20160202

Fall 1 - XLV

Zeichner
Dieses Feuerzeug.

Ich lasse das Feuerzeug an zwei Fingern baumeln. Ich kann die Gier in seinem Blick förmlich riechen. Er versucht sich das Feuerzeug zu schnappen. Nicht mit mir. Etwas hochgezogen, und schon ist es aus deinem Griff raus.

Zeichner
So nicht. Wo.

Er leckt sich die Lippen. Es hat etwas geradezu urtümlich Ekliges an sich, das zu beobachten.

Penner Rechts
Einverstanden. Der Doc hat seine Klinik an Pier 22.

Wie ein hässlicher kleiner Geier schnappt seine Hand nach vorn und versucht mir das Feuerzeug zu entreißen. Dann hat er das Feuerzeug. Zucke mit den Schultern. Drehe mich ab, Richtung Taxi. Hinter mir das raue Gelächter der Beiden. Sie spielen bereits mit ihrer neuesten Errungenschaft.

Endlich das Fahrzeug erreicht. Öffne die Fahrertür. Steige ein. Mein Schädel brummt. Die linke Schulter brennt. Der Moment bleibt. Die Hand zuckt, gerade zu spastisch. Auf. Zu. Auf. Zu. Wie in einem Krampf. Packe das Lenkrad an. Und drücke zu, bis das Weiß auf den Knöcheln unglücklich hervortritt. Schweiß tropft mir von der Stirn. Wie ein brennender Fluss zieht sich der Schmerz. Von der Hand, zum Ellenbogen, zum Oberarm und zur Schulter selbst. Das unangenehme Gefühl, dass Kleidung an der offenen Wunde klebt. Etwas Flüssiges sickert unter meiner Jacke die Schulter entlang. Zähne zusammen beißen, Zeichner!

Es vergeht. Meine Hand entspannt sich. Der Druck sinkt. Hartes Atmen. Langsam und ruhig wieder zurück kommen. Motor läuft noch. Anfahren. Runter vom Parkplatz. Durch die Nebenstraßen der Docks. An endlosen Reihen von Containern. Das dumpfe Aufhellen des Himmels. Immer noch dringt keine Sonne hindurch, aber der Regen ist zu einem blassen Nieseln verkommen.

Licht. Licht. Licht. Die Straßenlaternen sind hier unten immer noch aktiv. Der fahle gelbliche Schein hüllt Straße und Abgänge, Gebäude und Fahrzeuge in unwirkliche Schimmer, das stetige Prasseln des Regens tut sein übriges. Der rauschende Wind zieht sich durch meinen Nacken durch die offene Heckscheibe. Mein Arm, meine ganze Schulter pocht, dumpf, wieder und wieder, als wäre er warm, während mir kalt ist, es fröstelt. Ein Schild in der Entfernung.

Pier 17. Immer wieder kurzes Geblinzel. Darf die Augen nicht dauerhaft schließen. Mit der Hand vorsichtig durch die Augen wischen. Dreck, Schweiß und Tränenflüssigkeit vermischen sich. Ich muss schrecklich aussehen. In der Ferne kann ich Polizeisirenen heulen hören.

18. Eine sanfte Biegung. Kaum Verkehr, sollte die Stadt nicht langsam aufwachen. Was für ein Tag ist heute eigentlich? Vermutlich ein Scheißtag. Ein Siebentonner auf der anderen Spur. Rauscht an uns vorbei. Ein Tiertransport. Das Quieken der Schweine begleitet mich nur einen Augenblick, ehe es in der Weite verschwindet.

20. Reibe mir noch einmal die Augen. Wird wohl stimmen. Sollte fast da sein. Mir ist kalt. Ich fühle mich unwohl. In meiner Haut. In meiner Kleidung. Geräusche vom Rücksitz. Ein unangenehmes Aufstöhnen. Schmerzen? Drehe den Kopf leicht nach hinten. Mist. Der Rückspiegel ist geplatzt. Nur bruchstückhaft kann ich überhaupt etwas erkennen. Manche Splitter geben mein eigenes Bild wieder, denn die Szenerie hinter uns.

Zeichner
Hey. Alles okay? Wir sind fast da.

