20160211

Fall 1 - XLVI

Dunkelheit umfängt mich. Eine Schwerelosigkeit. Ein Moment. Ein einziger Augenblick.

Wie ein Stromstoß. Der Moment, in dem es mich hochreißt. Die Augen offen. Soweit es geht. Und nehme ALLES wahr. Ich bin allein. Und in einem Krankenbett. Schon wieder. Lehne mich zurück. Der Atem geht schnell. Panisch. Ein kleiner Raum. Vielleicht 3x4m. Eine einsame, nackte Glühbirne beleuchtet alles. Das Bett steht allein. Es…es ist das einzige hier im Raum? Keine Fenster. Die Wände wie billiges Sperrholz, zusammen gezimmert für eine Fertigwohnung. Ein Abstellraum inmitten eines Lagerhauses? Drücke mich langsam hoch. Huh. Meine Beine sind eingeschlafen. Selbst die Decke ist anatomisch korrekt aufgesetzt. Als hätte sie jemand so lange auf meine Beine eingepasst, bis es wie aus einem Guss wirkt. Obsessiv. Der Blick an mir selbst zeigt, kein Hemd. Nur ein bläuliches Leibchen.

Schlage die Decke beiseite. Huh. Was ich vorher befürchtet habe, ist Realität. Ich lag bis eben in einem kleinen bläulichen Krankenhaus-Leibchen. Wo sind meine Sachen? Unangenehm, das Gefühl von Luft am Rücken. Drücke mich langsam hoch. Irgendwas ist seltsam. Die Glühbirne ist sehr laut. In ihrer ansteigenden Helligkeit müsste sie fast zerspringen. Vielleicht eine Überlastung des Stromkreislaufes? Meine nackten Füße berühren den Fußboden. Kalt.

Wie unangenehm. Bei näherer Betrachtung kann ich erkennen, dass selbst der Fußboden aus dem Spannholz ist, mit dem die Wände verkleidet sind. Hoffentlich fang ich mir keine Splitter ein. Nicht einmal meine Schuhe stehen hier. Ein Blick umher. In meinem Rücken ist eine einsame Tür. Wieso habe ich die eben nicht bemerkt?

Nur wenige Schritte trennen uns. Sie sind schnell überwunden. Ein beherzter Griff zum Türknauf. Drehen. Moment. Sie geht nicht auf. Rüttle etwas stärker. Sie ist abgeschlossen?! Welcher Mistkerl würde mich….Moment. Nein. Ok. Ich kann das verstehen. Ein blutiger Typ in abgerissenen, dreckigen und durchsiebten Klamotten kommt mit einer Halbnackten Frau auf den Armen zu einer illegalen Hafenklinik eines Untergrund-Arztes, nachdem er eine Karre am Gebäude zu Klump gefahren hat. Doch. Wenn ich so drüber nachdenke, ist das schon eine passende Behandlung. Drehe ein paar male am Türknauf. Ändert nichts. Tür ist verschlossen.

Ein paar Schritte später stehe ich wieder an meinem Bett. Setze mich langsam auf. Und nun? Die Glühbirne über mir surrt immer noch bedenklich laut. Kann nicht direkt hingucken. Blendet so extrem auf der Netzhaut, dass für Sekunden ein Abbild verbleiben würde. Das Geräusch. Ein extremes Surren. Fuck! Der spontane Blick hinauf. Das Bild der Glühbirne, kurz vor dem Platzen. Der orangerote Leuchtdraht in seinem Moment maximaler Helligkeit. Das Klirren und Splittern des Glases. Wende ruckartig den Kopf ab. Keine Splitter! Mist Mist Mist! Über mir zerbirst der marode Lichtspender in unzählige Teile.

