Geräusche aus dem Inneren. Irgendwer arbeitet dort
drin. Das Geräusch ist dumpf, durch Tür und Distanz offensichtlich gedämpft,
aber nicht so sehr, dass ich nichts davon hier draußen mitbekommen würde. Noch
seltsamer, dass die Tür angelehnt offen steht. Offene Türen sind eine Einladung.
Schleiche mich zu derselben, drücke mich an die
Wand, eine Hand immer auf der Plakette, darauf achtend, nicht den Knopf
unterhalb zu drücken. 550 - B´Quija, Psychotherapie.
Von dort drinnen ist ein Knallen zu vernehmen, wie
von harter Plastikverschalung auf dickes Holz. Was zum Henker war das? Durch
die Tür hindurch, welche angelehnt offen steht, kann ich eine Lounge sehen,
welche durch nur wenig Licht überhaupt behellt wird. Langsam und vorsichtig die
Tür aufdrücken. Kein Knarzen. Gut geölt. Das wenige Licht, das den Raum
erhellt, kommt aus einem gegenüberliegenden Raum, neben einem Rezeptionsplatz,
aus dem kühles, weißliches Licht dringt. Eine unangenehme Ahnung überfällt mich.
Trete vorsichtig durch die Tür in die größere Lounge.
Irgendwo zu meiner Seite kann ich einen Wasserlauf
hören, während an einer Wand ein Gemälde hängt, aber außer mir sonst niemand in
diesem Vorraum zu sein scheint. Wobei ein paar Zwischenwände zur rechten
stehen, also kann ich mir nicht absolut sicher sein, aber diese stehen auch
gleichzeitig im Halbdunkel.
Etwas hartes ruckt und knallt. Ich kann den Lauf von
Regen hören, der noch weiter über das Wasser hinweg aus Richtung der Bürotür zu
kommen scheint.
Schleiche mich vorsichtig über den teuren Teppich
Richtung Bürotür. Ich kann in ein stark beleuchtetes Büro blicken, ein
Liegesessel, im Hintergrund ein schwerer dunkler Holzschreibtisch. Sieht massiv
und teuer aus. Am Schreibtisch selbst, von meinem Blick verborgen, scheint eine
Person auf dem Stuhl zu sitzen, soweit ich die Arme auf den Lehnen und den
Kopfansatz an der oberen Rückenlehne richtig deute. Der namensgebende Doktor?
Der Raum wäre sogar einigermaßen ruhig und
gemütlich, wenn nicht die ganze Zeit das schlagende Fenster auf der linken
Seite wäre, das im Hintergrund, durch den Sturm angetrieben, immer wieder nach außen
haut. Seltsam, warum tut der Mann auf dem Stuhl nichts dagegen?
Ein kurzer Griff in die Jacke. Vielleicht wäre es
besser, die Pistole zu ziehen...ich bringe mich in Position, diese jederzeit
aus der Jackeninnentasche zu ziehen.
Der Donner taucht die Umgebung für einen kurzen
Moment in einen unwirklichen Schein, während der Regen mit unverminderter
Stärke gegen die Scheiben des kleinen Büros und weitestgehend auch auf den
Teppich davor klatscht. Die Person auf dem Chefsessel macht keinerlei
Anstalten, irgendetwas zu tun. Erster Meter hinein, einige Schritte vor mit der
Liegesessel, dem gegenüber zur linken ein Ohrensessel steht. Ein Psychiater-Büro
wie aus dem Bilderbuch.
Der dunkle Farbton, mit dem sich der Regeln auf dem
Teppich abzeichnet hat sich...vermischt? Aus Richtung des Schreibtischs selbst
scheint etwas auf dem Teppich verschüttet worden zu sein. Es ist etwas zu weit
weg, es genauer zu sagen. Ich werde näher an den Schreibtisch müssen. Jeder
Schritt ist wohlüberlegt.
Zweiter Schritt. Dritter Schritt. Niemand ausser uns
beiden hier? Etwas drückt sich in meinen Rücken. Oh Nein!
