20140311

Fall 1 - XVII

Mokhov wiegt schwer auf meinen Schultern. Sprich-, wie auch wortwörtlich. Kann mir das Grinsen dabei nicht verkneifen. Irgendwo hier unten muss doch die Treppe sein. Vorsichtig wandere ich von Korridor zu Korridor. In einiger Entfernung kann ich Stimmen wahrnehmen. Sollte den Korridor eher meiden. Ärgerlich. Das war doch der, aus dem ich gekommen bin. Mokhov auf den Schultern macht die ganze Situation nicht gerade angenehmer.

Mit etwas Ausdauer komme ich schließlich zu einem anderen Treppenaufgang. Steige langsam die Treppe hoch, muss dabei aufpassen, dass sein Kopf nicht ständig irgendwo anstößt. Interessant, die Treppe knarzt wenigstens nicht, aber die Tür scheint zu klemmen. Etwas mehr Gewalt kann ich nicht anwenden. Sieht schon ganz schön alt aus.

Etwas mehr Druck kann ich dank Mokhov nicht nutzen, also wie komme ich jetzt am Besten durch diese Tür? Kurzer Blick umher. Aha! An der Seite verbirgt sich unter einem kleinen Balken ein Fingergroßer Hebel. Vorsichtig...balancieren...Mokhov knallt gegen wie Tür. Ups. Dafür ist der linke Arm jetzt frei. Rüber greifen und hoffen dass er sich bewegen lässt. Urkgs, er sitzt fest? Nein, Moment, da blockiert etwas den Hebel, ein kleiner Splitter. Wer würde sowas blockieren? Raus damit, Hebel betätigt. Ich fall fast durch die plötzlich aufgehende Tür. Unglücklicherweise fällt Mokhov exakt durch diese Tür. Schmerzenslaute entfleuchen seinem Mund, aber er selbst scheint nicht aus seiner Ohnmacht zu erwachen. Glücklicherweise, würde ich fast sagen. 

Der Korridor vor mir ist dunkel, holzvertäfelt und nur vereinzelt kann ich an der Wand kleine Löcher sehen, durch die ein winziger Lichtschein hineindringt. Dabei sind diese Löcher auch noch meistens recht gleichmäßig gelegen. Aber na klar! Das sind Kucklöcher. Mich trifft der Schlag. Rieé hat original einen geheimen Korridor hinter seinen Wänden, vermutlich mit Gemäldereihen. Das ist ja Klasse! Ich brauche einen Moment, ehe sich meine Augen der Dunkelheit anpassen. Aber dann geht es deutlich besser. Der Boden ist staubbedeckt und anscheinend schon seit langem nicht mehr begangen worden, der Korridor geht in beide Richtungen sehr lang und führt jeweils zu Abgangstüren, die vermutlich in andere Bereiche führen. Mit besser an die Dunkelheit gepassten Augen fällt mir jetzt auch auf, dass unter den Löchern selber garkeine Wandvertäfelung ist, sondern man die Gemälde-Rücken betrachten kann. Mit anderen Worten, wenn ich wollte, könnte ich durch die Gemälde den Korridor betreten. Auf Kosten des Gemäldes natürlich.

In einiger Entfernung höre ich wildes Geschrei. Irgendjemand tobt und zetert, dass es die Wände kaum aushalten wollten. Ich nähere mich dem Gemälde und betrachte den Korridor, der sich mir durch die Augen des Gemalten präsentiert. Ich erkenne den Korridor nicht, aber es wird wohl irgendwo im Anwesen sein. Wohl aber erkenne ich die beiden Personen, welche den Korridor entlang gehen, wobei einer von ihnen den anderen nur anschreit, während der andere nur beschwichtigen kann.

Neffe - UNFÄHIG! UNFÄHIG! Er ist aus dem Fenster gesprungen und ihr habt ihn entkommen lassen!

Angus? - Aber Mr.Smetnik, Sir, sie haben selbst gesagt wir sollen ihn gewähren lassen, wenn er versucht zu entkommen.

Smetnik? Smetnik! Jetzt Weiß ich woher die die Fresse des "Neffen" von Rieé kenne. Ein Playboy und Lebemann der immer mal wieder die Schlagzeilen der Nachrichtensendungen unsicher macht.

Smetnik - Wenn er versucht zu entkommen, nicht wenn er potenziell dabei ums Leben kommen könnte, Sie Idiot! Er ist aus dem Fenster gesprungen!