Dunkelheit. Kein einziger Schimmer. Es heißt, Dunkelheit ist nur die Abwesenheit von Licht. Was nichts daran ändert, dass ich nichts sehen kann. Und jetzt auch noch überall Splitter liegen. Was ist das? Meine feinen Sinne vermerken Geräusche von Richtung der Tür! Personen! Der ominöse Doktor Torn? Seine Helfer? Schlimmeres? Moment. In welcher Richtung war die Tür? Ich. Ich kann in der Dunkelheit die Geräuschquelle nicht eindeutig ausmachen. In dieser Box ist es rabenschwarz. Ich kann nicht einmal mich selbst hier drin wahrnehmen. Klar, ich kann mich betatschen. Aber das bringt mich nicht weiter. Aber halt! Vor mir. Das Bett. Meine Hände tasten langsam um her. Urkgs. Glassplitter. Naja, ein paar kleinere werde ich verschmerzen können. Sanft greife ich dem vor mir liegenden. Müsste die Bettdecke sein.

Ich ziehe sie zu mir herab. Und lege sie so aufgeschichtet auf den Boden, dass sie wie eine Schicht für die Füße wirkt. Damit ich auch bei Glassplittern umher gehen kann. Steige sanft mit den Füßen in dieses provisorische Schuhwerk. Sauber!

Ein Klacken! Die Tür wurde entriegelt! Konzentration ist angesagt. Befeuchte erwartungsgemäß die Lippen. Nichts passiert. Niemand kommt herein. Kein Licht. Nicht mal durch einen Türspalt.

Zeichner
Hallo? …Ich kann sie hören.

Keine Reaktion.

Zeichner
Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt…

Drehe mich langsam um die eigene Achse. Moment. Wenn hier das Bett ist. Dann müsste DA die Tür sein. Wie eine Schnecke drücke ich mich langsam vorwärts. Ein ewiger Kampf gegen einen Fußboden, der voller Splitter sein könnte. Oder meine eigene Paranoia.

Mein Fuß stößt an! AHA! Die Wand! Oder Tür! Erfolg! Drücke mich langsam nach vorne. Taste. Suche. Irgendwo hier muss der Knauf doch sein. Da. Im endlosen Schwarz. Etwas das sich vertraut anfühlt. Ein Türknauf! Vorsichtiges Drehen. Yes! Das erlösende Quietschen einer sich öffnenden Tür, deren Angeln seit langem nicht geölt wurden.

Die Tür öffnet sich in einem elendigen Jaulen von Rost und Metall in einen Korridor. Keine 3 Meter breit, aber sehr lang. Eine interne Aufteilung des Lagerhauses? Ein diffuses Licht kommt von der flackernden Neon-Röhre, welche über den Korridor an verschiedenen Punkten aufgespannt ist.

Es geht um meinen Bruder. Er ist tot.

Jeder Schritt bringt mich ein paar Meter vorwärts. Die Wände sind nur schwach beleuchtet, aber von irgendwelchen Graffitis überzogen. Die Farbe ist, wohl aufgrund einer langsam hochwandernden Feuchtigkeit im Holz, dabei, nach und nach abzulaufen. Auch die Korridorwände hier zeugen nur von nacktem, unverkleidetem Holz.

Ich glaube nicht an Zufälle. Wir werden jetzt ein Spiel spielen.

Gehe langsam den Korridor entlang. Hab schon nach den ersten Metern die Bettdecke an den Füßen verloren. Unverhüllter, kalt-nasser Betonboden knutscht meine Füße. Irgendwie feucht hier. Die Wände sind, je länger ich hin gucke, an diversen Stellen mit einem durchaus starken Schimmelbefall versehen. An den Ecken und Rändern, an den Abgrenzungen wo die verschiedenen Ecken ineinander haken. Das ist ja auch besonders förderlich für meine Gesundheit.

Oder glauben sie, jeder daher gelaufene Niemand wird einfach so zu meinem Onkel durchgelassen?!

