Gehe auf gefühlten Zehenspitzen. Schon schwierig in diesen Schuhen. Schritt
für Schritt mache ich mich näher an die Tür. Bin mir sicher, dass ich schon ein
Räuspern von da vernommen habe. Steht er wirklich da? Besser wäre es.
Inzwischen hinter der Tür angelangt. Schaue linkerhand auf den Türspalt, der
mir den Blick auf die Treppe nach unten gibt. Jep, ist wirklich die Kellertür.
Ohren gespitzt. Ein Atmen? Mist, mein eigenes. Bewege mich langsam um die Tür.
Glück gehabt, er steht noch so da und hat sich bisher nicht umgedreht.
Irgendwo hinter mir kann ich noch immer das Rauschen des Fernseher-Geräusches
hören, diesem tpyischen Weißen Rauschen, das ja nur ertönt, wenn man kein
echtes Signal in der Buchse hat, was bei dem Wetter draußen aber auch kein
Wunder ist. Ich kann beobachten wie die Schultern sich heben und senken, er
sich den Finger in die Nase steckt. Hole langsam aus und nehme Kraft zusammen.
Haue mit voller Wucht zu. Das Rohr trifft unsanft auf, hinterlässt einen
langsam größer werdenden roten Fleck auf seinem Hinterkopf. Er wankt. Dreht
sich langsam um. Schaue ihn an. Er öffnet den Mund. Mein Fuß schnell hoch, ich
trete ihn in die Magengegend. Lege Anstrengung rein. Bemerke, wie er Balance
und Haltung verliert. Fast wie in Zeitlupe Richtung Treppe kippt. Und dann die
Treppe hinunterfällt. Es klingt schmerzhaft. Kann es mir nicht anschauen, also
gucke ich woanders hin.
Erneutes Umsehen. Jenseits des Rauschens kaum ein Geräusch in der Umgebung.
Irgendwo klappert ein Fenster? Ich kann den Regen inzwischen recht gut hören.
Scheint nicht mehr so intensiv zu sein, wie vorhin. Wie viel Zeit ist
eigentlich vergangen? Auf das eigentliche Problem konzentrieren. Seine Muckiboys
sind raus. Also wieder zurück zum Treppenhaus, dieselbe hinauf. Zur Wohnung, in
welcher der Hirnzwerg mit seiner Schnalle verschwunden ist. Lausche vorsichtig
an der Tür. Kaum ein Geräusch, das hindurch kommt. Keine Chance, etwas
Großartiges vorzubereiten, muss das Überraschungsmoment nutzen. Stelle mich
auf, drehe am Türknauf, reiße die Tür auf und latsche mit erhobenem
Heizungsrohr in der rechten hinein. Ich habe Glück. Unverschlossen. Sehe
inzwischen, dass das Rohr ein paar rote Stellen hat. Huh. Vor mir eröffnet sich
ein kurzer Flur der kurz darauf in einen größeren Raum übergeht. Eine
halboffene Tür zu meiner linken, aus der man das Geräusch von rauschendem und
brausenden Wasser hören kann. Und...anderen Aktivitäten. Zu meiner rechten
führt eine vom Flur abgehende Tür in eine kleine Küche, während der Flur
selber, pfirsichfarbene Wände mit einer Schuhkommode und einer Jacken-Garderobe
an der anderen Seite den Flur ausfüllen über den hölzern angehauchten
Linoleum-Fußboden. Schließe die Wohnungstür hinter mir.
Schleiche mich zur Badezimmertür, welche ich dezent und langsam randrücke.
Gehe an die Garderobe, durchsuche die dort ansässigen Jacken. Packung
Zigaretten, sehr schön. Schlüsselpaar mit pinken Stoffbällchen.
Wohnungsschlüssel oder Hausschlüssel? 2 Paar Jacken hängen hier, eine davon ist
mit dem Schmutzzustand und dem Geruch nach deutlich als die des Hirnzwerges zu
identifizieren. Dass es eine Bomberjacke ist, hilft natürlich. Und zugegeben,
dem Schnitt der anderen 3 Jacken nach passt es nicht unbedingt, dass ich dem
Hirnzwerg einen Damenschnitt zuordnen würde. Weitere Überprüfung der Jacken
fördert auch meine Brieftasche zuvorderst. Kurzer Check. Scheint soweit noch
alles drin zu sein. Eine meiner Visitenkarten fehlt. War anzunehmen, wird er
rausgenommen haben, nachdem sie mich in den Keller geschleppt haben. So erklärt
sich auch, wie er die Infos über mich hatte.
