20170331

Brüder

Das stetige Schütteln des Karrens war einschläfernd, selbst noch auf dem steinernen Straßen, als sie in die Außenbezirke der Stadt einfuhren, und die ersten Passanten anfingen, den Wagen zu erkennen und Ihnen alsbald auch Platz machten.



Marus beugte sich vor, der Blick von Besorgnis gezeichnet, da die gramvolle Stirn über dem durchaus imposanten, mit viel Arbeit versehen schwarzen Schnurrbart, zwei knopfgleiche Augen unter dichten Brauen umrahmend.
Marus - Herr. Wacht auf, Herr. Wir sind bald da.


Obwohl Wenzlaf nicht wirklich am schlafen war, war ihm auch nicht danach, sich mit der Welt im ganzen zu befassen. Nur zögerlich begann er, seine Augen zu öffnen, und gleich, streckend, rülpsend, sich am Bauch kratzend, einen Blick hinaus zu werfen, der ihn ebenso gleich verschreckte. Die Helligkeit des Tageslichtes, der grellsten Sonne, war ein unangenehmer Streich in diesem Moment.



Wenzlaf - Können sie das nicht einfach ohne mich machen?



Marus schaute ihn amüsiert an. Das alte Raubein war belustigt. Da er als Belohnung für seine guten Dienste auf ein verzogenes Königssöhnchen aufpassen musste, was sich als überraschend einfache Position in stabilen Zeiten erwies, war dies eher wie ein unartiges Kind zu kontrollieren, denn einer Leibwache gleich das eigene Leben einzusetzen.



Marus - Wenn ihr mir eine Frage gestattet, Herr?



Wenzlaf - Frag.



Marus - Seid ihr nicht etwas ...stark gekleidet heute?



Wenzlaf winkte ab. Marus dränge nicht weiter. Dem neuesten Trend der Mode nachzujagen, war und blieb etwas, dem er nichts abgewinnen konnte. Wenzlaf beugte sich verschwörerisch vor, der Schweiß, der sich langsam auf seiner Stirn bildete, während die Sonne unerbittlich auf ihn hernieder strahlte wurde mehr und mehr zu einer Behinderung.



Wenzlaf - Hast du, worum ich dich heute Morgen bat?



Marus Augen weiteten sich. Offensichtliches Unbehagen spiegelte sich in seinen Augen wieder, aber er nickte langsam, und zog das kleine Bündel aus seiner Tasche. Wenzlafs Augen weiteten sich, und er zog das Bündel zu sich herüber, verstaute es schnell in seiner Jacke. Der alte Leibwächter wirkte nicht beruhigt.



Marus - Befürchtet ihr einen Anschlag?



Wenzlaf - Es ist das Herz des Königreiches. Die Höhle des Löwen. Ich weiß dass meine Unterstützer in den Rängen warten, wie es die meiner Brüder tun.



Marus - Also denkt ihr dass...



Wenzlaf - Tu wie dir geheißen wurde, und diesem Tag wird ein morgiger nachfolgen.



Der Karren hielt, während einige Schaulustige im Hintergrund bereits die Straße gesäumt hatten, in einiger Entfernung konnte man Babygeschrei zu vernehmen, während die Garde am Karren anfing in Position zu gehen, um das einfache Volk von Prinz Wenzlaf, Zweitgeborenem des Königs Kolejahn III aus dem Hause Orac, fern zu halten.



Das Geflüster in der Umgebung war umso einschneidender, da er dies auch über die Köpfe der Gardisten hinweg mitbekommen konnte. Das lapidare Bastard blieb etwas, das wie ein steter Nagel an seinem Verstand zwickte.



Die wenigsten konnten sein Gesicht sehen, das sich unter seinem ledernen Handschuh verbarg, als er aus dem Karren stieg und unter Schutz und Geleit der Garde den Palast betrat, aber diejenigen, welche es sahen, wussten nicht, ob Wenzlaf Freude oder Furcht zeigte, denn das steinerne Lächeln auf seinen Lippen war kalt und unbeugsam. Die Zeremonie lag vor ihm.



