20140227

Fall 1 - XIII

Ein Anzugträger zu meiner rechten, einer zu meiner Linken. Gemeinsam hieven sie mich gegen meinen Willen die große Treppe hoch. Während ich hinter mir das manische Gelächter des jungen Mannes hören kann, der sich als Neffe von Rieé vorgestellt hat.  Als wir im oberen Stockwerk ankommen, dreht sich die gesamte Truppe zu meiner Linken, mich eingeschlossen zwischen den zwei Anzugaffen und drängt sich mit mir in einen schmalen Korridor. Auch im Obergeschoß strotzt das Gebäude nur vor Luxus. Ausgelegter Flur, die Wände, die Verzierungen der Türrahmen. Fuck, selbst die Türen wirken hier edel mit ihren geschwungenen goldenen Griffen.

Nach ein paar Dutzend Meter den ewig langen Korridor entlang biegen wir nach rechts ab und kommen vor einer doppelflügeligen weißen Tür zum stehen. Von der Seite drängelt sich ein weiterer Sicherheitsmann durch, der die Tür vor uns aufschließt. Mit einem weiteren Ruck drängen mich die anderen hinein, werfen mich zu Boden. Ich komme unsanft auf, ringe für einen Moment nach Luft. Schaue mich um. Ein luxuriös ausgestatteter Raum. Erinnert an ein Wohnzimmer. Eine Großvater-Uhr zur linken, vor mir eine große Fensterwand mit schweren Vorhängen, im ganzen Raum verteilen sich ein paar Liegesofas und Sessel, während die Lücken mit Kommoden aufgefüllt sind. Die Tür hinter mir scheint der einzige andere Weg hinaus zu sein, von den Fenstern einmal abgesehen, und ersteres wird durch die Männer blockiert, während letzteres aufgrund der Lage im Obergeschoss für mich sehr negativ ausgehen kann.
Die zwei, welche mich eben noch mit sich trugen, nehmen Posten neben der Tür, während der junge Mann hinter ihnen in den Raum tritt und sein dritter Mann die Türen schließt. Er grinst noch immer, mit diesem bizarren Grinsen, das nur jemand haben kann, der chemisch behandelte stetig weiße Zähne hat.

Junger Mann – Nun, Herr Zeichner. Warum fangen sie nicht damit an, mir zu erzählen was sie über Tatianna wissen?

Ich räuspere mich kurz. Bin etwas stutzig über seine schlecht gespielte Art, aus mir irgendetwas zu entlocken. Aber es könnte mir die Chance bieten, etwas aus ihm heraus zu kriegen, was ich sonst nicht erfahren kann.

Zeichner – Nicht viel.

Junger Mann – Sie brauchen sich nicht so wortkarg zu geben, Herr Zeichner. Ich habe Zeit. Nun, nicht unendlich natürlich, ich habe auch noch andere Dinge zu erledigen, aber man weiß ja nie. Also. Warum kommen sie wegen Tatianna hier her.

Zeichner – Weil ich sie auf einem Foto gesehen hatte.

Junger Mann – Tz Tz Tz, Herr Zeichner. 

Er wackelt mir mit dem Zeigefinger vor dem Gesicht herum. Entnervend, eine solche Geste. Ich habe das Gefühl, diesem Typen sollte mal irgendwer eine kleben.

Junger Mann – Hat ihnen niemand beigebracht vollständige Antworten zu geben? Oder glauben sie etwa, dass ich ihr krudes Spiel nicht längst durchschaut hätte. Aber ganz wie sie wollen. Was für ein Foto?

Zeichner – Ein Polaroid auf dem sie neben Damir Mokhov zu sehen ist.

Für einen kurzen Moment weiten sich seine Augen etwas, seine Atem geht schneller, er fängt sich jedoch rasch.

Junger Mann – Mokhov? Und was haben Sie mit Herrn Mokhov zu schaffen?

Zeichner – Ein Klient bat mich darum, die Umstände seines Todes herauszufinden.

Er bricht in schallendes Gelächter aus, kann nicht an sich halten, hält sich den Bauch, geht vor Lachen in die Knie. Als sein spontaner Anfall zu Ende ist, schaut er mich unverwandt an, wischt sich ein paar Tränen aus den Augen.

Junger Mann – Herr Zeichner! Ein Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort!

Seine Hände flitzen in seine Hosentasche, und er holt ein kleines schwarzes Plastikartiges Objekt aus der Tasche. Ein Mobiltelefon? Anscheinend. Er wischt ein paarmal mit den Fingern drauf rum, grinst breit.

Junger Mann – Sehen Sie, Herr Zeichner. Sehen Sie?

Er hält mir das Telefon vors Gesicht. Jetzt bin ich an der Reihe, überrascht zu kucken. Durch das Polaroid und die anderen Bilder in der Kipling Street hatte ich eine ungefähre Ahnung davon bekommen, wie Mokhov aussah. Und genau auf diesen blickte ich jetzt. Nur mit dem Unterschied, dass dieses Bild von Mokhov, das sich selbst ständig aktualisierte, einen jungen Mann zeigte, der an einem Stuhl angekettet, mit blutigen Striemen über Gesicht und Körper aussah, als ob er gefoltert worden wäre. Der junge Mann lässt das Telefon fallen, ich fange es nur knapp über dem Fußboden.

Junger Mann – Gute Reaktion, Zeichner. Wie Sie sehen, befindet sich Mokhov in unserer Hand. Und wo ich gerade so in Fahrt bin… wer hat sie beauftragt, Mokhov nachzuspüren?

