habe ich ihn bei irgendetwas Wichtigem gestört.

Ich rücke auf den Beifahrerplatz rüber, kurbel das Fenster runter. Grinse ihn an. Er wirkt wenig erfreut. Drückt auf einen Knopf vor sich, woraufhin ich das verzerrte Knistern und Knacken einer Gegensprechanlage vernehmen kann. Etwas dröhnen kommen von irgendwo um das Glas gesetzt Worte aus Lautsprechern.

Pförtner - Name und Grund ihres Besuchs.

Zeichner - Michael Zeichner. Ich bin geschäftlich hier.

Er hebt eine Augenbraue. Gut, verständlich. Um diese Uhrzeit kommt jemand mit einem schwarzen Van vorbei. Da würde ich auch nicht unbedingt an eine freundliche Begegnung denken sondern eher einen wahnsinnigen Axtmörder auf dem Weg zu seiner täglichen Mörderfahrt, aber ich kann ja für das Fahrzeug auch nichts.

Pförtner - Zu wem wollen Sie denn?

Zeichner - Culf Rieé. 

Er schaut mich schon wieder verwundert an. Seine Finger fliegen über die Tasten, er schaut nach unten, blickt dann wieder mich an.

Pförtner -  Mr.Rieé empfängt um diese Uhrzeit keine unangekündigten Besucher. Zisch ab, Freundchen.

Zeichner - Ich glaube kaum, dass Mr.Rieé sich freuen wird, zu erfahren, dass Sie mich hier abgewiesen haben. Noch dazu, wenn er hört warum ich gekommen bin. Zwischen uns beiden Betschwestern hier, ich sage mal, ich werde nicht derjenige sein, der danach einen neuen Job braucht.

Die Rädchen in seinem Kopf bewegen sich. Er denkt nach. Überlegt. Wägt ab, ob ich die Wahrheit erzähle. Ich kann sehen, wie seine linke Hand zum Hörer greift, diesen aber noch nicht abnimmt. Er scheint noch unsicher. Greift aber zu. Zieht den Hörer ans Höre, wählt. Dreht sich von mir weg. Drückt dabei einen Knopf auf seiner Armatur, ich kann das Knacken in den Lautsprechern hören. Es dauert einen Moment, ehe er sich wieder bewegt. Er scheint offensichtlich jemanden am Telefon zu haben. Fuchtelt mit einer Hand leicht aufgeregt in der Luft rum, als ob seine Gegenüber beim Telefonieren ihn sehen könnte. Legt den Hörer auf die Schulter, aktiviert den Lautsprecher. Guckt mich unverwandt an.

Pförtner - Welche Art von Geschäft haben sie zu besorgen?

Zeichner - Es geht um eine Frau. Tatianna.

Er gibt die Aussage weiter, nachdem er die Lautsprecher abgeschaltet hat. Kann ihn noch kurz am Telefon hantieren sehen. Dann legt er auf. Atmet tief durch, dreht sich wieder zu mir. Leichter Schweißfilm auf der Stirn. Frage mich was ihm gesagt wurde. Überlege, den Motor zu starten und nach hinten auszubrechen. Wäre zu auffällig. Andererseits, vielleicht wurde er auch gerade darüber informiert, dass die Polizei mich sucht. Wobei, ich hab nichts im Radio gehört. Sucht die Polizei mich überhaupt?

Das Knacken des Lautsprechers reißt mich aus meinen Gedanken.

Pförtner - Mr.Rieé wird sie empfangen. Zwei Wachmänner kommen gleich und holen sie ab. Folgen sie dem Fahrzeug, weichen sie nicht vom Pfad ab, ich bin verpflichtet ihnen mitzuteilen, dass wir andernfalls die Genehmigung haben, mit Gewalt gegen sie vorzugehen. Eine schöne Nacht noch.