Das Graffiti. Irgendwas daran ist seltsam. Es sind langgezogene Striche, die davon zeugen, dass wer auch immer hier gesprayt hat, vermutlich kein Farbgefühl hatte. Wilde Mischungen und kleine Kleckse von wild-widerstrebenden Farbkombinationen gehen über in die bizarrsten Muster. Klar, manche davon könnten Worte sein. Was für ein Blödsinn. Was soll denn da stehen? Hm, habe wohl unwillkürlich die Hand an die Farbe gehalten. Wenn ich mit meinen Finger daran entlang streiche, verwischt es leicht. Super. Jetzt habe ich Farbe am Finger.

Er weiß, dass sie entkommen sind.

Der Korridor geht immer noch weiter. Wie lange soll dieser Weg denn sein? Muss da nicht mal eine Biegung kommen? Wie lang war nochmal die Lagerhalle am Pier…

Kann den Blick nicht von der Wand abwenden. Wenn ich mich länger drauf konzentriere pulsiert meine Schläfe. Aber es ist überhaupt nichts vernünftiges, was erlesbar ist. Als ob jemand einfach wild Buchstaben aneinander geklatscht hat. Immer wieder gucke ich von rechts nach links, links nach rechts. Aber egal in welcher Reihenfolge, es macht einfach keinen Sinn.

Weil das hier das Ende ihrer Geschichte ist.

Das ist doch einfach eine wahllose Aneinanderreihung von Buchstaben?! Was war das? Ich bin mir sicher dass ich von irgendwo her jemand hab reden hören.

Zeichner
HALLO?

Es ist mehr ein Säuseln. Wie etwas, das der Wind mit sich trägt, und das im gleichen Augenblick, in dem wir es bemerken würden, wieder verschwindet. Da! Schon wieder! Es kommt von weiter vorne. Scheiß auf die Farbe. Drücke mich etwas von der Wand ab. Und muss an mich halten. Stürze fast zu Boden, meine Hand reißt und schlittert quer über die Wand entlang. Ruhig Blut. Kurz ist mein Kopf wie in Watte eingewickelt. Jeden Augenblick stechen Nadeln von Innen durch meine Augenlider. Es ist weg. Genauso schnell, wie es gekommen ist.

Es obliegt ihnen, herauszufinden, was Wahrheit und was Lüge ist.

Eine Nachwirkung der Drogen? Sie müssen mich behandelt haben. Wenn ich Torn in die Finger kriege dann werde ich. Muss den Kopf schütteln. Ein Ziel. Ein Wille. Ein Weg. Aufrecht hinstellen. Und vorwärts gehen. Jeder Schritt wird vom Platschen begleitet. Im Halbdunkel des Neon-Lichtes zeigt sich vor mir eine Tür. Die Klinke hängt etwas schräg ab. Die Tür hebt sich in ihrem Kalk-Grau stark von der Umgebung ab. Erreiche die Tür, ergreife mit der linken die Klinke. Drücke sie etwas rein, und drücke die Tür auf.

Zeichner

Oder ich würde es, wenn man die Tür nicht in meine Richtung öffnen würde. Vorsichtig an der Seite positioniert, ziehe ich die Tür ruckartig auf. Ein Schwall abgestandener Luft kommt mir entgegen. Mein Magen dreht sich. Der Speireflex kommt so schnell, die Kotze bahnt sich den Weg heraus noch bevor ich ihn zukriege, oder dass überhaupt noch will. Drücke mich mit beiden Händen gegen die Wand. Es kommt raus. Eine seltsame, fast schon durchsichtige, dunkel-farblose Brühe. Gift und Galle. Kaum Mageninhalt zum Kotzen.

Kommen sie aus der Stadt?

Der Blick auf das, was hinter der Tür liegt, macht auch nicht gerade Mut. Wie dichter Bodennebel hat sich ein feiner Schleier von Dunst in die Luft gelegt. Der Boden ist als metallenes Gatter ausgelegt. Na komm. Nur ein Weg. Wische mir mit dem Handrücken die direkten Spuren aus dem Gesicht. Mein Auge fällt auf die Seite der Tür. Auf ihrer Innenseite ist mehr gesprayt worden. Noch mehr sinnloses Grafitti. Wieder so eine unnatürliche Wortkombination. Vielleicht irgendwas in einer mir fremden Sprache. Oder Code. Oder so.