Ein letzter Blick auf den gefolterten Mokhov auf dem Display. Vermutlich eine Webcam, die irgendwo angebracht ist. Aber wo? Hier im Haus? Oder woanders? Boyo hier wirkt wie ein Psychopath genug, dass Er solche Drecksarbeit vermutlich selber machen würde. Also könnte er sein Opfer nicht weit von sich halten für eine längere Zeit. Das wiederum würde heißen, dass Mokhov sich irgendwo im Haus befindet. Fragt sich nur wie ich dann an ihn rankommen sollen. 

Junger Mann – Herr Zeichner? Worauf warten SIE?

Zeichner – Das habe ich…äh…vergessen. Ja. Genau. Es ist mir entfallen.

Junger Mann - Dann seien Sie versichert, dass ich ihnen helfen werde, diese Gedächtnislücke zu beseitigen. Immerhin, Herr Zeichner, geht es hier um eine sehr wichtige Angelegenheit. Aber, das hat Zeit. 

Zeichner – Ich glaube kaum, dass sie mir etwas antun können, dass mich dazu bringen würde, meinen Klienten zu verraten.

Junger Mann - Eine Herausforderung! Herr Zeichner. Sie sind ein Schlingel. Ich nehme ihre Herausforderung an.

Zeichner – Was?

Junger Mann – Lassen sie mich das ganze etwas vorbereiten, sie werden dann schon mitbekommen, was ich meine. Hehehe. Für den Moment, werden Angus und Hank hier auf sie aufpassen, damit sie keine Dummheiten anstellen. Cheerio, Herr Zeichner. Kekekekeke.

Sprach er, dreht sich um und latscht aus dem Raum heraus, von seiner Nummer Drei verfolgt, während die als Angus und Hank bezeichneten Anzugschränke die Tür hinter ihm schließen, sich vor dieser postieren und mich bedrohlich anschauen. Ich krame nochmal das Mobiltelefon heraus. Definitiv eine aktualisierende Webcam-Ansicht. Das Flimmer im Bild gepaart mit einer miesen Auflösung verraten mir, das hier jemand am falschen Ende gespart hat. 

Ich gehe den Raum ein bisschen ab. Knapp zehn Meter breit, sieben Meter tief, zweieinhalb Meter bis zur Decke. Keine offensichtlichen weiteren Ausgänge. Stelle mich ans Fenster, blicke hinaus. Der Garten. Von einsamen Lampen beleuchtet, kann ich eine große Grünfläche vor mir sehen, mit Abschnitten, die an ein kleinen asiatischen Garten, aber auch ein Heckenlabyrinth erinnern. In einiger Entfernung kann ich einen größeren offenen Pavillon ausmachen, nahe dem Heckenlabyrinth ein paar steinerne Bänke. Vermutlich der Ort, den ich auf dem Foto mit dem Interview gesehen habe. Das wiederum bedeutet, dass man von der Eingangshalle aus in einen an einen Wintergarten erinnernden Bereich kommen könnte, der auf eine Terrasse führt. Sieh an. Etwas unter mir befindet sich eine sehr dicht wirkende Hecke. Mir kommt eine verwegene Idee. Ein letzter Blick auf das Display des Mobiltelefons. Innehalten. Ich kann in Großaufnahme das Gesicht des Irren Neffen sehen. Er zwinkert in die Kamera, als ob er wüsste, dass ich in genau diesem Moment hinschaue. Problem ist natürlich, vielleicht weiß er das in der Tat? Beidseitige Kamera sei Dank.

Er entfernt sich etwas von der Kamera, geht kurz aus dem Bild, und kommt dann mit einem an einen Vorschlaghammer erinnerndes Objekt wieder. Moment. Es ist ein Vorschlaghammer. Er grinst zur Kamera. Ich kann Mokhov sich strecken sehen. Sein Kopf bewegt sich verzweifelt von links nach rechts, in der Hoffnung, klarzumachen, welche negative Idee das ist. Der junge Mann grinst ihn nur an und hebt den Hammer. Ich will wegblicken, aber der Voyeur in mir kann nicht. Ich muss dran bleiben. Der Hammer fällt.. Ich habe keinen Ton, aber der zerschmetterte Boden genau neben Mokhovs Fuß zeugt davon, wie das ganze ausgesehen hätte, wenn er getroffen worden wäre. Neffe tobt vor Wut. Hebt den Hammer erneut. Will er es drauf ankommen lassen. Mir fällt auf, das Mokhov geknebelt ist. Wie soll er etwas erzählen, wenn er nichts sagen kann? Es ist keine Folter. Keine richtige. Dies ist ein sadistisches Spiel für den jungen Mann. 

Der Hammer fällt. Und trifft die Kniescheibe von Mokhov. Es ist ein abscheulicher Anblick, und mir wird übel, als ich mit ansehe, wie sich das zertrümmerte Gelenk unter Einwirkung des Hammers zu verformen beginnt. Blut spritzt. Ich kann keinen Ton hören, aber der Kopf von Mokhov scheint zu schreien vor Schmerzen.

Er ruckt noch ein paar Mal, fällt dann schlaff nach vorne. Bewusstlosigkeit? Besser wäre es für ihn. Sein Peiniger hingegen scheint unbefriedigt, wie ein kleines Kind stampft er mit dem Fuß auf, tritt dem anscheinend bewusstlosen noch gegen das Schienbein, in der Hoffnung, ihn wach zu bekommen. Keine Chance. Sein wirrer Blick geht zur Kamera. Er hebt den Hammer mit beiden Händen und zeigt in Richtung derselben. Scheiße. Jetzt will er dasselbe an mir ausprobieren? Nicht so schnell, Freundchen. Ich schaue mich um. Angus und Hank stehen immer noch an der Tür. Ich stecke das Telefon ein und gehe etwas larifari mäßig zu ihnen hinüber. Grinse. Drehe mich Richtung Fensterwand. Laufe los.

