Ich kriege ein Auge auf. Mehr noch als nach der Behandlung durch die
Muckiboys schreit mein ganzer Körper auf. Als ob er in einer Art und Weise
behandelt wird, die ihm ebenso wenig gefällt, wie mir.
Muss blinzeln. Höre im Hintergrund Stimmen. Mehrere? Licht kommt von
irgendwo. Ein rötlicher Schimmer. Ich sehe die Sonne. Blutrot am Horizont.
Untergehen? Nein, ich liege auf dem Rücken. Erst langsam alle Sinne wieder
beisammen.
Angus? - Fuck! Siehst du ihn?
Hank? - Die Hecke hat ein Loch, aber ich kann nicht reingucken! Wie
soll ich ihn also sehen wenn du ihn nicht sehen kannst?!
Richte langsam meinen Kopf wieder auf. Falsch herum auf den Boden gekommen.
Taste mit den Händen herum. Anscheinend hat die Hecke den Großteil meines
Sturzes abgefedert. Gut für mich, würde ich mal sagen. Über mir sehe ich ein
Lock in der Hecke, von dem aus ich den heller werden Himmel sehen kann sowie in
Stück vom Hausdach. Kann nicht genau abschätzen, aber ich muss knapp durch die
halbe Hecke gefallen sein. Die Stimmen von oben werden panischer.
Angus? - Fuck, Smetnik reißt uns den Kopf ab!
Hank? - Spring hinterher!
Angus? - Bist du wahnsinnig?! Spring du doch hinterher!
Mit etwas Gefühl wieder in den Fingern und Beinen langsam einen Weg aus der
Hecke bahnen. Im nächsten Moment knackt es unter mir. Uh Oh. Zweige und Verästlungen
brechen unter mir weg, als ich vielleicht zwanzig Zentimeter tiefer auf dem
Boden aufkomme. Reibe meinen Hintern. Aber dafür ist unter meinen Füßen jetzt Größenteils
Boden. Aufstehen. Mit den Fingern greife ich durch die Heckenreste vor mir und
breche durch. Die Sonne strahlt mir mit voller Wucht ins Gesicht. Die
rötliche-orangene Morgensonne. Die Nacht ist damit vorbei.
Ich stehe auf der Gartenseite offensichtlich, vor mir erstreckt sich bis in
weite Ferne ein großer Gartenbereich mit verschiedenen kleinen Arealen. Nur ein
paar Meter von mir entfernt fließt ein kleiner künstlicher Bach mit Fischen,
der sich quer durch den gesamten Garten zieht, unterbrochen nur von einer
kleinen hölzernen Brücke ungefähr auf der Mitte des Gartens, erreichbar über
einen gepflasterten Steinpfad. Darüber erreicht man damit die linke Seite des
Gartens, der sich primär durch ein Gewächshaus und ein paar größere Reihen an
Rosenbeeten auszeichnet, während dem gegenüber auf der rechten Seite ein paar
anscheinend Marmorne Bänke nebst Statuen und ein paar Hecken einen kleinen
Lustgarten mit einem Springbrunnen und einem zentral gelegenen Pavillon bilden.
Und das alles wird durch eine knapp zwei Meter hohe Mauer von der Außenwelt
abgetrennt. Ich bin ja schon froh, dass ich noch keine Wachhunde sehe. Selbst
aus meiner jetzigen Position erkenne ich die Sitzbank auf der das Foto Mokhovs
gemacht wurde.
