Dunkelheit.
Egal, wo ich hinblicke. Ich befinde mich in absoluter Schwärze. Erneut. Es
scheint mir dieser Tage, als würde ich mehr als notwendig damit liebäugeln,
diesen Punkt zu erreichen.
Und doch. Es ist als ob ich festen Boden unter den Füßen habe. Und jeder
Moment ist ein Schritt in eine Richtung. Aber in welche? Ich kann das
Widerhallen meiner Füße hören. Jeder Schritt wie auf einem Marmor- oder
Steinfußboden.
Es ist, als ob ich mit der Zeit Umrisse ausmachen kann. Wände, die sich
bilden. Eine große Halle. Eine Leiter, die inmitten dieser Halle steht und
zentral durch die Decke geht. Und eine Person, die ich nicht hier erwartet
hätte, die an dieser Leiter steht und in meine Richtung blickt.
Inmitten der großen Halle, die mich an irgendeinen anderen Ort erinnern
will, es liegt mir auf der Zunge, aber ich kann den Ort nicht recht greifen in
meiner Erinnerung, steht dieser Kerl. Etwas kleiner als ich, dicklich,
untersetzt, mit einem altmodischen braunen Anzug in einem rotem Hemd und einem
gestreiften grünen Krawatte unter den dicken schwarzen Brillengläsern.
Ich will zu ihm gehen. Einen Fuß vor den nächsten setzen. Aber mein Körper
ist wie in dichtestem Schlamm und bewegt sich keinen Millimeter. Seltsam. Ich
habe auch nicht das Gefühl, dafür Kraft aufzuwenden. Ich blicke mich um. Mir
ist vorher gar nicht aufgefallen, aber anscheinend wird diese Halle ebenso von
Säulen neben den Wänden gesäumt. Die Säulen sehen bizarr aus, mit Verdrehungen
und entgegen der Richtung laufenden Mustern. Beim näheren Hingucken fällt mir
auch auf, dass an den Wänden dahinter Fresken-artig Wandbilder angezeichnet
sind. Aber diese....bewegen sich?
Ich reibe mir mit den Fingern durch die Augen. Und dann kann ich seine
Stimme hören.
Person - Hallo Michael.
Ich drehe mich Richtung Zentrum. Genau wie ich es in Erinnerung hatte. Etwas
quietschig, leicht zu hoch, aber irgendwie immer unpassend klingend.
Zeichner - Hallo Dirk.
Unsere Stimmen tragen sich über die große Distanz zwischen uns, als würden
wir nebeneinander. Die Entfernungen sind verzerrt.
Zeichner - Dirk?
Dirk - Ja, Michael?
Zeichner - Was ist das hier?
Dirk - Du musst näher kommen. Versuch es. Dann erkläre ich es dir.
Ich muss die Stirn runzeln. Versuche erneut einen Fuß vor den anderen zu
setzen. Es scheint zwecklos. Egal, wie sehr ich mich anstrenge, ich bewege mich
nicht einen Zentimeter vorwärts. Hält mich etwas auf? Oder zurück? Ich drehe
mich auf der Stelle. Hinter mir ist nur gähnende, tiefe, und ewige Schwärze. Es
ist, als ob diese Halle alleine irgendwo in kompletter Finsternis existiert,
oder als alles andre um uns herum bereits verschlungen wäre. Der Anblick ist
mir unheimlich. Ich drehe mich wieder Dirk zu. Er macht keinerlei Anstalten,
sich in meine Richtung zu bewegen.
Zeichner - Es geht nicht, Dirk. Ich hänge fest.
Dirk - Lass dir Zeit. Wir kommen hier nicht weg ehe du es versuchst.
Zeichner - Aber ich habe es bereits versucht?!
Dirk - Willst du wirklich so schnell aufgeben, Michael?
Zeichner - Ich...Nein! Aber! Hrmpf...
Ich dränge mich vorwärts. Nicht einen Zentimeter. Nicht einen Millimeter!
Ewigkeiten vergehen, ganze Galaxien zerbersten und erstehen neu während ich
hier titanische Anstrengungen bewältigen muss, um auch nur einen Schritt nach
vorne zu kommen, und Er macht sich einen Spaß daraus? Piesackt mich auch noch?!
