Der stürmische Wind hat einen Affenzahn drauf, während er und der Regen um
die Wette eifern, wer mir zuerst die Haut abziehen kann. Das Wetter ist so
schlimm, wie schon lange nicht mehr, und man könnte fast meinen,
Sturmflut-Verhältnisse voraus zu sehen. Die Sichtweite ist nicht einmal weit
genug, um vom Pier aus den Rand der Green Bay zu erblicken, geschweige denn den
Rest der Umgebung.
Mit einem kurzen Sprint erreiche ich, immer wieder leicht vom Kurs
abgebracht, endlich die Straße. Ein schneller Blick zu meiner Linken und
Rechten, aber in beide Richtungen nichts los. Kein Wunder, an diesem Pier.
Bleibt mir nichts anderes übrig, werde ich weiter durch den Regen eilen
müssen. Der hingegen macht kein Anzeichen, irgendwann schwächer zu werden. Ganz
im Gegenteil, mit ein paar kräftigen Blitzen zuckt es noch ein paar Mal
ordentlich. Einer davon schlägt mit einem lauten Krachen irgendwo in den Docks
ein.
Durch Pfützen und Lachen, immer wieder am Straßenrand am Navigieren, komme
ich zu einer Zweigstraße. Hier muss doch irgendwo...da vorne! Eine
Bushaltestelle. Ein Trauerspiel ohne Gleichen, aber was soll ich machen.
Als ich endlich den Unterstand erreicht habe, ist der Schritt ins Trockene
ein ungewohnter, aber angenehmer Segen. Zudem bin ich, angesichts der aktuellen
Umstände wenig verwunderlich, der einzige, der jetzt hier steht und wartet. Ein
kurzer Blick auf den Fahrplan.
Hmm. Welcher Tag ist heute? Wie spät ist es? Das...ist jetzt scheiße. Ich
kann nicht mal sagen, ob, und wann ein Bus fährt. Super.
Zeichner - Wenigstens im Trockenen.
Im nächsten Moment rauscht ein LKW vorbei. Fährt direkt durch eine größere
Pfütze. Der Schwall Wasser, entfesselt, zieht sich direkt gegen meinen
Oberkörper. Ich reiße noch die Arme hoch, versuche mich wegzudrehen, aber es
ist zu spät. Was vorher noch ansatzweise trocken war, ist nun gänzlich unter
Wasser gesetzt.
Zeichner - Ich und meine große Fresse.
Bringt doch alles nichts. Setze mich für den Moment auf die Bank. Lehne den
Kopf zurück. Und warte. Vor meinen Augen könnte jetzt die Welt untergehen, es
wäre mir egal.
Zeit vergeht. Zeit, in der ich mir Gedanken mache.
Selbst wenn, ich kann Rieé eh nicht erreichen. Erst mal ein neues
Mobiltelefon besorgen. Spuren? Ich weiß, dass Mokhovs Wohnung von einer Frau in
einem Schuppenkleid leer geräumt wurde, bevor Rassila dort war. Dass Smetnik
selbst, genauso wie Mikhail Rassila und seine Frau hinter "Tatianna"
her sind. Ebenso wie eine Gruppe von White-Power-Faschisten. Und das Matthews
als Versorger von "leichten Mädchen" im Hintergrund mit Spritzer da
drin hing, vermutlich Fouquier versorgte, oder von diesen seine Mädchen bekam.
Ein Schauer geht mir über den Rücken, beim Gedanken daran, wie lange dieses
Monstrum schon aktiv gewesen sein muss. Es muss doch so ein natürlicher Ekel
sein, der sich da zeigt.
Und Fouquier wiederum hat für jemanden namens Kaltenstadt gearbeitet. Ein
Deutscher? Wäre wenig überraschend, wenn ich darüber nachdenke, dass ja auch
der deutsche Attachée, Altenstamm involviert ist. Aber wie passt das mit
Fouquiers Aufzeichnungen zusammen? Wie aus seinen Aufzeichnungen hervor ging,
hat er die Mädchen über einen Menschenhändler-Ring bezogen und dann
konditioniert. "Auf Kundenwunsch". Jemand wollte ein ganz bestimmtes
Aussehen. Ein bestimmtes Verhalten.
Es erklärt aber auch die Verwicklungen. Selbst das bisher rausgefundene
würde reichen, um ein paar dieser Personen arge Schwierigkeiten zu bereiten.
Ein Skandal, der also tiefe Spuren hinterlassen kann. Das erklärt also, warum
sie alle so verbissen hinter der Sache her sind.
Aber Rassila hat, zu mindestens so der Kenntnisstand, zuerst nach Tatianna
suchen lassen. Mokhov ist vor den MiB abgehauen, welche ihn verfolgt haben,
wurde aber später von Smetnik eingefangen. Für den er wohl auch gearbeitet hat.
