Dunkelheit umfängt mich. Eine Schwerelosigkeit. Ein Moment. Ein einziger
Augenblick.
Wie ein Stromstoß. Der Moment, in dem es mich hochreißt. Die Augen offen.
Soweit es geht. Und nehme ALLES wahr. Ich bin allein. Und in einem Krankenbett.
Schon wieder. Lehne mich zurück. Der Atem geht schnell. Panisch. Ein kleiner
Raum. Vielleicht 3x4m. Eine einsame, nackte Glühbirne beleuchtet alles. Das
Bett steht allein. Es…es ist das einzige hier im Raum? Keine Fenster. Die Wände
wie billiges Sperrholz, zusammen gezimmert für eine Fertigwohnung. Ein
Abstellraum inmitten eines Lagerhauses? Drücke mich langsam hoch. Huh. Meine
Beine sind eingeschlafen. Selbst die Decke ist anatomisch korrekt aufgesetzt.
Als hätte sie jemand so lange auf meine Beine eingepasst, bis es wie aus einem
Guss wirkt. Obsessiv. Der Blick an mir selbst zeigt, kein Hemd. Nur ein
bläuliches Leibchen.
Schlage die Decke beiseite. Huh. Was ich vorher befürchtet habe, ist
Realität. Ich lag bis eben in einem kleinen bläulichen Krankenhaus-Leibchen. Wo
sind meine Sachen? Unangenehm, das Gefühl von Luft am Rücken. Drücke mich
langsam hoch. Irgendwas ist seltsam. Die Glühbirne ist sehr laut. In ihrer
ansteigenden Helligkeit müsste sie fast zerspringen. Vielleicht eine
Überlastung des Stromkreislaufes? Meine nackten Füße berühren den Fußboden.
Kalt.
Wie unangenehm. Bei näherer Betrachtung kann ich erkennen, dass selbst der
Fußboden aus dem Spannholz ist, mit dem die Wände verkleidet sind. Hoffentlich
fang ich mir keine Splitter ein. Nicht einmal meine Schuhe stehen hier. Ein Blick
umher. In meinem Rücken ist eine einsame Tür. Wieso habe ich die eben nicht
bemerkt?
Nur wenige Schritte trennen uns. Sie sind schnell überwunden. Ein beherzter
Griff zum Türknauf. Drehen. Moment. Sie geht nicht auf. Rüttle etwas stärker.
Sie ist abgeschlossen?! Welcher Mistkerl würde mich….Moment. Nein. Ok. Ich kann
das verstehen. Ein blutiger Typ in abgerissenen, dreckigen und durchsiebten
Klamotten kommt mit einer Halbnackten Frau auf den Armen zu einer illegalen
Hafenklinik eines Untergrund-Arztes, nachdem er eine Karre am Gebäude zu Klump
gefahren hat. Doch. Wenn ich so drüber nachdenke, ist das schon eine passende
Behandlung. Drehe ein paar male am Türknauf. Ändert nichts. Tür ist
verschlossen.
Ein paar Schritte später stehe ich wieder an meinem Bett. Setze mich langsam
auf. Und nun? Die Glühbirne über mir surrt immer noch bedenklich laut. Kann
nicht direkt hingucken. Blendet so extrem auf der Netzhaut, dass für Sekunden
ein Abbild verbleiben würde. Das Geräusch. Ein extremes Surren. Fuck! Der spontane
Blick hinauf. Das Bild der Glühbirne, kurz vor dem Platzen. Der orangerote
Leuchtdraht in seinem Moment maximaler Helligkeit. Das Klirren und Splittern
des Glases. Wende ruckartig den Kopf ab. Keine Splitter! Mist Mist Mist! Über
mir zerbirst der marode Lichtspender in unzählige Teile.
Dunkelheit. Kein einziger Schimmer. Es heißt, Dunkelheit ist nur die
Abwesenheit von Licht. Was nichts daran ändert, dass ich nichts sehen kann. Und
jetzt auch noch überall Splitter liegen. Was ist das? Meine feinen Sinne
vermerken Geräusche von Richtung der Tür! Personen! Der ominöse Doktor Torn?
