20161222

Fall 1 - LXV

Geräusche aus dem Inneren. Irgendwer arbeitet dort drin. Das Geräusch ist dumpf, durch Tür und Distanz offensichtlich gedämpft, aber nicht so sehr, dass ich nichts davon hier draußen mitbekommen würde. Noch seltsamer, dass die Tür angelehnt offen steht. Offene Türen sind eine Einladung.

Schleiche mich zu derselben, drücke mich an die Wand, eine Hand immer auf der Plakette, darauf achtend, nicht den Knopf unterhalb zu drücken. 550 - B´Quija, Psychotherapie.

Von dort drinnen ist ein Knallen zu vernehmen, wie von harter Plastikverschalung auf dickes Holz. Was zum Henker war das? Durch die Tür hindurch, welche angelehnt offen steht, kann ich eine Lounge sehen, welche durch nur wenig Licht überhaupt behellt wird. Langsam und vorsichtig die Tür aufdrücken. Kein Knarzen. Gut geölt. Das wenige Licht, das den Raum erhellt, kommt aus einem gegenüberliegenden Raum, neben einem Rezeptionsplatz, aus dem kühles, weißliches Licht dringt. Eine unangenehme Ahnung überfällt mich. Trete vorsichtig durch die Tür in die größere Lounge.

Irgendwo zu meiner Seite kann ich einen Wasserlauf hören, während an einer Wand ein Gemälde hängt, aber außer mir sonst niemand in diesem Vorraum zu sein scheint. Wobei ein paar Zwischenwände zur rechten stehen, also kann ich mir nicht absolut sicher sein, aber diese stehen auch gleichzeitig im Halbdunkel.

Etwas hartes ruckt und knallt. Ich kann den Lauf von Regen hören, der noch weiter über das Wasser hinweg aus Richtung der Bürotür zu kommen scheint.

Schleiche mich vorsichtig über den teuren Teppich Richtung Bürotür. Ich kann in ein stark beleuchtetes Büro blicken, ein Liegesessel, im Hintergrund ein schwerer dunkler Holzschreibtisch. Sieht massiv und teuer aus. Am Schreibtisch selbst, von meinem Blick verborgen, scheint eine Person auf dem Stuhl zu sitzen, soweit ich die Arme auf den Lehnen und den Kopfansatz an der oberen Rückenlehne richtig deute. Der namensgebende Doktor?

Der Raum wäre sogar einigermaßen ruhig und gemütlich, wenn nicht die ganze Zeit das schlagende Fenster auf der linken Seite wäre, das im Hintergrund, durch den Sturm angetrieben, immer wieder nach außen haut. Seltsam, warum tut der Mann auf dem Stuhl nichts dagegen?

Ein kurzer Griff in die Jacke. Vielleicht wäre es besser, die Pistole zu ziehen...ich bringe mich in Position, diese jederzeit aus der Jackeninnentasche zu ziehen. 

Der Donner taucht die Umgebung für einen kurzen Moment in einen unwirklichen Schein, während der Regen mit unverminderter Stärke gegen die Scheiben des kleinen Büros und weitestgehend auch auf den Teppich davor klatscht. Die Person auf dem Chefsessel macht keinerlei Anstalten, irgendetwas zu tun. Erster Meter hinein, einige Schritte vor mit der Liegesessel, dem gegenüber zur linken ein Ohrensessel steht. Ein Psychiater-Büro wie aus dem Bilderbuch.

Der dunkle Farbton, mit dem sich der Regeln auf dem Teppich abzeichnet hat sich...vermischt? Aus Richtung des Schreibtischs selbst scheint etwas auf dem Teppich verschüttet worden zu sein. Es ist etwas zu weit weg, es genauer zu sagen. Ich werde näher an den Schreibtisch müssen. Jeder Schritt ist wohlüberlegt.

Zweiter Schritt. Dritter Schritt. Niemand ausser uns beiden hier? Etwas drückt sich in meinen Rücken. Oh Nein! 