Im letzten Moment springe ich, als ich hinter mir höre, wie einer der beiden den Mund öffnet. Ich pralle gegen das Glas, das unter der Wucht meiner Geschwindigkeit nachgibt und sich in abertausende Splitter verwandelt. Wie in Zeitlupe drücke ich mich durch, schwebe für einen kurzen Moment in der Luft, als sich mein Körper bereitmacht, in den Sinkflug zu gehen, und ich bin rasender Geschwindigkeit der Hecke entgegenkomme. Ich komme auf. Für einen Moment, bin ich weg.

20140224

Fall 1 - XII

Silverhill.

Komme auf einem Parkplatz nicht weit vom Checkpoint stehen. Sicherheitsbedingungen wie am Eisernen Vorhang. Eine mehrere Meter hohe Mauer umgibt das gesamte Viertel. Ein Stacheldrahtzaun tut sein übriges. Und hier am Checkpoint selbst hat man das Gefühl, an einem Grenzübergang zu stehen. Schwere Tore, festungs-artig gebaute Sicherheitsbuchten, Kameras, Sicherheitsteams mit Kevlarwesten und Maschinenpistolen. Und am Tage kann man ab und zu eine Patrouille mit Hunden spazieren gehen. Vielleicht könnte man auch denken, dass sich hier Fort Knox oder das Pentagon hinter verbirgt, aber eigentlich ist es nur ein Wohnsitz der Reichen und Dekadenten. Villen, große Anwesen, Palazzos, Lustschlösser. Solange man das Geld besitzt, um hier zu leben, lebt man wie die Made im Speck.

Circa 200 Meter weiter beginnt der Checkpoint, durch den ich müsste. Der natürlich auch um diese Uhrzeit besetzt ist. Und ich steh hier neben dem Auto und rauche genüsslich eine. Sofern man bei der Marke um die Uhrzeit noch von genüsslich sprechen kann. Kurzer Blick auf die Fahrzeuguhr. Kurz vor 4h Morgens. Bald ist Sonnenaufgang.

Kurzer Faktencheck. Ich weiß, dass Mokhov in seiner Wohnung ein Bild von sich und einer jungen Dame namens Tatianna hatte. Das Bild ist vom letzten Dezember. Tatianna wiederum tauchte auf einem Bild in einem Interview von Newsday auf. Ausgehend davon, dass das Bild in Mokhovs Wohnung vom letzten Dezember ist, müsste das Interview vermutlich in dieselbe Zeit fallen. Welche Verbindung beide zu Rieé haben, ist natürlich nicht ermittelbar.

Setze mich in den Wagen, starte den Motor. Vom Parkplatz runter, Richtung Checkpoint. Schon hier darf man nur mit verringerter Geschwindigkeit fahren. Nähre mich auf vielleicht 100 Meter. Ich kann zusehen, wie sich ein Scheinwerfer über die Umgebung bewegt. Völlig absurde Sicherheitsumgebung, Leute. Fahre langsam zum Kontrollpunkt. Vor mir fahren Rollläden hoch. Ich kann nur wenige Meter hineinfahren, ehe ich erneute anhalten muss. Zu meiner linken schaue ich auf eine sauber wirkende Wand aus Granit. Weiß, hell. Grell. Zu meiner Rechten öffnet sich ein weiterer Rollladen, während hinter mir eine Schranke runterkommt und mir den Rückweg versperrt. Als der Rollladen rechts oben ist, kann ich auf ein durch Glas abgetrennten Arbeitsbereich sehen. Diverse Monitore, die den Van in verschiedenen Perspektiven zeigen und mein Gesicht in glorreichem HD von schräg oben. Kurzer Blick dahin offenbart eine sehr gut versteckte Kamera. Hinter dem Glas sitzt ein älterer Herr, das Haar schon als Kranz in Resten auf dem Haupte, im Alter ergraut, er selbst ein etwas überbeleibter Mann irgendwo im Bereiche Ende Fünfzig und einen Tag vor der Pensionierung. Senioren-Sicherheitskraft? Er schaut mich ungefähr so an, wie man es für diese Uhrzeit erwarten würde. Griesgrämig. Vermutlich habe ich ihn bei irgendetwas Wichtigem gestört.

Ich rücke auf den Beifahrerplatz rüber, kurbel das Fenster runter. Grinse ihn an. Er wirkt wenig erfreut. Drückt auf einen Knopf vor sich, woraufhin ich das verzerrte Knistern und Knacken einer Gegensprechanlage vernehmen kann. Etwas dröhnen kommen von irgendwo um das Glas gesetzt Worte aus Lautsprechern.

Pförtner - Name und Grund ihres Besuchs.

Zeichner - Michael Zeichner. Ich bin geschäftlich hier.

Er hebt eine Augenbraue. Gut, verständlich. Um diese Uhrzeit kommt jemand mit einem schwarzen Van vorbei. Da würde ich auch nicht unbedingt an eine freundliche Begegnung denken sondern eher einen wahnsinnigen Axtmörder auf dem Weg zu seiner täglichen Mörderfahrt, aber ich kann ja für das Fahrzeug auch nichts.

Pförtner - Zu wem wollen Sie denn?