Seine Helfer? Schlimmeres? Moment. In welcher Richtung war die Tür? Ich. Ich
kann in der Dunkelheit die Geräuschquelle nicht eindeutig ausmachen. In dieser
Box ist es rabenschwarz. Ich kann nicht einmal mich selbst hier drin
wahrnehmen. Klar, ich kann mich betatschen. Aber das bringt mich nicht weiter.
Aber halt! Vor mir. Das Bett. Meine Hände tasten langsam um her. Urkgs.
Glassplitter. Naja, ein paar kleinere werde ich verschmerzen können. Sanft
greife ich dem vor mir liegenden. Müsste die Bettdecke sein.
Ich ziehe sie zu mir herab. Und lege sie so aufgeschichtet auf den Boden,
dass sie wie eine Schicht für die Füße wirkt. Damit ich auch bei Glassplittern
umher gehen kann. Steige sanft mit den Füßen in dieses provisorische Schuhwerk.
Sauber!
Ein Klacken! Die Tür wurde entriegelt! Konzentration ist angesagt. Befeuchte
erwartungsgemäß die Lippen. Nichts passiert. Niemand kommt herein. Kein Licht.
Nicht mal durch einen Türspalt.
Zeichner
Hallo? …Ich kann sie hören.
Keine Reaktion.
Zeichner
Drehe mich langsam um die eigene Achse. Moment. Wenn hier das Bett ist. Dann
müsste DA die Tür sein. Wie eine Schnecke drücke ich mich langsam vorwärts. Ein
ewiger Kampf gegen einen Fußboden, der voller Splitter sein könnte. Oder meine
eigene Paranoia.
Mein Fuß stößt an! AHA! Die Wand! Oder Tür! Erfolg! Drücke mich langsam nach
vorne. Taste. Suche. Irgendwo hier muss der Knauf doch sein. Da. Im endlosen
Schwarz. Etwas das sich vertraut anfühlt. Ein Türknauf! Vorsichtiges Drehen.
Yes! Das erlösende Quietschen einer sich öffnenden Tür, deren Angeln seit
langem nicht geölt wurden.
Die Tür öffnet sich in einem elendigen Jaulen von
Rost und Metall in einen Korridor. Keine 3 Meter breit, aber sehr lang. Eine
interne Aufteilung des Lagerhauses? Ein diffuses Licht kommt von der
flackernden Neon-Röhre, welche über den Korridor an verschiedenen Punkten
aufgespannt ist.
Es geht um meinen Bruder. Er ist tot.
Jeder Schritt bringt mich ein paar Meter
vorwärts. Die Wände sind nur schwach beleuchtet, aber von irgendwelchen
Graffitis überzogen. Die Farbe ist, wohl aufgrund einer langsam hochwandernden
Feuchtigkeit im Holz, dabei, nach und nach abzulaufen. Auch die Korridorwände
hier zeugen nur von nacktem, unverkleidetem Holz.
Ich glaube nicht an Zufälle. Wir werden jetzt ein
Spiel spielen.
Gehe langsam den Korridor entlang. Hab schon nach
den ersten Metern die Bettdecke an den Füßen verloren. Unverhüllter,
kalt-nasser Betonboden knutscht meine Füße. Irgendwie feucht hier. Die Wände
sind, je länger ich hin gucke, an diversen Stellen mit einem durchaus starken
Schimmelbefall versehen. An den Ecken und Rändern, an den Abgrenzungen wo die
verschiedenen Ecken ineinander haken. Das ist ja auch besonders förderlich für
meine Gesundheit.
Oder glauben sie, jeder daher gelaufene Niemand
wird einfach so zu meinem Onkel durchgelassen?!
Das Graffiti. Irgendwas daran ist seltsam. Es
sind langgezogene Striche, die davon zeugen, dass wer auch immer hier gesprayt
hat, vermutlich kein Farbgefühl hatte. Wilde Mischungen und kleine Kleckse von
wild-widerstrebenden Farbkombinationen gehen über in die bizarrsten Muster. Klar,
manche davon könnten Worte sein. Was für ein Blödsinn. Was soll denn da stehen?