Mit dem vertraut klingenden Knacken ist der Lautsprecher wieder tot, während vor mir die Rollläden hochfahren und hinter mir sich senken. Jetzt heißt es cool bleiben. Da das Ganze auch voll in die Hose gehen kann. Vor mir eröffnet sich die gesamte Welt des Silverhill. Apartmenthäuser, Condos, Villen, größere und kleinere Anwesen. Einwohnerzahl: Unter Tausend.

Warten ist angesagt. Also warte ich. Ein unangenehmes Gefühl. Eine private Sicherheitstruppe. Was die wohl bekommen, so für diese Tätigkeit? Ausgehend davon, dass sie auch die Drecksarbeit machen müssen, vermutlich stetig zu wenig. Die Bewaffnung macht mir Sorgen. Zwar habe ich mich in den vergangenen 24 Stunden schon mit Leuten rumschlagen müssen, die vermutlich auch die eine oder andere Waffen genutzt haben, habe ich noch nie mit Leuten zu tun gehabt, die auch mal eben so mit MP5s umherlaufen. Oder Körperpanzerung. Mir wird etwas mulmig. Vielleicht ist das hier auch eigentlich eine Liga zu groß für mich. Schnell den Gedanken beiseite wischen. Mut, Zeichner. Du bist dem gewachsen. Was dich nicht umbringt, macht dich härter.

Es dauert eine ganze Weile. Sehe immer noch kein Fahrzeug. Zünde mir erneut eine Zigarette an. Atme tief durch. Puste den Rauch heraus. Beruhigt die Nerven. ich wünsche mir manchmal, dass ich wie mein Großvater wäre. Nerven wie Stahlseile. Teufelskerl. Aber muss man vermutlich auch sein. Immerhin hat der Mann Korea und Vietnam überlebt.

Noch ein Weilchen länger, dann taucht vor mir in der Dunkelheit ein Fahrzeug auf. Ein schwarzer Trans-Am? Nein, doch nicht. Ein schwarzer Jaguar. Nobel. Durch die Innenbeleuchtung kann nich mindestens Zwei Personen erkennen. Der Wagen wendet vor dem Checkpoint, eine Person steigt aus, kommt dann Richtung Durchgangstor. Er ist schwarz, in einem dunklen Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte, Knopf im Ohr, und ... ernsthaft? Er trägt eine Sonnenbrille. Im Dunkeln. Um Halb 5 Uhr morgens?! Ein gewisses Unwohlsein macht sich in meiner Magengegend breit. Erinnert mich in der Aufmachung an die MIBs, welchen ich am Sprungpunkt weggelaufen bin. Dieser hier jedenfalls scheint deutlich durchsetzungsfähiger. Er ist an die 2m hoch, muskulös mit breitem Kreuz, keine Haare auf der glänzenden Kuppel und kommt an die Linke Seite. Ich rücke derweil zum Fahrersitz rüber. Er klopf an die Scheibe. Ich kurbel runter.

Wachmann - Mister Zeichner?

Zeichner - Ja?

Wachmann - Folgen sie uns bitte.

Ich nicke nur, woraufhin er sich umdreht, zum Wagen zurückgeht, einsteigt und beginnt loszufahren. Ich mache es ihm nach und folge dem dunklen Fahrzeug. Wir fahren durch das Viertel. Vielfach Zäune selbst innerhalb der Begrenzungen, manchmal auch nur hier und da eine Hecke. Größere Parkanlagen, saubere Gehwege. Keine Menschenseele weit und breit. Man könnte man, die Apokalypse hat stattgefunden und alle Menschen mitgenommen, so selten wie ich dieser Tage Leute sehe, die auf den Straßen rumlaufen. Es dauert tatsächlich eine ganze Weile, bis wir auf den Stockson Drive kommen, aber schon von weitem kann ich das Gelände erkennen, auf das wir zufahren. Das Gebäude ist ganz im Kolonial-Stil des Südens gebaut, der Weg dahin ist weit und großflächig, von außen begrenzt ein schmiedeeiserner Zaun das Areal. Als wir am Tor ankommen, welches sich vor unseren Fahrzeugen öffnet, fahren wir über einen rustikal wirkenden mit Kies gelegten Weg Richtung Haupthaus. Zweistöckig. Sehr breit, schon auf dem Hinweg zähle ich mehr als 40 Fenster. Vor dem Gebäude kommen wir in einem Rondell zum stehen. Vor mir steigen die beiden aus, an der Vordertür sehe ich ,wie mehrere von ihnen rauskommen, Licht dringt von drinnen heraus. In einiger Entfernung wird es bereits heller, die Sonne wird bald aufgehen. Mir wird schlagartig bewusst, wie müde ich eigentlich bin, muss diesen Gedanken aber beiseite schieben.

