Auf dem einzeln verteilten steinernen Platten, welche alle paar Meter im
Rasen eingelassen sind, knirschen meine Füße bedenklich. Jeder Schritt außerhalb
dieser Platten bedeutet auf dem Rasen zu gehen. Dem feuchten, nass-kalten
Rasen, der halb unter Wasser gesetzt nicht in der Lage zu sein scheint, das
längerem andauernde Nieselwetter in sich aufzunehmen und deswegen anfängt
abzusaufen.
Ungefähr auf halber Strecke, noch brauche ich das Mobiltelefon-Licht nicht,
kann ich links eine Parkeinbuchtung erkennen, die Überreste an Holz die
aufgeschichtet am Straßenrand auf dem Grundstück liegen und vom Regen benetzt
aller Dinge harren war wohl mal das Fahrzeugtor zur Straße hin.
Zur rechten kann ich einen kleinen Fußweg am Gebäuderand erkennen, der um
die Seite herumgeht und an Teilen des Zauns entlang verschwindet. Einige wenige
Meter vor mir steht der Briefkasten, an dem die Hausnummer an einer einzigen
verbliebenen Schraube hängend schief steht.
Die dahinterliegende Holztreppe, durchsichtig durch die einzelnen Sprossen,
durch die man die darunterliegende Hauswand erkennen kann, führt knapp einen
halben Meter nach oben, bevor auf einem kleinen Außenplateau, neben zwei
halbzerstörten Sitzbänken welche durch ein Loch in der Decke mit dem Regen in
Berührung kommen, sich die Doppelflügelige Tür befindet, die bei jedem Windstoß
wie ein Warnzeichen schief im Ton wackelt und quietscht.
Man bekommt ein mulmiges Gefühl hier, aber ich bin schon so durchnässt, dass
mir in diesem Moment alles lieber ist, als weiterhin im Regen zu stehen. Und
alleine von hier und durch die Beleuchtung der Industrierohre ein paar Meter
vom Grundstücksrand entfernt kann man immerhin noch recht gut was erkennen, was
mich dazu bringt, mutigen Schrittes die Treppe hochzueilen und einfach die Tür
im Sturm nehmend durchzubrechen.
Die Treppe knarzt bedrohlich unter mir und ich muss zu einem kurzen Sprung
ansetzen, als eine der mittleren Treppenstufen wegbricht. Ich knalle hart mit
Geschwindigkeit gegen die Tür, welche mit mir aufflattert, und lande ein wenig
tiefer im Gebäude auf irgendetwas Weicherem.
Muss den Kopf schütteln, wieder klar werden. Komme hoch, schaue mich um.
Eine lange Eingangshalle, ausgelegt mit einem dicken dunkelroten Teppich, der
nun von schwarzen Brandlöchern, Ruß und Asche gesäumt ist. Der hintere Teil der
Halle scheint durch den Einsturz und diverse Dachbalken versperrt. Die Wände
sind im inneren, wie es von außen schien, hauptsächlich holzverkleidet.
Linkerhand ist ein Durchgang, aus dem die Tür schon vor einiger Zeit raus
gebrochen wurde, während zu meiner rechten offenstehend eine Glastür mit
zersplittertem Innenglas den Weg weißt. Ich kann umgeschmissene Tische und
Stühle erkennen, sowie Teile eines zerfledderten Vorhanges, der wohl an der
Seite aus einem zerbrochenem Fenster raushängt.
Zur Rechten steht, soweit ich das erkennen kann, eine größere Anzahl von
Regalen. Voll und Aber voll mit Büchern. Nach ein paar Schritten befinde ich
mich im rechten Raum, den ich Bibliothek getauft habe, auch wegen der Tatsache,
dass es wohl die Bibliothek ist, wie mir, als ich hereintrete, eine Plakette am
Türrahmen verrät.
Reich vertäfelt und geschmückt, sind Teile der Bücher nur noch Brandware
gewesen und die recht tief ins Haus reichende Bibliothek ist zu einem Großteil
ungefähr ab einer Distanz von knapp sieben Metern mit dem Obergeschoß
kollidiert, von dem aus ein schweres Doppelbett mitsamt diversem Mobiliar
von oben herunter gekommen sind, soweit man unter den angebrannten und
schwärzlichen Überresten von solchem sprechen kann. Ein kurzer Blick auf die
Literatursammlung kann nicht schaden.