Noch während seine Füße die Treppe bestiegen, kehrten seine Gedanken wieder zur letzten Nacht zurück.



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Die Mittnachtsstunde hatte kaum geschlagen, als er die Kammer betreten hatte. Er war alleine, da er wusste das Marus dies nie gebilligt hätte. Heimlich wie ein Fuchs, in dunklen Gewändern, hatte er sich auf kleinen und dunklen Passagen, welche sonst von Bediensteten zum raus schleichen genutzt wurden, in den Palast geschlichen, und in diese, tiefste aller Kammern begeben. Was ein paar Silberstücke für eine Wirkung haben konnten. Er musste Gewissheit haben.



Die Kammer, die er betrat, rundlich in ihren 20m Ausmaß, besaß im Zentrum eine tiefe ausgescharte Kuhle, wo Einkerbungen in Fels und Gestein Jahrhunderte Bestand hatten, und die Namen aller Mitglieder der Linie Oracs aufgeführt waren. Im Zentrum der Einkerbung, kein Handbreit über dem Boden, schwebte die blaue Flamme, welche als einziges Licht den Raum erhellte.



Er trat langsam drauf zu. Hier würden zukünftige Mitglieder ihr Geburtsrecht zeigen, als Erwählte in die Flamme zu steigen, und mit dem Segen der Götter heraus kommen. Angst. Furcht. Spannung beherrschte sein Denken, als er die Hand zögerlich in das blaue Leuchten hielt.



Es...zwickte leicht. Aber es schmerzte nicht. Wohlige Wärme, ja Freude umgarnte seine Sinne, und er drückte sich geradezu tiefer hinein, damit er vollends in der Wärme der Flamme stehen würde, in diesem Moment seines Triumphes.



Etwas klapperte im Hintergrund. Schritte? Erschrocken drehte er sich um, hörte jemand an der Tür. Er wollte sich umdrehen, aber sein Leib, halb im Feuer, war als wäre er in einem Schwitzofen. Die Flamme wandelte sich, und aus Blau wurde Weiß, als er spürte, wie seine Kleidung versengte und seine Haut verbrannte.



Mit letzter Kraft warf er sich zu Boden, aus der Flamme heraus. Überwältigender Schmerz. Seine Hand, Teile seines rechten Arms und der Schulter waren von Flammen verzehrt, das Fleisch wenig mehr als eine verkohlte Masse. Der Schmerz eine überwältigende Folter, der Geruch von verbranntem Fleisch in der Luft. Er konnte jemanden hören, der weglief. Selbst aus den Augenwinkeln hatte er seinen jüngeren Bruder Oldrich erkannt.



Er durfte nicht bleiben. Es wäre sein Ende. Mit letzter Kraft stahl er sich davon, mit einem Umhang den er auf dem Weg in der Waschküche stahl, und schlich sich durch die Nacht zurück in sein Domizil.



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Er wusste, als er die große Halle betrat, an welche sich die Kammer der Flamme anschloss, dass er nur einen Versuch hatte. Würde die Wahrheit enthüllt, wäre seine Zukunft verwirkt, sollte er nicht direkt der Flamme übergeben werden. Er war sich sicher, dass dies der einzige Weg war.



Vor ihm, und hinter ihm marschierten Gardisten des Königs, welcher selbst, von einer mysteriösen Krankheit angeschlagen, am Ende des Saales auf seine Throne saß, an seiner Seite seine Brüder Jaromir und Oldrich, während die Flügel der Halle von den Adligen und Hohen Herren, von Händlern und Priestern der Götter fast überfüllt wirkten. Etwas hinter ihm wanderte Marus, stets wachsam, aber sich doch offensichtlich von der Prozession absetzend an den Feuerschalen zurück blieb. Den kleinen Beutel herausnahm.



Eine einzige Prise.



Die Anspannung im Raum war spürbar. Selbst während dieses Großereignises liefen in den Flügel die Fäden der Macht zusammen, schmiedeten Allianzen und Pläne für die kommenden Jahre. Es war der einzige Punkt, an dem er sie alle in seiner Hand hatte.