Zu meiner unmittelbaren Rechte befindet sich damit der große Terrassenausgang
und der Saal in dem das Interview gemacht wurde, oder? Ein leichtes Abtasten am
Heckenrand nach rechts bringt mich zur Ecke. Einmal kurz hervor lugen. Große
Außen-Terrasse die an einen Wintergarten erinnert und nur über über einen
Korridor mit dem Haupthaus verbunden ist. Und natürlich ein Wachmann der im
Inneren...was eigentlich, Patrouillier läuft? Streife? Jedenfalls macht er
seine Runden. Kurzer Blick nebenbei aufs Display. Super. Spinnenweben-Muster
drauf. Ich kann dieselbe Ansicht jetzt mit Verzerrungen sehen. Soweit ich es
ausmachen kann, ist Mokhov entweder bewusstlos oder tot, sein Kopf der Kamera
abgeneigt. Im Hintergrund sehe ich eine sich bewegende Hand, aber die scheint
nicht zu Mokhov sondern zu dem jungen Mann zu gehören, der sich als Neffe
Rieé´s vorgestellt hatte. Würde natürlich bedeuten dass er noch nichts davon
weiß, dass ich seinen Leuten entkommen bin. Und es wird keiner damit rechnen,
wenn ich den Weg hinein nehmen um jetzt Mokhov rauszuholen. In gewisser Weise
denke ich, dass er der Schlüssel sein könnte. Mokhov sollte zu mindestens
deutlich mehr darüber sagen können, was es mit der jungen Frau auf sich hat und
warum alle hinter ihr her sind.
Je länger ich zugucke, umso mehr fällt mir auf, dass der Wachmann eine
stetig gleiche Runde im Wintergarten macht. Einmal um alle Sitzplätze rum, dann
ein Blick in den Korridor, langgezogenes Gähnen Richtung Garten, Augen-Reiben
beim Blick auf die aufgehende Sonne und erneuter Gang Richtung Sitzplätze.
Moment abpassen....und los. Rüber hechten zur Eingangstür, noch ist er mir
abgewandt, langsames Drehen des Türknaufs. Es klackt ganz leicht. Nicht
abgeschlossen. Jackpot! Ich öffne die Tür einen Spalt weit, husche herein,
lehne die Tür vorsichtig an, ducke mich hinter einem der weißen Gartenmöbel,
die hier herumstehen. Marke Luxus die Dinger. Höre ein schweren Schnaufen von
der Seite. Er hat die angelehnte Tür bemerkt? Das ging schnell. Langsamen
Schrittes in der Hocke um das Möbelstück herum, ein schneller Blick. Nope. Er
schnauft einfach nur so bei seiner Tour. Er ist zur Hälfte rum. Ich wechsel
meine Position in einer gewagten Bodenrolle. Zu mindestens würde ich das, wenn
das hier ein Actionfilm wäre, aber so wie meine Gelenke momentan wehtun wäre
das Hölle für mich. Im nächsten Moment höre ich von draußen einen dumpfen
Aufknall. Kurzer Blick zur Fensterwand zeigt, die Hecke wackelt. Einer der
Beiden ist ernsthaft nachgesprungen. Immerhin haben sie Schneid, dass muss ich
ihnen ja lassen.
Das wiederum alarmiert den Wachmann. Er schaut etwas verwundert, nähert sich
der Terrassentür, schaut etwas skeptisch. Scheint zu bemerken, dass die Tür
nicht richtig zu ist. Grummelt sich etwas in den nichtvorhandenen Bart.
Gelegenheit nutzen, Zeichner! Umrunde das Möbelstück ganz, befinde mich in
seinem Rücken. Langsam komme ich hinter ihm hoch, Linke Hand positioniert ramme
ich sie ihm gegen den Rücken.
Zeichner - Keine Bewegung!
Mit einem Mal beginnt der Typ zu erstarren, gleichwohl ich ein leichtes
Zittern wahrnehmen kann. Ich greife mit der rechten in seinen Holster, während
ich mit der linken so tue, als würde ich ihm einen Lauf in den Rücken halten.
Ein Taser. Super. Ausrichten und...Feuer.
Vor mir beginnt der Wachmann unkontrolliert zu zucken, ich merke wie seine
Beine nachgeben und er in Zuckungen auf dem Boden zusammen bricht. Fuck sieht
das übel aus. Ich greife vom nur wenige Meter entfernten Sofa ein paar
Stofftücher, Decken etc. und beginne ihn so schnell und simpel es geht, zu
fesseln und zu knebeln., auf das Sofa zu legen damit er nicht sofort gesehen
wird. Dann in geduckter Haltung den Korridor Richtung Innenhaus. Noch beim
losgehen kann ich von draußen langgezogene Schmerzensbekundungen hören. Hätte
ich ihm auch sagen können, dass das wehtut.
