20140227

Fall 1 - XIII

Ein Anzugträger zu meiner rechten, einer zu meiner Linken. Gemeinsam hieven sie mich gegen meinen Willen die große Treppe hoch. Während ich hinter mir das manische Gelächter des jungen Mannes hören kann, der sich als Neffe von Rieé vorgestellt hat.  Als wir im oberen Stockwerk ankommen, dreht sich die gesamte Truppe zu meiner Linken, mich eingeschlossen zwischen den zwei Anzugaffen und drängt sich mit mir in einen schmalen Korridor. Auch im Obergeschoß strotzt das Gebäude nur vor Luxus. Ausgelegter Flur, die Wände, die Verzierungen der Türrahmen. Fuck, selbst die Türen wirken hier edel mit ihren geschwungenen goldenen Griffen.

Nach ein paar Dutzend Meter den ewig langen Korridor entlang biegen wir nach rechts ab und kommen vor einer doppelflügeligen weißen Tür zum stehen. Von der Seite drängelt sich ein weiterer Sicherheitsmann durch, der die Tür vor uns aufschließt. Mit einem weiteren Ruck drängen mich die anderen hinein, werfen mich zu Boden. Ich komme unsanft auf, ringe für einen Moment nach Luft. Schaue mich um. Ein luxuriös ausgestatteter Raum. Erinnert an ein Wohnzimmer. Eine Großvater-Uhr zur linken, vor mir eine große Fensterwand mit schweren Vorhängen, im ganzen Raum verteilen sich ein paar Liegesofas und Sessel, während die Lücken mit Kommoden aufgefüllt sind. Die Tür hinter mir scheint der einzige andere Weg hinaus zu sein, von den Fenstern einmal abgesehen, und ersteres wird durch die Männer blockiert, während letzteres aufgrund der Lage im Obergeschoss für mich sehr negativ ausgehen kann.
Die zwei, welche mich eben noch mit sich trugen, nehmen Posten neben der Tür, während der junge Mann hinter ihnen in den Raum tritt und sein dritter Mann die Türen schließt. Er grinst noch immer, mit diesem bizarren Grinsen, das nur jemand haben kann, der chemisch behandelte stetig weiße Zähne hat.

Junger Mann – Nun, Herr Zeichner. Warum fangen sie nicht damit an, mir zu erzählen was sie über Tatianna wissen?

Ich räuspere mich kurz. Bin etwas stutzig über seine schlecht gespielte Art, aus mir irgendetwas zu entlocken. Aber es könnte mir die Chance bieten, etwas aus ihm heraus zu kriegen, was ich sonst nicht erfahren kann.

Zeichner – Nicht viel.

Junger Mann – Sie brauchen sich nicht so wortkarg zu geben, Herr Zeichner. Ich habe Zeit. Nun, nicht unendlich natürlich, ich habe auch noch andere Dinge zu erledigen, aber man weiß ja nie. Also. Warum kommen sie wegen Tatianna hier her.

Zeichner – Weil ich sie auf einem Foto gesehen hatte.

Junger Mann – Tz Tz Tz, Herr Zeichner. 

Er wackelt mir mit dem Zeigefinger vor dem Gesicht herum. Entnervend, eine solche Geste. Ich habe das Gefühl, diesem Typen sollte mal irgendwer eine kleben.

Junger Mann – Hat ihnen niemand beigebracht vollständige Antworten zu geben? Oder glauben sie etwa, dass ich ihr krudes Spiel nicht längst durchschaut hätte. Aber ganz wie sie wollen. Was für ein Foto?

Zeichner – Ein Polaroid auf dem sie neben Damir Mokhov zu sehen ist.

Für einen kurzen Moment weiten sich seine Augen etwas, seine Atem geht schneller, er fängt sich jedoch rasch.

Junger Mann – Mokhov? Und was haben Sie mit Herrn Mokhov zu schaffen?

Zeichner – Ein Klient bat mich darum, die Umstände seines Todes herauszufinden.