Als sie zum Stehen kamen, begann das Zeremonielle Gehabe. Wenzlaf spürte sich den Blicken der Anwesenden ausgesetzt wie ein Wüstenreisender unter Aasgeiern. Es war alles ohne Bedeutung, nutzlose Traditionen. Er blickte verwundert auf. Eine unnatürliche Stille war über die gesamte Halle gekommen. Jaromir hustete.



Irgendjemand kicherte in den hinteren Reihen. Machte man sich über ihn lustig oder konnte sich jemand nicht benehmen? Betretenes, unterdrücktes Schweigen in der Halle. Ein Flüstern von der Seite. Erst jetzt erinnerte sich Wenzlaf an den korrekten Ablauf. Er stellte sich hastig auf, die geballte Faust auf der Brust.



Wenzlaf - Vater. Wie ihr sagt, ist heute der Tag, an dem ich durch die Flammen schreite. Und so ist es seit Generationen geschehen, nicht wahr?



Sein Vater nickte, leicht konfus. Gemurmel in den hinteren Rängen. Manche der Hohen Herren drängten sich in die vorderen Reihen, welche sonst nur den Adligen vorbehalten waren. Dies war wagemutig. Neu. Etwas, das nicht erwartet worden war. Inmitten des allgemeinen Gemurmels war es Jaromir, der vortrat. Das Zischen in seiner Stimme war getränkt vor Verachtung.



Jaromir - Werter Bruder, wollt ihr nicht...voran schreiten? Immerhin ist dies ein Tag der schon so oft, wie ihr richtig sagt, begangen wurde. Grämt euch nicht und übergebt euch der reinigenden Flamme...



Wenzlaf musste das Grinsen unterdrücken. Jede Schlinge musste langsam gezogen werden, damit die Beute die Falle nicht erkannte.



Wenzlaf - Wenn es also seit Generationen geschieht, sollten wir diesen Traditionen folgen, wie allen Traditionen die damit verbunden sind.



Jaromir - Natürlich, natürlich.



Jaromir abweisendes Handwedeln zeugte von seinem Unverständnis.



Wenzlaf - Und war es nicht Tradition unserer Ahnen, dass ein Sekundant erwählt werden dürfte, den Schreiter zu begleiten?



Jaromirs Stirn zog sich kraus. Das Gemurmel der Anwesenden wurde lauter, ehe es den Gardisten gelang diese in den Hintergrund zu drängen.



Jaromir - Ein...Sekundant? Wozu braucht ihr einen Sekundanten?



Marus drängte sich langsam, aber sichtbar in den Flügeln vorwärts. Er wusste nicht, was sein Herr geplant hatte, wohl aber, dass er sicherlich in diesem Moment gebraucht wurde.



Wenzlaf - Bruder, wie ihr sagtet, es ist Tradition, hoch geschätzt und geheiligt in diesen Hallen. Und sollte ein Zeuge nicht anwesend sein, in diesem intimsten aller Momente?



Langsam zeigte sich das Entsetzen auf Jaromirs Stirn. Er begriff, dass er, wie das Insekt im Spinnennetz, in etwas gelaufen war, das nur ein Ende haben konnte.



Jaromir - Intim? Nun. Da wir Traditionen sehr wertschätzen...



Jaromir blickte zu seinem Vater, welcher nur angespannt nickte.



Jaromir - Sollt ihr diesen "intimen" Moment mit Sekundanten vollführen.



Wenzlaf lächelte. Jaromir lächelte nun ebenfalls, während Marus sich fast an die vorderste Reihe gestürzt hatte, und, Gürtel und Kleidung zurecht gerückt, daran machte, sich sogleich zu melden. Hinter all dem war Oldrich die Anspannung in das junge Gesicht geschrieben, während er versuchte mehr oder minder subtil seinen Bruder auf etwas aufmerksam zu machen.



Marus - Wenn ich darf, hohe Prinzen?



Doch Jaromirs Blick war nur auf Wenzlaf gerichtet, Triumphierend, und gewissenhaft zog er den Strick zu.



Jaromir - Natürlich muss dieser Sekundant von höchster Qualität sein. Sein Wort muss dem Reiche genügen wie es sein Anstand tut. Es kann daher nur eine Person dafür in Frage kommen...