Zeichner - Culf Rieé. 

Er schaut mich schon wieder verwundert an. Seine Finger fliegen über die Tasten, er schaut nach unten, blickt dann wieder mich an.

Pförtner -  Mr.Rieé empfängt um diese Uhrzeit keine unangekündigten Besucher. Zisch ab, Freundchen.

Zeichner - Ich glaube kaum, dass Mr.Rieé sich freuen wird, zu erfahren, dass Sie mich hier abgewiesen haben. Noch dazu, wenn er hört warum ich gekommen bin. Zwischen uns beiden Betschwestern hier, ich sage mal, ich werde nicht derjenige sein, der danach einen neuen Job braucht.

Die Rädchen in seinem Kopf bewegen sich. Er denkt nach. Überlegt. Wägt ab, ob ich die Wahrheit erzähle. Ich kann sehen, wie seine linke Hand zum Hörer greift, diesen aber noch nicht abnimmt. Er scheint noch unsicher. Greift aber zu. Zieht den Hörer ans Höre, wählt. Dreht sich von mir weg. Drückt dabei einen Knopf auf seiner Armatur, ich kann das Knacken in den Lautsprechern hören. Es dauert einen Moment, ehe er sich wieder bewegt. Er scheint offensichtlich jemanden am Telefon zu haben. Fuchtelt mit einer Hand leicht aufgeregt in der Luft rum, als ob seine Gegenüber beim Telefonieren ihn sehen könnte. Legt den Hörer auf die Schulter, aktiviert den Lautsprecher. Guckt mich unverwandt an.

Pförtner - Welche Art von Geschäft haben sie zu besorgen?

Zeichner - Es geht um eine Frau. Tatianna.

Er gibt die Aussage weiter, nachdem er die Lautsprecher abgeschaltet hat. Kann ihn noch kurz am Telefon hantieren sehen. Dann legt er auf. Atmet tief durch, dreht sich wieder zu mir. Leichter Schweißfilm auf der Stirn. Frage mich was ihm gesagt wurde. Überlege, den Motor zu starten und nach hinten auszubrechen. Wäre zu auffällig. Andererseits, vielleicht wurde er auch gerade darüber informiert, dass die Polizei mich sucht. Wobei, ich hab nichts im Radio gehört. Sucht die Polizei mich überhaupt?

Das Knacken des Lautsprechers reißt mich aus meinen Gedanken.

Pförtner - Mr.Rieé wird sie empfangen. Zwei Wachmänner kommen gleich und holen sie ab. Folgen sie dem Fahrzeug, weichen sie nicht vom Pfad ab, ich bin verpflichtet ihnen mitzuteilen, dass wir andernfalls die Genehmigung haben, mit Gewalt gegen sie vorzugehen. Eine schöne Nacht noch.

Mit dem vertraut klingenden Knacken ist der Lautsprecher wieder tot, während vor mir die Rollläden hochfahren und hinter mir sich senken. Jetzt heißt es cool bleiben. Da das Ganze auch voll in die Hose gehen kann. Vor mir eröffnet sich die gesamte Welt des Silverhill. Apartmenthäuser, Condos, Villen, größere und kleinere Anwesen. Einwohnerzahl: Unter Tausend.

Warten ist angesagt. Also warte ich. Ein unangenehmes Gefühl. Eine private Sicherheitstruppe. Was die wohl bekommen, so für diese Tätigkeit? Ausgehend davon, dass sie auch die Drecksarbeit machen müssen, vermutlich stetig zu wenig. Die Bewaffnung macht mir Sorgen. Zwar habe ich mich in den vergangenen 24 Stunden schon mit Leuten rumschlagen müssen, die vermutlich auch die eine oder andere Waffen genutzt haben, habe ich noch nie mit Leuten zu tun gehabt, die auch mal eben so mit MP5s umherlaufen. Oder Körperpanzerung. Mir wird etwas mulmig. Vielleicht ist das hier auch eigentlich eine Liga zu groß für mich. Schnell den Gedanken beiseite wischen. Mut, Zeichner. Du bist dem gewachsen. Was dich nicht umbringt, macht dich härter.

Es dauert eine ganze Weile. Sehe immer noch kein Fahrzeug. Zünde mir erneut eine Zigarette an. Atme tief durch. Puste den Rauch heraus. Beruhigt die Nerven. ich wünsche mir manchmal, dass ich wie mein Großvater wäre. Nerven wie Stahlseile. Teufelskerl. Aber muss man vermutlich auch sein. Immerhin hat der Mann Korea und Vietnam überlebt.

Noch ein Weilchen länger, dann taucht vor mir in der Dunkelheit ein Fahrzeug auf. Ein schwarzer Trans-Am? Nein, doch nicht. Ein schwarzer Jaguar. Nobel. Durch die Innenbeleuchtung kann nich mindestens Zwei Personen erkennen. Der Wagen wendet vor dem Checkpoint, eine Person steigt aus, kommt dann Richtung Durchgangstor. Er ist schwarz, in einem dunklen Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte, Knopf im Ohr, und ... ernsthaft? Er trägt eine Sonnenbrille. Im Dunkeln. Um Halb 5 Uhr morgens?! Ein gewisses Unwohlsein macht sich in meiner Magengegend breit. Erinnert mich in der Aufmachung an die MIBs, welchen ich am Sprungpunkt weggelaufen bin. Dieser hier jedenfalls scheint deutlich durchsetzungsfähiger. Er ist an die 2m hoch, muskulös mit breitem Kreuz, keine Haare auf der glänzenden Kuppel und kommt an die Linke Seite. Ich rücke derweil zum Fahrersitz rüber. Er klopf an die Scheibe. Ich kurbel runter.

