20161201

Fall 1 - LXIV

Der Film läuft.

Nur noch ein weißer Bildschirm. Der Projektor, der im Hintergrund röhrt, und über meinen Kopf hinweg das Bild projeziert, das vor mir auf die Leinwand geworfen wurde. Der Film flimmert.

Vom Weiß wechselt er in einen Schauer von Seltsamkeiten. Graue Schlieren, welche sich über das Bild ziehen, Gesichter, die immer wieder herausragen, schreiend, verzerrt wirken.

Ich sitze alleine im Saal. Die Sitze sind abgenutzt. An einigen Stellen ist die Decke und Teile der Wand aufgebrochen, so dass man die Verkabelung herausragen sieht. Es ist kalt. Eine dünne weißliche Eisschicht hat sich langsam, aber sicher über die teilweise aufgerissenen, teilweise abgezogenen Lederbezüge geschoben. Irgendwo tropft es.

Der Film läuft weiter, das Bild wechselt. Die Handlung verschwimmt kurz, ehe sie wieder Fahrt aufnimmt. Der Stil wechselt. Was eben noch an einen klassischen Actionfilm der 80er erinnerte, ist nun ein dunkler Horror-Thriller. Moment, ist das Schnulzenmusik?

Bilder. In rasanter Abfolge rasen, jagen sich die Szenen voreinander her, ein Crescendo an Farben.

Schritte. Ein Blick zur Seite zeigt mir einen alten Vertrauten. Er setzt sich, direkt in der Reihe hinter der meinen. Schräg zu meiner Rechten, beugt sich vor, die Hände zusammengefaltet auf der Lehne des vorderen Sitzes.

Zeichner - Hallo Dirk.

Dirk - Michael.

Der Atem kondensiert mit jedem Wort. Dirk grinst. Ich wende den Blick nach vorn.

Der Film läuft immer noch. Die Handlung ist wirr, teilweise undurchsichtig. Beim Zusehen bekomme ich das Gefühl, der Regisseur weiss nicht so recht, wie er bestimmte Szenen darstellen sollte, und hat sich dann durchgängig für die langweiligste Variante entschieden. Die Effekte können auch nicht so recht überzeugen. Überhaupt bin ich mir unsicher, was ich da überhaupt sehe.

Dirk - Achtung, da kommt die beste Szene!

Ich kneife die Augen zusammen, konzentriere mich auf das vor mir ablaufende. Kann ich nicht nachvollziehen. Es wirkt so, als ob ein Teil der Handlung einfach springt. Wie kommt es, dass er jetzt einfach da hin geht und...

Zeichner - Das ist so unwirklich.

Dirk - Fällt dir ja früh auf.

Zeichner - Und...wie komme ich wieder zurück?

Schaue mich um. Kommt gleich wieder eine Welle des Blutes herangerauscht? Ob mir ein Psychologe das irgendwann aus dem Kopf hämmern kann? Vermutlich kann das am Ende nur eine ordentliche Ladung Whiskey.

Dirk - Solange er am Steuer sitzt? Gar nicht. Schlimm genug, dass du jetzt hier bist.

Zeichner - Es ist nicht so, als ob ich die Wahl gehabt hätte.

Dirk - Man hat immer eine Wahl. Nur weil du die Entscheidung nicht als solche wahrnahmst, heißt das nicht, dass du nicht gewählt hast.

Zeichner - Du musst es ja wissen.

Dirk - Wer im Glashaus sitzt....

Zeichner - Wenn du schon so anfängst, kannst du dich gleich wieder verziehen.

Ich spüre die Hand auf meiner Schulter. Das freundliche Klopfen, Beruhigen. Menschlichkeit.

Dirk - Kein Weg Allein.

Ich nicke.

Dirk  - Guck nicht zu lange zu. Alles hat seine Grenzen, Michael.

Zeichner  - Ich habe das Ruder auch nicht freiwillig abgegeben.

Dirk - Du hast dich auch nicht gerade dagegen gewehrt.

Ich rucke hoch. Versuche es zumindestens. Ich klebe am Sitz fest. Meine Finger sind steif, auf den Sitzlehnen festgefroren.

Dirk - Kein Weg Allein.

Ich spüre Dirks Hände auf meinem Rücken und höre ihn schnaufen, als er mich mit Wucht aus dem Sitz katapultiert. Der Frost reisst mir die Haut von den Fingern, und das Leder schreit auf, als es voneinander getrennt wird, der Fußboden kommt mir aufdringlich näher, während ich schützend die Arme vors Gesicht ziehe, und hart aufkomme. Mich langsam zur Seite drehe, und abstützend aufstehe.

Dirk ist fort.

Dem Fußbodenpfad folgend wandere ich die Sitzreihe entlang, und nehme Tempo auf. Immer schneller renne ich die Sitzreihen hoch auf die Tür mit dem kleinen Schild namens Ausgang zu.

Erreiche sie. Durchbreche sie. Und drücke mich hindurch.

Das sanfte Surren des Fahrstuhls endet mit einem leisen PLING.

Fahrstuhl - 85ster Stock.

Vor mir öffnet sich ein kleiner Korridor, der, mit dunklem Marmor ausgeschlagen, einen Durchgang darstellt. Trete vorsichtig aus dem Fahrstuhl. Schaue mich um. Der Ort kommt mir bekannt vor.

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