Er bricht in schallendes Gelächter aus, kann nicht an sich halten, hält sich den Bauch, geht vor Lachen in die Knie. Als sein spontaner Anfall zu Ende ist, schaut er mich unverwandt an, wischt sich ein paar Tränen aus den Augen.

Junger Mann – Herr Zeichner! Ein Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort!

Seine Hände flitzen in seine Hosentasche, und er holt ein kleines schwarzes Plastikartiges Objekt aus der Tasche. Ein Mobiltelefon? Anscheinend. Er wischt ein paarmal mit den Fingern drauf rum, grinst breit.

Junger Mann – Sehen Sie, Herr Zeichner. Sehen Sie?

Er hält mir das Telefon vors Gesicht. Jetzt bin ich an der Reihe, überrascht zu kucken. Durch das Polaroid und die anderen Bilder in der Kipling Street hatte ich eine ungefähre Ahnung davon bekommen, wie Mokhov aussah. Und genau auf diesen blickte ich jetzt. Nur mit dem Unterschied, dass dieses Bild von Mokhov, das sich selbst ständig aktualisierte, einen jungen Mann zeigte, der an einem Stuhl angekettet, mit blutigen Striemen über Gesicht und Körper aussah, als ob er gefoltert worden wäre. Der junge Mann lässt das Telefon fallen, ich fange es nur knapp über dem Fußboden.

Junger Mann – Gute Reaktion, Zeichner. Wie Sie sehen, befindet sich Mokhov in unserer Hand. Und wo ich gerade so in Fahrt bin… wer hat sie beauftragt, Mokhov nachzuspüren?

Ein letzter Blick auf den gefolterten Mokhov auf dem Display. Vermutlich eine Webcam, die irgendwo angebracht ist. Aber wo? Hier im Haus? Oder woanders? Boyo hier wirkt wie ein Psychopath genug, dass Er solche Drecksarbeit vermutlich selber machen würde. Also könnte er sein Opfer nicht weit von sich halten für eine längere Zeit. Das wiederum würde heißen, dass Mokhov sich irgendwo im Haus befindet. Fragt sich nur wie ich dann an ihn rankommen sollen. 

Junger Mann – Herr Zeichner? Worauf warten SIE?

Zeichner – Das habe ich…äh…vergessen. Ja. Genau. Es ist mir entfallen.

Junger Mann - Dann seien Sie versichert, dass ich ihnen helfen werde, diese Gedächtnislücke zu beseitigen. Immerhin, Herr Zeichner, geht es hier um eine sehr wichtige Angelegenheit. Aber, das hat Zeit. 

Zeichner – Ich glaube kaum, dass sie mir etwas antun können, dass mich dazu bringen würde, meinen Klienten zu verraten.

Junger Mann - Eine Herausforderung! Herr Zeichner. Sie sind ein Schlingel. Ich nehme ihre Herausforderung an.

Zeichner – Was?

Junger Mann – Lassen sie mich das ganze etwas vorbereiten, sie werden dann schon mitbekommen, was ich meine. Hehehe. Für den Moment, werden Angus und Hank hier auf sie aufpassen, damit sie keine Dummheiten anstellen. Cheerio, Herr Zeichner. Kekekekeke.

Sprach er, dreht sich um und latscht aus dem Raum heraus, von seiner Nummer Drei verfolgt, während die als Angus und Hank bezeichneten Anzugschränke die Tür hinter ihm schließen, sich vor dieser postieren und mich bedrohlich anschauen. Ich krame nochmal das Mobiltelefon heraus. Definitiv eine aktualisierende Webcam-Ansicht. Das Flimmer im Bild gepaart mit einer miesen Auflösung verraten mir, das hier jemand am falschen Ende gespart hat. 