Wachmann - Mister Zeichner?

Zeichner - Ja?

Wachmann - Folgen sie uns bitte.

Ich nicke nur, woraufhin er sich umdreht, zum Wagen zurückgeht, einsteigt und beginnt loszufahren. Ich mache es ihm nach und folge dem dunklen Fahrzeug. Wir fahren durch das Viertel. Vielfach Zäune selbst innerhalb der Begrenzungen, manchmal auch nur hier und da eine Hecke. Größere Parkanlagen, saubere Gehwege. Keine Menschenseele weit und breit. Man könnte man, die Apokalypse hat stattgefunden und alle Menschen mitgenommen, so selten wie ich dieser Tage Leute sehe, die auf den Straßen rumlaufen. Es dauert tatsächlich eine ganze Weile, bis wir auf den Stockson Drive kommen, aber schon von weitem kann ich das Gelände erkennen, auf das wir zufahren. Das Gebäude ist ganz im Kolonial-Stil des Südens gebaut, der Weg dahin ist weit und großflächig, von außen begrenzt ein schmiedeeiserner Zaun das Areal. Als wir am Tor ankommen, welches sich vor unseren Fahrzeugen öffnet, fahren wir über einen rustikal wirkenden mit Kies gelegten Weg Richtung Haupthaus. Zweistöckig. Sehr breit, schon auf dem Hinweg zähle ich mehr als 40 Fenster. Vor dem Gebäude kommen wir in einem Rondell zum stehen. Vor mir steigen die beiden aus, an der Vordertür sehe ich ,wie mehrere von ihnen rauskommen, Licht dringt von drinnen heraus. In einiger Entfernung wird es bereits heller, die Sonne wird bald aufgehen. Mir wird schlagartig bewusst, wie müde ich eigentlich bin, muss diesen Gedanken aber beiseite schieben.

Der große MIB kommt wieder zu meinem Fahrzeug, bedeutet mir auszusteigen.

Wachmann - Wir sind da, Sir. Wenn sie austeigen würden.

Im Moment habe ich da wohl wenig Wahl, eh? Ich steige aus, stecke den Zündschlüssel ein. Unter Geleit werde ich zur Eingangstür und hinein geführt. Als sie die doppelflügelige schwere Tür voll öffnen, werde ich vom Lichtschein im ersten Moment beinah erschlagen. Eine große Eingangshalle, mindestens 10m hoch, mehre dutzend Meter breit, der Fußboden mit Marmor ausgelegt, im Hintergrund eine große Treppe welche von 2 Korridoren in den Hinteren Teil flankiert wird, das ganze in einer Mischung aus hellem Weiß und Weiß-Grau, eine Beleuchtung von Kronleuchtern an der Decke welche Stadionlichtern alle Ehre machen würde. Und auf der Treppe ein junger Mann in Begleitung. Meine Nackenhaare stellen sich auf. Der Junge Mann, ein etwas schmierig wirkender Anfang-Zwanziger mit Sommersprossen und wild wucherndem rostrotem Haar, dazu einer viel zu dürren Nase und einem Blick wie man ihn von einem Goldfisch erwarten würde, in einem abscheulich aussehenden purpurnen Anzug, flankiert von mehreren seiner Wachleute. Es ist definitiv nicht Rieé.

Junger Mann - Herr Zeichner! So schön! Kommen sie. Kommen Sie. Wir haben viel zu besprechen.

Ein subtiler Schubser von hinten deutet an, dass ich vorwärts gehen soll, und der junge Mann wendet sich bereits um und beginnt die Treppe hochzugehen. Mit geschwindem Schritte eile ich dorthin, um zu verhindern, dass seine Wachmannschaft gleich mit mir Ping-Pong spielt. 

Junger Mann - Wir haben sie bereits erwartet.

Zeichner - Wie das?

Junger  Mann - Sie haben sich am Tor angekündigt.

Zeichner - Achso.

Er dreht sich auf der obersten Treppenstufe zu mir um. Ich bleibe mitten in der Bewegung stehen. Balance halten.

Junger Mann - Mein Onkel ist nicht hier, aber das macht ja nichts. Ist auch besser für sie. Sie sagten sie kommen wegen Tatianna. Wo ist sie?

Zeichner - Ja. Das ist worüber ich mit ihrem Onkel reden wollte.

Er schaut mich an. Er ist überrascht. Ich kann sehen wie es in ihm hoch kocht.Wie der Wahn in seinen Augen aufsteigt.

Neffe - Sie werden es mit mir bereden. Oder glauben sie, jeder daher gelaufene Niemand wird einfach so zu meinem Onkel durchgelassen?! ALSO. WO. IST. TATIANNA?!

Zeichner - Äh...

Neffe - Sie wissen es nicht? Nun, dann werden sie sicherlich kein Problem damit haben, wenn wir uns zusammen setzen und wir darüber diskutieren, was sie wissen, nicht wahr?

Er grinst. Diabolisch. Druck an meinen Schultern. Seine Leute packen mich an den Armen. Setzen mich fest. Mist.

20140221

Fall 1 - XI


Der Junge sieht ganz anders aus, als der Typ aus der Wohnung und auf den Fotos. Wer zum Henker ist der Bursche? Und warum liegt er unter Mokhovs Namen in der Tiefkühlvorrichtung? Ist das der Grund weshalb kein Bild in Mokhovs Datei war? Damit niemand dahinter kommt, dass hier ein falscher Körper liegt? Wer oder was profitiert davon? Hat Mokhov seinen eigenen Tod vorgetäuscht? Warum suchten die WhitePower-Trottel nach ihm und dem Mädchen? Was hat das Mädchen damit zu tun? Wird wohl Zeit, dass ich mal zum Silverhill fahre.