Marus fühlte sich geradezu ein klein bisschen größer in diesem Moment. Er stand nun halb auf Zehenspitzen, um gesehen zu werden.



Marus - Hohe Prinzen, bitte, ...wenn ich mich für Prinz Wenzlaf als....



Jaromir - Ich selbst.



Marus erstarrte, während das Erstaunen um sich Griff.



Wenzlaf - Es wäre mir eine Ehre, Kronprinz.



Jaromir, lächelnd, nickte, trat vor, klopfte Wenzlaf auf die Schulter, Oldrich wurde bleich und das halb-zahnlose Lächeln König Kolejahns zog einen passenden Schlussstrich, als Wenzlaf und Jaromir die Kammer betraten. Marus hingegen war bestürzt, musste sich mit dem Rücken an eine Säule lehnen, während eine Grabesstille auf der Halle lag, und alle Augen gespannt auf die schwere Siegeltür der Kammer blickten. Nur am Rande sah er, wohl aber ohne es zu erkennen, wie Oldrich sich mit einem der Gardisten unterhielt und von diesem dessen Schwert bekam.



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Mit einem schweren Ruck schloß sich die Siegeltür hinter den beiden. Wenzlaf und Jaromir waren alleine in der Kammer. Nur das vertraute blaue Leuchten der Flamme beleuchtete die Umgebung, und tauchte die Brüder in ein unnatürliches, kaltes Licht.



Jaromir schritt voran zur Flamme, stand abwartend, die Arme verschränkt neben dieser, und blickte zu Wenzlaf.



Jaromir - Ein feiner Trick. Aber ich sehe nicht, wie dich das retten wird.



Wenzlaf ging näher auf seinen Bruder und die Flamme zu, welche keine Anstalten machte, sich zu verändern. Er konnte den Schweiß auf seiner  Stirn spüren, der ihm inzwischen in dicken Tränen über das Gesicht lief.  Nur wenige Meter trennten ihn und seinen Bruder, welche beinahe in der Flamme selbst stand, immer noch abwartend.



Wenzlaf - Bruder, ich muss dir etwas beichten.



Jaromir beugte sich spielerisch vor, als ob er Wenzlaf sein Ohr geben wollte.



Jaromir - Bitte...wir sind unter uns.



Wenzlaf zog das Bündel aus seiner Jacke, und enthüllte die feine Klinge, welche Marus auf den Schwarzen Märkten des Morgens erworben hatte. Jaromir wollte zurücktreten, einen Arm vom Körper strecken, doch Wenzlafs Klinge war schneller, als sie Jaromirs Hals durchbohrte.



Kein Wort kam bei seiner Tat über Wenzlafs Lippen. Nur die Geste, als er, im Angesicht mit seinem Bruder den Finger an die Lippen hob.



Wenzlaf - Schhh.



Blut. Jaromir versuchte krampfartig Luft zu bekommen, seine Finger rissen um sich, in die Flamme, zu Wenzlaf, als er nach einem Ausweg suchte. Im roten Schwall stürzte er panisch über seine eigenen Füße, fiel zu Boden. Zuckte. Wenzlaf trat langsam heran und legte die Hand an die Klinge. Drehte Jaromirs Leib und zog Kraft, nur um erneut zu zustechen. Es hatte keinen Herzschlag gedauert.



Die blutige Tat vollbracht, drehte er sich erneut zur Flamme, wie er es in der Vornacht getan hatte. Und hielt die behandschuhte Hand hinein.



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Mit lautem Krächzen öffnete sich die Tür. Die ersten stießen schon Jubelrufe aus, während andere noch der Dinge harrten, die da kamen. Erst mit dem weiteren Krächzen wurde die allgemeine Verwunderung breit, als die ersten erkannten, dass Wenzlaf, halb von den Flammen verzehrt, verbrannt von Hand bis Schulter. Schreie wurden laut, als sie das Bündel in seinen Armen, den fast vollständig von den Flammen versehrten, kohlenen Leib erkannten.