Und wenn man an das Bild in seiner Wohnung denkt, scheint zwischen Mokhov und
"Tatianna" mehr gewesen zu sein. Aber war das Tatianna #2?
Und laut Fouquiers Bericht hat er vor einiger Zeit eine #3 ausgeliefert. Wie
vom guten Onkel Doktor bestellt. #2 hat sich gegen die Konditionierung gewehrt
und ist untergetaucht. Neues Aussehen und zuerst bei Smetnik und dann mit
Mokhov? Oder sogar zuerst bei Rassila, dann Smetnik und zuletzt Mokhov? Aber
wie gelangte sie dann zu Rassila?
Stimme - Hey. Mister. Wollen sie jetzt mit oder nicht?
Die Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Gänzlich unbemerkt von mir hat
sich ein kleiner Stadtbus herangeschlichen und steht momentan mit offener
Fahrertür vor mir, während der Busfahrer, ein schrumpeliger kleiner Mann
mittleren Alters, der mich ein bisschen an einen Basset.
Ich springe auf, etwas unbeholfen, zugegeben, und drücke die Jacke etwas
dicht, damit ihm nicht gleich die Colt in der Jackeninnentasche ins Gesicht
springt. Komme auf die vordere Bustür zu, die noch immer offen steht, während
ein Schwall von Wasser sich langsam, wie ein kleiner Bach anfängt daran runter
zu lassen, während der Regen mit unverminderter Stärke die Umgebung
aufpeitscht.
Zeichner - Ja. Ja, Entschuldigung, komme.
Im Bus angekommen, guckt er mich mit großen Augen an, zeigt mit einer Hand
auf seinen Fahrkarten-Apparat. Mist. Leicht grummelig zücke ich meine
Brieftasche. Er lässt mich durch.
Der Bus ist beleuchtet, beheizt, fährt einmal durch die halbe Stadt und ist
zu diesem Zeitpunkt mit 3 weiteren Personen besetzt, ein junges Paar, das,
offensichtlich eher miteinander beschäftigt ist, während ein älterer Herr auf
der Rückbank seinen Rausch ausschläft. Ich suche mir einen Platz an der
Fensterscheibe, während ich vernehme, wie die vordere Bustür geschlossen wird,
und der Bus Fahrt aufnimmt.
Ein Blick auf die Uhr schockiert etwas. Kurz nach 15h. Der Tag ist
größtenteils verstrichen. Im Hintergrund dudelt seichte Musik auf einem lokalen
Stadtsender, während Regentropfen gegen die Fensterscheibe prasseln.
Straßenzüge ziehen an uns vorbei, während wir schließlich die Hochstraße
erreichen und das Stadtviertel wechseln. Die Straßen sind leer. An
verschiedenen Stellen kann ich Sperrungen sehen, selbst auf den Straßen selbst
ist kaum was los, was bei diesem Wetter aber auch nicht weiter verwunderlich
ist.
Radio - ...love me tender....love me sweet....never let me go...
Der Regen wäscht wie eine Sintflut den Schmutz von allem, das er berührt. Er
ist wie eine Hand, die reinen Tisch macht. Die einmal über die Oberfläche
fährt, und alles davon fegt, das sich nicht dagegen halten kann. Und am Ende
bleibt nur eine unberührte Oberfläche. Sauber. Rein. Leer.
Radio - ...wir unterbrechen das Programm für eine kurze Sondermeldung....
Ich hasse sowas. Es macht mich schläfrig, obwohl ich doch schon Stunden
hinter mir haben muss. Das dumpfe Pochen meiner Schulter macht es nicht besser
und die Mischung aus Wärme und seichtem Hintergrundgeräuschen drücken mich
langsam ins Dösen. Nein! Muss Augen auf...aufhalten.
Radio - ...schwerste Sturm seit Beginn der Wetteraufzeichnung....
Wir halten an einer Ampel. Neben uns ein einsames Taxi von TTCT, auf dessen
Dach eine Werbereklame prangt und für irgendwelche Lokalitäten Werbung macht.
Eine Diskothek namens "El Pertubador" und einen Themen-Club.
"Das Neptun". Schießen auch aus dem Boden wie Unkraut heutzutage,
diese Dinger. Also die Disco. Das Neptun ist ein angesehenes Etablissement des
Hafens, in dem die Bonzen ein und ausgehen. Auch wenn ich selber noch nicht
dort war, weiß ich, dass eine Reservierung Monate im Voraus getroffen werden
muss, um einen Tisch ergattern zu können.
Wir fahren eine ganze Weile, ehe wir die Kreuzung an der Ecke des Hudson
Drive erreichen. Selbst in diesem Wetter sollte ich hier gut zu Fuß noch weiter
kommen. Ich steige aus, und spüre schon beim Aussteigen, das die Entscheidung
irgendwie unschön war, wie Wind und Wasser mir das Gesicht zerfurchen.