Na warte, wenn ich dich in die Finger kriege!
Ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen ist, aber als ich mich umsehe, sehe
ich links und rechts Säulen an meiner Seite. Ich habe mich aus dem
Eingangsbereich nach Vorne bewegt. Ich bin also weitergekommen. Aber wie? Und
wie lange habe ich dafür gebraucht?
Dirk - Es geht doch, Michael.
Zeichner - Was ist das hier, Dirk? Wo bin ich?
Dirk - Sind dir die Wandzeichnungen aufgefallen?
Zeichner - Ja, schon vor einer ganzen Weile.
Dirk - Offensichtlich nicht. Sieh sie dir an, Michael. Sieh sie dir genau
an.
Ich drehe mich zur rechts von mir befindlichen Wand. Es ist eine auf den ersten
Blick glatt wirkende Wand, auf der jemand mit wilden Farben etwas versucht hat
zu malen, unterbrochen in der Ansicht von den verzerrt stehenden Säulen, die
jeden vollständigen Anblick unmöglich machen. Es ist, als ob sie erzwingen
wollen, dass man die Wandmalereien immer nur stückchenweise sieht. Als sich
meine Augen darauf richten wollen, einen Bereich etwas näher zu erfassen, wird
mir schwindlig. Die Bewegungen der Wandbilder sind zu schnell, rapide Abfolgen
von Farben und Formen, die undeutlich und unklar immer wieder hervor tanzen,
ohne ein klares Muster zu bilden.
Zeichner - Ich sehe es Dirk, aber ich weiß nicht, was es bedeuten soll.
Dirk - Es bedeutet, dass du im Sterben liegst, Michael.
Ich drehe mich zu ihm herum. Welch ein Unsinn ist das schon wieder?! Wie
kann ich dabei sein zu sterben, wenn ich jetzt gerade hier mit ihm am Reden
bin. Es ist doch nicht so als ob hier ein Limbo wäre der aus Schwärze
bestehend....ohhhhhh
Zeichner - Ohhhhhh......
Dirk - Hahahaha. Nicht so, Michael. Dies ist nicht Limbo.
Zeichner - Was ist es dann?
Dirk - Es ist ein Fleckchen in dir drin, das du erschaffen hast, als du die
Zeit dafür noch hattest.
Zeichner - Und warum bist du hier? Ich meine, wenn ich schon dem Tod
entgegensteuere, kann es dann nicht wenigstens eine gutaussehende Dame sein,
die mich dahin geleitet?
Dirk - Du missverstehst. Ich bin nicht der Cherub, der dich abholt. Ich bin
hier, weil ich mir dachte, dass du irgendwann mal in dieser Situation sein
wirst.
Zeichner . Wie meinst du das?
Dirk - Als wir uns damals getroffen haben, hat der Alkohol deine Zunge
gelockert, Michael. Es wird in deinem Unterbewusstsein versteckt sein. Aber das
ist nicht der entscheidende Punkt. Der Punkt ist, dass ich dir damals eine
Suggestion mitgegeben habe. Und wegen dieser bin ich hier.
Zeichner - Willst du mir einen Bären aufbinden? Wer soll denn diesen Quatsch
glauben? Davon abgesehen passt das überhaupt nicht zu dir!
Dirk - Hahahahaha....aber den Versuch war es wert. Hätte
ja klappen können. Du hast recht Michael. Ich bin aus anderen Gründen hier.
Zeichner - Die da wären?
Dirk - Siehst du diese Leiter neben mir?
Zeichner - Sie ist nicht zu übersehen Dirk. Natürlich sehe ich sie. Sie
steht zentral im Raum und führt bis an und durch die Decke irgendwo nach oben.
Nicht, dass das irgendwo Sinn hätte.
Dirk - Unerheblich. Weißt du wofür sie ist?
Zeichner - Du wirst es mir vermutlich gleich sagen.
Dirk - Es macht keinen Spaß, wenn du mit Sarkasmus anfängst.
Zeichner - Dann solltest du dir vielleicht klarere Antworten angewöhnen.
Dirk - Diese Leiter ist ein Ausweg aus deiner momentanen
Misere.
Zeichner - Inwiefern?
Dirk - Siehst du das Licht da oben?