Chaos wurde breit, wildes Geschrei, während die Garde verzweifelt um Ordnung suchte ohne die ihnen bekannten ruppigeren Maßnahmen anzuwenden, während Marus sich durch die Reihen schlich an Wenzlafs Seite, und diesem den toten Leib Jaromirs abnahm. Die Verzweiflung stand Wenzlaf ins Gesicht geschrieben.



Selbst König Kolejahn, in seiner Schwäche, erhob sich von seinem Platze, die Decke beiseite fegend, und eilte an die Seite der verbrannten Überreste. Ein allgemeines Wehklagen begann die Räumlichkeiten zu füllen. Wohl aber war eine Frage auf den Lippen aller, als Oldrich, immer noch bleich, an der Seite seines Vaters hervortrat, zitternd, mit der Klinge des Gardisten in der Hand, auf Wenzlaf gerichtet, der noch immer neben Marus und dem König an Jaromirs Leib kniete.



Oldrich - Wie?! Du hättest in den Flammen deinen Untergang finden sollen! WIE?!



Wenzlaf, auf den sich erneut die Augen richteten, ließ den Blick schweifen, ehe er antwortete.



Wenzlaf - Die Flammen selbst haben mich errettet, kleiner Bruder. Wohl aber nicht zu seinen...oder deinen Gunsten.



Kolejahn blickte verwirrt zwischen den Brüdern hin und her, während Oldrichs Blick sich verfinsterte.



Oldrich - Welch Intrige ist dies, dass du glaubst dich so raus winden zu können? Eher trenne ich dir den Kopf vom Halse!



Wenzlaf - Die Flammen haben mich verschont, wie sie es sollten, und meinen Bruder, welcher meinen Tod suchte, verzehrt, und nun stehst du mit einer gezogenen Klinge vor mir, statt mich herzlich zu willkommen und dich zu mir und Vater in Trauer zu gesellen, und du sprichst von Intrige?



Noch mit seinen Worten erhob sich Wenzlaf, grimmig und verbissen seinen jüngeren Bruder beobachtend. Die Gardisten warfen sich unsichere Blicke zu. Die Stimmung in der Halle war an einem seidenen Faden. Das allgemeine Gemurmel und Geplapper gerade der leichter zu beeindruckenden Persönlichkeiten schuf eine diffuse Kulisse von Lauten, welche wie die See aufklang und abschwoll mit jeder Bewegung, jedem Wort der Brüder.



Wenzlaf wandte sich erneut an die Menge, die Arme ausbreitend, dem Demagoge gleich zu seinen Jüngern. 



Wenzlaf - Hohe Herren, dies ist, was mir meine Familie angedeihen lässt! Ein Leben in Furcht. Sie mordeten schon meine Mutter ob ihrer Stellung, ungeachtet aller Konsequenzen, nun soll mein Leben die Blutgier befriedigen? Ist dies einem Prinzen noch würdig?



Währenddessen ließ sich Kolejahn zwischen beiden derweil von Marus langsam aufhelfen. Die geschwächte Stimme des Königs wollte sprechen, aber gegen die allgemeine Lautstärke war kein Halt zu bieten, jeder Laut versiegt, während Oldrichs zorngeschwängerte Stimme den Saal durchschnitt.



Oldrich - Elender Hund!



Oldrich ging in Angriffsstellung, das Gesicht zerfurcht von Hass und mit einem schnellen Hieb stieß er vorwärts, auf dem ihm nur halb zugewandten Wenzlaf. Dieser wiederum, von den Ereignissen überrascht, noch im Versuch begriffen, sich davon zu drehen, die wehrlose Flanke offen.



Der Stich ging tief und riss Wenzlaf zu Boden, ein blutiger Schwall, der sich langsam durch dessen Kleidung zu fressen begann, während Marus empört den König fallen ließ, und die Gardisten, immer noch unklar darüber, ob und wessen Seite zu ergreifen sei, selbst die Waffen zogen



Ein Aufschrei ging durch die Menge zu beiden Flügeln der Halle, Adlige wie Hohe Herren die sich bewaffneten, während Kleriker sich an die Seiten der Halle flüchteten, um dem kommenden Töten zu entkommen. Wenzlaf, schwer blutend am Boden, der bleiche König gefallen am verkohlten Leichnam, während Marus, sein Schwert ziehend versuchte, zwischen Wenzlaf und Oldrich zu kommen.