Der Korridor trifft sich in einer größeren Halle mit einigen anderen und ein
paar kleineren Treppen nach oben. Es ist nicht die Eingangshalle. Trotzdem ist
es luxuriös ausgestattet. Ein paar größere Fenster nach vorne zeigen den Blick
auf das vordere Anwesen, während hinter mir der Weg in den Wintergarten ist,
und es nach links und rechts abgeht. An der Seite zur linken steht auf einem
kleinen Telefontisch ein altmodisches Telefon, Marke frühe Neunziger. Der
gesamte Fußboden hier im Erdgeschoß scheint mit teurem Marmor belegt zu sein,
so wie das wirkt, was ärgerlich ist, weil ich gerade feststelle, dass meine
Schritte gut vernehmbar hallen.
Schnell die Schuhe ausgezogen. Und jetzt sehe ich dass meine Socken ein Loch
haben. Na großartig. Immerhin bin ich jetzt deutlich leiser unterwegs. Nur
leider habe ich keinen blassen Schimmer, wo hier was wo hinführt. Kurze
Logische Deduktion. Es wird irgendwo ein Untergeschoß oder einen Keller geben,
so lässt das Mobildisplay vermuten bei dem was ich drauf sehe. Ausgehend davon,
dass er also im Untergrund gehalten wird wird es irgendwo eine Treppe hinunter
geben. Die Alternative wäre, dass es vielleicht irgendwo einen Aufzug im Haus
gibt, den man nutzen könnte, um die Etage zu wechseln, notfalls auch einen
Speiseaufzug. Wobei, ob ich da reinpasse? Problem ist, ich weiss in beiden
Fällen nicht, wo eines von beiden ist. Weder für die Treppe nach unten, sofern
sie existiert, noch für eventuelle andere Wege hinunter oder hoch.
Das laute Klingeln des Telefons reißt mich aus meinen Gedanken. Verflucht,
wenn das jemand mitbekommt und herkommen will, könnte ich geliefert sein. Renne
rüber. Greife den Hörer, der mir dabei fast aus den Händen fliegt, schnappe ihn
aber im letzten Moment mit beiden. Halte ihn langsam und borsichtig ans Ohr.
Ich kann eine andere Person am anderen Ende atmen hören. Es wirkt angestrengt.
Anrufer - Er weiß, dass sie entkommen sind.
Die Stimme ist tief, von Spuren von jahrelangem Alkohol und
Zigarettenmissbrauch gekennzeichnet.
Zeichner - .... .... Wer sind sie?
Anrufer - Ich melde mich wieder.
Zeichner - Warten sie! Woher wissen sie
Aufgelegt. Treibt der Neffe seine Spielchen mit mir oder ist das eine echte
weitere Partei, die um mein Wohlergehen besorgt ist? Und wenn ich nur einen
Moment davon ausgehe, dass er Recht hat, könnte ich durchaus in eine Falle
laufen. Aber welchen Unterschied machen meine Handlungen dann überhaupt noch?
Muss den Gedanken beiseite schieben, für eine quasi-metaphysische Diskussion
über Handlungsun/freiheit ist nicht der richtige Zeitpunkt! Echt jetzt,
Zeichner.
Ich lege auf. Mir kommt aber eine andere Idee. Nehme den Hörer in die Hand,
wähle die Vermittlung. Es dauert einen Moment, bis ich verbunden bin.
Telefon - Silverhill-Vermittlung, guten Morgen, wie kann ich ihnen
behilflich sein?
Kurzes Umschauen, ich bin noch alleine, und aus Richtung Wintergarten kommt
auch noch niemand. Moment. Silverhill-Vermittlung? Die reichen Bastarde haben
eine eigene Vermittlung eingerichtet?
Zeichner - Ich benötige eben eine Verbindung zur Madison Lane. Rassila.
Telefon - Aber natürlich. Einen Augenblick bitte.
Es knackt und knistert, dann höre ich das typische Geräusch einer aufgebauten
Leitung. Es klingelt ein, zwei mal. Dann geht jemand ran.