Ich habe alles für euch getan, das ihr von mir...verlangt habt.

Drehe mich Richtung Raum, mache den ersten Schritt hinein. Meine Zehennägel ziehen sich fast hoch angesichts der Kälte des Metalls unter meinen nackten Füßen. Und die Feuchtigkeit lässt jede Bewegung zu einer kleinen Schlitterpartie verkommen.

Von irgendwo vor mir kann ich ein leichtes metallisches Kreischen vernehmen. Als ob Ketten klirren. Bin ich hier in einer mittelalterlichen Folterstube?

Ein lautes Krachen in meinem Rücken. Was? Wer? Langsam drehe ich mich um. Jeder Schritt auf dem Bodengatter muss gut überlegt sein, um nicht auszurutschen. Der Geschmack von Galle, der mir im Hals liegt, und bei jedem Schlucken ins Gedächtnis kommt. Die Tür. Auf meiner Seite ist ein Schlitz eingelassen, sie ist massiv, metallisch, offensichtlich geeignet, um hohe Temperaturen auszuhalten. Ein paar dunkle Umrisse am großen, mittleren Rad. Wie nie weggewischte, festgewordene Asche.

Der Sehschlitz ist seltsam. Als ob ich hindurch sehen könnte. Plötzlich ein paar Augen. Ein wilder Blick. Dann schiebt sich auf der anderen Seite ein Riegel vor den Schlitz. Ich muss schon die Augen anstrengen, um erkennen zu können, dass ein dünnes, beschmutztes Glas noch dazwischen hängt. Mehr und mehr wirkt die Tür wie eine feste stählerne Luke. Ein Durchgang in eine andere Welt. Ich kann mir nicht helfen, aber es fröstelt mich.

War da nicht gerade….ein Wimmern in der Dunkelheit?

Ich blicke mich um. In der Schwärze ist kaum etwas zu erkennen, aber das Klirren von Metall hat sich nur verstärkt. Wie ein kleines, aber feines Orchester von falsch gestimmten Instrumenten, kann ich es immer wieder, von verschiedensten Richtungen aus der Dunkelheit hinter mir, genauso wie zu meiner linken und rechten vernehmen.

Meine Hände ergreifen das Rad der Stahlluke. Etwas stimmt hier nicht. Ich kralle mich mit den Füßen ins Bodengatter, und drücke mit aller Kraft dagegen. Rührt sich keinen Millimeter. Nicht ein Stück. Ich drücke, dass meine Hände schmerzen. Nichts zu machen. Schweres Atmen.

Zuviel Anstrengung in der kurzen Zeit. Man könnte Paranoid werden in dieser Umgebung. Blicke mich immer wieder um. Was? Der Sehschlitz wackelt. Ich drücke mich gegen die Luke, hämmere von hier aus dagegen. Er wird beiseitegeschoben und durch das verschmutzte Sichtfenster erkenne ich kaum mehr, als eine Gestalt, die offensichtlich und neugierig herein starrt. Mich anschaut, als müsse sie sich jeden Moment exakt in ihr Gedächtnis einprägen.

Zeichner
SIE DA! MACHEN SIE DIE LUKE AUF! ETWAS STIMMT HIER DRINNEN NICHT!

Ich kann den Blick nicht abwenden. Von irgendwo wird es heller hier drin. Ein sanfter Rotschimmer nimmt die Umgebung ein. Es hat etwas unglaublich angenehmes, das Farbenspiel von Gelb zu Orange zu Rot zu sehen, wie es sich auf der nunmehr als rostig zu erkennenden, abblätternden Stahlluke wiederspiegelt. Selbst die schwarzen Spuren auf dem Lukenrad sind deutlich erkennbar. Sie schmiegen sich gut in die Form meiner Hände.

Dann kommen die Flammen.

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