Oldrich tänzelte zur Seite, während hinter ihm die Menge aufeinanderstieß, und blaustes Blut den Boden tränkte, während Marus mit ausholte, um jeden etwaigen Hieb, jeden Todesstoß abzufangen, der Wenzlaf bedrohte.



Während um sie herum das Chaos tobte, stieß Oldrich erneut voran, eine halbe Drehung im Schritt als seine Klinge voran auf Marus Kopf zielte, welcher im letzten Moment beiseite zog und so seine Wange aufschlitzte, im Gegenzug mit Wucht seine Faust in den Magen des jungen Prinzen hieb, was diesen kurz zurückwarf. Marus stieß sich ab, und ließ die Klinge über den Kopf fahren, und der Stahl sang, wo ihre Klingen sich in der plötzlichen Rollenveränderung traf, wo der Angegriffene zum Verteidiger wurde.



Wieder und wieder schwang Marus, geübt durch Jahrzehnte des Kampfes seine Waffe, angetrieben durch den roten Rausch und das süße Blut, vor seinen Augen ein Film wie Wahn, seine Nasenflügel weit geöffnet, als er mit einem harten Tritt seinen Gegenüber zu Fall brachte. Oldrich fiel, und über ihm thronte bedrohlich Marus Gestalt, wie dieser die Klinge zum letzten Schlag hob, wo einzelne Tropfen seiner Wange langsam auf den Leib des jüngsten Prinzen tropften. 



Wenzlaf schrie auf, sah das Verderbnis, doch als Marus sich hinab stürzte, mit der Klinge voran, drehte sich Oldrich unter ihm zur Seite, und stieß ihm mit dem Schwerte im gleichen Moment aufkommend in den Bauch. Ein blutiger Schwall ergoss sich aus Marus Mund, ehe er zu Boden kippte. Schwitzend, blutig, stand Oldrich auf, und zog die blutige Klinge aus dem gefallenen. Und Schritt für Schritt zu Wenzlaf trat.



War dies das Ende seiner Ambition?



Der Ruf, der harten, Befehls-gewohnten Stimme durchdrang die gesamte Halle, selbst geschwächt noch machtvoll und von Autorität erfüllt.



Kolejahn - GENUG!  Genug des Blutvergießens! Beendet diesen Zwist!



Langsam, wie ein Bann, der gebrochen war, drifteten die Adligen und Hohen Herren auseinander, während die Garde, nun unter klarem Befehl, anfing, die Menge auseinanderzubrechen, einzelne Rädelsführer herausnahm und andere unter Arrest stellte. Alle Augen waren auf Kolejahn III gerichtet. Dieser,  offensichtlich schwer erschöpft von der Anstrengung, einen leichten blutigen Faden am Mundwinkel, schwer atmend, riss seine knochige Hand hoch, auf die Brüder zeigend.



Kolejahn - Beide seid ihr eine Schande für unser Haus!



Oldrich, noch immer vom Blute Marus überzogen, die Klinge tropfend vom durchbohrten Fleische, drängte zu seinem Vater, nur um von herbei eilenden Gardisten aufgehalten zu werden, während an der anderen Seite ein herbei gerufener Dottore sich um Wenzlafs Wunde kümmerte.



Oldrich - Vater, bitte, dieser Mann ist eine Abscheulichkeit, eine Monstrosität wider unserer Linie! Ich sah es mit eigenen Augen, die Flamme...



Kolejahn - GENUG SAGE ICH! Ist es nicht genug, dass ihr wie Kinder aufeinander losgeht, dass ihr nun auch noch einander beschuldigen wollt?!



Oldrich - Aber werter Vater, er hat...



Kolejahn schüttelte traurig den Kopf



Kolejahn - Nein. Im Angesicht der heutigen Geschehnisse bist du unter Hausarrest, Oldrich, bis ein geeignetes Urteil ob deiner Taten gefällt werden kann. 



