Am nächsten Morgen. Die Sonne leuchtet mir entgegen, in ihrer tiefen Röte,
mit der sie aufgeht, als ich mich selbst entlasse. Zwar versucht der gute Onkel
Doktor noch ein paar mal auf mich einzureden, aber für seine Argumente bin ich
inzwischen durchaus taub. Ich will nur noch raus hier. Das stetige Weiß geht
mir auf den Keks.
Endlich draußen. Im ersten Moment schlägt mir vor allem die kühle Luft
entgegen. Ich schlage den Kragen meiner Jacke hoch, insgesamt war ich sehr
überrascht, meine Kleidung wieder zu bekommen. Der Trenchcoat hat verdammt
nochmal ein helles Braun angenommen, seitdem er von den Damen hier im
Krankenhaus gewaschen worden ist, und riecht so seltsam flauschig. Urrgh.
Mein erstes Ziel ist die Taxistation vor dem Parkplatz. Schon von weitem
kann ich sehen, dass nur ein einzelnes Taxi einsam und verloren auf dem Platz
steht. Denke mal, dass die Karre der Glatzköpfe damit auch in den Orcus
gewandert ist. Stapfe rüber, klopfe gegen seine Scheibe, er winkt mich rein.
Der Taxifahrer, ein End-Fünfziger mit leichtem Kräuselbart, breitem Kinn, einer
dicken Knubbel-Nase und einem kleinen an eine Baskenmütze erinnernde
Herrenmütze hat ein stetiges Grinsen auf dem Kopf und laut der Fahrerkarte
heißt er Ibrahim, als ich einsteige.
Ibrahim – Ja verfickte, Scheiße! Shalla! Moment, Ja?
Zeichner – Kein Problem.
Es dauert in der Tat noch einen Moment, er tippt auf dem kleinen Apparat,
wohl sein Fahrtenleser/-messgerät herum und haut dann noch ein bisschen
dagegen. Irgendwann springt das Zahlendisplay dabei plötzlich auf null.
Ibrahim – Ahhh! Geht doch. Ist russische Technik.
Musst du nur lange genug gegen hauen, dann gehen wieder. Wohin?
Zeichner – Kipling Street, Docks. Stört es sie wenn ich rauche?
Ibrahim – Kein Problem, machst du Fenster offen.
Gesagt getan. Ich kurbel das Seitenfenster auf und sammle eine Zigarette aus
meiner Schachtel, die seit geschlagenen Wochen inzwischen vor sich hin gesauert
haben. In der Zwischenzeit fährt Ibrahim los, und es dauert nicht lange, bis
wir über den Straßen der Stadt dahin rauschen. Die Straßen sind nicht wirklich
leer, aber so richtig voll sind sie zu dieser Uhrzeit auch noch nicht. Trotz
allem scheint der Verkehr irgendwie zu einer amalgamen Masse zu verschwimmen,
während mein Blick aus dem Fenster heraus geht. Ibrahim hat inzwischen das
Radio eingeschaltet, das mit ein paar seltsamen Country-Songs im allgemeinen
und meine Ohren im speziellen umbringen will. Die Tatsache, dass er auch noch
mitsingen muss beim Fahren macht die Situation nicht besser.
Wir treffen die Abfahrt und ich mache mich geistig darauf bereit, dass mich
gleich absetzen wird und dann woanders hin fährt. Für wen fährt er eigentlich?
Ein kurzer Blick auf sein Zählgerät verrät mir, dass er nicht für TMC, sondern
für die TTCT unterwegs. TTCT? Taggart TransCityTransportation. Dass es die noch
gibt, hätte ich nicht gedacht. Um uns herum sind inzwischen die kaputten
Gebäude zu sehen, die die Gegend ausmachen, Wohnblocks umringt von
Warenhausabschnitten, verschiedenen LKWs die kleinere oder größere Fracht transportieren
und zumeist mit wenigstens einer zweiten Person als Geleitschutz fahren.
Als Ibrahim um die Ecke biegt, habe ich die Hand schon am inneren Türgriff.
Aber er fährt weiter.