Hank? - Das konnten wir doch nicht voraussehen, Sir. Hank und ich hatten uns klar dabei abgesprochen, dass wir uns von ihm umhauen lassen, wenn er versuchen sollte, uns zu begegnen. Wir konnten doch nicht ahnen dass er so lebensmüde wäre. Immerhin ist ihm Hank auch sofort hinter her gesprungen!

Smetnik - Und hat sich das Knie gebrochen! Wenigstens wissen wir, dass er Mokhov befreit hat. Aber jetzt erklären sie mir mal, wieso unsere Leute ihn noch nicht gefunden haben? Wie sollen wir ihn verfolgen, wenn wir nicht wissen wo er ist?!

Angus - Das Untergeschoß des Anwesens ist sehr groß und altmodisch eingerichtet Sir, es kann dazu führen, dass wegen fehlender Verkabelung meine Leute einfach nicht wissen wo sie gucken sollen, aber ich halte es nur für eine Frage der Zeit, bis wir ihn gefunden haben.

Smetnik - Beten sie dafür, dass sie recht haben, Angus. Wenn uns wegen euch beiden die beiden durch die Lappen gehen, seid ihr geliefert!

Angus - Soweit sollte es nicht kommen, Sir.

Inzwischen sind die beiden außer Sichtweite. Ich kann sie noch etwas hören, aber meine Aufmerksamkeit ist bereits auf das Gemälde vor mir gerichtet. Ich hole aus, überlege gut, wie ich schlagen muss, um das Gemälde von meiner Seite aus zu durchschlagen. Aber halt. Ich lege einen Finger in eines der Guck-Löcher. Schau mal einer an. Mit etwas Druck reiße ich langsam das Bild von dieser Seite auf, bis ich ein Lock geschaffen habe, durch das ich mit Mokhov durch passe. Langsam und vorsichtig bugsiere ich uns heraus. Stehen wieder auf einem beleuchteten Korridor. Endlich.

Meine Füße tragen mich unter all dem Gewicht so schnell es geht in die andere Richtung, aus der Smetnik und Angus kamen und tatsächlich, es dauert zwar ein paar Minuten an diversen Türen vorbei, aber am Ende erwartet mich die Kreuzung von vorhin. Kurze Biegung nach Links, und vor mir liegt der Wintergarten.

Als ich den Wintergarten vor mir sehe, muss ich innerlich grinsen. Mit Mokhov auf der Schulter schleiche ich mich von Gebüsch zu Gebüsch, bis ich die Mauer mit ihren Reihen von Zierbäumen erreicht habe. Welch ein Glück. An einem der Bäume steht eine Leiter. Es ist eine Teufelsarbeit, aber es gelingt mir, ihn hochzuhieven, während ich selbst mit der Leiter die Mauer erreichen kann, und auf der anderen Seite erkennen kann, dass diverse Mülltonnen und -Säcke diese dominieren. Offensichtlich muss hier mal die Müllabholung vorbei.

Ich hieve Mokhov strategisch rüber, damit er so fällt, dass er auf ein paar Säcken aufkommt, und drücke mich dann selbst auch über die Mauer. Der Fall ist schmerzhaft.

Als ich mich aufrappele, fällt mir auf, dass einige der Müllsäcke dabei zerrissen sind. Ein kleiner Preis dafür, dass ich heil über die Mauer gekommen bin. Erst jetzt fällt mir auf, dass zwei große Jeeps am Straßenrand stehen, deren Türen aufgehen, als ich mich aufrichte. Ich kann Esther sehen, diesmal in einer eher legeren Kleidung, einer Jeans und einer Lederjacke. Wirkt etwas unpassend. Eher unglücklich bin ich über ihre Begleitung. Eine Gruppe von vier Asiaten, allesamt in Lederklamotte und mit Pistolen in den Händen begleiten sie. Geleitschutz oder Geiselnahme?

Erst jetzt wird mir bewusst, dass Mokhov anscheinend wieder bei Bewusstsein ist. Er jammert, und man kann ihm ansehen, dass seine Schmerzen recht groß sind. Als er Esther sieht, beginnt er auf zu schreien.

Mokhov - NEIN! Nicht Sie! Nicht Sie! Bitte! Gnade Czarina!

Zwei der Asiaten packen ihn an den Schultern und schleifen ihn zum Auto, während Esther sich mir mit den anderen beiden nähert. 

E.Rassila - Herr Zeichner! Welche Überraschung. Mit ihrem Anruf hatte ich gar nicht gerechnet.

Zeichner - Ich stehe zu meinem Wort, Miss Rassila. Aber ich glaube, wir sollten hier bald verschwinden.

Ich mache den ersten Schritt, da sehe ich, wie ihre beiden Handlanger die Waffen auf mich richten. Das veranlasst mich schon, plötzlich stehen zu bleiben.

