20140215

Fall 1 - IX

Gehe auf gefühlten Zehenspitzen. Schon schwierig in diesen Schuhen. Schritt für Schritt mache ich mich näher an die Tür. Bin mir sicher, dass ich schon ein Räuspern von da vernommen habe. Steht er wirklich da? Besser wäre es. Inzwischen hinter der Tür angelangt. Schaue linkerhand auf den Türspalt, der mir den Blick auf die Treppe nach unten gibt. Jep, ist wirklich die Kellertür. Ohren gespitzt. Ein Atmen? Mist, mein eigenes. Bewege mich langsam um die Tür.

Glück gehabt, er steht noch so da und hat sich bisher nicht umgedreht. Irgendwo hinter mir kann ich noch immer das Rauschen des Fernseher-Geräusches hören, diesem tpyischen Weißen Rauschen, das ja nur ertönt, wenn man kein echtes Signal in der Buchse hat, was bei dem Wetter draußen aber auch kein Wunder ist. Ich kann beobachten wie die Schultern sich heben und senken, er sich den Finger in die Nase steckt. Hole langsam aus und nehme Kraft zusammen. Haue mit voller Wucht zu. Das Rohr trifft unsanft auf, hinterlässt einen langsam größer werdenden roten Fleck auf seinem Hinterkopf. Er wankt. Dreht sich langsam um. Schaue ihn an. Er öffnet den Mund. Mein Fuß schnell hoch, ich trete ihn in die Magengegend. Lege Anstrengung rein. Bemerke, wie er Balance und Haltung verliert. Fast wie in Zeitlupe Richtung Treppe kippt. Und dann die Treppe hinunterfällt. Es klingt schmerzhaft. Kann es mir nicht anschauen, also gucke ich woanders hin.

Erneutes Umsehen. Jenseits des Rauschens kaum ein Geräusch in der Umgebung. Irgendwo klappert ein Fenster? Ich kann den Regen inzwischen recht gut hören. Scheint nicht mehr so intensiv zu sein, wie vorhin. Wie viel Zeit ist eigentlich vergangen? Auf das eigentliche Problem konzentrieren. Seine Muckiboys sind raus. Also wieder zurück zum Treppenhaus, dieselbe hinauf. Zur Wohnung, in welcher der Hirnzwerg mit seiner Schnalle verschwunden ist. Lausche vorsichtig an der Tür. Kaum ein Geräusch, das hindurch kommt. Keine Chance, etwas Großartiges vorzubereiten, muss das Überraschungsmoment nutzen. Stelle mich auf, drehe am Türknauf, reiße die Tür auf und latsche mit erhobenem Heizungsrohr in der rechten hinein. Ich habe Glück. Unverschlossen. Sehe inzwischen, dass das Rohr ein paar rote Stellen hat. Huh. Vor mir eröffnet sich ein kurzer Flur der kurz darauf in einen größeren Raum übergeht. Eine halboffene Tür zu meiner linken, aus der man das Geräusch von rauschendem und brausenden Wasser hören kann. Und...anderen Aktivitäten. Zu meiner rechten führt eine vom Flur abgehende Tür in eine kleine Küche, während der Flur selber, pfirsichfarbene Wände mit einer Schuhkommode und einer Jacken-Garderobe an der anderen Seite den Flur ausfüllen über den hölzern angehauchten Linoleum-Fußboden. Schließe die Wohnungstür hinter mir.

Schleiche mich zur Badezimmertür, welche ich dezent und langsam randrücke. Gehe an die Garderobe, durchsuche die dort ansässigen Jacken. Packung Zigaretten, sehr schön. Schlüsselpaar mit pinken Stoffbällchen. Wohnungsschlüssel oder Hausschlüssel? 2 Paar Jacken hängen hier, eine davon ist mit dem Schmutzzustand und dem Geruch nach deutlich als die des Hirnzwerges zu identifizieren. Dass es eine Bomberjacke ist, hilft natürlich. Und zugegeben, dem Schnitt der anderen 3 Jacken nach passt es nicht unbedingt, dass ich dem Hirnzwerg einen Damenschnitt zuordnen würde. Weitere Überprüfung der Jacken fördert auch meine Brieftasche zuvorderst. Kurzer Check. Scheint soweit noch alles drin zu sein. Eine meiner Visitenkarten fehlt. War anzunehmen, wird er rausgenommen haben, nachdem sie mich in den Keller geschleppt haben. So erklärt sich auch, wie er die Infos über mich hatte.