Zeichner – Wollen sie mich nicht raus lassen?
Ibrahim? Warum? Kipling Street weiter!
Zeichner – Öh…Ok.
Ich beuge mich langsam nach hinten. Zu mindestens fährt er tatsächlich mit
dem Taxi mich dahin wo ich wollte, nicht wie der andere.
Ibrahim - Müssen keine Sorge haben. Ibrahim
hat Schutz gekauft. Ist sicher.
Ich kann mir das Grinsen nicht verkneifen. Er hat mindestens Schneid. Jetzt
muss ich nur noch hoffen, dass er auch weiß, wo ich hin will, ohne dass er ein
GPS-Gerät benutzt, das er scheinbar nicht in seinem Wagen hat, denn bisher
gesehen habe ich noch keines.
Recht nahe an Haus Nr.24 kommen wir um die Biegung, als ich mich nach vorne
beuge, ihm auf die Schulter tippe und auf das Haus zeige.
Zeichner – Das da.
Er nickt, steuert den Bordstein an und kommt zum Stehen, will gerade den
Motor ausmachen.
Zeichner – Lass laufen, ich brauch nicht lange.
Er schaut nach hinten, zuckt mit den Schultern, dreht dann das Radio lauter.
Mein Blick fällt auf das Fahrtengerät. Es ist immer noch auf null. Seltsamer
Typ? Ich öffne die Tür und trete heraus. Obwohl ich bis eben das Fenster offen
hatte, hatte ich nicht das Gefühl, einen derartigen Gestank mitzunehmen. Es hat
sich äußerlich wenig am Haus selbst verändert. Immer noch liegt der
ausgebrannte und eingedellte Korpus eines Autos auf dem toten Braunstreifen,
der mal grün war und als Rasen betitelt worden wäre, während wenigstens der
Junkie im Eingangsbereich nicht mehr herum liegt. Selbst die blutig-rostrote
Spur ist nicht mehr zu sehen. Kein Wunder, wird vermutlich vom Regen die Tage
weggewaschen worden sein. Ruhigen Schrittes wandere ich in diesen Hort des Abschaums
hinein, den kaputten Wohnblock, in dem mir schon einmal solch schmerzhafte
Erlebnisse widerfahren sind, und wie zur Erinnerung aber vielleicht auch zu
Mahnung pocht, ganz leicht nur, ein Punkt in meiner Magengegend.
Durch die offene Eingangstür, wobei Tür schon übertrieben ist, auch damals
fehlte sie ja schon, trete ich in den unteren Korridor. Im Gegensatz zum
letzten Mal höre ich im Hintergrund kein Rauschen. Als ich an der Sitzecke
vorbeikomme, sitzt niemand da, wenngleich ich im Hintergrund des Gebäudes
durchaus Stimmen und Menschen leben hören kann. Also ist zu mindestens diesmal
vielleicht keine unangenehme Überraschung zu erwarten. Leichten Fußes kann ich
die Treppe nach oben nehmen, da der Fahrstuhl scheinbar abgestürzt zu sein
scheint, jedenfalls entnehme ich das dem stetig blitzenden Inneren und der
Tatsache, dass ich da drin hauptsächlich das seltsame Aufblitzen von Kabel- und
Stromspannung hören kann.
Als ich das erste Stockwerk erreiche, höre ich noch, wie eine Tür nicht weit
von mir zugeknallt wird. Jemand neugierig auf eventuelle Ankömmlinge? Meine
Füße finden wie von alleine den Weg zur Nr.12. Das einsam flatternde
Absperrband zwischen Tür und Angel verrät mir immer noch sehr gut, wie ich vor zwei
Wochen mich hier herein gemacht habe. Als ich die Wohnung betrete, fällt mir
zunächst einmal auf, dass ein Großteil der Inneneinrichtung demoliert wurde.