In der Innentasche der Bomberjacke finde ich neben einem Schlagring einen
Autoschlüssel. Für das Fahrzeug, in dem sie mich hergebracht haben? Umgeguckt,
eingesteckt. Kann den Revolver nicht finden. Frage mich, ob sie den dagelassen
haben, nachdem sie festgestellt haben, dass er ungeladen war. Wäre schade drum,
müsste ich wiederholen. Hat ja doch irgendwo sentimentale Werte. Bevor mir die
Zeit davonläuft noch ein Blick ins Wohnzimmer. Eine Couchecke steht an der
einen Seite vor einem recht großen Flachbettfernseher mit einem kleinen
Couchtisch davor, während auf der anderen Seite ein runder Esstisch mit ein
paar einfachen Stühlen auf einem dieser frimeligen Pseudo-Gras-Teppiche in
Marineblau steht. Ein paar Vitrinen runden das Bild ab. Etwas aus der Reihe
fällt der kleine Computertisch mit einem in der Dockingstation aus dem letzten
Jahrhundert stammenden Laptop. Irgendwo in der Richtung Anfang der Neunziger.
Gehört der ihr oder ihm? Davor stehenden Stuhl herausgezogen, aufgeklappt.
Glück gehabt, das Gerät ist an und mit Strom versorgt. Unglücklicherweise
erfordert er ein Passwort. Nichts, was einen geübten Hacker wie mich aufhalten
könnte sicherlich. Was sind mögliche Standards, die hier eingehalten werden
könnten? Ist es etwas offensichtliches, das hier in der Umgebung zu finden ist?
Kleben ein paar Post-Its am Display selber, scheinen aber insgesamt nur Termine
zu beinhalten.
Morgen Sweetie!!!
29.1 Treffen mit Chef
17.7 Bankeinzahlung für Junior nicht vergessen
Solche Dinge. Möglich, dass sich das Passwort dahinter versteckt.
Andererseits. Muss Garnichts damit zu tun haben. Einfacher Trick. Geben wir
testweise für den ersten Versuch einfach mal "Passwort" ein. Wenn der
Passworthinweis gleich angezeigt wird, sollten wir ja schon ein ganzes Stück
weiterkommen können. Eingegeben, betätigt und abge...Mist. Er loggt sich ein.
Ihr Götter. Grässliches Display, irgendeine Pop-Perle der vergangenen Jahre,
jede Menge Dinge auf dem Bildschirm. Kurz angekuckt. Keine offensichtlich
hilfreichen Sachen. Die Ordernamen helfen wenig. Irgendwo muss doch ein
eMail-Programm sein. Kurze Suche. Gefunden, gestartet. Über eintausend
Nachrichten, davon mehrere hundert ungelesen. Kein aktiver Spamordner. Schnell
unter den empfangenen gucken. Nutzlos. Werbung. Spam. Spam. Spam. Werbung.
Onlineauktionsplattform. Was haben wir denn da? Eine Nachricht von einem Herrn
Untermayer.
"Das Mädchen ist untergetaucht, nachdem ihr Macker heute Morgen
anscheinend an der Greenbay den Löffel abgegeben hat. Schaut euch mal in der
Kipling Street um, vielleicht ist in der Wohnung irgendwas übrig geblieben, das
uns sagt, wo sie hin ist. Seid diskret, soweit sinnvoll. Das ist deine letzte
Chance, Theo. Wenn du das versaust, erinnere dich daran, dass Herr Jeffchewski
in der Stadt ist."
Untermayer. Die Adresse ist auf einen anonymen Web-eMailservice gesetzt.
Wird schwierig werden, das von dort aus weiter zu verfolgen. Herr Jeffchewski.
Seltsamer Name. Ehemaliger Ostblock? Mit der Art, mit welcher er in der Mail
genannt wird, könnte er eine Art Saubermann sein. Ein Cleaner quasi. Jemand,
der den Müll rausbringt. Moment. Das Rauschende Wasser im Hintergrund ist weg.
Die Dusche ist aus. Sie sind fertig mit dem Duschen, ich sollte anfangen damit,
mich hier raus zu machen. Aber meine Visitenkarte fehlt immer noch. Muss ich
mit dem Risiko leben, dass sie eines Tages in meinem Büro auftauchen. Sollte
mir vielleicht eine richtige Waffe besorgen. Wobei es für den Anfang auch das
Heizungsrohr und der Schlagring tun würden. Egal. Display runter geklappt,
vorsichtig zur Wohnungstür zurück. Diese aufgemacht, und vorsichtig ran
gezogen. Sanft gegen drücken. Mist, knallt immer noch. Einfach hoffen, dass er
es nicht gehört hat. Rache hilft mir auf Dauer ja auch nicht weiter. Wobei ich
mich jetzt natürlich Frage, wozu ich dann seine Handlanger umgehauen habe.