In der Innentasche der Bomberjacke finde ich neben einem Schlagring einen Autoschlüssel. Für das Fahrzeug, in dem sie mich hergebracht haben? Umgeguckt, eingesteckt. Kann den Revolver nicht finden. Frage mich, ob sie den dagelassen haben, nachdem sie festgestellt haben, dass er ungeladen war. Wäre schade drum, müsste ich wiederholen. Hat ja doch irgendwo sentimentale Werte. Bevor mir die Zeit davonläuft noch ein Blick ins Wohnzimmer. Eine Couchecke steht an der einen Seite vor einem recht großen Flachbettfernseher mit einem kleinen Couchtisch davor, während auf der anderen Seite ein runder Esstisch mit ein paar einfachen Stühlen auf einem dieser frimeligen Pseudo-Gras-Teppiche in Marineblau steht. Ein paar Vitrinen runden das Bild ab. Etwas aus der Reihe fällt der kleine Computertisch mit einem in der Dockingstation aus dem letzten Jahrhundert stammenden Laptop. Irgendwo in der Richtung Anfang der Neunziger.

Gehört der ihr oder ihm? Davor stehenden Stuhl herausgezogen, aufgeklappt. Glück gehabt, das Gerät ist an und mit Strom versorgt.  Unglücklicherweise erfordert er ein Passwort. Nichts, was einen geübten Hacker wie mich aufhalten könnte sicherlich. Was sind mögliche Standards, die hier eingehalten werden könnten? Ist es etwas offensichtliches, das hier in der Umgebung zu finden ist? Kleben ein paar Post-Its am Display selber, scheinen aber insgesamt nur Termine zu beinhalten.

Morgen Sweetie!!!
29.1 Treffen mit Chef
17.7 Bankeinzahlung für Junior nicht vergessen

Solche Dinge. Möglich, dass sich das Passwort dahinter versteckt. Andererseits. Muss Garnichts damit zu tun haben. Einfacher Trick. Geben wir testweise für den ersten Versuch einfach mal "Passwort" ein. Wenn der Passworthinweis gleich angezeigt wird, sollten wir ja schon ein ganzes Stück weiterkommen können. Eingegeben, betätigt und abge...Mist. Er loggt sich ein. Ihr Götter. Grässliches Display, irgendeine Pop-Perle der vergangenen Jahre, jede Menge Dinge auf dem Bildschirm. Kurz angekuckt. Keine offensichtlich hilfreichen Sachen. Die Ordernamen helfen wenig. Irgendwo muss doch ein eMail-Programm sein. Kurze Suche. Gefunden, gestartet.  Über eintausend Nachrichten, davon mehrere hundert ungelesen. Kein aktiver Spamordner. Schnell unter den empfangenen gucken. Nutzlos. Werbung. Spam. Spam. Spam. Werbung. Onlineauktionsplattform. Was haben wir denn da? Eine Nachricht von einem Herrn Untermayer.

"Das Mädchen ist untergetaucht, nachdem ihr Macker heute Morgen anscheinend an der Greenbay den Löffel abgegeben hat. Schaut euch mal in der Kipling Street um, vielleicht ist in der Wohnung irgendwas übrig geblieben, das uns sagt, wo sie hin ist. Seid diskret, soweit sinnvoll. Das ist deine letzte Chance, Theo. Wenn du das versaust, erinnere dich daran, dass Herr Jeffchewski in der Stadt ist."

Untermayer. Die Adresse ist auf einen anonymen Web-eMailservice gesetzt. Wird schwierig werden, das von dort aus weiter zu verfolgen. Herr Jeffchewski. Seltsamer Name. Ehemaliger Ostblock? Mit der Art, mit welcher er in der Mail genannt wird, könnte er eine Art Saubermann sein. Ein Cleaner quasi. Jemand, der den Müll rausbringt. Moment. Das Rauschende Wasser im Hintergrund ist weg. Die Dusche ist aus. Sie sind fertig mit dem Duschen, ich sollte anfangen damit, mich hier raus zu machen. Aber meine Visitenkarte fehlt immer noch. Muss ich mit dem Risiko leben, dass sie eines Tages in meinem Büro auftauchen. Sollte mir vielleicht eine richtige Waffe besorgen. Wobei es für den Anfang auch das Heizungsrohr und der Schlagring tun würden. Egal. Display runter geklappt, vorsichtig zur Wohnungstür zurück. Diese aufgemacht, und vorsichtig ran gezogen. Sanft gegen drücken. Mist, knallt immer noch. Einfach hoffen, dass er es nicht gehört hat. Rache hilft mir auf Dauer ja auch nicht weiter. Wobei ich mich jetzt natürlich Frage, wozu ich dann seine Handlanger umgehauen habe. Gedankengang begleitet mich, als ich zur Treppe gehe und diese langsam hinunter schreite.