Ein tiefes Räuspern hinter mir. Es ist
offensichtlich eine Feuerwaffe, soviel sagt mir schon das Gefühl, und das durch
den Trenchcoat hindurch. Drehe mich betont langsam um. Mit einer offensichtlich
schallunterdrückten Pistole mir unbekannter Art steht, in einem Filzhut und
einem schwarzen Mantel bekleidet, mitsamt Saubermann-Handschuhen, ein älterer,
fast schon greisiger Mann, eingefallene Wangen, scharfkantige Züge, die wenigen
verbliebenen Haare die unter dem Hut hervor linsen hart und kurz geschnitten in
knochigem Weiß.
Fuck. Er deutet mit der Pistole, die er jetzt genau
auf meinen Bauch gerichtet hält, dass ich zur Seite gehen soll. Der Mann ist
alt. Sehr alt. Er könnte schlechtere Reflexe haben als ich. Wenn ich jetzt eine
Bewegung versuche...
Mit einem mutigen Satz drücke ich mich nach vorne,
eine Hand an seine Waffe, die andere an seinen Hals, im selben Moment drückt
sich mir ein starker Schmerz auf die Stirn. Er hat die Waffenhand weggezogen
und mir den Kolben gleichzeitig durchs Gesicht gejagt. Krümme mich auf der
Stelle, der Schmerz ist verfickt unangenehm. Tränen in den Augen, der Schädel
pocht. Ein Super-Anfang.
Er deutet erneut mit der Pistole zur Seite. Richtung
Fenster? Warum sagt er nichts? Ich kann seinen Hals wegen des Mantels nicht gut
erkennen. Ist er stumm? Das würde erklären, warum ich noch keinen Ton aus
seinem Munde gehört habe, seitdem ich ihn bei Mokhovs Wohnung verpasst und dann
im Polizeihauptquartier begegnet bin.
Gehe langsam die Schritte Richtung offenem Fenster,
wo der stürmische Regen anfängt mich erneut zu benetzen. Das, was er beim Weg
vom Taxi bis zum Tower nicht geschafft hat, will er jetzt wohl endgültig
nachholen. Nur undeutlich sind die Warnlichter der anderen beiden Türme durch
den Sturm hindurch zu erkennen. Ist das? Ein schwerer Splitter drängt sich
durch den strömenden Regen und im nächsten Moment reißt er ein Loch in eines
der Fenster der 91sten Etage am gegenüberliegenden Turm. Ein Splittersturm. Das
hat gerade noch gefehlt. Ich schaue zum alten Mann, der sich weiter wortkarg
gibt.
Mit dem Rücken zum Fenstersims gelehnt, von hinten
pladdert durchgehend Regen gegen meinen Rücken und den Trenchcoat entlang. Von
hier aus ist auch ein deutlich besser Blick auf den Chefsessel möglich. In
einer drapierten Pose sitzt ein Mann mittleren Alters auf diesem,
offensichtlich hat ihn eine Kugel in den Kopf das Leben gekostet. Jetzt wird
auch deutlich, woher der dunkle Fleck am Schreibtisch kommt. Gehirn und Blut
liegen vermengt auf seiner Seite des Schreibtisches, teilweise eingefahren in
den Teppich. Der gute Herr Doktor hats wohl hinter sich.
Der alte Mann hebt die Pistole ein Stück hoch, deutet
mir weiter nach hinten. Das kann nicht sein Ernst sein?!
Zeichner - Auf...auf den Fenstersims? Sind sie
IrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrARGH FUCK!
Noch während ich meine Empörung zum Ausdruck bringen
will, hat er aus seiner Manteltasche einen Taser geholt und auf mich angewandt.
Das wirst du mir büßen, das Schwein!
Die Hände halb im Schmerzreflex zusammengekrümmt,
der Oberkörper fast nicht in der Lage sich zu halten, drücke ich mich langsam
auf den Fenstersims hinauf. Das Fenster, immer noch weit höher als ich,
offenbart vermutlich einen monumentalen Ausblick, der durch die Umstände kaum
erkennbar ist.
Er ...entsichert die Waffe? Er will mich anschießen,
damit ich vom Sims alle. Moment, seine Waffe war bis eben gesichert? FUCK! Ein
letzter Blick hinaus. Unter mir sind nur Wind, die Straßen, Baugerüste im
Untergeschoß und der zentrale Platz des Golden Triad. Moment. Die Baugerüste.