Erst mal einen tiefen Zug an der Zigarette. Macht die Welt gleich viel rosiger. Nicht so toll ist die Tatsache, dass ich hinter mir ein Räuspern höre. Drehe mich langsam um. Zigarette verstecken kann ich jetzt eh nicht mehr. Eine ältere Dame. Anfang Vierzig. Haare zusammengebunden zu einem Pferdeschwanz, das hagere Gesicht etwas eingefallen um die kleine Gnubbelnase, von ewigen Nachtschichten leicht bleich in der starken Helligkeit der Totenhalle, der weiße Arztkittel und die fehlende Schminke deuten klar auf eine Pathologin hin. Namensschild. Mendez. Fräulein oder Frau? In dem Alter vermutlich Frau. Hmmm. Sie schaut mich an, mit dieser Mischung aus Verwunderung und Zorn, den man nur haben kann, wenn man das Gefühl hat, dass man gleich mit rechtschaffener Wut auf einen anderen niedergeht. Sie wirkt auch so, als ob sie mich gleich kleinschlagen würde. Was sind die Leute heute aber auch alle aggressiv. Uh oh, die Pause zwischen uns wird immer länger. Warum sagt sie nichts? Wir können uns nicht die ganze Zeit anstarren. Immerhin hat SIE MICH überrascht. Also müsste es doch an Ihr sein, etwas zu sagen, oder?



Ich räuspere mich kurz, ziehe nochmal tief an der Zigarette, die langsam aber sicher auf den Stumpf zurückgeht, Asche wie selbstverständlich auf das nächste Objekt ab. Ihre Augen werden groß, sie schlägt mir in die Hand, die Zigarette fällt runter.



Mendez - Nicht in den Leichnam!



Ups. Der Stummel fliegt in irgendeine Richtung, ich reibe mir die Handfläche. Gucke sie etwas entsetzt an. Gut, andererseits, aus Reflex in die Schussverletzung des Toten abzuaschen war im Rückblick vielleicht auch nicht die cleverste Idee die ich bisher hatte.



Mendez - Wer sind Sie?! Und was machen sie um diese Uhrzeit hier? Und warum rauchen Sie hier! Hier ist Rauchverbot!



Zeichner - Frederiksen. Fall untersuchen. Verlangen. Ignoriere Ich.



Mendez - Sie sind wohl kaum Frederiksen. Frederiksen ist ein untersetzter kleiner Italiener mit Schuhgröße 51 und weniger Haar als Gorbatschow.



Zeichner - Ähh



Betont lässig geht sie zur Wand, an welcher ein kleines Diensttelefon hängt. Mitsamt einem großen roten PANIC-Knopf. Ihre Hand bleibt genau über diesem stehen. Sie schaut mich an.



Mendez - Geben sie mir einen Grund warum ich diesen Knopf nicht drücken sollte.



Zeichner - Ich kann Ihnen sogar zwei geben. Nummer Eins ist, das der Mann den sie glauben hier zu haben, nicht der ist, der er zu sein vorgibt, und der zweite ist, das jemand den Officer auf dem Flur um die Ecke erschossen hat.



Für einen Moment schaut sie mich an, und ich kann förmlich zusehen, wie die Rädchen in ihrem Kopf sich zu drehen beginnen. Zu einem Schluss kommen. Sich weiten. WUMS geht die Hand auf den Knopf. Mist. Ich und meine Gabe mit Frauen. Sie schaut mich immer noch mit großen Augen an. Nützt nichts. Ich nehm die Beine in die Hand, renne aus der Abteilung raus, stehe im Flur. Linkerhand kam ich, also renne ich rechtergangs weiter. Durch den tiefen Korridor irgendwo unter dem Riesen der das CCPD ist.



Laufe, so schnell mich meine Beine tragen können. Über mir flitzen die vereinzelten Lampen nur, das seltene Neonlicht, das die Dunkelheit durchbricht, während ich an Türen und Fahrstühlen vorbei wetze, den seltsamen Türmarkierungen folgend in der Hoffnung, dass sie mich irgendwo anders hinbringen als "tiefer". Im Hintergrund kann ich dabei das stetige Plärren der Alarmsirenen hören. Durch das ganze Gebäude. Komme an einer T-Kreuzung an, hier im Untergrund, sehe aus einer Richtung eine Gruppe von Officers.



Polizist - Da ist er! Stehenbleiben oder wir schießen!



Muss er nicht zweimal sagen, da bin ich schon am weiterlaufen. Beim Laufen bemerke ich wie weiter vorne eine Fahrstuhltür rechts aufgeht, und ein kleines Wägelchen mit Kartons drauf rausgeschoben wird von einem Typen in Lieferklamotte. Als ich nur noch wenige Momente entfernt bin, setze ich den Sprung an, und mit einem Satz bin ich rüber. Hinter mir knallen Kartons zu Boden. Der Typ schreit noch nach. Irgendwas Unfreundliches. Irgendwas, das er mir oder meiner Mutter antun will. Immer diese Jugend von heute, tz tz tz.