Ich springe zu meiner linken, erst einen, dann einen zweiten Block, über die
Kreuzung des Hope Drive und dann in die hintere Gasse. In einiger Entfernung
kann ich das stumpfe Leuchten erkennen. Die Lichter von "Hope´s End".
Dem Kostümverleih.
Glück. Der Laden hat offen. Ein ironischer Name, angesichts der Tatsache,
dass die Ansammlung an Kostümen hier drinnen gut und gerne ein Filmstudio
versorgen könnte. Als ich die Tür gegen den Wind endlich hinter mir zu bekommen
habe, bemerke ich erst, wie riesig die gesamte Auswahl ist. Unzählige Reihen
über mehrere Stockwerke an verschiedenen Kostümen und Umkleidekabinen. Ein
veritables Kaufhaus an Verkleidungen, möchte man meinen. Im Zentrum, eine
Auswahl an günstigeren oder wohl mit "Makel" versehenen Artikeln zum
Erwerb. Eine kleine Kasse mitsamt Hintertür am anderen Ende des Raumes, an dem
eine Dame mit einer Brille sitzt, das ich das Gefühl habe, ich starre auf eine
Eule.
Sie schaut mich ebenso an. In der Kombination von Kleidung ist das natürlich
kein Wunder, während ich mich dem Tresen nähere.
Zeichner - Hallo.
Verkäuferin? - Guten Tag, Sir. Womit können wir Ihnen behilflich sein?
Zeichner - Ich benötige eine...Auskunft.
Kann ich das so sagen? Haben sie überhaupt eine Verpflichtung, mir etwas zu sagen?
Ich brauche etwas, das mir Zugang gibt...hmm. Sie guckt mich, etwas verwundert
wohl, an, scheint sich aber nichts anmerken zu lassen.
Verkäuferin - "Gerne". Hat es etwas
mit uns zu tun oder benötigen sie eine Richtungsangabe?
Zeichner - Nun. Es geht um Schuppen.
Verkäuferin - Als Aufsatz oder für ein Kostüm? Fisch oder Schlange?
Zeichner - Okay, da bin ich nicht ganz sicher. Sehen sie, meine Bekannte
hatte letztens eins an, das sah schon sehr...sagen wir mal ...."aus",
an ihr. Ich würde mich dafür interessieren, ob sie wohl so eins hier haben.
Verkäuferin - Das ist sehr vage. Können sie es genauer beschreiben?
Zeichner - Nun, es ist wohl ein ...Fisch....Kostüm.....Kleid?
Jedes meiner Worte strapaziert ihre Nerven. Klar, wenn man nicht genau sagen
kann, wie das gute Stück aussah.
Verkäuferin - Mit einem solchen können
wir leider momentan nicht dienen, die sind alle verliehen. Können wir ihnen
vielleicht etwas anderes anbieten?
Drucksen Zeichner! Drucksen!
Zeichner - Nun...ich würde es gerne...meiner Freundin zeigen und...habe kein
Bild davon. Wissen sie...
Sie schaut mich an. Durch die riesige Brille wirkt es, als ob sie die Augen
eines Uhus hätte, und der Blick in die gigantisch vergrößerten Pupillen hat
etwas furchtsames, geradezu erschreckend Seltsames.
Verkäuferin - Nun, sie können unsere Kostüme ja auch sehen. Wir arbeiten mit
einigen Etablissements der Umgebung zusammen. Vielleicht haben sie da die
Chance, das Kostüm wieder zu finden? Wenn sie es genauer wüssten, könnten wir
es ihnen eventuell fürs nächste Mal reservieren.
Zeichner - Ach, wirklich? Wo kann ich die denn begutachten?
Verkäuferin - Wir haben aktuell eine Themenkollektion an
das Neptun ausgeliehen.
Zeichner – Ach so, na, dann sollte das doch kein Problem sein. Dankeschön.
Ich wende mich ab. Bleibe schlagartig stehen. So kann ich unmöglich zum
Neptun latschen. Davon abgesehen, dass ich keinen Termin habe, würden sie mich
so auch nicht rein lassen. Was für ein Anblick. Zwei unterschiedliche farbige
Socken in einem paar roter Sneaker, einer grauen Jeans-Hose, Hawaii-Hemd und
einer Halbleder-Jacke. Ich sehe aus, als wäre ich aus einer Altkleider-Tonne
gekrabbelt.
Ich wende mich wieder zu ihr. Lege mein charmantestes Lächeln auf.
Zeichner - Sagen sie mal, haben sie zufällig etwas in der Richtung Spion und
Abendgarderobe?
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