Wie zur Antwort kommt ein weiteres Aufstöhnen. Ein gutturales Geräusch. Etwas wälzt sich hinter mir. Ein Stocken. Mir bleibt die Luft weg. Dann ein schweres Husten. Würgegeräusche. Als würde jemand im Liegen kotzen. Fuck. Wie jemand durch den Wagen spuckt, unwillkürlich, reflexhaft. Die Umgebung trifft. Galle und Spucke bleiben kleben, Einzelteilchen welche sich an den verschiedensten Oberflächen langsam daran begeben, hinunter zu rutschen. Mein Griff um das Lenkrad wird fester.

Zeichner
Wir sind fast da! Durchhalten!

Das Gefühl, dass dir jemand auf der Rückbank gerade verreckt. Da vorne! Pier 22. Das marode Lagerhaus hat auch schon bessere Tage gesehen, nur ein paar einsame Lichter geben einen Widerschein aus dem Inneren heraus und zeigen an, dass überhaupt jemand dort sein könnte. Noch auf dem Weg zur Einfahrt in Richtung des Piers. Ich spüre wie mein Fuß fast instinktiv vorpreschen will. Druck aufs Gaspedal geben. Hinter mir verreckt gerade jemand!

Obwohl die Tachonadel wild nach rechts schwingt, reiße ich das Lenkrad um. Mit quietschenden Reifen donnert die Karre in die Kurve, reißt aus, meine Hände verkrampfen sich geradewegs in das Lenkrad. Verlieren wir Bodenkontakt?

Nein. Bremsen. Bremsen! BREMSEN! Wir schlingern, während ich verzweifelt versuche den starren Fuß Richtung Bremse zu drücken. Vor meinem Inneren Auge sehe ich uns schon an der Außenwand zerscheppern. Wie stabil sind solche Gebäude eigentlich angelegt? Ein harter Ruck zur Linken zieht das Fahrzeug knapp vorbei. Wir ziehen an der Außenwand entlang, jeder Meter schlägt Funken und ein fürchterliches Metallisches Kreischen begleitet uns. Einige Meter zu weit! Muss weiter nach links? Wasser! Pier! BREMSEN!

Der Moment, als mein Fuß endlich die Bremse findet. Mit Aller Gewalt drauf zimmert. Halb im Schock gleichzeitig meine rechte Hand das Lenkrad loslässt und mit der Hand an der Standbremse ist. Schreiende Reifen, die sich auf dem Boden verteilen. Das leichte Schlingern endet. Mir drückt sich bei der rapiden Bremsung schlagartig das Lenkrad in den Magen. Luft, die aus den Lungen gedrückt wird. Speichel fliegt umher. Wir kommen zum Stehen.

Stimmen in der Entfernung? Sirenen? Ein Klingeln in den Ohren. Nur mühsam kann ich den Kopf oben halten. Etwas sickert am Lenkrad herab, tropft über meine Hand herunter. Als ob man nackte Haut vom Leder zieht, reißt sich mein Körper von Fahrersitz. Drücke mit voller Kraft gegen die Fahrertür. Mein Arm flammt auf. Die Wunde. Ein unguter Moment. Die volle Ladung der kühlen Hafenluft schlägt mir entgegen. Der Geruch von Wasser, Fisch, der See. Chemieabfällen. Der Pfad in die Green Bay? Dränge mich Stück für Stück zur hinteren Tür. Reiße sie auf. Scheiße.

Der Anblick ist erbärmlich. Sie sah schon vorher nicht gut aus, aber mit dem Erbrochenen das sich überall verteilt hat, macht es den Eindruck nicht besser. Sei es drum. Mehr oder weniger vorsichtig raus hieven. Viel schwerer, als sie vorher war. Wie lange war das her? Mein Blick verschwimmt. Konzentriere dich, Zeichner!

Hier muss doch irgendwo eine Tür sein. Da, an der eingedellten Außenwand. Ein teilweise abgerissener Griff deutet, nun lädiert, daraufhin, dass hier ein Pfad hinein gefunden werde kann. Die Tür öffnet sich von ganz alleine. Unglaublich helles Licht. Es blendet mich. Grässlich. Es brennt mir die Sicht weg. Wie ein Blick in die Sonne selbst. Stimmen. Sie sagen irgendwas. Es muss fürchterlich aussehen.

Zeichner
Bitte! Sie braucht Hilfe! Wir wollen zu Doktor Torn!

Eine Hand an meiner Seite. Eine Gestalt. Irgendjemand redet auf mich ein. Es sind mindestens zwei. Meine Augen brennen, als hätte jemand Sand und Feuer hinein gestreut. Ich kann ….ich kann nicht mehr.

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