Ich gehe den Raum ein bisschen ab. Knapp zehn Meter breit, sieben Meter tief, zweieinhalb Meter bis zur Decke. Keine offensichtlichen weiteren Ausgänge. Stelle mich ans Fenster, blicke hinaus. Der Garten. Von einsamen Lampen beleuchtet, kann ich eine große Grünfläche vor mir sehen, mit Abschnitten, die an ein kleinen asiatischen Garten, aber auch ein Heckenlabyrinth erinnern. In einiger Entfernung kann ich einen größeren offenen Pavillon ausmachen, nahe dem Heckenlabyrinth ein paar steinerne Bänke. Vermutlich der Ort, den ich auf dem Foto mit dem Interview gesehen habe. Das wiederum bedeutet, dass man von der Eingangshalle aus in einen an einen Wintergarten erinnernden Bereich kommen könnte, der auf eine Terrasse führt. Sieh an. Etwas unter mir befindet sich eine sehr dicht wirkende Hecke. Mir kommt eine verwegene Idee. Ein letzter Blick auf das Display des Mobiltelefons. Innehalten. Ich kann in Großaufnahme das Gesicht des Irren Neffen sehen. Er zwinkert in die Kamera, als ob er wüsste, dass ich in genau diesem Moment hinschaue. Problem ist natürlich, vielleicht weiß er das in der Tat? Beidseitige Kamera sei Dank.

Er entfernt sich etwas von der Kamera, geht kurz aus dem Bild, und kommt dann mit einem an einen Vorschlaghammer erinnerndes Objekt wieder. Moment. Es ist ein Vorschlaghammer. Er grinst zur Kamera. Ich kann Mokhov sich strecken sehen. Sein Kopf bewegt sich verzweifelt von links nach rechts, in der Hoffnung, klarzumachen, welche negative Idee das ist. Der junge Mann grinst ihn nur an und hebt den Hammer. Ich will wegblicken, aber der Voyeur in mir kann nicht. Ich muss dran bleiben. Der Hammer fällt.. Ich habe keinen Ton, aber der zerschmetterte Boden genau neben Mokhovs Fuß zeugt davon, wie das ganze ausgesehen hätte, wenn er getroffen worden wäre. Neffe tobt vor Wut. Hebt den Hammer erneut. Will er es drauf ankommen lassen. Mir fällt auf, das Mokhov geknebelt ist. Wie soll er etwas erzählen, wenn er nichts sagen kann? Es ist keine Folter. Keine richtige. Dies ist ein sadistisches Spiel für den jungen Mann. 

Der Hammer fällt. Und trifft die Kniescheibe von Mokhov. Es ist ein abscheulicher Anblick, und mir wird übel, als ich mit ansehe, wie sich das zertrümmerte Gelenk unter Einwirkung des Hammers zu verformen beginnt. Blut spritzt. Ich kann keinen Ton hören, aber der Kopf von Mokhov scheint zu schreien vor Schmerzen.

Er ruckt noch ein paar Mal, fällt dann schlaff nach vorne. Bewusstlosigkeit? Besser wäre es für ihn. Sein Peiniger hingegen scheint unbefriedigt, wie ein kleines Kind stampft er mit dem Fuß auf, tritt dem anscheinend bewusstlosen noch gegen das Schienbein, in der Hoffnung, ihn wach zu bekommen. Keine Chance. Sein wirrer Blick geht zur Kamera. Er hebt den Hammer mit beiden Händen und zeigt in Richtung derselben. Scheiße. Jetzt will er dasselbe an mir ausprobieren? Nicht so schnell, Freundchen. Ich schaue mich um. Angus und Hank stehen immer noch an der Tür. Ich stecke das Telefon ein und gehe etwas larifari mäßig zu ihnen hinüber. Grinse. Drehe mich Richtung Fensterwand. Laufe los.

Im letzten Moment springe ich, als ich hinter mir höre, wie einer der beiden den Mund öffnet. Ich pralle gegen das Glas, das unter der Wucht meiner Geschwindigkeit nachgibt und sich in abertausende Splitter verwandelt. Wie in Zeitlupe drücke ich mich durch, schwebe für einen kurzen Moment in der Luft, als sich mein Körper bereitmacht, in den Sinkflug zu gehen, und ich bin rasender Geschwindigkeit der Hecke entgegenkomme. Ich komme auf. Für einen Moment, bin ich weg.

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