An der nächsten Biegung um die Ecke, sehe ich vor mir die andere Seite des Checkpoints für den Untergrund. Mist. Sicherheitsglas, Durchgang verschlossen, Kartengerät an der Seite und auf meiner Seite ein unfreundlich aussehender Polizist, der sich gerade im Sitzen der Schrotflinte neben ihm zuwendet. Verliere keine Geschwindigkeit, renne auf ihn zu, für einen Moment ist es wie in Zeitlupe. Er nimmt die Flinte, und in beiden Händen haltend richtet er sie langsam auf mich, als er sein Wörtchen rufen will, als ich schon ran bin und ihn voll über den Haufen renne. Mitten rein. Die Flinte fliegt irgendwo zur Seite als unsere Körper kollidieren. Es tut weh. Verdammt noch eins, tut es weh. Er liegt ungünstig mit dem Rücken an seiner Tischkante, schüttelt benommen den Kopf, ich reiße die Sicherheitskarte durch den Kartenleser, höre wie die Tür aufgeht, schmeiße ihm die Karte ins Gesicht. Und renne weiter.



Laufe um mein Leben. Egal wo ich hinkomme, das Plärren der Alarmsirenen verfolgt mich. In einem Seitenkorridor entdecke ich einen Notausgang. Reiße diesen auf, irgendwo wird vermutlich ein weiterer Alarm ausgelöst, aber das ist mir jetzt egal. Renne weiter, so weit mich meine Beine tragen. Draußen hat der Regen wieder zugenommen und transportiert jetzt all die Schmutzigkeiten, die er den Tag über angesammelt hat. Renne. Der Parkplatz. Kaum eine Person zu sehen, erreiche den Van, schließe auf und schmeiße mich hinein.



Schlüssel ins Zündschloss. Klappt nicht. Verflucht. Ruhig Blut. Lege den Schlüssel ordentlich hinein, drehe, lasse den Motor starten. Fahre betont normal an. Ganz ruhig. Fahre langsam vom Parkplatz runter auf die Kreuzung und Richtung City. Richtung Büro. Richtung Heimat. Richtung Normalität. Wobei, so großartig normal wäre das vermutlich jetzt nicht. Insbesondere weil ich immer noch im Van der WhitePower-Bande unterwegs bin. Auch nicht unbedingt das beste Fluchtfahrzeug. Ob sie mir den Mord am Polizisten auch noch anhängen werden? Zuzutrauen wäre es ihnen. Verdammte korrupte Staatsapparat. Mist Mist Mist Mist. Schlage mehrfach auf das Lenkrad ein. Nützt nichts. Kann um diese Uhrzeit auch nicht unbedingt nach Hause, auch weil sie vermutlich meine Wohnung sichern werden. Wohnung mitsamt Büro. Ärgerlich. Also was tun? Nun, wenn man nichts anderes hat, erst mal ein ruhiges Eckchen.



Nach ein paar Kilometern über die Straßen der Stadt, wo um diese Uhrzeit eh kaum Verkehr herrscht, fahre ich bei einem Drive-In rein. Max-Imum Burger. Die plärrende Stimme aus dem rostenden Pseudo-Burger, auf dem auch das Menü abgebildet ist, verrät mir, dass hier eine typische Null-Bock-Kraft arbeitet. Bestelle mir ein paar Fritten, den größten Burger, den sie haben, den üblichen Stressfrust-Fresskram. Hole es mir vorne ab, fahre dann mitsamt dem Essen auf dem Beifahrersitz weiter durch die Stadt. Als ich die Viertelgrenze zu Centersville überquere, fahre ich auf einen anliegenden Parkplatz. Kaputte Zäune, demolierte Spieltrassen, ein paar schrottreife Autos und heruntergekommene Gebäude aus dem letzten Jahrhundert die schon seit langem nicht mehr saniert wurden, dominieren hier das Bild. Der Parkplatz, abgeschieden, einsam und verlassen, gerade zu öde, erscheint mir ideal. Nachdem ich einigermaßen zum Stehen gekommen bin, hau ich mir was zwischen die Kiemen. Und denke nach.



Der Mann, der sich angeblich vom Greenpoint geschmissen hat, ist nicht derselbe, der in der Tiefkühlkammer liegt. Eine rechte Gruppierung ist auf der Suche nach aber eben jenem Kerl und einer Frau mit der er zu tun hatte. Ich denke mal, ich liege nicht weit ab vom Schuss, wenn ich denke, dass es um das Blondchen geht. Frage ist nur, warum. Und wenn er nicht derjenige ist, der den Löffel abgegeben hat, wer ist der Tote dann. Und warum will seine "Schwester" wissen, warum er tot ist, wenn sie vermutlich zur Identifizierung der Leiche herangezogen wurde? Es erscheint klar, dass ich benutzt werde, aber für wen und welche Zwecke, ist mir noch immer unklar. Wer ist Herr Untermayer und warum sucht er "das Mädchen"? Wer ist Herr Jeffchewski und warum ist die Erwähnung seines Namens eine Drohung? Das Untermayer einen Kontakt in der Polizei oder zu den MIBs unterhält ist klar, oder? Andererseits, was, wenn er eigene Leute hatte, die die Kipling Street überwachten? Müsste er dann aber nicht wissen, dass es nicht Mokhov war, der gesprungen ist?