Ein tiefes Räuspern hinter mir. Es ist offensichtlich eine Feuerwaffe, soviel sagt mir schon das Gefühl, und das durch den Trenchcoat hindurch. Drehe mich betont langsam um. Mit einer offensichtlich schallunterdrückten Pistole mir unbekannter Art steht, in einem Filzhut und einem schwarzen Mantel bekleidet, mitsamt Saubermann-Handschuhen, ein älterer, fast schon greisiger Mann, eingefallene Wangen, scharfkantige Züge, die wenigen verbliebenen Haare die unter dem Hut hervor linsen hart und kurz geschnitten in knochigem Weiß.

Fuck. Er deutet mit der Pistole, die er jetzt genau auf meinen Bauch gerichtet hält, dass ich zur Seite gehen soll. Der Mann ist alt. Sehr alt. Er könnte schlechtere Reflexe haben als ich. Wenn ich jetzt eine Bewegung versuche...

Mit einem mutigen Satz drücke ich mich nach vorne, eine Hand an seine Waffe, die andere an seinen Hals, im selben Moment drückt sich mir ein starker Schmerz auf die Stirn. Er hat die Waffenhand weggezogen und mir den Kolben gleichzeitig durchs Gesicht gejagt. Krümme mich auf der Stelle, der Schmerz ist verfickt unangenehm. Tränen in den Augen, der Schädel pocht. Ein Super-Anfang.

Er deutet erneut mit der Pistole zur Seite. Richtung Fenster? Warum sagt er nichts? Ich kann seinen Hals wegen des Mantels nicht gut erkennen. Ist er stumm? Das würde erklären, warum ich noch keinen Ton aus seinem Munde gehört habe, seitdem ich ihn bei Mokhovs Wohnung verpasst und dann im Polizeihauptquartier begegnet bin.

Gehe langsam die Schritte Richtung offenem Fenster, wo der stürmische Regen anfängt mich erneut zu benetzen. Das, was er beim Weg vom Taxi bis zum Tower nicht geschafft hat, will er jetzt wohl endgültig nachholen. Nur undeutlich sind die Warnlichter der anderen beiden Türme durch den Sturm hindurch zu erkennen. Ist das? Ein schwerer Splitter drängt sich durch den strömenden Regen und im nächsten Moment reißt er ein Loch in eines der Fenster der 91sten Etage am gegenüberliegenden Turm. Ein Splittersturm. Das hat gerade noch gefehlt. Ich schaue zum alten Mann, der sich weiter wortkarg gibt.

Mit dem Rücken zum Fenstersims gelehnt, von hinten pladdert durchgehend Regen gegen meinen Rücken und den Trenchcoat entlang. Von hier aus ist auch ein deutlich besser Blick auf den Chefsessel möglich. In einer drapierten Pose sitzt ein Mann mittleren Alters auf diesem, offensichtlich hat ihn eine Kugel in den Kopf das Leben gekostet. Jetzt wird auch deutlich, woher der dunkle Fleck am Schreibtisch kommt. Gehirn und Blut liegen vermengt auf seiner Seite des Schreibtisches, teilweise eingefahren in den Teppich. Der gute Herr Doktor hats wohl hinter sich.

Der alte Mann hebt die Pistole ein Stück hoch, deutet mir weiter nach hinten. Das kann nicht sein Ernst sein?!

Zeichner - Auf...auf den Fenstersims? Sind sie IrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrARGH FUCK!

Noch während ich meine Empörung zum Ausdruck bringen will, hat er aus seiner Manteltasche einen Taser geholt und auf mich angewandt. Das wirst du mir büßen, das Schwein!

Die Hände halb im Schmerzreflex zusammengekrümmt, der Oberkörper fast nicht in der Lage sich zu halten, drücke ich mich langsam auf den Fenstersims hinauf. Das Fenster, immer noch weit höher als ich, offenbart vermutlich einen monumentalen Ausblick, der durch die Umstände kaum erkennbar ist.