Andererseits, das war vor zwei Wochen schon nicht anders. Was mich hingegen
verwundert, obwohl es das vermutlich nicht sollte, ist die Tatsache, dass nicht
nur die Einrichtung zerstört, sondern Teile schlicht weg fehlen, die beim
letzten Mal noch da waren. Der einsame Bilderrahmen, aus dem ich damals das
Bild entnommen habe. Die Tür zum Schlafzimmer ist aufgerissen, obwohl die Matratze
auf dem Doppelbett sowie diverse Dinge aus Schubladen fehlen.
Jemand hat sich an den Dingen hier bedient. Jemand aus der unmittelbaren
Nachbarschaft? Vermutlich eher, den jemand, der gezielt sucht, würde nur
zerstören und das spezielle Objekt oder die speziellen Dinge finden wollen,
nach welchen gesucht wurde, anstatt alles einfach mitzunehmen. Es sei denn,
das, wonach sie suchen, ist auf all das aufzuteilen.
Ein paar Schritte weiter trete ich aus der Wohnung heraus, das Absperrband
flattert weiterhin im leichten Zug zwischen Tür und einem auf dem Korridor
offen stehenden Fenster. Noch bevor ich auf den Korridor getreten bin, kann ich
das Knallen einer sich schnell schließenden Tür vernehmen. Diesmal weiß ich,
woher es kam. Ein paar Meter weiter ist die Nr.7. Mit einigen geschickten
Schritten von der Seite und einem Finger auf dem Tür-Spion ist jedweder Blick
auf meine Person unmöglich gemacht. Ich klopfe an. Mehrfach. Hart. Unnachgiebig.
Eine Stimme von hinter der Tür. Sie klingt dumpf, was vermutlich an der Tür
liegt, aber eindeutig als männlich zu identifizieren.
Stimme – Wer ist da?
Zeichner - Machen sie die Tür auf.
Wir müssen reden!
Die Einschüchterungstaktik kann gut funktionieren, wenn man die Überhand
gegenüber einem Kontrahenten hat. Indem ich ihn im Glauben lasse, jemand
anderes zu sein, als ich bin, dränge ich ihn einerseits dazu, vor mir Angst zu
haben, andererseits dazu, vermutlich mehr zu erzählen als wenn ich einfach nur
gefragt hätte.
Zeichner – Ich hab gesagt TÜR AUF!
Ich trete gegen die Tür, während ich mit der Hand den Tür-Spion weiter dunkel
halte. Im nächsten Augenblick kann ich das Klackern und Wackeln der Tür
vernehmen. Er entriegelt. Vollidiot. Als die Tür einen Spalt weit aufgeht, kann
ich erkennen, dass er alle Schlösser geöffnet hat. Ungünstige Idee, wenigstens
die Kette hätte ich an seiner Stelle vor gelassen.
Stimme – Was wollen sie?!
Noch als ich gegen die Tür und damit ihn dränge, diese damit aufknallt,
drücke ich schon meine Schulter gegen seine Kehle und ihn brutal gegen die
Wand. Er versucht sich zu wehren, ist aber mit dem Arm gegen den Hals recht
machtlos. Er schwitzt stark, die Augen groß, schaut mich mit Angst an. Neben
uns beiden, nicht weit vom Flur entfernt kann ich ein Fernsehgerät plärren
hören und Kleinkindergeräusche, als mein Blick von ihm weg wandert sehe ich
eine junge Schwarze welche uns mit Schrecken in ihren Zügen anstarrt und dabei
ist loszuschreien. Er selbst ist ein eher schlaksiger Typ, knapp einen halben
Kopf größer als ich, dafür aber auch deutlich ausgemergelter. Keine Muskeln,
wenig in der Birne. Ebenfalls Schwarz.
Zeichner – Wir können das auf die sanfte oder auf die harte Tour lösen.
Typ – Bitte auf die Sanfte, bitte!
Ich drücke noch einmal gegen seinen Hals, er keucht auf, ihr entfährt ein
kleiner Schrei.
Frau – Lassen sie ihn los, sie tun ihm weh!
Sie kommt von der Seite angelaufen und haut auf mich ein. Mit dem anderen
Arm drücke ich sie gegen die andere Flurwand, während ich ihn weiter fixiert
halte. Und anstarre.
Zeichner – Und jetzt reden wir.
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