Schritte führen fast von selbst Richtung Haustür. Über den Flur, an der Sitzecke vorbei, dem rauschenden Fernseher ohne Empfang und ohne Blick auf den dort immer noch liegenden Körper des einen Handlangers. Keine Ahnung ob das jetzt Erwin war oder ob das der andere war. Ist mir auch nicht wirklich wichtig. Draußen ist das Wetter weiterhin unangenehm. Es scheint wohl nicht mehr zu donnern, aber der Regen geht immer noch recht stark, die Pfützen bilden inzwischen eigene kleine Seen. Krame den Autoschlüssel hervor. Ein Blick in die Wohngegend. Diverse mehrstöckige Wohnhäuser, heruntergekommen aber bewohnbar, nicht ansatzweise so schlimm wie in der Kipling Street und den Docks im allgemeinen. Diverse Autos räumen den Straßenrand, die meisten kleinen Vorgärten haben eher kümmerliche Beispiele von Grünzeug, das sich langsam anfängt, an den Hauswänden hochzuwachsen. An einem Haus ein Straßenschild. 57th Street. Ist das nicht die Ecke vom Buffalo Drive zwischen der Altstadt und in der Nähe von Undertown? Dann muss irgendwo in der Umgebung hier auch Minerstown sein. Sehe gar keine Industrieschornsteine, vermutlich gucke ich auf die falsche Seite. Erst mal den Schlüssel in der Hand nachfühlen.

Da vorn ist der schwarze Van, den ich suche. Exakt derselbe, den ich auch in der Kipling Street gesehen hatte. Also waren das tatsächlich diese Mistkerle. Kurz drauf achten, dass ich nicht auf offener Straße überfahren werde. Rüber, Schlüssel an der Tür probieren. Passt. Muss mich nicht mal großartig rein quetschen, sehr geräumig wenn man vorne sitzt. Nachdem ich die Tür zugezogen habe, erst mal durchatmen. Wagen gestartet, langsam raus setzen. Ewig her, dass ich in einem Van gesessen habe. Abgesehen von der unfreiwilligen Fahrt vorher. Letzte Mal, dass ich freiwillig mit so einem Ding unterwegs war, war im VW-Van von Herr Pak, den wir ihm damals für 70 Piepen abgekauft haben um ihn dann aufzumöbeln, damit wir eine Partykarre hatten. Kann mich nicht erinnern, dass wir den jemals großartig für Partys gebraucht haben, aber war auch cool, weil man somit trotzdem für den Moment eine, wenngleich schrottreife, aber eine Karre hatte. Kurzer Blick nach hinten. Allgemeine Gefährdung des Verkehrs mit inbegriffen. Seh den Revolver nicht. Wird vermutlich noch in Nr.12 liegen. Fast automatisch im nächsten Gang um die Ecke gebogen, auf der Straße Richtung Docks. Der Verkehr wird zu einer Schlange, welche dabei ist die Welt zu verzehren, als ich mich einsortiere, um über den City-Highway zwischen den Vierteln zu wechseln. Als ich auf derselben endlich auffahre, bemerke ich in der Dunkelheit auch endlich die Lichter von Minerstown. Wurde also wirklich durch die halbe Stadt gekarrt.

Greife beim Fahren in die Innentasche des Trenchcoats. Anscheinend haben sie vergessen, mich komplett zu filzen, weil das Polaroid noch da ist. Tatianna. Kopf schütteln, Foto einstecken. Später. Mit dem Blinker die nächste Ausfahrt. Revolver ist ärgerlich, aber die Seriennummer ist schon länger abgefeilt und ohne Kugeln nützt er insgesamt eh wenig. Vermutlich besser, wenn ich mir irgendwo einen neuen besorge. Besser, wenn ich den letzten Ort abklappere, bevor ich mich daran mache, alles zu sichten. Die Abfahrt führt mich runter in den allgemeinen Nachtverkehr von Downtown. Vergnügungsfahrten, Spritztouren, Taxen und Limousinen, vereinzelt auch Transporter und ab und zu mal ein LKW auf dem Weg von hier nach Irgendwo ziehen an mir vorbei durch die Nacht. Der Van ist ungefähr so schnell wie ich es erwartet habe. Auf der Central Street schließlich die große Kreuzung. Vor mir das Civic Center der Stadt. Die Nervenzentrale der vielen Äderchen, die dort zusammenlaufen. Nicht so wichtig, wie das, wo ich eigentlich hinwill. das City Central Police Department. Nächste Haltestelle wird ein Blick auf den Toten sein. Ausgehend davon, dass ich überhaupt an ihn rankomme.