Oldrich protestierte weithin und lautstark, doch die Gardisten machten keine Ausnahme, als sie ihn, jüngsten der höchsten Blutlinie, in schweren Schellen abführten.



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Sein Vater hustete schwer, dick unter Decken eingegraben, an der Seite seine Leibdame, um ihn wahrlich warm zu halten. Jede Bewegung Kolejahns bereitete diesem Schwierigkeiten, ja Schmerzen. Es war offensichtlich, dass die Ereignisse des letzten Tages den König tief in Mitleidenschaft gezogen hatten, aber noch immer hielt ihn der eiserne Wille am Leben, wie schon in der Vergangenheit bewies er auch hier wieder seine Hartnäckigkeit. Trotz dessen war der kalte, ernste Blick, den Kolejahn seinem Sohn zuwarf etwas, das niederen Männern einen Schauer über den Rücken jagen würde.



Wenzlaf, nun bandagiert und in neue Gewänder gekleidet, unnatürlich stehend ob seiner Verletzung, ging beinah krumm, die Beine halb verschränkt, wie er an der Tür zu den Gemächern seines Vaters wartete.



Kolejahn winkte Wenzlaf zu sich, während Bedienstete und Leibgarde den Raum verließen, um Vater und Sohn angemessenen Respekt zu zollen. Am Bett beugte sich Wenzlaf vor, um seinen Vater besser zu hören, sein Blick vorsichtig über die Kommode streifend, die an der Seite des Bettes stand, mit der halb vergangenen kräftigenden Suppe,



Kolejahn - Deinen eigenen Bruder...deine Familie! 



Wenzlaf grinste. Er wusste, dass sein Vater längst enthüllt haben musste, welche Grausamkeit er vollbracht hatte.



Wenzlaf - Es waren deine Worte, welche mich dazu veranlassten.



Ein schwerer Hustenanfall schüttelte den dürren, alten Leib, als sich Kolejahn beinah übergebend, vorbeugte, und Wenzlaf ihm die Schulter hielt, seinen Vater aufrecht haltend. Dieser wiederum blickte ihm in die Augen, während Speichel und Blut aus dem Hustenanfall bröckchenweise an Decken und Nachthemd klebten.



Kolejahn - Du ...bist ... eine Viper ... an meiner Brust.



Wenzlaff nickte, während er nebenher genüsslich das Gift in die Suppe tropfte, die kleine Phiole einsteckte und dann die Schüssel mit derselben Hand zu seinem Vater rüber reichte.



Wenzlaf - Iss.



Kolejahn schaute seinen Sohn an, ein Moment wie die Ewigkeit. Seine zittrige Hand nahm den Teller offensichtlich bemüht, ihn von sich zu stoßen, als sein Sohn ihm an die Hand griff, und mit Gewalt die Suppe auf dessen Mund und in den Rachen goss. Kolejahn versuchte sich zu wehren, aber ihm fehlte die Kraft, hustend und schluckend verdammt, die Suppe zu verdauen, von der selbst jetzt noch Reste mit dem Teller auf dem Bett landeten, während sein Sohn ihm den Mund zuhielt, zum Schlucken verdammte.



Er versuchte zu schreien, den Mund weit genug zum Beißen aufzubekommen, aber der fahrige, kaum hörbare Tön welcher heraus kam, war ein letzter Schlussnagel. Er konnte spüren, wie das Gift durch seinen Körper jagte. Aufbäumend, die Arme in unnatürlichen Winkeln verschränkt, die Luft zu schwer zum Atmen. Während ihm Blut aus allen Körperöffnungen drängte, verließ Kolejahn sterbliche Sphären und verging.



Wenzlaf blickte auf den Körper hinunter, welcher einst seinem Vater gehörte, und der nun nur noch eine kalt werdende Leiche von vielen sein würde. Der Anblick war erbärmlich. Er würde diejenigen, welche es sehen, zu Tode erschrecken. Er entschied sich, ihm nicht die letzte Würde zu gestatten, und schritt zum Fenster. Das Licht des Sonnenuntergangs tauchte das Fenster in einen unnatürlichen, gülden-roten Schein.




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