Ich schaue dorthin, wo er mit der Hand zeigt. Ganz oben, an der Decke ist
eine kleine viereckige Aussparung, aus der ein helles, weißes Licht zu kommen
scheint. Es ist hell. Beinahe schon steril in seiner Art. So brennend weiß,
dass ich nicht länger hingucken mag.
Zeichner - Ich sehe es.
Dirk - Da oben geht es hinaus.
Zeichner - Hinaus wohin?
Dirk - In den nächsten Abschnitt.
Zeichner - Was? Ist das für dich ein Spiel?
Dirk - In gewisser Weise.
Mit einem Mal sehe ich, wie Dirk hinter seinem Rücken eine Axt hervor holt.
Er grinst.
Dirk - Dies ist dein Zeitlimit, Michael. Jede Minute einen Schlag. Und lass
mich dir sagen, sie ist nicht sehr haltbar.
Zeichner - Warte! Warum? Ist das mein einziger Ausweg?
Dirk - 57 Sekunden, Michael.
Meine Beine wollen mich incht tragen, meine Umgebung ist so leicht zu
durchschreiten wie eine Teergrube. Trotz allem versuche ich durchzuwaten, was
das Zeug hält. Aber selbst als ich meine, zu rennen, kann ich mich des Gefühls
nicht erwehren, dass ich nicht rechtzeitig ankommen werde.
Dirk - Eins.
Er schlägt mit der Axt zu und eine harte Kerbe wird in der Leiter sichtbar.
Ich meine, vorwärts zu kommen, aber noch bevor ich das Gefühl habe, weiter zu
sein, ZACK, die nächste Kerbe.
Dirk - Noch ein paar Schläge kann sie, Michael.
Wieder und wieder haut er zu, während ich verzweifelt versuche, die Distanz
zwischen mir und der vermaledeiten Leiter zu überbrücken. In der Zeit, die ich
für die gefühlten fünf Meter brauche habe andere Leute einen ganzen Epos
fertig.
Dirk - Na, schaffst du es? Sie sieht schon schlimm aus.
Nur ein Meter trennt meine Arme noch von der Leiter, als Dirk mich angrinst.
Die Axt hebt.
Und zuschlägt.
Mit Getöse kracht das fragile Konstrukt zusammen, die Leiter gebrochen an
ihrer untersten ebene fällt herunter als gäbe es keinen Punkt, an dem sie an
ihrer Spitze gesessen hätte außer als angelehnt worden zu sein. Und kommt
krachend vor meinen Füßen herunter in vielen kleinen Einzelteilen. Ich kann
nicht mehr. Erschöpfung durchzieht mein ganzes Sein. Falle auf die Knie. Dirk
grinst immer noch.
Zeichner - WARUM GRINST DU? WARUM HAST DU DAS GEMACHT?
Ich kann nicht mehr, Tränen beginnen sich meine Wange hinunter zu formen,
die Verzweiflung, die Andeutung dessen was ich von dort oben erwartet hätte.
Dirk - Es macht keinen Unterschied.
Zeichner - WAS? Aber! Aber! Du hast gesagt das....
Dirk - Michael, glaubst du wirklich, dass es so einfach ist? Es gibt Dinge
jenseits außerhalb deiner und meiner Kontrolle, die sich dafür einsetzen, dass
du weitermachen kannst. Diese Mächte brauchen keine Leiter, sie brauchen nur
dich.
Zeichner - Ich...verstehe nicht....was meinst du damit? Welche Mächte?!
Dirk - Ist dir aufgefallen, dass du blutest?
Ich blinzele. Schaue an mir herunter. Auf meiner Brust hat sich eine rote
Rose ins weiße Hemd geformt. Sie beginnt immer weiter wellenförmig um sich zu
greifen. Wellen von Schmerzen überkommen, werfen mich zu Boden, schütteln mich.
Dirk - Es gehört alles dazu. Keine Sorge, Michael. Die Mächte werden
verhindern, dass du hier zugrunde gehst. Schließlich brauchen sie dich noch.
Ich kann kaum einen klaren Gedanken fassen, als ich das Rauschen von Wasser
höre und sehe, wie Dirk mir zuwinkt und sich in ein aus dem Nichts
aufgetauchtem Ruderboot setzt. Dann klatschen die Wellen auf mich ein. Rot. Wie
Blut.
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