Der große MIB kommt wieder zu meinem Fahrzeug, bedeutet mir auszusteigen.

Wachmann - Wir sind da, Sir. Wenn sie austeigen würden.

Im Moment habe ich da wohl wenig Wahl, eh? Ich steige aus, stecke den Zündschlüssel ein. Unter Geleit werde ich zur Eingangstür und hinein geführt. Als sie die doppelflügelige schwere Tür voll öffnen, werde ich vom Lichtschein im ersten Moment beinah erschlagen. Eine große Eingangshalle, mindestens 10m hoch, mehre dutzend Meter breit, der Fußboden mit Marmor ausgelegt, im Hintergrund eine große Treppe welche von 2 Korridoren in den Hinteren Teil flankiert wird, das ganze in einer Mischung aus hellem Weiß und Weiß-Grau, eine Beleuchtung von Kronleuchtern an der Decke welche Stadionlichtern alle Ehre machen würde. Und auf der Treppe ein junger Mann in Begleitung. Meine Nackenhaare stellen sich auf. Der Junge Mann, ein etwas schmierig wirkender Anfang-Zwanziger mit Sommersprossen und wild wucherndem rostrotem Haar, dazu einer viel zu dürren Nase und einem Blick wie man ihn von einem Goldfisch erwarten würde, in einem abscheulich aussehenden purpurnen Anzug, flankiert von mehreren seiner Wachleute. Es ist definitiv nicht Rieé.

Junger Mann - Herr Zeichner! So schön! Kommen sie. Kommen Sie. Wir haben viel zu besprechen.

Ein subtiler Schubser von hinten deutet an, dass ich vorwärts gehen soll, und der junge Mann wendet sich bereits um und beginnt die Treppe hochzugehen. Mit geschwindem Schritte eile ich dorthin, um zu verhindern, dass seine Wachmannschaft gleich mit mir Ping-Pong spielt. 

Junger Mann - Wir haben sie bereits erwartet.

Zeichner - Wie das?

Junger  Mann - Sie haben sich am Tor angekündigt.

Zeichner - Achso.

Er dreht sich auf der obersten Treppenstufe zu mir um. Ich bleibe mitten in der Bewegung stehen. Balance halten.

Junger Mann - Mein Onkel ist nicht hier, aber das macht ja nichts. Ist auch besser für sie. Sie sagten sie kommen wegen Tatianna. Wo ist sie?

Zeichner - Ja. Das ist worüber ich mit ihrem Onkel reden wollte.

Er schaut mich an. Er ist überrascht. Ich kann sehen wie es in ihm hoch kocht.Wie der Wahn in seinen Augen aufsteigt.

Neffe - Sie werden es mit mir bereden. Oder glauben sie, jeder daher gelaufene Niemand wird einfach so zu meinem Onkel durchgelassen?! ALSO. WO. IST. TATIANNA?!

Zeichner - Äh...

Neffe - Sie wissen es nicht? Nun, dann werden sie sicherlich kein Problem damit haben, wenn wir uns zusammen setzen und wir darüber diskutieren, was sie wissen, nicht wahr?

Er grinst. Diabolisch. Druck an meinen Schultern. Seine Leute packen mich an den Armen. Setzen mich fest. Mist.

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