E.Rassila - Aber Aber, Zeichner. Der Bus ist abgefahren. Sie bleiben hier. Mokhov geht mit mir und meinen Freunden hier.

Zeichner - Warum wollen sie Mokhov unbedingt?

E.Rassila - Weil er weiß, wo sich Tatianna aufhält. Und wenn ich sie gefunden habe, werde ich ihr eine Kugel durch den Kopf jagen!

Zeichner - Warum?! Wer oder was ist Tatianna?

E.Rassila - Was weiß ich. Irgendeine kleine Schlampe, hinter der mein Mann her ist. Und mein Mann ist nur hinter einer Frau her, wenn er sie ficken will. Aber er wird lernen. Ich bin die einzige, die ihn fickt.

Zeichner - Aber..das das hat...doch überhaupt nichts mit der Person zu tun!

Sie grinst mich an.

E.Rassila - Na und? Wong, bitte, den Revolver.

Der angesprochene kommt zu ihr herüber, holt aus seiner Jackeninnentasche eine Pistole. Einen Revolver. So ähnlich wie meinen. Wo ist meiner eigentlich? Ach Ja, ich glaube, immer noch irgendwo in der Kanalisation oder von den Muckiboys abgenommen. Er übergibt den Revolver an Rassila, die einmal die Kammer öffnet, hineinblickt, zufrieden grinst und sie dann wieder schließt, einmal an ihr dreht und dann den Hahn spannt. Sie guckt mich erwartungsvoll an. Ihre Zunge geht über ihre Lippen. Richtet den Revolver in meine Richtung, dann Richtung Himmel, und wackelt mit ihm beim Sprechen umher.

E.Rassila - Wong hier hat mir mitgeteilt, dass sie in Chinatown seinen Neffen getroffen und mit einem Revolver wie diesem hier bedroht haben.

Zeichner - Wie gut dass er dabei ausgespart hat, dass sein Neffe mich mit einem Messer zu Schaschlik verarbeiten wollte.

E.Rassila - Wissen sie, Zeichner, das interessiert mich eigentlich nicht. Eigentlich interessiert mich nur, dass sie meine Erwartungen bei weitem übertroffen haben. Ich hätte nie gedacht, dass so ein Westentaschen-Detektiv wie sie überhaupt so weit kommen würde. Schade, dass sie hier am Ende sind.

Zeichner - Weil sie Mokhov lebendig haben...?

Sie richtet den Revolver wieder auf mich. In Richtung meiner Brust.

E.Rassila - Nein, Herr Zeichner. Weil das hier das Ende ihrer Geschichte ist. 

[Ich empfehle das Musikstück zu hören, während der momentane Abschnitt läuft]

Mit einem Lauten Knall löst sich der Schuss. Wie in Zeitlupe kann ich sehe, wie die Kugel den Lauf verlässt, sich in meine Richtung bewegt und mit rasender Geschwindigkeit näherkommt. Ich will noch ausweichen. Irgendwie zur Seite, oder abtauchen. Aber mein Körper ist wie von Seilen gehalten, kaum einen Zentimeter mag ich mich rühren. Als die Kugel mich erreicht und einschlägt. Das Brennen, das von der Magengegend ausgestrahlt wird, als die Kugel Kleidung und Haut zerfetzt, zerreißt mich fast. Ich kann spüren, wie sie sich jeden Millimeter tiefer in mich hineinbohrt.

Meine Beine werden weich. Die Druckwelle beginnt mich nach hinten zu schleudern und mein Körper fällt wie eine weggeworfene Puppe nach hinten, inmitten der Reihen von Mülltüten und -tonnen. Man könnte meinen, sie lindern meinen Sturz, aber stattdessen falle ich auf irgendetwas sehr unangenehmes, wobei es im Vergleich zu den Schmerzen in meinem Bauch vernachlässigbar gering ist.

Im Hintergrund kann ich die Geräusche von sich öffnenden und schließenden Türen hören. Motoren die starten und Autos, die weg fahren. Sie lassen mich zurück. Alleine. Hier.

Ich kann Mokhov schreien hören. Er will nicht mit. Kein Wunder. Er geht vom Regen in die Traufe.

Dunkle Flecken legen sich über mein Sichtfeld. Mit jedem Augenblinzeln verengt es sich mehr.

Es tut weh. Mehr als alle anderen Wunden, die ich erlitten habe. Ist dies das Ende? Ist dies mein Ende?

Erschossen von einer Femme Fatale, inmitten von Mülltonnen und der aufgehenden Morgensonne.

Die Sonne...

Sie blendet mich...

So sehr....

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