Fahre auf den Parkplatz rauf. Motor aus. Das Hauptgebäude thront massiv über dem Geschehen in der Umgebung. Gebaut irgendwann in der Mitte des letzten Jahrhunderts auf Basis von Plänen eines später wahnsinnig gewordenen Architekten, ist das Hauptquartier der CCPD ein Monstrum das selbst einem sowjetischen Bürokratie-Zentrum kaum nachsteht. Die riesigen Mauern mit ihren Verwinkelungen und großen Wasserspeiern und Verzierungen, große Hallen, Säulen und Pracht sind durchaus ein Zeichen der Macht, mit welcher das Department in der Stadt agiert. Ich muss sagen, ich mag die Polizei. Sie kommt im Normalfall mir nicht in die Quere, ich komme ihr nicht in die Quere. Und wenn man mal ein Problem hat, ist sie meistens zur Stelle. Nicht, dass ich bisher eine Notwendigkeit dafür hatte. Ein echter Detektiv löst seine Probleme schließlich selbst.

Der Parkplatz ist auch um diese Uhrzeit noch recht voll. Vermutlich typisch. Verbrechen schläft nicht, also kann die Bekämpfung es ebenso wenig tun. Bleibt für mich die Frage, wie ich durch die Menge an Hütern des Rechts vorbeikommen soll. Uniform stehlen? Muss nur einer mich schief ankucken was Markennummer angeht oder jemand meldet eine Uniform gestohlen, und da bricht die Hölle aus. Keine Ahnung ob ich da so einfach wieder rauskomme. Also fällt das raus. Eine Uniform aus einem Kostümverleih? Irgendwo auf dem Hope Drive ein paar Blocks weiter müsste es es einen solchen geben, der recht gute Uniformen hat für Feuerwehr und Polizei. Würde bedeuten, dass ich theoretisch durchmarschieren könnte. Allerdings ist das vermutlich nachverfolgbar, und wenn einer rauf guckt, kann es auffliegen. Marke ist ja Unsinn und ein paar kleinere Schönheitsfehler in der Pseudo-Uniform die dem geübten Auge auffallen wären mein Verhängnis. Allerdings ist das noch mithin eine der besseren Routen. Alternativ als Detective ausgeben? Hab keine Marke, aber kann in Zivilkleidung umherlaufen, natürlich muss ich den Trenchcoat hierlassen. Also in Jacke und normaler Kleidung rein. Es müsste hier irgendwo noch einen Souvenirshop geben, wenn die etwas in der Form der Marke verkaufen, könnte ich einfach so rein marschieren, das Ding um den Hals, bewaffnet bin ich eh nicht, und einfach in die gerichtsmedizinische Abteilung hinunter gehen. Sofern es keine weiteren Sicherheitsmaßnahmen gibt, heißt das.

Ich öffne die Tür, lasse den Trenchcoat drinnen, stecke mir aber das Polaroid in die Jackeninnentasche diesmal. Den Holster entwunden verstaue ich. Ein Stück die Straße runter an der Kreuzung ist ein Souvenirshop. Citys´Finest Souvenirs. Durch die offene Eingangstür hinein, wird man fast erschlagen von Objekten zum Anschmachten. Spielzeugwaffen, Maskottchen-Plüschpuppen, Riesige #1 Zeigefinger zum Wedeln, Schals und Jacken, Hemden und T-Shirts mit Motiv und Mottos. Selbst zu dieser Uhrzeit befinden sich ein paar Nachteulen im Geschäft. Wandere ein bisschen durch den Laden, begutachte die ausliegende Ware. Kleiden wie die Besten. Verschiedene Sorten von Spielzeugmarken liegen hier. Die Preise sind gepfeffert. Ich nehme ein paar probeweise in die Hand. Zu leicht. Zu schwer. Eines davon scheint gerade passend zu sein. Keine Ahnung ob die Daten drauf stimmen. Mit der Marke zum Kassierer, bezahlen, verschwinden wie ich gekommen bin.

Wieder am Auto angekommen, die Marke an die kleine Kette gefriemelt und mir umgehängt. Einmal tief durchatmen. Und los.

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