Das Husten,
das daraufhin durch den Raum hallt, lässt mich schockiert gegen die Wand
drücken. Schweiß brennt in meinen Augen. Es kam von einem der Tische. Schon bei
meiner Ankunft hier hatte ich nur einen kurzen Blick auf sie werfen können,
aber mit dem Toten im Rücken, sollte ich retten, was noch gerettet werden kann.
Ich trete an den linken der beiden Tische heran.
Die junge Frau ist vermutlich irgendwo zwischen Zwanzig und Vierzig, und war
vermutlich vor der unsanften Behandlung durchaus nicht unattraktiv, aber die
schwarzen Striche, die, einem Operateur in Vorbereitung gleich, über die
verschiedenen Zonen ihres Körpers gezogen worden sind, helfen wenig. In ihre
Arme und an verschiedene Stellen über den Oberkörper sowie an den Beinen hängen
Kanülen in ihr, mit durchsichtigen kleinen Röhrchen in Verbindung, durch welche
verschiedenste Flüssigkeiten scheinbar in oder aus ihr herauslaufen. Auf dem
rechten Tisch sieht die Situation etwas tragischer aus. Als ich vorhin hier herein
kam, dachte ich, beide wären noch am Leben.
Bei näherer Betrachtung, kann ich erkennen, dass die junge Frau auf dem
rechten Operationstisch verstorben ist. Kein Puls. Die Augen sind wie blind,
die Haut zieht sich nur quälend über ihre Knochen. Ein furchtbarer Anblick.
Mitsamt den Nadeln und Verbindungen zur seltsamen chemischen Apparatur, welche
beide Körper entweder mit dieser orangenen Flüssigkeit versorgt oder sie ihnen
entzieht.
Neben der Apparatur befindet sich ein Sammelbecken mitsamt einigen Eimern
voll mit dieser Flüssigkeit. Es ist scheinbar kein Fett, denn es ist immer noch
flüssig in dieser Kälte. Der Geruch aber. Es ist abartig, wie es stinkt, wie
eine Kombination aus Galle und Urin. Seltsam, wie es mir in der Sterilen
Umgebung bisher nicht auffiel. Das Sammelbecken ist nicht einmal halb voll, es
hat ein Füllvermögen für knapp 100 Liter würde ich auf einen Blick schätzen. Es
ist gerade mal auf Grundniveau mit der Flüssigkeit gefüllt, die hier als
Endreaktion aus der Apparatur fließend herein kommt. Die Apparatur selber.
Was für ein seltsames Gerät. Eine Kombination von verschiedensten chemischen
Versuchsgeräten. Als ob ein verwirrter Steinzeitaffe von chemischen
Konstruktionen gehört hat und daraufhin versucht hat, es mit einer erzählten
Anleitung zusammen zu bauen. Und trotzdem passiert in den verschiedenen
Flaschen und Anbauten etwas. Flüssigkeiten werden durcheinander geworfen. Ich
komm auf diese Konstruktion nicht klar. Vielleicht ist der Zweck letztlich auch
nicht so wichtig. Es muss hier doch irgendwo Dinge geben, für den Fall der
Fälle.
Ich wende mich seinem Schlafplatz zu. Bingo. Unter dem Camping-Bett verbirgt
sich, neben einer Anhäufung von Müll von aufgerissenen und halb fertig
gegessenen Schokoriegeln ein altmodischer Erste-Hilfe Koffer. Komm zu Papa. Er
ist staubüberzogen. Ein einfaches Pusten wirbelt genügend Staub auf, um den
Eindruck zu erwecken, der Koffer wäre aus dem ersten Weltkrieg. Naja, bei dem
Bild da drauf ist das vermutlich gar nicht so unwahrscheinlich. Immerhin,
drinnen gibt es einige Dinge, die immer gebraucht werden. Notfallverbandszeug,
Pflaster, Klammern, die wichtigsten Materialien sind drin. Mitsamt Kofferinhalt
und der Schlafdecke Fouquiers, denn er wird sie jetzt garantiert nicht mehr
brauchen, trete ich an den linken Tisch heran, wo ich langsam und vorsichtig
anfange, die Kanülen zu ziehen.
Als ich die zweite Kanüle ziehe, schüttelt sich ihr gesamter Körper und ihr
milchiger Blick ruckt zu mir herüber. Das Krächzen aus ihrem Hals und die
laufenden Tränen. Sie muss mit Betäubungsmitteln durch die verschiedenen
Leitungen vollgepumpt worden sein. Ich hülle sie, so gut ich kann, in die Decke
ein, während ich die restlichen Kanülen entferne. Sie zittert wie Espenlaub.