Hm, habe wohl unwillkürlich die Hand an die Farbe gehalten. Wenn ich mit meinen
Finger daran entlang streiche, verwischt es leicht. Super. Jetzt habe ich Farbe
am Finger.
Er weiß, dass sie entkommen sind.
Der Korridor geht immer noch weiter. Wie lange
soll dieser Weg denn sein? Muss da nicht mal eine Biegung kommen? Wie lang war
nochmal die Lagerhalle am Pier…
Kann den Blick nicht von der Wand abwenden. Wenn
ich mich länger drauf konzentriere pulsiert meine Schläfe. Aber es ist
überhaupt nichts vernünftiges, was erlesbar ist. Als ob jemand einfach wild
Buchstaben aneinander geklatscht hat. Immer wieder gucke ich von rechts nach
links, links nach rechts. Aber egal in welcher Reihenfolge, es macht einfach
keinen Sinn.
Weil das hier das Ende ihrer Geschichte ist.
Das ist doch einfach eine wahllose Aneinanderreihung
von Buchstaben?! Was war das? Ich bin mir sicher dass ich von irgendwo her
jemand hab reden hören.
Zeichner
HALLO?
Es ist mehr ein Säuseln. Wie etwas, das der Wind
mit sich trägt, und das im gleichen Augenblick, in dem wir es bemerken würden,
wieder verschwindet. Da! Schon wieder! Es kommt von weiter vorne. Scheiß auf
die Farbe. Drücke mich etwas von der Wand ab. Und muss an mich halten. Stürze
fast zu Boden, meine Hand reißt und schlittert quer über die Wand entlang.
Ruhig Blut. Kurz ist mein Kopf wie in Watte eingewickelt. Jeden Augenblick
stechen Nadeln von Innen durch meine Augenlider. Es ist weg. Genauso schnell,
wie es gekommen ist.
Es obliegt ihnen, herauszufinden, was Wahrheit
und was Lüge ist.
Eine Nachwirkung der Drogen? Sie müssen mich
behandelt haben. Wenn ich Torn in die Finger kriege dann werde ich. Muss den
Kopf schütteln. Ein Ziel. Ein Wille. Ein Weg. Aufrecht hinstellen. Und vorwärts
gehen. Jeder Schritt wird vom Platschen begleitet. Im Halbdunkel des
Neon-Lichtes zeigt sich vor mir eine Tür. Die Klinke hängt etwas schräg ab. Die
Tür hebt sich in ihrem Kalk-Grau stark von der Umgebung ab. Erreiche die Tür,
ergreife mit der linken die Klinke. Drücke sie etwas rein, und drücke die Tür
auf.
Zeichner
Oder ich würde es, wenn man die Tür nicht in
meine Richtung öffnen würde. Vorsichtig an der Seite positioniert, ziehe ich
die Tür ruckartig auf. Ein Schwall abgestandener Luft kommt mir entgegen. Mein
Magen dreht sich. Der Speireflex kommt so schnell, die Kotze bahnt sich den Weg
heraus noch bevor ich ihn zukriege, oder dass überhaupt noch will. Drücke mich
mit beiden Händen gegen die Wand. Es kommt raus. Eine seltsame, fast schon durchsichtige,
dunkel-farblose Brühe. Gift und Galle. Kaum Mageninhalt zum Kotzen.
Kommen sie aus der Stadt?
Der Blick auf das, was hinter der Tür liegt,
macht auch nicht gerade Mut. Wie dichter Bodennebel hat sich ein feiner
Schleier von Dunst in die Luft gelegt. Der Boden ist als metallenes Gatter
ausgelegt. Na komm. Nur ein Weg. Wische mir mit dem Handrücken die direkten
Spuren aus dem Gesicht. Mein Auge fällt auf die Seite der Tür. Auf ihrer Innenseite
ist mehr gesprayt worden. Noch mehr sinnloses Grafitti. Wieder so eine
unnatürliche Wortkombination. Vielleicht irgendwas in einer mir fremden
Sprache. Oder Code. Oder so.
