Meine Nackenhaare richten sich auf. Je weiter ich in den Unterlagen
blättere, umso bizzarrer werden seine Berichte. Es sind detaillierte
Übersichten über den Zeitplan der Damen enthalten, in welchen wie ein
Beobachtungs-Journal alles über sie festgehalten wurde, das dem Beobachter
auffiel. Uhrzeiten, Verhaltensweisen, Auffälligkeiten, unterbewusste Handlungen
und Äußerungen. Als würde man einen Bericht über einen Tierversuch lesen. Jede
der Frauen wurde offensichtlich nicht nur von ihm behandelt, sondern auch
irgendwie manipuliert.
Jeder neue Eintrag beschreibt, wie sie sich verhalten haben und wie er ihr
Verhalten betrachtet hat. Wie ein Spanner. Und jeder Moment wurde festgehalten.
Verschiedene Einträge haben kleine Fotos beigeheftet. Sie zeigen jeweils immer
eine der Damen in einer primitiv eingerichteten Zelle. Seltsam, habe ich hier
unten noch gar nicht gefunden?! Heißt das eine von Ihnen könnte noch hier…der
Eintrag ist auf vor ein paar Monaten datiert. Er beschreibt ein Vorgehen, das bis
ins letzte manipulativ wirkt, Der Versuch, ihnen immer wieder einzutrichtern,
dass sie jetzt jemand anderes wären.
Er konditionierte sie. Psychische Programmierung. Eine Person an die Grenzen
ihrer Belastbarkeit bringen, um ihren Moment des Zusammenbruchs dazu zu nutzen,
ihnen unterbewusst oder bewusst eine neue persönliche Identität zu geben. Er
hat sie gebrochen und wieder zusammen geflickt. Wenn die Berichte korrekt
sind…was mich zusammenzucken lässt, da dies einen sehr üblen Beigeschmack hat,
hat es nicht bei allen geklappt. Nummer 1 hat sich gegen die Programmierung
gewehrt und angefangen, mittels Selbstverstümmelung gegen seine Maßnahmen zu
reagieren. Die letzte Seite ihres Berichts beschreibt, wie er ihr beim Versuch,
sie zu füttern, den Schädel einschlagen musste.
Nummer 2 scheint sich in die Programmierung gefügt zu haben. Jedenfalls,
solange sie unter seiner Beobachtung war. Ein letzter Vermerk im Bericht
beschreibt:
Nachtrag: #2 arbeitet gegen externe
Konditionierung und ist untergetaucht. K ungehalten. A verlangt erneutes
Exemplar. Betonung auf „Fehlerfrei“.
Mein Blick verschwimmt. Mir wird schwindlig. Ich stoße ruckartig Luft aus.
Mein Hals brennt. Ich weiß, wer das war. Das Bild mit der weichen Nase. Blonde
Haare.
Tatianna.
Aber wenn sie dem ganzen entkommen ist, wie kam es dann zu den
Verwicklungen, die ich gefunden habe? Und zu welchem Zweck…es wird irgendwas
sexuelles sein, oder? Fuck. Hmm, der Bericht schreibt noch über eine #3, welche
ebenso konditioniert wurde. Lieferung verzögert aber sprach besonders gut auf
die Programmierung an. Eine willfährige Puppe in seinen Händen. Der letzte
Eintrag für sie ist auf vor einer Woche festgelegt worden. Die Zeit, als ich im
Krankenhaus war. Ein Stechen in der Magengegend.
Es fehlen immer noch wichtige Elemente. Wofür brauchte K und A, wobei K
vermutlich Kaltenstadt sein soll, eine junge Frau mit diesem Aussehen, dass sie
bereit waren, jemandem wie Fouquier mit einzubeziehen? Und was hat das alles
mit Damir Mokhov zu tun? Woher kannte Rassila Tatianna und kam auf die Idee,
sie umzubringen? Wie kam Mokhov zum Entschluss, unterzutauchen, indem er seinen
Tod vortäuscht? Wozu, vor allem?!
Es passt noch nicht. Ich brauche eine Pause. Es ist, als ob ich mir das Hirn
zermartere, während ich eigentlich einer klaren Spur nachjagen sollte. Der
Vergangenheit von Tatianna kann ich nicht nachjagen, weil sie vermutlich über
einen White Springs eingeschmuggelt wurde, wobei hier nicht ganz klar ist, ob
das nur für sie oder für alle drei gilt. Dazu kommt noch, dass mir immer noch
nicht klar ist, wofür das ganze sein soll. Wobei. Der Anrufer. Deep Throat. Er
hatte gesagt, dass Altenstamm sie entdeckt hat. Also hat der deutsche
Kulturattaché eine Verbindung zu Rassila und Matthews. Eine Verbindung über
Menschenhändler und eine Gruppe von Escort-Girls.
Vielleicht sollte ich mir die deutsche Botschaft etwas genauer unter die
Lupe nehmen. Und einige andere Aspekte stehen immer noch aus. Wer ist die Frau
gewesen, die Mokhovs Apartment geplündert hat, bevor Rassila auftauchte? Wer
ist der alte Mann mit Filzhut und Mantel, dem ich in der Polizeiwache und im
Haus an der Kipling Street begegnet bin?
Fragen über Fragen. Und die Antworten darauf werden auf sich warten lassen.
Greife mir die Akten mit den wichtigsten Inhalten und Bildern und stecke sie
ein. Drehe mich zur jungen Frau, die recht regungslos auf dem Camping-Bett
liegt. Sie atmet noch, aber ihr Zustand wirkt nicht sehr stabil. Vermutlich hat
es schon geholfen, sie erst mal vom Operationstisch runter zu bekommen, aber
wer weiß was Fouqier ihr antun wollte. Rüttle sanft an ihrer Schulter. Sie
scheint nicht wirklich geschlafen zu haben, der Kopf bewegt sich recht
ruckartig zu mir.
Zeichner
Wir können hier nicht bleiben. Ich bringe dich ins Krankenhaus, in Ordnung?
Sie nickt. Gut. Ich drücke ihr mehr Decke und ein paar der anderen Sachen
,die ich von hier aus sehen und erreichen kann, in die Hand, helfe ihr langsam,
behelfsmäßig das ganze wie Kleidung um den Körper zu schlagen. Immer noch sehr
schwach. Mit einem beherzten Griff kann ich sie einfach so anheben. Sie
schlingt die dürren Arme um meinen Hals. Ich trage sie hier heraus. Vorbei an
denen, die mit geöffnetem Leibe wie an Fleischerhaken hängen, und an dicken
Rohren und dreckigen, Rost- und blutverschmierten Gattern vorbei. Einfach nur
heraus.
Über die einfache Treppe, die auch der Weg hinein war, kommen wir nach oben,
und durch die weiterhin offene Krypta auch heraus. Der Weg führt mich durch die
Hausruine auf die Straße. Der Regen hat längst nachgelassen, wobei es immer
noch stark bewölkt zu sein scheint. Von der Tatsache, dass es immer noch dunkel
ist, vermutlich wegen der frühen Morgenstunden. Seltsam, hatte ich nicht den
Tagesanbruch mitverfolgt?
Schüttel den Kopf. Und laufe langsam mit ihr auf den Armen die Straße
entlang zur Kreuzung Richtung White Springs und der Küstenstraße nach Süden.
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