Kein Wunder, bei dem was sie durchgemacht haben muss. Ich greife unter die
Decke, um sie anzuheben. Sie ist sehr leicht. Sie muss starke Gewichtsverluste
mitgemacht haben. Langsam trage ich sie rüber auf das Camping-Bett, setze sie
vorsichtig ab. Ihre Lippen formen Worte. Ich rücke näher an sie heran, halte
mein Ohr dicht an ihren Mund. Ihre Stimme ist fast unhörbar, leiser als das
ruhigste Flüstern, ein tragisches Widerhallen von Ton aus einem dunklen Ort, wo
schon lange kein Laut mehr erklungen war.
Junge Frau
..n….ke…
Ich ziehe mich etwas zurück, nicke ihr zu. Streiche ich sanft über den Kopf.
Sie schließt die Augen. Ich habe das Gefühl, als sei sie gerade vor meinen
Augen gestorben. Aber die Ruhe und das stetige, fast nicht zu vernehmende
Atmen, wirken gut.
Ich entferne mich langsam von ihr. Ich benötige immer noch einen Hinweis.
Einen klaren Treffer, etwas das mich hier weiterbringt. Glücklicherweise ist
Fouquiers Schreibtisch und Aktenschrank nicht weit entfernt. Der Schreibtisch
ist eine einzige Katastrophe. Dokumente sind wild umher geworfen und
durcheinander gemischt offen auf dem Tisch verteilt, von verschiedenen Drähten,
Versuchsanleitungen und Operationsprozedere und Berichten mal abgesehen. Ein
kurzer Blick auf die medizinischen Dokumente beschreibt Veränderungspunkte und
Wege, einem Menschen mitsamt einem neuen Aussehen auch eine neue Persönlichkeit
zu verleihen. Hmm, sieht hauptsächlich auf den Zeichnungen nach
Schönheitschirurgie aus, höhere Wangen, solche Sachen.
Moment. Eine kleine Mappe, ziemlich begraben unter all dem zieht meine
Aufmerksamkeit auf sich. Der dunkelgrüne Einschlag macht den optischen Eindruck
nicht besser. Psychosomatische Beeinflussung – Subjekte. Die Mappe ist nicht
dick, nur ein paar Bilder mit etwas, das entfernt an eine Krankenakte erinnert.
3 junge Frauen. Die Namen fehlen, aber sie alle sind sich irgendwie ähnlich.
Die Erste sticht mir besonders ins Auge. Ich habe sie schon mal irgendwo
gesehen. Kleine Nase, weiche Gesichtszüge, rehbraune Augen..aber wo? Es liegt
mir auf der Zunge, ich bin mir sicher, aber es zündet irgendwie einfach nicht.
Die anderen beiden kenne ich nicht. Vermutlich sind sie alle Opfer von
Fouquiers sadistischen Methoden. Krankhafter…Ruhe bewahren. Tief durchatmen.
Weiter die Sachen auf dem Tisch durchwühlen.
Der Rest scheint größtenteils eine Ansammlung von verschiedenen Anweisungen,
Rechnungen für Psychopharmaka und einer Reihe an Ausschnitten verschiedener
Geschichtsbücher. Die Themen wirken wild durcheinander. Erster Weltkrieg,
Zweiter Weltkrieg, Kalter Krieg, Russland, Deutschland. Vielleicht war er auch
noch so ein Geschichts-Fetischist, der sich an solchen Dingen aufgeilt?
Was ist das? Unter dem Stapel von wild umher geworfenen Dokumenten kommt ein
kleines braunes Büchlein zum Vorschein, mit wilden mit Bleistift geschriebenen Notizen
und Anmerkungen. Zeichnungen von Menschen und Anatomischen Studien. Ein Schauer
jagt mir über den Rücken. Im zweiten Drittel beschreibt das Büchlein den
Versuch, ein bestimmtes menschliches Äußeres nachzubilden. Auf Anfrage eines
Kunden. Versuchssubjekte werden geliefert?!
Es wird ein bestimmtes Äußeres beschrieben, eine junge Frau, vom Leben
gezeichnet, klar erkennbare Erb-Linie im Äußeren, blond bis dunkelblond. Eine
zierliche Nase sei hilfreich, aber nicht zwingend. Kaukasische Wurzeln
erforderlich? Mir schwant fürchterliches. Laut Fouquiers Notizen hat er sich an
3 Personen versucht zu dem Zeitpunkt, welche ihm von seinem unbekannten Gönner
geliefert wurden. Ob das dieser Kaltenstadt war? Alle 3 Frauen lagen also bei
ihm auf der Schlachtbank. Aber wozu?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen