20170127

Fall 1 - LXVII

Zeichner –

Anrufer – Dies wird unser letztes Gespräch sein.

Blechern, metallen, mit einem Unterton der Verzerrung, einer Stimme, die von Rauch und Whiskey geschwängert ist. Ich habe diese Stimme schon gehört. Er hat schon mal angerufen.

Anrufer – Ich habe sie früher erwartet.

Zeichner – Wo erwartet?

Keine Antwort. Ein hörbares Schmunzeln.

Zeichner - WO erwartet?

Anrufer – Club Eshaton.

Eshaton. Eine Paradeprojekt der Coldman-Towers, ein Club im Stilmotiv der christlichen Apokalypse, der letzte Schrei, unter den großen Persönlichkeiten, den Stars und Sternchen der Stadt, mindestens ebenso angesagt wie das Neptun, hier aber aufgrund der Exklusivität und Exzesse, welche dem Club nachgesagt werden. Mit seinen drei Ebenen und einer großen Unterhalle erlaubt er Zugang zu einem Komplex für den Club, in dem man gut Hundertschaften unterbringen könnte, öffnet aber nur für kleine Gruppen. Absolut perplex.

Anrufer – Sie ist auch hier.

Zeichner – Sie?

Anrufer – Der Fahrstuhl ist freigeschaltet, Zeichner. Sie müssen nur zu B2 fahren.

Zeichner – Soll das ein Scherz sein? Meinen sie nach all dem

Das vernehmbare Klicken beendet das Gespräch. Arschloch. Erhebe mich, und fange an, die Treppen weiter runter zu latschen. Wo ein Fahrstuhl führt, geht auch eine Treppe hin.

Der Weg gibt mir vielleicht die Chance, den Kopf etwas frei zu kriegen. Zum dritten Mal der seltsame Anrufer. Erneut die Stimmverzerrung. Noch immer ist nicht klar, wer er ist, oder was er will, oder ob es sich dabei überhaupt um einen Mann oder eine Frau handelt. Es ist nur klar, dass die Person offensichtlich eine gewisse, perfide Befriedigung daran findet, meinen Fortschritt zu überwachen und mir obskure Hinweise auf die Situation zu übermitteln, ohne dabei das zu sagen, was wirklich von Bedeutung ist.

Es bleibt die Frage, wen der Anrufer mit „Sie“ meinte. Tatianna? Rassila? Handekker? Es wird wohl um erstere gehen, da Deep Throat auch schon beim letzten Anruf Infos zu dieser hatte, aber das macht ihn nicht weniger suspekt. Der Zugang zu diesen Informationen als auch sein Wille, mir das mitzuteilen, deuten auf ein Schuldbewusstsein hin, für jemanden, der dieses Wissen in Griffreichweise hat. Und das macht ihn, als auch seine Infos gefährlich.

Dann noch der alte Mann, der mich verfolgt, und vermutlich am Fuß der Treppe am Fahrstuhl auf mich wartet. Ein Attentäter, der auch Dr. B´Quija auf dem Gewissen hat, welcher nun weiter vor sich hin rottet in seinem Büro. Und dabei keinen einzigen Ton verliert. Wenn ich jetzt noch überlege, dass es dieselbe Person ist, der ich im CCPD und bei der Durchsuchung von Mokhovs Wohnung begegnet bin, jagt es mir einen kalten Schauer über den Rücken.

Immerhin, 20ster Stock. Beinahe unten. Beinahe auf dem Weg in den Untergrund. Aber warum sollte Tatianna da sein? Wofür da sein, auch. Und wer sagt mir, dass das nicht alles eine Falle ist, welche der alte Mann für mich bereitgestellt hat? Immerhin habe ich bisher seine Stimme nicht vernommen und wenn er einen Verzerrer benutzt, wäre es durchaus möglich, dass es seine Stimme sein könnte, welche da verzerrt wird?

Vielleicht muss ich ihn ablenken. Antäuschen, das ich auf seine Falle eingehe, um ihn zu überwinden? 10ter Stock. Beinahe unten. Probieren wir die Korridortür einmal aus. Aha, nicht abgeschlossen! Sehr gut. Vorsichtig, Revolver in der Hand, langsam die Tür aufgedrückt und hinein. Ein sanfter, mit grauem Büroteppich ausgelegter Flur vor den eigentlichen Räumlichkeiten. Eine nackte Innenfassade, undurchsichtige große Baufolien, welche durch Zeit und Staub besetzt wurden, offene Deckenbereiche, wo aus derselben Stromkabel offen heraushängen, oder Platten einfach fehlen, weil sie noch nicht eingesetzt wurden. 

WO ist denn…mit den Fingern an der Wand entlang tasten...gefunden. Ein einfacher Kippschalter macht deutlich wo das Licht eingesetzt sein sollte. Auch wenn ein paar Lampen noch nicht eingesetzt wurden, sollte doch genügend da sein. Drücke Schalter herunter. Blaue Blitze zucken umher und ein paar der schweren Verkabelungsbündel reißen um sich gefährlichen Riesenschlangen gleich, während woanders, vereinzelt, kleine Inseln des Lichts aufkommen. Ein einsamer Donner im Hintergrund fährt durch Mark und Bein.

Immerhin, der Fahrstuhl ist jetzt nicht mehr zu verfehlen, den Gang entlang hinunter zur linken als doppelflügeliger Bereich in den man wohl später warten können sollte. Mit ein paar einfachen Schritten das zuckende Kabelbündel umgehen, und Fahrstuhlrufknopf betätigt. Und warten. Und warten. Keine Anzeige irgendeiner Art, die mir sagt, wann der Fahrstuhl hier sein könnte.

Was wäre eigentlich, wenn der Alte den Fahrstuhl benutzen sollte? Stelle mich etwas an den Rand, nur für den Fall der Fälle. Es dingt im Hintergrund leise. Die Fahrstuhltüren gehen nacheinander auf. Stille. Nur das Rauschen des Windes und die wilden Stromschläge, welche vereinzelt in den langsam schwarz werdenden Fußboden gehen, unterbrechen die Geräuschkulisse. Soweit, so gut. Revolver im Anschlag langsam voran. Jede Schritt näher an die Fahrstuhltür. Sie fängt an, zuzugehen. Verflucht! Ich laufe hinüber, Hände dazwischen. Was wenn sie keinen STOP-Mechanismus haben?! 

Als die Tür meinen Arm berührt, bleibt sie stehen. Uff. Mir wird etwas mulmig. Die Fahrstuhl-Tür geht wieder auf. Hätte er auf seinen Moment gewartet, wäre dies mein Ende gewesen. Jetzt den Schuss setzen, und PENG, Bye Bye Zeichner. Einen kurzen Schritt in den immer noch leeren Fahrstuhl hinein, und alle Tasten an seiner Seite betätigt. Das sollte sicherstellen, dass er entweder vor diesem, oder auf jeder Etage verharren muss, um sicher zu sein, dass ich nicht dort zufällig dort bin. Wenn er den Fahrstuhl im Blick hat, heißt das natürlich.

Laufe so schnell ich kann, trotz einer gewissen Erschöpfung, trotz des Reissens und Zerrens in den Muskeln, zurück zum Treppenhaus, und nehme jede einzelne Stufe, jeden Abschnitt so schnell ich kann, nur um vor dem Fahrstuhl schneller unten zu sein. 8te Etage. Tiefer und Tiefer, ehe ich endlich das Erdgeschoß erreiche. Das bringt mich zu einer neuen Frage. 

Deep Throat hat erwähnt, dass der Fahrstuhl für B2 freigeschaltet sei, aber es gibt auch einen normalen Zugang zum Club Eshaton über eine Rolltreppe. Gehen wir davon aus, dass irgendwas mit Tatianna da unten umgeht, und Kaltenstadt sich da rum treibt, für den Fouquier die ganze Chose nahe White Springs überhaupt abgezogen hatte. 5te Etage. Beim Gedanken daran geht mir direkt wieder ein kalter Schauer über den Rücken. Brrr.

Das Stechen in meiner Lunge will nicht aufhören. 4te Etage. Aber das ist nicht so schlimm. 3te Etage. Da unten ist es schon. 2te Etage. Fast geschafft. 1ste Etage. Komm schon... Michael. Du ...hast es ...fast geschafft. Nur noch ...ein paar …Meter. Drücke mich …keuchend gegen …die Treppenbrüstung des …Erdgeschosses. Muss erst mal…wieder …Luft …kriegen.

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