20170313

Fall 1 - LXXIII

Die Treppe geht nur über eine halbe Etage. Diverse Türen, alle geschlossen. Büro. Büro. Büro….Notfalltreppe. Nur im Notfall benutzen. Das sieht gut aus. Ich denke, das ist ein Notfall. So eine Person wird mit der Zeit ganz schön schwer. Ugh.

Sieh an. Die Fluchttür ist schon ein Spalt weit offen. Offensichtlich hat sich da schon jemand durchgedrängt. Das lässt Gutes ahnen. Gegendrücken. Quietschen. Es kann ja auch nichts heimlich, still und leise passieren, eh? Drücke mich hinein. Ein enges Treppenhaus, das sich um eine kleine Achse windend nach oben schlängelt. Frage mich, wo das rauskommt. Muss ja irgendwo im Erdgeschoß des Towers oben sein.

Der Aufstieg ist schmerzhaft. Fühlt sich länger an, als er wirklich sein muss. Zehn Stufen. Zwanzig. Vierzig. Verfluchter Scheiß! Wie verfickt tief war der Club denn bitteschön? Fuck!

Gefühlte Ewigkeiten. Das obere Treppenende. Eine halb aufstehende Notfalltür. Ins Dunkel gehendes natürliches Licht, das durch die offene Tür und Reflektion des Marmors fällt. Erdgeschoß. Endlich. Ich drücke mich gegen die Seitenwand. Lasse sie vorsichtig runter. Man kann hören, wie ihre Füße auf dem kalten Boden aufkommen. Einatmen. Ausatmen. Ich bin so was von fertig. Mit allem. Der Welt. Mit den Nerven. Ich brauch dringend mal eine Couch. Ein paar Wochen Urlaub. Einen Whiskey. Fuck, ein Whiskey wäre jetzt super.

Wir atmen kurz durch. Im Halbdunkel der Treppe. Eine sehr seltsame Situation, zugegeben. Sie senkt sich nieder, fängt an, vorsichtig ihren rechten Fuß zu betasten, kleine Schmerzenslaute von sich zu geben, als sie anfängt, hier und da kleinere Splitter rauszuziehen. Horche nach unten. Keine Schritte. Niemand hinter uns? Sind alle anderen schon vor uns hier raus? Oder haben sie alternative Wege gefunden?

Sie spricht mich an. Schüttle den Kopf. Gucke zu ihr. Scheinbar habe ich sie nicht einmal wahrgenommen. Hat sie schon vorher was gesagt?

Zeichner – Was?

Tatianna – Huh? Wer sie eigentlich sind, will ich wissen?

Ich drücke mir einen Finger ins Ohr und dreh kurz Staub, Schmutz und Schutt heraus. Kurzer Klopfer. Wow, ich glaub ich hab verstopfte Ohren!

Zeichner – Pshhh! Nicht so laut. Michael Zeichner. Privatdetektiv. Ich bin hier, um dich rauszuholen. Unter anderem.

Tatianna – Unter anderem?

Zeichner – Mein Klient will dich kennen lernen. Keine Sorge, nichts so schlimmes wie die da unten.

Hmm. Wobei, wenn ich drüber nachdenke…Smetnik ist immerhin Rieés Neffe. Wer weiß, wie nah die beiden sich dann am Ende sind.

Zeichner – Hör zu, wir können später noch reden, wir müssen erst mal raus hier, okay?

Drücke mich an ihr vorbei durch die Tür auf den Gang. Wir sind an der hinteren Seite des Nebenganges rausgekommen. Quasi einmal durch das halbe Gebäude durch. Selbst hier sind die Spuren der Verwüstung durch den Sturm greifbar. Teile der Fenster sind zer- oder gesplittert, gebrochen oder einfach in Gänze eingedrückt. Ich ziehe den Revolver aus der Innentasche. Jetzt ist es eh egal. Vor mir, den Seitengang entlang, geht es zu den Fahrstühlen. Ich deute Tatianna, mir zu folgen. Schleiche den Korridor entlang. Waffe immer im Anschlag.

An der Ecke herum, erhalte ich wieder Einblick in den Fahrstuhl-Bereich und die Eingangslobby. Irgendwo knallt es. Der Boden wackelt leicht. Uh-Oh. Ich glaube das Gebäude wird durch die Probleme unten wie oben langsam instabil. Winke nach hinten. Leichter Rauch dringt aus zwei Fahrstuhlschächten. Anscheinend hat das Feuer inzwischen den gesamten Club erfasst. Wie passend mit all den Höllenfeuer-Motiven.

Die Eingangstüren sind aufgerissen und stehen offen, der Regen klatscht nur noch sanft auf den Zwischenplatz des goldenen Dreiecks der Tower. Das TTCT-Taxi fehlt. Der Fahrer hat sich verpisst? In einiger Entfernung kann ich Notfallfahrzeuge, Rettungsdienste und Polizeiwagen sehen. Großeinsatz. Eine Kakophonie der Geräusche im abklingenden Regen. Wie wild, ameisengleich fahren sie auf den Straßen der Stadt umher, auf dem Weg zu diversen Unfallstellen. Drehe mich zu ihr um, und drücke ihr mein Jackett in die Hand, winke noch einmal, dass sie sich beeilen soll. Wir haben es fast geschafft. Sie zieht sich, wohl auch angesichts des Wetters erst mal das Jackett über.

Es gibt Momente, und Sätze, die man sofort bereut. Dinge, die man sich wünscht, niemals getan, oder gesagt zu haben. Überschreite die Schwelle der Eingangstüren. Sanfter, eisig-kalter Regen übernimmt sofort. Dröhnt auf meinen Leib hernieder. Prasselt fortwährend, aber weitaus weniger schlimm, als man vermuten würde. Ein befreiendes Gefühl. Ein lauter Knall von unten. Mit lautem Krachen quietscht die Fahrstuhl-Tür im Zentrum auf, biegt sich einen Moment, und bricht dann mit Krachen in den Schacht hinein. Lodernde Flammen lecken von unten herauf. Polizeisirenen im Hintergrund. Ich kann Helikopter hören. Sirenen in der Ferne. Ob welche näher kommen?

Schritte. Schreie hinter mir. Wildes Gekeife. Kampfgeräusche. Drehe mich um. Erstarre. Wie der strömende Regen, umfässt es mich kalt. Esther Rassila. Aus einer Tür stürzend, ist sie, einer Furie gleich auf Tatianna los gegangen, hat sich auf sie gestürzt. Ich ziele mit dem Revolver in ihre Richtung.

Zeichner – Lassen sie Sie los.

Sie guckt auf. Ihre Haare sind angesengt, ihre Kleidung offensichtlich ruiniert durch Blut und verschiedene Schnitte. Ihr Blick schier vor Wahn strotzend. Sie ist auf Blut aus. Fährt sich mit der Hand durchs Haar. Dies ist dieselbe Person, die vor so einer schier endlosen Zeit damals in meinem Büro stand. Wie die Zeiten sich ändern. Sie lacht auf. Ein erstickendes, beinah befreiend wirkendes Lachen.


Rassila – Sie werden nicht schießen. Dafür haben sie überhaupt nicht den Mumm.

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