20170319

Fall 1 - LXXIV

Ich drücke ab. Der Revolver klackt, feuert. Die Kugel bahnt sich ihren Weg. Dann noch einmal. Noch einmal. Vierter Schuss. Fünfte Kugel. Blutigen Rosen gleich, ziehen sich Bahnen auf Rassilas Körper nach, welche im Regen verlaufen. Sie fällt. Ihr Blick, eine Mischung aus Halsstarrigkeit und Unglaube. Ich kann Fahrzeuge hören, welche hinter uns entlang am Platz fahren.

Kleinere Wellen von Regenwasser, welche sich ausbreiten und mit denen vermischen, die im Rot von Rassilas Blut gemischt kommen. Wandere zu Tatianna rüber, reiche ihr meine Hand. Warte ab, ob sie diese überhaupt annehmen will.  Sie starrt mich an. Der Blick wirkt starr, erschrocken.

Zeichner – Es ist vorbei. Du bist jetzt sicher.

Ich lasse den Revolver fallen. Meine Hand krampft leicht. Ich starre sie immer noch unverwandt an. Ich frage mich, wo Rassilas Mann, der Zar geblieben ist. Und was aus Matthews wurde. Ich kann mich nicht einmal an die Fahrt hier her erinnern. Fuck. Regen umläuft mein Gesicht.

Sie reißt mich beinah um, als sie sich an meiner Hand vorbei gegen meine Brust wirft. Weint. Den Kopf in meiner Brust versenkt. Ich tätschle leicht ihren Rücken. In einiger Entfernung sind Haltestellen für öffentliche Verkehrsmittel, ein Parkplatz. Bis zu meinem Büro ist es eine gewisse Strecke von hier aus.

mmmmMMMMMMmm

Das Mobiltelefon vibriert.  Das Mistding lebt immer noch. Beeindruckend. Ein Anruf. Drücke auf Annehmen, während sich Tatianna, immer noch Tränen in den Augen, von meiner Brust löst. Zum Leichnam wandert. Und der Toten anfängt, die Schuhe zu klauen. Offensichtlich tut ihr der Fuß gar nicht mehr weh?

Zeichner – Hmm?

Stimme – Möchten sie ihre Kontenabrechnung?

Ernsthaft? Immer noch? Nach all dem Scheiss? Manche Leute lernen es aber auch nie.

Zeichner - Nein, das Konto ist noch nicht abgezogen.

Die Stimme am anderen Ende kommt leicht verzerrt rüber. Aber selbst hier, und in der Verzerrung kann ich das Timbre hören, das mitschwingt.

Mit neuen Schuhen kommt sie zurück, schaut neugierig auf mich, und das Telefon. Dann in die Ferne.

Rieé – Herr Zeichner. Sie also noch lebendig.

Ein einsames Sirenenpaar kommt näher. Eine Polizeistreife, die angesichts der Zerstörung im Gebiet hier nach dem Rechten schaut? Oder ein Paar schmutziger Cops?

Zeichner – Wo sind sie?

Rieé – Haben sie gefunden, wonach sie suchen sollten?

Selbst ohne zu ihr zu gucken, weiß ich, worauf seine Frage abzielt. Mein Blick geht weiter, über den Leichnam hinüber, zur zerschmetterten Außenfassade des Towers, die pockennarbig an unzähligen Stellen Spuren der Verwüstung durch den Sturm aufweist. Flammen, welche an verschiedenen Stellen herausragen.

Zeichner – Ja.

Rieé – Gut.

Zeichner – „Gut“ ist dafür keine Umschreibung mehr. Wo sind sie? Oder wollen sie Sie nicht mehr kennen lernen?

Rieé – Das wird nicht mehr nötig sein. Sie sind gefeuert. Grüßen sie Frederiksen von mir.

Zeichner – Sie gucken zu, nicht wahr? Sie sehen uns gerade, von irgendwo?

Amüsiertes Gelächter am anderen Ende. Dann ist die Leitung tot. Nehme das Telefon vom Ohr. Es glitscht mir fast aus der Hand. Ich greife nicht zu, als es zu Boden geht. Heh. Wenn ich jetzt drauf trete, ist die letzte Verbindung zu Rieé zerstört. Es knackt. Gefluche. Schritte hinter mir. Wer? Drehe den Kopf etwas zur Seite.

Zwei Personen. Polizisten? Typ und Dame. Sie, untersetzt, breitschultrig, enges Gesicht, ins schwarze gehende Kurzhaarfrisur, in einem dick-gepackten Regenmantel mit PD-Zeichen auf der Front, er untersetzt, ein unscheinbares halb-rundes, halb eckiges Gesicht mit einer Nase, die geknickt wirkt und einem stetig unfreundlichen Gesichtsausdruck über einer kahl geschorenen Glatze auf der gefühlte fünf Haare sitzen. Huh. Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe das Gefühl, er würde irgendwie südländisch wirken. Seltsam.

Sie schaut an uns vorbei, schnellen Schrittes erreicht sie Rassilas Leichnam, greift an ihre Seite und fängt an zu telefonieren mit Blick auf uns. Er schaut mich an. Pfeift. Greift in die die Manteltasche, holt eine Zigarette heraus, zündet sie an. Guckt mich an.

Zeichner – Ich soll Sie von Rieé grüßen.

Polizist? – Ich weiß.

Wie beiläufig erwähnt. Ist das also Frederiksen. Erschreckend. Die Wolkendecke bricht auf. An verschiedenen Stellen ist Sonnenschein sichtbar, der sich speergleich aufs Land wirft.

Zeichner – Und jetzt?

Frederiksen – Sie wissen, wo sie hin wollen?

Zeichner – Ich habe ein Ziel. Bin ja nicht allein unterwegs.

Er lacht auf. Bläst starken Dunst in Form des Zigarettenqualms umher.

Frederiksen – Sie sollten verschwinden. Das wird hier bald wimmeln vor Schwarzmänteln.

Ich nicke ihm zu. Er zwinkert kurz. Tatianna, inzwischen still geworden, lässt los, schaut mich an, dann ihn. Frederiksen pfeift, schüttelt den Kopf, wandert dann zum Leichnam und weiter, zu seiner Partnerin rüber, welche immer noch spricht. Immer wieder Codewörter und Polizei-spezifische Fachwörter in ihr Telefon nennt.

Ich drehe mich in Richtung der Stadt um. Schaue zu Tatianna, dann zur Stadt.

Tatianna – Was passiert jetzt?

Zeichner – Jetzt? Weißt du, ich hab da diesen Kumpel, Mickey, der hat echt guten Whiskey bei sich. Den hole ich mir jetzt. Und danach? Danach suche mir einen Kamin und einen bequemen Sessel. Willst du mitkommen?

Sie zuckt mit den Schultern. 

Ich hingegen gehe los. 

Ich kann es fühlen. 

Unter meinen Füßen. 

Wie Sie zum Leben erwacht. 

Pulsiert.  Atmet.  Die Straße. 

Unterwegs sein. 

Meine Stadt lebt.

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