Telefon - Residenz Rassila. Wer spricht da?
Zeichner - Mein Name ist Zeichner, Michael Zeichner, ich arbeite für Miss
Rassila, holen sie die Dame so schnell es geht an den Hörer.
Telefon - Augenblick, ich frage nach.
Die nächsten Momente vergehen zähflüssig. Mein steter Blick auf die
Korridore gerichtet. Im Hintergrund beginne ich ein paar Geräusche der
Betriebsamkeit zu vernehmen. Anscheinend erwacht das Haus selbst gerade erst zum
Leben. Seltsam, ich dachte immer Dienstpersonal wäre um diese Uhrzeit schon
aktiv. Es könnte ein großer Fehler sein, aber momentan ist im Viertel hier erst
mal Rassila die einzige, die mir vermutlich weiterhelfen kann, hier heraus zu
kommen. Ausgehend davon, dass ihr Mann wirklich ein Mitglied des organisierten
Verbrechens ist könnte mich das natürlich teuer zu stehen kommen. Am anderen
Ende nimmt jemand, ich merke wie ich nur ganz entfernt und unterdrückt Stimmen
wahrnehme, als ob jemand die Hand auf die Sprechmuschel bzw. den Bereich legt.
Telefon - Zeichner?
Eine gewisse Erleichterung verspüre ich schon, als ich Rassilas Stimme höre.
Zeichner - Esther, hören sie mir zu und hören sie mir gut zu. Mokhov lebt
und ich bin dabei ihn hoffentlich herauszuholen. Ich befinde mich im Stockton
Drive bei Rieé und sein..."Neffe" hat Mokhov in einem
Folterkämmerchen unter Verschluss. Ich muss, sobald ich ihn habe hier weg, aber
mein eigener Wagen ist unter Verschluss. Können sie mir helfen?
Für einen Moment. Stille.
Telefon - Wo und wann?
Zeichner - In zwanzig Minuten hinter dem gigantischen Garten und dessen
großer Mauer. Hupen sie, wenn sie da sind.
Ohne ihre Antwort abzuwarten, lege ich auf.
Das war doch mal souverän und dominant, eh? Würde mir selber auf die
Schulter klopfen, wenn es nicht so selten dämlich wäre. Schritte! Irgendjemand
mit sehr gut vernehmbaren Schuhen läuft durch einen der Korridore. Ich lege
langsam den Hörer weg und ziele mit dem Taser. Welche Reichweite hat so ein
Dinge eigentlich?
Die Schritte, so weit sie auch hallen, scheinen sich zu entfernen. Nehme
meine Schuhe wieder auf. So stehe ich da, Schuhe in der linken, Taser in der
rechten Hand, und schleiche langsam an der Wand zum Korridor hin. Kurzer Blick
hinein. Wer auch immer da gerade lang ging hat die Seitentür hinter sich
aufgelassen. Langsam dahin geschlichen. Überraschung Überraschung, es ist eine
Treppe dahinter in ein Untergeschoß. Ich schaue mich noch einmal um, aber
es ist sonst niemand zu sehen. Also mache ich mich schnellen Fußes die Treppe
hinunter. Das ist ohne Schuhe viel schmerzhafter als ich erwartet habe,
besonders als ich auf der Mitte offensichtlich einen rostigen Nagel treffe, der
mich beinah zu Fall bringt. Scheisse.
Als ich auf den letzten Stufen bin, rasant Geschwindigkeit genommen, sehe
ich einen Kopf sich in den Weg kommen, ein Anzugträger, der gucken will, der da
die Treppe hinunter poltert. Für einen Moment scheint er verwundert mich zu
sehen, als ich unten meine Schuhe in der linken erhebe und sie ihm mit voller
Wucht gegen den Schädel brettere. Er weicht ein paar Schritte zurück, ein
lautes AUA entfährt ihm, seine Linke greift zu einem Seitenholster. Taster
hoch. Feuer! Es dauert nur Sekunden. Er bricht zusammen. Und ich steh im
Untergeschoß.
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