Wenn ich auf diesen aufkomme, könnte ich über den Weg des Treppenhauses hier
rauskommen!
Auf dem Fenstersims stehend drehe ich mich dem alten
Mann zu. Er scheint nicht einmal zu zielen, grinst mich aber an. Ich schüttle
den Kopf. Er hebt eine Augenbraue. Das wird vermutlich der schlimmste Moment
meines Lebens. Ich schließe die Augen und lasse mich rückwärts fallen.
Ich war in meinem Leben noch nie Fallschirmspringen,
aber Mickey meinte mal, dass es ultimativ wäre, das Gefühl der Freiheit, der
Moment, wo man für diesen kurzen Augenblick völlig losgelöst jenseits von allem
über der Erde schwebt. Ein absolutes Hoch.
Das hier war damit nicht vergleichbar. Der Regen,
der weiterhin stakkato-gleich auf mich einhämmerte, hatte nun eine ganze Fläche
bekommen, während ich, mit den Rücken und leider auch kopfwärts voran nach
hinten falle. Obwohl die Distanz nur wenige Meter sind, ist der Augenblick eine
Ewigkeit. Wenn ich auch nur ein paar Zentimeter danebenliege, bin ich gleich
ein Fleck auf dem Bordstein.
Harter Schmerz flutet meine Sinne, als ich
unkalkuliert gefallen, mit dem Rücken zuerst aufkomme und über das nasse und
rutschige Geländer hüpfe, das vom schwere Wind getragen, im selben wippt, und
gleichzeitig absolut rutschig durch Regenwasser und andere Inhalte mich, wie um
mich abzustoßen, davon drücken will. Schaffe es in letzter Sekunde, eine
Seitenhalterung zu erwischen, aber rutsche weiter. Im nächsten Moment das
Reißen an den Armen, die jetzt zu zweit versuchen, an einem im 92sten Stock
gelegenen Baugerüst festzuhalten, um den Tod vom Rest zu verhindern. Ich
schwöre, wenn ich das hier überlebe, mache ich irgendeine Art von Training.
Meine Arme fühlen sich an, als wären sie aus Gelee, würden gleich reißen.
Drohen zu rutschen. Muss...mit...den Füßen...DA!
Durch wildes Umhergetrippel eine Unterstange
gefunden. Jetzt hänge ich unter der Bauplattform an der Unterseite des Gerüsts wie
ein Faultier. Nicht unbedingt besser. Langsam mit der einen Hand loslassen, um
mich auf den Sims zu bringen, der in diese Etage führt. Dann die anderen Hand.
Es knallt. Wasser peitscht um mich herum. Der alte Mann hat meinen Trick
durchschaut. Die Kugel hat nicht getroffen, aber die Kugel flog nahe genug
vorbei, dass ich nicht darauf wetten will, dass das so bleibt.
Noch ein paar Millimeter und...der erste Fuß ist auf
dem Sims des großen Fensters! Komm....schooon! Mit einer letzten Anstrengung
klatsche ich, von der Unterseite des Baugerüsts, gegen die große Fensterscheibe
der unteren Etage und durchbreche sie. Noch im Flug spüre ich die Splitter und
Scherben, welche sich durch mein Gesicht drücken, während meine Arme versuchen,
das gröbste abzufangen. Ich komme erneut unsanft, aber sanfter auf, als noch
auf dem Baugerüst. Das macht die Situation insgesamt nicht besser. Drücke mich
langsam von Boden hoch. Um mich herum stehen unzählige Regale mit Computern,
Servern, Datenkisten, etc. Dabei muss ich erst mal meine Hand aus dem
gebrochenen Porzellan-Aschenbecher ziehen, welcher wohl bis eben am Fenster
gestanden hat.
Ein Serverraum, vermutlich IT einer Firma, soweit
scheint es klar. Eine einsame Tür zeigt aus diesem deutlich kleineren Raum
heraus. Ich muss mich beeilen, ehe der Alte es schafft, oben über den Fahrstuhl
oder die Treppe mir nachzukommen!