20160426

Fall 1 - XLIX

Es ist wie ein Blitzschlag. Ein Donnerhall. Ich bin wach. Meine Augen sehen das scheinbar noch nicht so. Nur langsam kann ich sie aufmachen, aufdrängen. Mein Schädel ein einziges, in Watte gehülltes, etwas.

Die Umgebung noch nicht ganz klar. Ein paarmal Blinzeln. Die Sicht wird schärfer. Immer noch auf der Krankenliege. Das dumpfe Licht, das durch die einsamen Fenster am oberen Hallenrand herunter schaut ist grau und trüb, selbst von hier aus kann ich das stetige Plätschern des Regens vernehmen.

Immer noch stehen in wenigen Metern die großen Maler-Vorhänge, hängen an Metallstangen oder wie Trennwände an den Decken, während die Halle selbst nur punktuell beleuchtet zu werden scheint.

Ein Klackern, wie die Tasten einer Tastatur, in einiger Entfernung, hallt leise durch die Halle. Ich schüttele mich, und die gesamte Liege wackelt. Komme vorsichtig hoch. Noch immer fühlt sich meine Seite an wie totes Fleisch.

Die Füße über den rechten Rand hebend, langsam aus der Decke schlüpfend, kommen meine Füße heraus und in der Luft, dann auf dem Fußboden an. Kalt. Dreckig. Ein leises Knistern. Vermutlich nur Staub und Dreck. Hebe mich langsam komplett von der Liege hoch. 

Ein kurzer Blick zu den medizinischen Geräten zu meiner Rechten. Ich habe ehrlich gesagt keinen Schimmer, welchem Zweck diese Dinger dienen könnten, mit Ausnahme natürlich des Kardiograms. Kein Laut kommt von ihnen, sie sind momentan scheinbar ohne Strom.

Das Bett umrundend erreiche ich den weißen Vorhang, welcher dieses "Krankenzimmer" abgrenzt und drücke ihn beiseite. Vor mir enthüllt sich der Rest der noch gut 20m tiefen Halle und ein Einblick in die verschiedenen abgegrenzten Bereiche. Zur rechten Seite, an die Wand gedrückt sind ein Bürotisch und diverse Küchenutensilien mitsamt einem Pritschenbett, einer kleinen Sofa-Ecke und einer ziemlich hässlichen Topfpflanze, die auch schon mal bessere Tage gesehen haben muss. Der als Blitz angesprochene liegt, den Kopf in einer harten Schräglage angesetzt, das er vom Körper wegguckt, aber gleichzeitig auf dem Bauch liegend mit dem angewinkelten Füßen in der Luft, vermutlich durch die Sofa-Lehne, dass man meint er müsse gleich runterfallen.

Den Blick nach links schweifend erkenne ich anhand der Fliesen welche fachmännisch ausgelegt wurden und dem seltsamen, mit einzelnen Fenstern versehenen Zeltvorhang, der das Areal abgrenzt einen Operationstisch, an den verschiedenste Geräte angeschlossen sind. Nur einsam brennt eine einsame Laterne dort und erleuchtet sanft den Bereich. Selbst von hier aus kann ich erkennen, dass die junge Frau, welche ich aus Fouquiers Schlachthof gerettet habe, auf dem Operationstisch liegt.

Etwas weiter zu linken, am anderen Wand-Ende der Halle, kann ich einen kleinen Arbeitsbereich erkennen, Aktenschränke und Kisten, Werkzeug und ein ziemlich demoliert wirkender Heimcomputer an dem der Weißkittel sitzt und gerade dabei ist, etwas einzutippen, während er verbissen auf den Monitor starrt, der ihn im grellen Weiß-Blau beleuchtet und seinem Gesicht eine bizarre Färbung gibt.

Der Wand entlang folgend kann ich die schwere Metalltür sehen, welche den Halleneingang verschließt, und die Spuren der Hallen-Außenwand, welche sich nach innen drückt. Der gesamte Bereich, der über unzählige Meter geht, drückt sich immer mehr Richtung Innenraum bis zu einem finalen Punkt kurz vor dem Hallen-Ende. Ups.

Ein Anflug von Kälte zieht sich durch meine Füße. Schüttle mich. Ein leichter Hauch fährt über meinen Rücken. Obwohl ich noch meine Hose trage, fehlen Socken, Schuhe, Hemd. Ein kurzer Blick über die Umgebung enthüllt mir nicht, wo meine Sachen sind. Wohl aber, dass der Weißkittel mich gesehen haben muss.