Und wenn der Handwerker den Polizisten im Keller erschossen hat, welches Ziel verfolgte er damit? War das vollkommen unzusammenhanglos oder gehörte er dazu? Wusste der Polizist vielleicht etwas, was mir hätte weiterhelfen können? Oder war er einfach nur ein Hindernis auf dem Weg in die Abteilung? Davon abgesehen, dass ich jetzt gar nicht in der Asservatenkammer, die weiter innen gelegen war, gekommen bin. Mist. Weitere Chance verpasst. Kann ja auch nicht ahnen, dass die Mendez sofort den Alarm auslöst, sobald jemand erwähnt, dass irgendwo ein Toter liegt. Gut, andererseits, wäre ich ein psychopathischer Irrer gewesen, wäre ihr Leben vermutlich bedroht gewesen und die Reaktion durchaus gerechtfertigt. Nicht gerade gut für mein Selbst-Image. Oder das Image gegenüber der Polizei. Argh.



Ich kann also nicht nach Hause. Rassila anrufen kann ich nicht, weil sie mich kontaktieren will. Vermutlich sollte ich heute Mittag mal bei Frau Schwarz nachprüfen, ob die Rassila angerufen hat. Bleibt die Frage, wo ich weitermachen soll. Bleibt eigentlich momentan ja nur Silverhill. Das Herz des städtischen Reichtums. Der einzige Ort, wo Arroganz und Idiotie als Extravaganz abgetan werden können, weil auf dem Gehaltschecks mindestens Sechs Nullen nach der Zahl kommen. Das heißt private Sicherheit, private Anwesen und private Gemeinschaft. Mauern und Stacheldraht sowie Wachhunde die Grenzbereiche bewachen. Kommt man sich schon beim Angucken wie im Ostblock vor.



Die letzte Fritte ist gegessen. Kein Burger mehr drin. Vermutlich ist ein APB oder ATL bereits rausgegangen auf der Suche nach mir. Kann nur hoffen, dass die Beschreibung un der Zusammenhang nicht allzu gut sind.

Motor anlassen. Runter vom Parkplatz. Kurzer Blick auf die Uhr, Radio anmachen. Kratzt kurz, springt dann aber zu neuem Leben. Irgendwas belangloses an Musik flittert durch die Nacht, während ich die Straßen entlang brause zur Ausfahrt auf den Intercity nach Silverhill. Die Ausfahrt und damit die interstädtische Autobahn ist schnell erreicht, der Verkehr dünn um diese Uhrzeit, nur ab und zu sehe ich mal ein anderes Fahrzeug hier umher kreuzen. Glücklicherweise kaum Staatspräsenz. Noch während ich fahre, kommt mir aber auch eine andere Idee.



An der nächsten Abfahrt eben runter, ein paar Straßen weiter unter der Überführung geparkt. Ausgestiegen, Wagen abgeschlossen. Schlüssel in die Innentasche. Trenchcoat anziehen. Fühlt sich sowieso viel besser an. Holster ist auch wieder um. Mit geradem Schritt ein paar Straßen überquert, bevor ich vor dem Internetcafe halt mache. 24/7. Selbst um diese Uhrzeit sitzen noch Leute vor ihren Maschinen und machen Dinge, die besser im Halbdunkeln ihrer Nische und ihres Monitors bleiben sollten. Gehe rein, der Typ am Counter, ein junger Mann irgendwo Mitte Zwanzig blickt kurz auf, qualmt dann weiter. Trete an ihn heran, lege ihm etwas harten Cash auf den Tresen, er gibt mir eine Zahl und schiebt mir einen Zettel rüber. Zeigt dann auf die Uhr. Gucke auf den Zettel. Ahh. Nur bis 6h morgens. Setze mich in meine zugewiesene Nische und starte das Gerät.



Als er hochgefahren ist, direkt zur Internetrecherche. Namen. Daten und Informationen. Tatianna. Untermayer. Jeffchewski. White Power. Dimir Mokhov. Rassila. Das volle Programm.



Für den Anfang bestätigt sich, was Frau Schwarz erzählte. Rassila hat in russisches Geld eingeheiratet. Nicht nur Vanitystar.com sondern auch andere Nachrichtenmagazine berichteten über das hässliche Entlein das aus dem Nichts dem russischen Magnaten den Kopf verdreht hatte. Muss an mir vorbeigegangen sein. Kein Wunder, nicht unbedingt die Art von Story die mich großartig interessieren würde.  Halt. Was zum. Auf einem der Bilder auf der Page von Newsday ist Tatianna! Ich schau mich um. Niemand hinter mir. Artikel aufrufen. Lesen. Wirtschaftsmacht...bla bla....Import...bla...bla...AHA! Ne. Moment, der Artikel behandelt sie garnicht. Mist. Er dreht sich um Culf Rieé in einem Interview in seiner Villa im Stockson Drive. Auf dem Foto, das über dem Artikel prangt, sitzt der alternde Senator dem einst mal Verbindungen zum organisierten Verbrechen nachgesagt wurden mit dem Redakteur im Garten und man kann im Hintergrund seinen Garten sehen. Am Rand sitzt auf einer Steinbank das Blondchen, das auch schon auf Mokhovs Bild zu sehen war. Und wenn ich ganz genau hinschaue würde ich auch sagen, dass der junge Mann neben ihr, von dem man nur den Hinterkopf sehen kann, Mokhov ist. Interessant, die Heckenschere in der Hand und der Aufzug in dem er rumläuft. Gärtner also. Dann ist seine Bekanntschaft reiner Zufall? Dafür gibt es mir einen Anhaltspunkt neben dem Haus von Rassila in der Madison Lane. Zwei Orte. Ob Rieé mich einfach so reinkommen lässt? Versuch ist es wert. Ich mache einen Ausdruck vom Bild, lösche soweit ich kann, meine Spuren. Verlasse das Geschäft. Zünde mir eine Zigarette an. Latsche zum Auto.



Nächstes Ziel: Silverhill