20140314

Fall 1 - XVIII

Dunkelheit.

Egal, wo ich hinblicke. Ich befinde mich in absoluter Schwärze. Erneut. Es scheint mir dieser Tage, als würde ich mehr als notwendig damit liebäugeln, diesen Punkt zu erreichen.

Und doch. Es ist als ob ich festen Boden unter den Füßen habe. Und jeder Moment ist ein Schritt in eine Richtung. Aber in welche? Ich kann das Widerhallen meiner Füße hören. Jeder Schritt wie auf einem Marmor- oder Steinfußboden.

Es ist, als ob ich mit der Zeit Umrisse ausmachen kann. Wände, die sich bilden. Eine große Halle. Eine Leiter, die inmitten dieser Halle steht und zentral durch die Decke geht. Und eine Person, die ich nicht hier erwartet hätte, die an dieser Leiter steht und in meine Richtung blickt.

Inmitten der großen Halle, die mich an irgendeinen anderen Ort erinnern will, es liegt mir auf der Zunge, aber ich kann den Ort nicht recht greifen in meiner Erinnerung, steht dieser Kerl. Etwas kleiner als ich, dicklich, untersetzt, mit einem altmodischen braunen Anzug in einem rotem Hemd und einem gestreiften grünen Krawatte unter den dicken schwarzen Brillengläsern.

Ich will zu ihm gehen. Einen Fuß vor den nächsten setzen. Aber mein Körper ist wie in dichtestem Schlamm und bewegt sich keinen Millimeter. Seltsam. Ich habe auch nicht das Gefühl, dafür Kraft aufzuwenden. Ich blicke mich um. Mir ist vorher gar nicht aufgefallen, aber anscheinend wird diese Halle ebenso von Säulen neben den Wänden gesäumt. Die Säulen sehen bizarr aus, mit Verdrehungen und entgegen der Richtung laufenden Mustern. Beim näheren Hingucken fällt mir auch auf, dass an den Wänden dahinter Fresken-artig Wandbilder angezeichnet sind. Aber diese....bewegen sich?

Ich reibe mir mit den Fingern durch die Augen. Und dann kann ich seine Stimme hören.

Person - Hallo Michael.

Ich drehe mich Richtung Zentrum. Genau wie ich es in Erinnerung hatte. Etwas quietschig, leicht zu hoch, aber irgendwie immer unpassend klingend.

Zeichner - Hallo Dirk.

Unsere Stimmen tragen sich über die große Distanz zwischen uns, als würden wir nebeneinander. Die Entfernungen sind verzerrt.

Zeichner - Dirk?

Dirk - Ja, Michael?

Zeichner - Was ist das hier?

Dirk - Du musst näher kommen. Versuch es. Dann erkläre ich es dir.

Ich muss die Stirn runzeln. Versuche erneut einen Fuß vor den anderen zu setzen. Es scheint zwecklos. Egal, wie sehr ich mich anstrenge, ich bewege mich nicht einen Zentimeter vorwärts. Hält mich etwas auf? Oder zurück? Ich drehe mich auf der Stelle. Hinter mir ist nur gähnende, tiefe, und ewige Schwärze. Es ist, als ob diese Halle alleine irgendwo in kompletter Finsternis existiert, oder als alles andre um uns herum bereits verschlungen wäre. Der Anblick ist mir unheimlich. Ich drehe mich wieder Dirk zu. Er macht keinerlei Anstalten, sich in meine Richtung zu bewegen.

Zeichner - Es geht nicht, Dirk. Ich hänge fest.

Dirk - Lass dir Zeit. Wir kommen hier nicht weg ehe du es versuchst.

Zeichner - Aber ich habe es bereits versucht?!

Dirk - Willst du wirklich so schnell aufgeben, Michael?

Zeichner - Ich...Nein! Aber! Hrmpf...

Ich dränge mich vorwärts. Nicht einen Zentimeter. Nicht einen Millimeter! Ewigkeiten vergehen, ganze Galaxien zerbersten und erstehen neu während ich hier titanische Anstrengungen bewältigen muss, um auch nur einen Schritt nach vorne zu kommen, und Er macht sich einen Spaß daraus? Piesackt mich auch noch?! Na warte, wenn ich dich in die Finger kriege!

Ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen ist, aber als ich mich umsehe, sehe ich links und rechts Säulen an meiner Seite. Ich habe mich aus dem Eingangsbereich nach Vorne bewegt. Ich bin also weitergekommen. Aber wie? Und wie lange habe ich dafür gebraucht?

Dirk - Es geht doch, Michael.

Zeichner - Was ist das hier, Dirk? Wo bin ich?

Dirk - Sind dir die Wandzeichnungen aufgefallen?

Zeichner - Ja, schon vor einer ganzen Weile.

Dirk - Offensichtlich nicht. Sieh sie dir an, Michael. Sieh sie dir genau an.

Ich drehe mich zur rechts von mir befindlichen Wand. Es ist eine auf den ersten Blick glatt wirkende Wand, auf der jemand mit wilden Farben etwas versucht hat zu malen, unterbrochen in der Ansicht von den verzerrt stehenden Säulen, die jeden vollständigen Anblick unmöglich machen. Es ist, als ob sie erzwingen wollen, dass man die Wandmalereien immer nur stückchenweise sieht. Als sich meine Augen darauf richten wollen, einen Bereich etwas näher zu erfassen, wird mir schwindlig. Die Bewegungen der Wandbilder sind zu schnell, rapide Abfolgen von Farben und Formen, die undeutlich und unklar immer wieder hervor tanzen, ohne ein klares Muster zu bilden.

Zeichner - Ich sehe es Dirk, aber ich weiß nicht, was es bedeuten soll.

Dirk - Es bedeutet, dass du im Sterben liegst, Michael.

Ich drehe mich zu ihm herum. Welch ein Unsinn ist das schon wieder?! Wie kann ich dabei sein zu sterben, wenn ich jetzt gerade hier mit ihm am Reden bin. Es ist doch nicht so als ob hier ein Limbo wäre der aus Schwärze bestehend....ohhhhhh

Zeichner - Ohhhhhh......

Dirk - Hahahaha. Nicht so, Michael. Dies ist nicht Limbo.

Zeichner - Was ist es dann?

Dirk - Es ist ein Fleckchen in dir drin, das du erschaffen hast, als du die Zeit dafür noch hattest.

Zeichner - Und warum bist du hier? Ich meine, wenn ich schon dem Tod entgegensteuere, kann es dann nicht wenigstens eine gutaussehende Dame sein, die mich dahin geleitet?

Dirk - Du missverstehst. Ich bin nicht der Cherub, der dich abholt. Ich bin hier, weil ich mir dachte, dass du irgendwann mal in dieser Situation sein wirst.

Zeichner . Wie meinst du das?

Dirk - Als wir uns damals getroffen haben, hat der Alkohol deine Zunge gelockert, Michael. Es wird in deinem Unterbewusstsein versteckt sein. Aber das ist nicht der entscheidende Punkt. Der Punkt ist, dass ich dir damals eine Suggestion mitgegeben habe. Und wegen dieser bin ich hier.

Zeichner - Willst du mir einen Bären aufbinden? Wer soll denn diesen Quatsch glauben? Davon abgesehen passt das überhaupt nicht zu dir!

Dirk - Hahahahaha....aber den Versuch war es wert. Hätte ja klappen können. Du hast recht Michael. Ich bin aus anderen Gründen hier.

Zeichner - Die da wären?

Dirk - Siehst du diese Leiter neben mir? 

Zeichner - Sie ist nicht zu übersehen Dirk. Natürlich sehe ich sie. Sie steht zentral im Raum und führt bis an und durch die Decke irgendwo nach oben. Nicht, dass das irgendwo Sinn hätte.

Dirk - Unerheblich. Weißt du wofür sie ist?

Zeichner - Du wirst es mir vermutlich gleich sagen.

Dirk - Es macht keinen Spaß, wenn du mit Sarkasmus anfängst.

Zeichner - Dann solltest du dir vielleicht klarere Antworten angewöhnen.

Dirk - Diese Leiter ist ein Ausweg aus deiner momentanen Misere.

Zeichner - Inwiefern?

Dirk - Siehst du das Licht da oben?