Gedankengang begleitet mich, als ich zur Treppe gehe und diese langsam hinunter
schreite.
Schritte führen fast von selbst Richtung Haustür. Über den Flur, an der
Sitzecke vorbei, dem rauschenden Fernseher ohne Empfang und ohne Blick auf den
dort immer noch liegenden Körper des einen Handlangers. Keine Ahnung ob das
jetzt Erwin war oder ob das der andere war. Ist mir auch nicht wirklich
wichtig. Draußen ist das Wetter weiterhin unangenehm. Es scheint wohl nicht
mehr zu donnern, aber der Regen geht immer noch recht stark, die Pfützen bilden
inzwischen eigene kleine Seen. Krame den Autoschlüssel hervor. Ein Blick in die
Wohngegend. Diverse mehrstöckige Wohnhäuser, heruntergekommen aber bewohnbar,
nicht ansatzweise so schlimm wie in der Kipling Street und den Docks im
allgemeinen. Diverse Autos räumen den Straßenrand, die meisten kleinen
Vorgärten haben eher kümmerliche Beispiele von Grünzeug, das sich langsam
anfängt, an den Hauswänden hochzuwachsen. An einem Haus ein Straßenschild. 57th
Street. Ist das nicht die Ecke vom Buffalo Drive zwischen der Altstadt und in
der Nähe von Undertown? Dann muss irgendwo in der Umgebung hier auch Minerstown
sein. Sehe gar keine Industrieschornsteine, vermutlich gucke ich auf die
falsche Seite. Erst mal den Schlüssel in der Hand nachfühlen.
Da vorn ist der schwarze Van, den ich suche. Exakt derselbe, den ich auch in
der Kipling Street gesehen hatte. Also waren das tatsächlich diese Mistkerle.
Kurz drauf achten, dass ich nicht auf offener Straße überfahren werde. Rüber,
Schlüssel an der Tür probieren. Passt. Muss mich nicht mal großartig rein
quetschen, sehr geräumig wenn man vorne sitzt. Nachdem ich die Tür zugezogen
habe, erst mal durchatmen. Wagen gestartet, langsam raus setzen. Ewig her, dass
ich in einem Van gesessen habe. Abgesehen von der unfreiwilligen Fahrt vorher.
Letzte Mal, dass ich freiwillig mit so einem Ding unterwegs war, war im VW-Van
von Herr Pak, den wir ihm damals für 70 Piepen abgekauft haben um ihn dann
aufzumöbeln, damit wir eine Partykarre hatten. Kann mich nicht erinnern, dass
wir den jemals großartig für Partys gebraucht haben, aber war auch cool, weil man
somit trotzdem für den Moment eine, wenngleich schrottreife, aber eine Karre
hatte. Kurzer Blick nach hinten. Allgemeine Gefährdung des Verkehrs mit
inbegriffen. Seh den Revolver nicht. Wird vermutlich noch in Nr.12 liegen. Fast
automatisch im nächsten Gang um die Ecke gebogen, auf der Straße Richtung
Docks. Der Verkehr wird zu einer Schlange, welche dabei ist die Welt zu
verzehren, als ich mich einsortiere, um über den City-Highway zwischen den
Vierteln zu wechseln. Als ich auf derselben endlich auffahre, bemerke ich in
der Dunkelheit auch endlich die Lichter von Minerstown. Wurde also wirklich
durch die halbe Stadt gekarrt.
Greife beim Fahren in die Innentasche des Trenchcoats. Anscheinend haben sie
vergessen, mich komplett zu filzen, weil das Polaroid noch da ist. Tatianna.
Kopf schütteln, Foto einstecken. Später. Mit dem Blinker die nächste Ausfahrt.
Revolver ist ärgerlich, aber die Seriennummer ist schon länger abgefeilt und
ohne Kugeln nützt er insgesamt eh wenig. Vermutlich besser, wenn ich mir irgendwo
einen neuen besorge. Besser, wenn ich den letzten Ort abklappere, bevor ich
mich daran mache, alles zu sichten. Die Abfahrt führt mich runter in den
allgemeinen Nachtverkehr von Downtown. Vergnügungsfahrten, Spritztouren, Taxen
und Limousinen, vereinzelt auch Transporter und ab und zu mal ein LKW auf dem
Weg von hier nach Irgendwo ziehen an mir vorbei durch die Nacht. Der Van ist
ungefähr so schnell wie ich es erwartet habe. Auf der Central Street
schließlich die große Kreuzung. Vor mir das Civic Center der Stadt. Die
Nervenzentrale der vielen Äderchen, die dort zusammenlaufen. Nicht so wichtig,
wie das, wo ich eigentlich hinwill. das City Central Police Department. Nächste
Haltestelle wird ein Blick auf den Toten sein. Ausgehend davon, dass ich überhaupt
an ihn rankomme.