Ein paar Schritte weiter und ich stehe hinter seinem Monitor, während ich mir durch die harten Bartstoppel fahre, welche sich inzwischen gebildet haben. Starre auf ihn hinunter. Er schaut nicht hoch, wie ich da stehe, sondern tippt geradezu gemütlich weiter. Ab und zu ändert sich der optische Eindruck und die viel zu hoch eingestellte Helligkeit des Monitors strahlt in dann in einer anderen Farbkombination an.

Zeichner - Torn?

Torn? - Hmm?

Seine Nonchalance hat etwas Entnervendes an sich.

Zeichner - Wo sind meine Sachen?

Er schaut auf. Die Augen verengen sich zu dünnen Schlitzen, während er mich mustert, intensiv anguckt.

Torn - Sie sehen besser aus.

Zeichner - Sie weichen meiner Frage aus. Wo sind meine Sachen?

Er seufzt, und lehnt sich auf seinem Drehstuhl zurück. Verschränkt die Arme hinter dem Kopf, während er mit den Füßen langsam hin und her wippt, mich dabei konzentriert beobachtet. Ich verspüre den Drang, mich am Kopf zu kratzen und weg zu gucken.

Torn - Wenn sie die Überreste dessen meinen, was sie als Hemd getragen haben, die haben wir entsorgt.

Zeichner - Und was soll ich jetzt anziehen?

Er streckt den Arm aus, zeigt rüber zum "Wohnbereich" der Halle auf der anderen Seite, wo Blitz immer noch auf dem Sofa sein Nickerchen hält. Bei genauerer Betrachtung fallen mir die tiefen Augenringe auf. Torn wirkt erschöpft. Er muss schon länger aktiv sein.

Torn - Unter dem Bett stehen ein paar Kisten. Leihgaben. Bedienen sie sich.

Und er dreht sich mit auf seinem Stuhl um die eigene Achse, während er mich immer wieder anguckt, dann mit der einen Hand, hinter dem Kopf hervor nehmend, mir zu wedelt, als ob ich abhauen könne.

Torn - Na los, sie wollen doch nicht den Rest des Tages hier halb nackt rumstehen.

Während meine Füße mich auf den Weg zum Wohnbereich bringen, komme ich am "Operations-Bereich" vorbei. Durch das planen-artige Fenster kann ich sie sehen, wie sie auf dem Operationstisch liegt. Eine Atemmaske auf, während ein paar Maschinen und unzählige Schläuche in den Körper hinein und hinausführen, irgendwo unter die dünne, schützende Decke. Ich kann nicht anders, als stehen zu bleiben, und diesem faszinierenden Schauspiel zu folgen. Fast unmerklich hebt und senkt sich die Decke, wo die Momente der Atmung stattfinden.

Zeichner - Wie geht es ihr?

Ein lautes Pfeifen von der linken Seite reißt mich aus der Beobachtungsstarre.

Torn - Anziehen, dann Quatschen.

Wie aus einer Trance gerissen, latsche ich, achselzuckend, weiter Richtung Wohnbereich. Als ich am Sofa vorbeikomme bemerke ich, dass Blitz inzwischen angefangen hat, Teile des Sofas zu fressen. Da er es scheinbar, wenn ich nach dem dunklen Fleck urteile, es auch vorher weich gesabbert hat, wird es sicherlich schmecken.

Unter der Pritsche befinden sich diverse Umzugskartons voll mit Kleidungsstücken, von Hemden zu Hosen und Schuhen, sowie einer Sammlung von sehr zusammen gewürfelten Jacken und anderen Utensilien.

Zeichner - Das kann nicht sein Ernst sein.

Es sind nur Hawaii-Hemden dabei.

Nur. Hawaii. Hemden.

In Kombination mit der Tatsache, dass die Schuhe ausschließlich aus Stöckel-Schuhen für Damen und mehreren Paaren durchgelaufener Sneakers bestehen, bleibt mir dabei aber letztlich wenig Wahl, weswegen ich das Hemd wähle, das den einheitlichsten, damit auch am stärksten gedämpften Farb-Stil hat. Das Bild das sich dabei ergibt, ist nicht weniger erschreckend. Wenigstens sind ein paar ordentlich...durchlöcherte Jacken dabei. Super. Werfe ein paar durcheinander, ehe ich eine grau-schwarze Halbleder-Jacke nehme, welche neben Brandlöchern auch schon bessere Tage gesehen hat, aber zu mindestens soweit vollständig zu sein scheint.