Die Regale, die ich erreichen kann, jeweils immer knapp etwas mehr als
mannshoch, trotz eines Stauraums auf der obersten Ablage, sind angefüllt bis
zum Bersten und scheinbar thematisch sortiert. Ich finde ein Regal zum Thema
Geschichte, mit Werken die sicherlich einen interessanten Blick auf seinen
Besitzer werfen wie "Die Geschichte der Folter und Hinrichtung" oder
"Freiheit durch Schmerz - Ein Blick auf die Folter im Therapeutischen
Sinne seit dem Mittelalter" stehen neben Weltgeschichtsbüchern und großen
Wälzern über Hochkulturen der Vergangenheit. Begleitet wird diese Ansammlung
von Regalen mit Büchern über Metallurgie im Schwesterregal und einigen anderen
Seltsamkeiten, die mich doch etwas mehr verstören, als ich erwartet
hätte.
Wobei mich wohl am meisten verwundert, dass diese Sachen nach einem kürzlich
erfolgten Brand noch hier so vorzufinden sind. Die Adresse stimmt jedoch, von
daher muss Fouquier sich hier irgendwo ursprünglich eingerichtet haben.
Unklugerweise kann ich durch den Oberen Durchbruch kaum einen Pfad in den
hinteren Teil der Bibliothek finden und den Rest des Hauses, von daher muss ich
sie erst mal so liegen lassen, wie ich sie hier vorfinde. Kann nur den Kopf
über mich selbst schütteln. Der Mann ist weder ein Bond-Bösewicht noch ist das
hier ein Film. Er wird wohl kaum ein geheimes Nazi-Labor im Keller haben.
Obwohl?
Langsamen Schrittes komme ich zur anderen Seite des Korridors, nachdem ich die
Bibliothek verlassen habe. Ein einsames, offenes Fenster, das Glas gebrochen an
der gegenüberliegenden Seite, das von Fuß bis an die Kopfseite des Raumes geht,
mitsamt dem hinaus wehenden Stück Stoff, das wohl mal ein Teil des Vorhangs
war, illuminiert den Raum von außen. Wobei mir jetzt erst auffällt, dass es zu
Blitzen und Donnern angefangen hat.
Der Raum wirkt nicht ansatzweise so groß wie die Bibliothek, erinnert aber
durch den langgezogenen Tisch und die vielen umher geworfenen und
halb-angeknacksten Stühle deutlich an ein Esszimmer. In der Mitte liegt
eine zerbrochene Deckenlampe, während der Wind bedrohlich durch das offene
Fenster rein seufzt. Der gelegentliche Blitz erhellt die Umgebung im Bruchteil
einer Sekunde enorm, zeigt mir aber gleichzeitig auch, dass von hier aus nur
ein Durchgang durch eine Schiebetür mit Glaseinlass tiefer ins Haus
hineinführt, ungefähr dort, wo in der Bibliothek an derselben Stelle der
Durchbruch vom Obergeschoß ist. Wo hier wohl die Treppe ist?
Irgendetwas ist seltsam an diesem Zimmer. Ich stampfe mit dem Fuß ein,
zweimal auf. Hmm. Gehe unruhig durch den Raum, muss dabei immer wieder
herumliegendem Mobiliar ausweichen. Trete erneut auf. Es klingt so, als ob der
Fußboden bei weitem nicht so dick wäre, wie er sein müsste, wenn unter dem Raum
einfach nur der Boden oder die entsprechende Verstärkung wäre. Was ich mich
natürlich frage ist, ob es sich bei dem, was ich hier höre um den Zwischenboden
handelt, der bei manchen altmodisch gebauten Häusern noch so typisch ist, oder
ob sich hier der Keller ankündigt, in dem der Mann sein Nazi-Labor. Mist. Also,
in dem Fouquier seine seltsamen Spielchen gemacht hat.
Es ist mir immer noch schleierhaft, was für seltsame Tätigkeiten der Mann
vollbringen soll, dass seine Dienste für jemanden wie Matthews nützlich wären,
aber er scheint ein wichtiges Glied in der Kette an Personen zu sein, welche
die Mädchen liefern, wenn ich davon ausgehe, dass Matthews mit seiner Escort-Agentur
dafür sorgt, dass sie an die reichen Klienten geleifert werden. Das wiederum
könnte bedeuten, dass Fouquier hier irgendwo eine Art Trainingsstätte oder
Folterkammer eingerichtet hat, um die eingeschmuggelten Menschen einerseits
unterzubringen und andererseits ihren Willen zu brechen. Bitte keine Folterkammer.