Ich schaue dorthin, wo er mit der Hand zeigt. Ganz oben, an der Decke ist eine kleine viereckige Aussparung, aus der ein helles, weißes Licht zu kommen scheint. Es ist hell. Beinahe schon steril in seiner Art. So brennend weiß, dass ich nicht länger hingucken mag.

Zeichner - Ich sehe es.

Dirk - Da oben geht es hinaus.

Zeichner - Hinaus wohin?

Dirk - In den nächsten Abschnitt.

Zeichner - Was? Ist das für dich ein Spiel?

Dirk - In gewisser Weise. 

Mit einem Mal sehe ich, wie Dirk hinter seinem Rücken eine Axt hervor holt. Er grinst.

Dirk - Dies ist dein Zeitlimit, Michael. Jede Minute einen Schlag. Und lass mich dir sagen, sie ist nicht sehr haltbar.

Zeichner - Warte! Warum? Ist das mein einziger Ausweg?

Dirk - 57 Sekunden, Michael.

Meine Beine wollen mich incht tragen, meine Umgebung ist so leicht zu durchschreiten wie eine Teergrube. Trotz allem versuche ich durchzuwaten, was das Zeug hält. Aber selbst als ich meine, zu rennen, kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass ich nicht rechtzeitig ankommen werde.

Dirk - Eins.

Er schlägt mit der Axt zu und eine harte Kerbe wird in der Leiter sichtbar. Ich meine, vorwärts zu kommen, aber noch bevor ich das Gefühl habe, weiter zu sein, ZACK, die nächste Kerbe.

 Dirk - Noch ein paar Schläge kann sie, Michael.

Wieder und wieder haut er zu, während ich verzweifelt versuche, die Distanz zwischen mir und der vermaledeiten Leiter zu überbrücken. In der Zeit, die ich für die gefühlten fünf Meter brauche habe andere Leute einen ganzen Epos fertig.

Dirk - Na, schaffst du es? Sie sieht schon schlimm aus.

Nur ein Meter trennt meine Arme noch von der Leiter, als Dirk mich angrinst. Die Axt hebt.

Und zuschlägt. 

Mit Getöse kracht das fragile Konstrukt zusammen, die Leiter gebrochen an ihrer untersten ebene fällt herunter als gäbe es keinen Punkt, an dem sie an ihrer Spitze gesessen hätte außer als angelehnt worden zu sein. Und kommt krachend vor meinen Füßen herunter in vielen kleinen Einzelteilen. Ich kann nicht mehr. Erschöpfung durchzieht mein ganzes Sein. Falle auf die Knie. Dirk grinst immer noch.

Zeichner - WARUM GRINST DU? WARUM HAST DU DAS GEMACHT?

Ich kann nicht mehr, Tränen beginnen sich meine Wange hinunter zu formen, die Verzweiflung, die Andeutung dessen was ich von dort oben erwartet hätte.

Dirk - Es macht keinen Unterschied.

Zeichner - WAS? Aber! Aber! Du hast gesagt das....

Dirk - Michael, glaubst du wirklich, dass es so einfach ist? Es gibt Dinge jenseits außerhalb deiner und meiner Kontrolle, die sich dafür einsetzen, dass du weitermachen kannst. Diese Mächte brauchen keine Leiter, sie brauchen nur dich.

Zeichner - Ich...verstehe nicht....was meinst du damit? Welche Mächte?!

Dirk - Ist dir aufgefallen, dass du blutest?

Ich blinzele. Schaue an mir herunter. Auf meiner Brust hat sich eine rote Rose ins weiße Hemd geformt. Sie beginnt immer weiter wellenförmig um sich zu greifen. Wellen von Schmerzen überkommen, werfen mich zu Boden, schütteln mich.

Dirk - Es gehört alles dazu. Keine Sorge, Michael. Die Mächte werden verhindern, dass du hier zugrunde gehst. Schließlich brauchen sie dich noch.

Ich kann kaum einen klaren Gedanken fassen, als ich das Rauschen von Wasser höre und sehe, wie Dirk mir zuwinkt und sich in ein aus dem Nichts aufgetauchtem Ruderboot setzt. Dann klatschen die Wellen auf mich ein. Rot. Wie Blut.

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