Ich habe alles für euch getan, das ihr von
mir...verlangt habt.
Drehe mich Richtung Raum, mache den ersten
Schritt hinein. Meine Zehennägel ziehen sich fast hoch angesichts der Kälte des
Metalls unter meinen nackten Füßen. Und die Feuchtigkeit lässt jede Bewegung zu
einer kleinen Schlitterpartie verkommen.
Von irgendwo vor mir kann ich ein leichtes
metallisches Kreischen vernehmen. Als ob Ketten klirren. Bin ich hier in einer
mittelalterlichen Folterstube?
Ein lautes Krachen in meinem Rücken. Was? Wer?
Langsam drehe ich mich um. Jeder Schritt auf dem Bodengatter muss gut überlegt
sein, um nicht auszurutschen. Der Geschmack von Galle, der mir im Hals liegt,
und bei jedem Schlucken ins Gedächtnis kommt. Die Tür. Auf meiner Seite ist ein
Schlitz eingelassen, sie ist massiv, metallisch, offensichtlich geeignet, um
hohe Temperaturen auszuhalten. Ein paar dunkle Umrisse am großen, mittleren Rad.
Wie nie weggewischte, festgewordene Asche.
Der Sehschlitz ist seltsam. Als ob ich hindurch
sehen könnte. Plötzlich ein paar Augen. Ein wilder Blick. Dann schiebt sich auf
der anderen Seite ein Riegel vor den Schlitz. Ich muss schon die Augen
anstrengen, um erkennen zu können, dass ein dünnes, beschmutztes Glas noch
dazwischen hängt. Mehr und mehr wirkt die Tür wie eine feste stählerne Luke.
Ein Durchgang in eine andere Welt. Ich kann mir nicht helfen, aber es fröstelt
mich.
War da nicht gerade….ein Wimmern in der
Dunkelheit?
Ich blicke mich um. In der Schwärze ist kaum
etwas zu erkennen, aber das Klirren von Metall hat sich nur verstärkt. Wie ein
kleines, aber feines Orchester von falsch gestimmten Instrumenten, kann ich es
immer wieder, von verschiedensten Richtungen aus der Dunkelheit hinter mir,
genauso wie zu meiner linken und rechten vernehmen.
Meine Hände ergreifen das Rad der Stahlluke.
Etwas stimmt hier nicht. Ich kralle mich mit den Füßen ins Bodengatter, und
drücke mit aller Kraft dagegen. Rührt sich keinen Millimeter. Nicht ein Stück.
Ich drücke, dass meine Hände schmerzen. Nichts zu machen. Schweres Atmen.
Zuviel Anstrengung in der kurzen Zeit. Man könnte
Paranoid werden in dieser Umgebung. Blicke mich immer wieder um. Was? Der
Sehschlitz wackelt. Ich drücke mich gegen die Luke, hämmere von hier aus dagegen.
Er wird beiseitegeschoben und durch das verschmutzte Sichtfenster erkenne ich
kaum mehr, als eine Gestalt, die offensichtlich und neugierig herein starrt. Mich
anschaut, als müsse sie sich jeden Moment exakt in ihr Gedächtnis einprägen.
Zeichner
SIE DA! MACHEN SIE DIE LUKE AUF! ETWAS STIMMT
HIER DRINNEN NICHT!
Ich kann den Blick nicht abwenden. Von irgendwo
wird es heller hier drin. Ein sanfter Rotschimmer nimmt die Umgebung ein. Es
hat etwas unglaublich angenehmes, das Farbenspiel von Gelb zu Orange zu Rot zu
sehen, wie es sich auf der nunmehr als rostig zu erkennenden, abblätternden
Stahlluke wiederspiegelt. Selbst die schwarzen Spuren auf dem Lukenrad sind
deutlich erkennbar. Sie schmiegen sich gut in die Form meiner Hände.
Dann kommen die Flammen.
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