Alles, bloß keine Folterkammer, ich kann sowas schon in Horrorfilmen immer
nicht ab, da muss ich sowas krankes nicht auch noch im wahren Leben haben.
Für den Fall dass es sich nicht um den Keller sondern einfach nur
schlechtgemachten Fußboden oder vielleicht ein Geheimfach handelt, merke ich
mir diese Tatsache definitiv, wobei ich mich natürlich frage, was mich hier
drinnen noch so erwartet, ich meine, der Mann scheint ja gelebt zu haben wie
die Made im Speck. Da fällt mir auf, irgendwie ist die Struktur des Feuers
seltsam. Die Bereiche, die eingebrochen sind, scheinen sich ziemlich zentral zu
befinden und von dort aus beginnend kreisrund auszugehen, so als ob jemand ungefähr
aus der Mitte des Gebäudes aus ein Feuer gelegt hat. Sollte hier versucht werden,
jemanden aus dem Weg zu räumen? Meine Hand legt sich auf die Schiebetür und mit
etwas Anstrengung kann ich sie beiseite rollen. Ein protziger Kamin mit
Eisengatter-Schutz und einigen Sesseln und einem Sofa drumherum drapieren einen
eher kärglich eingerichteten Raum der. Mir verschlägt es den Atem.
Von der Seite anfangend, über den Kamin und bis hoch unter die Decke sind an
der Wand Köpfe. Nun, Tierköpfe sicherlich nur, aber ausgestopfte Tierköpfe in
einer Zahl, die einen fleißigen Jäger vermutlich neidisch machen würden. Das
ganze wirkt extrem unheimlich. Wobei ich auch sagen muss, wenn die Sammlung von
ihm selbst zusammengetragen wurde, Respekt, das schafft auch nicht jeder alle
Tage. Praktisch kein Zentimeter der gelblich wirkenden Tapete, die stückweise
die Vertäfelung bedeckt, ist unbenutzt um nicht irgendwo noch ein Tierkopf auf
einem hölzernen Emblem unterzubringen.
Der schwere Ohrensessel, der zentral vor dem Kamin dabei dominiert, erinnert
mich ein wenig in seiner Stellung, wie da alles hier irgendwie an das DeFoe
Manor, aber das scheint eher zufällig zu sein. Zentral geht zur linken
Seite eine Doppelflügelige Tür heraus, oder sie würde es, wenn nicht Teile des
Obergeschosses von ihr aus durch die Tür kommen und den Weg blockieren. Auf der
anderen Seite hingegen ist ein offener Durchgang, der vielleicht in sowas wie
ein Raucherzimmer oder etwas ähnliches führt? Wobei, auf dem Weg zu Esszimmer
sollte eigentlich hier irgendwann mal die Küche kommen, oder?
Tatsache, auf der anderen Seite geht es in die Küche. Die hellen weißen
Fliesen sind mit einem leichten Rußfilter belegt, wie so vieles um mich herum,
so dass ich einerseits ohne Probleme meine Schritte zurückverfolgen kann,
andererseits aber auch mit jedem Meter Staub und ähnliches aufwirbele, als gäbe
es kein Morgen. Immerhin, die Küche wirkt einigermaßen unversehrt, wenngleich
der eigentlich Wasserzugang durch die Rohre geöffnet wurde, wobei ich mich
frage, welchen Zweck das gehabt haben könnte. Durch eine breite Fensterfront
auf Brusthöhe kann ich hinter den Herd und Kochflächen, Gasherd wie archaisch,
den Blick auf eine kleine Wiese erkennen. Im Donnerschein erhasche ich nur kurz
die Sicht, dass sich dort draußen ein Steingebäude zu befinden scheint,
ungefähr auf halber Strecke von der Wiese zum Haus. Durch eine einfache
Gartentür und eine kleine steinerne Treppe betrete ich den hinteren Garten und
kann im stetigen Nieselregen und neben ein paar ungepflegten Büschen über
harten Erdboden und ungleich wachsendem Gras beim Näherkommen entdecken, dass
es sich um eine Gruft handelt.