Er ...entsichert die Waffe? Er will mich anschießen, damit ich vom Sims alle. Moment, seine Waffe war bis eben gesichert? FUCK! Ein letzter Blick hinaus. Unter mir sind nur Wind, die Straßen, Baugerüste im Untergeschoß und der zentrale Platz des Golden Triad. Moment. Die Baugerüste. Wenn ich auf diesen aufkomme, könnte ich über den Weg des Treppenhauses hier rauskommen!

Auf dem Fenstersims stehend drehe ich mich dem alten Mann zu. Er scheint nicht einmal zu zielen, grinst mich aber an. Ich schüttle den Kopf. Er hebt eine Augenbraue. Das wird vermutlich der schlimmste Moment meines Lebens. Ich schließe die Augen und lasse mich rückwärts fallen.

Ich war in meinem Leben noch nie Fallschirmspringen, aber Mickey meinte mal, dass es ultimativ wäre, das Gefühl der Freiheit, der Moment, wo man für diesen kurzen Augenblick völlig losgelöst jenseits von allem über der Erde schwebt. Ein absolutes Hoch.

Das hier war damit nicht vergleichbar. Der Regen, der weiterhin stakkato-gleich auf mich einhämmerte, hatte nun eine ganze Fläche bekommen, während ich, mit den Rücken und leider auch kopfwärts voran nach hinten falle. Obwohl die Distanz nur wenige Meter sind, ist der Augenblick eine Ewigkeit. Wenn ich auch nur ein paar Zentimeter danebenliege, bin ich gleich ein Fleck auf dem Bordstein.

Harter Schmerz flutet meine Sinne, als ich unkalkuliert gefallen, mit dem Rücken zuerst aufkomme und über das nasse und rutschige Geländer hüpfe, das vom schwere Wind getragen, im selben wippt, und gleichzeitig absolut rutschig durch Regenwasser und andere Inhalte mich, wie um mich abzustoßen, davon drücken will. Schaffe es in letzter Sekunde, eine Seitenhalterung zu erwischen, aber rutsche weiter. Im nächsten Moment das Reißen an den Armen, die jetzt zu zweit versuchen, an einem im 92sten Stock gelegenen Baugerüst festzuhalten, um den Tod vom Rest zu verhindern. Ich schwöre, wenn ich das hier überlebe, mache ich irgendeine Art von Training. Meine Arme fühlen sich an, als wären sie aus Gelee, würden gleich reißen. Drohen zu rutschen. Muss...mit...den Füßen...DA!

Durch wildes Umhergetrippel eine Unterstange gefunden. Jetzt hänge ich unter der Bauplattform an der Unterseite des Gerüsts wie ein Faultier. Nicht unbedingt besser. Langsam mit der einen Hand loslassen, um mich auf den Sims zu bringen, der in diese Etage führt. Dann die anderen Hand. Es knallt. Wasser peitscht um mich herum. Der alte Mann hat meinen Trick durchschaut. Die Kugel hat nicht getroffen, aber die Kugel flog nahe genug vorbei, dass ich nicht darauf wetten will, dass das so bleibt.

Noch ein paar Millimeter und...der erste Fuß ist auf dem Sims des großen Fensters! Komm....schooon! Mit einer letzten Anstrengung klatsche ich, von der Unterseite des Baugerüsts, gegen die große Fensterscheibe der unteren Etage und durchbreche sie. Noch im Flug spüre ich die Splitter und Scherben, welche sich durch mein Gesicht drücken, während meine Arme versuchen, das gröbste abzufangen. Ich komme erneut unsanft, aber sanfter auf, als noch auf dem Baugerüst. Das macht die Situation insgesamt nicht besser. Drücke mich langsam von Boden hoch. Um mich herum stehen unzählige Regale mit Computern, Servern, Datenkisten, etc. Dabei muss ich erst mal meine Hand aus dem gebrochenen Porzellan-Aschenbecher ziehen, welcher wohl bis eben am Fenster gestanden hat.


Ein Serverraum, vermutlich IT einer Firma, soweit scheint es klar. Eine einsame Tür zeigt aus diesem deutlich kleineren Raum heraus. Ich muss mich beeilen, ehe der Alte es schafft, oben über den Fahrstuhl oder die Treppe mir nachzukommen!

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