Es tut gut, selbst in diesem zusammen geworfenen Haufen langsam aber sicher wieder die Kleidung am Leib zu spüren, auch wenn der Versuch, mich anzuziehen mit Schmerzen verbunden ist in jedem Moment, in dem ich meinen Arm belaste. Aber es fokussiert den Geist. Schärft die Konzentration. Und sorgt für den Fokus auf das, was im Augenblick wesentlich ist.

Als ich, nun bekleidet, bei Torn stehe, kann ich das süffisante Grinsen auf seinem Gesicht sehen, das er garantiert noch länger tragen wird. Sein Blick folgt mir bereits, als ich hinter dem OP-Vorhang hervorkomme.

Zeichner - Machen sie ein Foto. Hält länger.

Torn - Von Ihnen? Länger als Sie, vermutlich.

Zeichner - Und der Rest?

Torn - Hat Blitz sicher verwahrt. Ihnen ist sicherlich bewusst, dass sie nicht hierbleiben können.

Zeichner - Ich bin gefährlich. Klar. Sie können nicht riskieren, mich hier zu behalten und ich kann nicht bleiben, weil ich einen Job zu erledigen habe.

Seine rechte Augenbraue zieht hoch, während er mich mit einer Mischung aus amüsierter Überraschtheit anschaut.

Torn - "Gefährlich". Eher für sie selbst, als für andere. Wenn das Syndikat raus bekommt, das sie Fouquier auf dem Gewissen haben, werden sie nicht locker lassen, bis sie Sie gefunden haben. Und ich werde den Teufel tun, den Kopf für sie hinzu halten.

Zeichner - Ich hätte es nicht verlangt.

Mein Blick wandert zu den oberen Hallenfenstern, durch die man den dunklen, bewölkten Himmel durch den stetigen Regen kaum erkennen kann. In einiger Entfernung blitzt es auf.

Zeichner - Können sie für die junge Frau sorgen?

Torn - Ich habe ein paar Freunde, wo wir sie unterbringen können.

Zeichner - Freunde wie Candy?

Er zieht erneut eine Augenbraue hoch, atmet vernehmbar aus, schüttelt den Kopf.

Torn - Haben sie damit ein Problem?

Zeichner - Ich wäre nicht hier, wenn.

Er nickt, schaut dann rüber zum Wohnbereich. Pfeift laut, das es mir fast in den Ohren weh tut. Mit einem Mal zuckt Blitz hoch, wie vom selben gestochen. In seinem Mund noch immer das Stück Sofafüllung, an dem er zuletzt gearbeitet zu haben scheint.

Torn - Gib Mr.Zeichner seine "Sachen". Er will uns verlassen.

Blitz schaut für einen Moment bedröppelt, ehe er, sich schüttelnd, langsam zu uns rüber stapft. Mir dann meine Habseligkeiten überreicht. Viel ist es nicht. Wenig überraschend.

Blitz - Mhmm...okay, die 1911er, ein halbvolles Magazin, eine Brieftasche, Schlüssel und ein kaputtes Mobiltelefon.

Er reibt sich mit der einen Hand noch müde den Schlaf aus den Augen, während er mir die Sachen übergibt. Es hat etwas bedrückendes, diese Ansammlung zu sehen. Ein kurzer Blick in die Brieftasche. Ein Moment für einen kleinen Versuch?

Zeichner - Es...fehlt etwas Geld.

Blitz - Huh?

Torn - Sehen sie es als Behandlungspauschale an. Und jetzt raus hier. Jede Minute die sie hier sind, ist eine Minute zu lang.

Zeichner - Keine Sorge, ich bin schon weg.

Mit ein paar eifrigen Schritten erreiche ich die schwere Metalltür, und entriegle sie. Als sie vor mir aufschwingt, kommt mit der Geruch...nein, Gestank der Green Bay entgegen. Wind und Regen peitschen sich in Sekunden auf, wie um mich willkommen zu heißen, während ich den Blick auf den Pier richten kann und zur linken auf den abgehenden Bereich der zu den restlichen Docks führt.

Ein letzter Blick nach hinten. Torn sitzt immer noch an seinem Computer, während Blitz, an den Tisch gelehnt anfängt, eine Zigarette raus zu holen und anzuzünden.

Mit dem Schritt nach Draußen verlasse ich die Halle, trete in das Unwetter. Über mir knallt und peitscht das Unwetter Straßen und See. Hinter mir fällt die schwere Stahltür zu.

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