Fahre auf den Parkplatz rauf. Motor aus. Das Hauptgebäude thront massiv über
dem Geschehen in der Umgebung. Gebaut irgendwann in der Mitte des letzten
Jahrhunderts auf Basis von Plänen eines später wahnsinnig gewordenen
Architekten, ist das Hauptquartier der CCPD ein Monstrum das selbst einem
sowjetischen Bürokratie-Zentrum kaum nachsteht. Die riesigen Mauern mit ihren
Verwinkelungen und großen Wasserspeiern und Verzierungen, große Hallen, Säulen
und Pracht sind durchaus ein Zeichen der Macht, mit welcher das Department in
der Stadt agiert. Ich muss sagen, ich mag die Polizei. Sie kommt im Normalfall
mir nicht in die Quere, ich komme ihr nicht in die Quere. Und wenn man mal ein
Problem hat, ist sie meistens zur Stelle. Nicht, dass ich bisher eine
Notwendigkeit dafür hatte. Ein echter Detektiv löst seine Probleme schließlich
selbst.
Der Parkplatz ist auch um diese Uhrzeit noch recht voll. Vermutlich typisch.
Verbrechen schläft nicht, also kann die Bekämpfung es ebenso wenig tun. Bleibt
für mich die Frage, wie ich durch die Menge an Hütern des Rechts vorbeikommen
soll. Uniform stehlen? Muss nur einer mich schief ankucken was Markennummer
angeht oder jemand meldet eine Uniform gestohlen, und da bricht die Hölle aus.
Keine Ahnung ob ich da so einfach wieder rauskomme. Also fällt das raus. Eine
Uniform aus einem Kostümverleih? Irgendwo auf dem Hope Drive ein paar Blocks
weiter müsste es es einen solchen geben, der recht gute Uniformen hat für
Feuerwehr und Polizei. Würde bedeuten, dass ich theoretisch durchmarschieren
könnte. Allerdings ist das vermutlich nachverfolgbar, und wenn einer rauf
guckt, kann es auffliegen. Marke ist ja Unsinn und ein paar kleinere
Schönheitsfehler in der Pseudo-Uniform die dem geübten Auge auffallen wären
mein Verhängnis. Allerdings ist das noch mithin eine der besseren Routen.
Alternativ als Detective ausgeben? Hab keine Marke, aber kann in Zivilkleidung
umherlaufen, natürlich muss ich den Trenchcoat hierlassen. Also in Jacke und
normaler Kleidung rein. Es müsste hier irgendwo noch einen Souvenirshop geben,
wenn die etwas in der Form der Marke verkaufen, könnte ich einfach so rein
marschieren, das Ding um den Hals, bewaffnet bin ich eh nicht, und einfach in
die gerichtsmedizinische Abteilung hinunter gehen. Sofern es keine weiteren
Sicherheitsmaßnahmen gibt, heißt das.
Ich öffne die Tür, lasse den Trenchcoat drinnen, stecke mir aber das
Polaroid in die Jackeninnentasche diesmal. Den Holster entwunden verstaue ich.
Ein Stück die Straße runter an der Kreuzung ist ein Souvenirshop. Citys´Finest
Souvenirs. Durch die offene Eingangstür hinein, wird man fast erschlagen von
Objekten zum Anschmachten. Spielzeugwaffen, Maskottchen-Plüschpuppen, Riesige
#1 Zeigefinger zum Wedeln, Schals und Jacken, Hemden und T-Shirts mit Motiv und
Mottos. Selbst zu dieser Uhrzeit befinden sich ein paar Nachteulen im Geschäft.
Wandere ein bisschen durch den Laden, begutachte die ausliegende Ware. Kleiden
wie die Besten. Verschiedene Sorten von Spielzeugmarken liegen hier. Die Preise
sind gepfeffert. Ich nehme ein paar probeweise in die Hand. Zu leicht. Zu
schwer. Eines davon scheint gerade passend zu sein. Keine Ahnung ob die Daten
drauf stimmen. Mit der Marke zum Kassierer, bezahlen, verschwinden wie ich
gekommen bin.
Wieder am Auto angekommen, die Marke an die kleine Kette gefriemelt und mir
umgehängt. Einmal tief durchatmen. Und los.
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