Besser gesagt, auf einem Friedhof wäre es eine Gruft, oder etwas, das sich
durch seine Aufmachung, Steinerenes Gebäude, kleines Steinernes Dach, massiv gebaut
und mit einer schweren Tür mit seltsamen Symbolen die an Tod und Verderben
erinnern, für eine Gruft ausgeben könnte. Es ist nicht besonders groß, aber als
ich am Außenring ziehe, bewahrheitet sich, was ich schon beim herangehen
vermutete. Verschlossen. Oder blockiert. Oder ich bin ein Hänfling der eine
mehrere Zentimeter-dicke Steintür nicht aufbekommt. Immerhin, durch das große
überragende Dache habe ich einen wunderbaren Rückenblick auf das Haus selbst
und hier noch besser als vorher offenbart sich, wie schwer die Verwüstungen
gewesen sein müssen. Fast die gesamte Seite zu meiner linken, also die rechte
Seite des Hauses ist eingebrochen, als ob die Tragestützen einfach weggenommen
wurden, während überall die Spuren eines Feuers existieren, ohne dass es sich
großartig ausgebreitet hat. Ich meine, hat man schon mal von einem
geplanten...ohhh, ein Feuer, das einem genau festgelegten Weg folgen kann,
natürlich geht das. Das ich da nicht schon vorher drauf gekommen bin.
Zu dumm nur, dass ich von hier aus einen guten Blick auf den Zwischenboden
von Boden und Haus habe. Entweder ist der Keller für mich blockiert weil er
unter Schutt begraben ist, oder der Boden ist derart uneben, dass man
tatsächlich eine Erhöhung gebaut hat und das Haus wirkt nur so uneben, wegen
des fürchterlichen Untergrundes. Was wiederum bedeuten könnte, dass es keinen
Keller gibt. Oder eben dass er unzugänglich ist.
Aber irgendwo muss doch hier ein Weg zu finden sein, etwas, das darauf
hindeutet, wo er seine eigentlichen Arbeiten verrichtet hat? Sollte ich Ibrahim
einfach so, für nichts geopfert haben? Ich meine, bitte nicht in der
Familiengruft, das wäre echt seltsam.
Im langsamen Nieselregen, der schon seit Minuten an Kraft verloren hat,
zünde ich mir eine Zigarette an. Ein tiefer Zug, und die Welt sieht gleich viel
besser aus. Irgendwann demnächst müsste die Sonne aufgehen. Wenn die
Wolkendecke nicht wäre, natürlich. Wobei ich bei dem Wetter schon immer Angst
vor einem Splittersturm hätte, aber gut, das ist seit Jahren nicht mehr
vorgekommen.
Erneutes Donnern. Ich stehe inmitten der Wiese und betrachte das Chaos vor
mir. Endlos viele Fäden, diverse Parteien. Und ich habe das Gefühl, wie eine
Maus ewig durch das Labyrinth zu rennen, nur um am Ende einen Stromstoß anstatt
von Käse zu bekommen.
Was war das?
Ich bin mir sicher, dass ich etwas gehört habe. Es klang bizarr genug, dass
es in dieser Umgebung auffallen musste, also kann es nur etwas von menschlicher
Quelle sein. Eine Stimme?
Da!
Schonwieder. Ein Aufkeuchen. Subtil, erschöpfend, genau am Rande der
Wahrnehmung. Es muss von irgendwo hier kommen. Ich bücke mich, kreuche über den
Fußboden. Selbst bei dieser Nässe muss jeder Zentimeter untersucht werden, wenn
ich den Ursprung finden will. Ich habe eine Vermutung, vielleicht sogar eine
Ahnung, aber ich bin mir noch nicht hundertprozentig sicher. Als ich die
Sträucher am Rande der Wiese, einige Meter weiter erreiche, wird es zur
Gewissheit.
Ein Heizungsrohr, ungefähr Fingerdick, inmitten der Sträucher verborgen, das
aus dem Erdreich herausguckt.
Der Mistkerl hat alles unter dem Anwesen direkt verborgen. Moment. Irgendetwas
knarzt laut. Vorsichtig krieche ich näher an den Busch und verberge mich, alle
Sinne auf die Umgebung gerichtet.