Der Raum vor mir scheint eine Art Besprechungszimmer oder Interview-Raum zu
sein. Nicht sehr groß, vielleicht vier mal fünf Meter. Eine schwarze Couch auf
der einen Seite, eine undurchsichtige Glaswand mir gegenüber, eine weitere Tür
die als Durchgang durch den Raum selbst dient. Ein kleiner Stelltisch an der
Seite und ein Drehstuhl hinter dem großen Couchtisch, der zwischen Glaswand und
Couch steht. Seltsame Aufmachung. Wobei mir die Gestaltung des Raumes irgendwie
bekannt vorkommt. Kann auch daran liegen, dass neben dem Couchtisch ein
Kamerastativ steht, wenngleich die Kamera da drauf fehlt. Also werden hier
vermutlich Interviews gemacht.
Mit ein paar Schritten bin ich an der nächsten Tür. Immerhin hatte die
Sekretärin gesagt, dass ich durchgehen darf. Ein einfacher Drehknauf, eine
dünne Holztür. Ob die Wände hier ebenso dünn sind? Als ich die Tür öffne, kommt
mir ein Schwall von warmer Luft entgegen, deutlich wärmer als noch im Vorraum.
Etwas undeutlich erkennbar, sitzt ein Mann am anderen Ende des Büros, in das
ich hier komme an einem offenen Fenster und raucht, während der Dampf eines von
außen hereinwehenden Geräts anscheinend die Umgebung verpestet.
Das Büro ist deutlich größer als man von außen erwarten würde, gut zehn
Meter breit alleine, sowie mehrere Meter in die Tiefe gehend. Der Fußboden
jedoch verrät, was für eine billige Absteige es ist, denn es bleibt weiterhin
Filz, anstatt in eine teureren Bezug über zu gehen. Gegenüber von der
Eingangstür, getrennt durch einen stabil wirkenden modernen Büroschreibtisch in
Elendsgrau mit Monitor und diversen Unterlagen und Bildern sitzt neben dem
alten Drehstuhl daneben auf der Fensterbank noch dahinter jemand, den ich
vermutlich als die Geschäftsführung vermuten sollte.
Ein kurzer Blick zu den Seiten verrät mir deutlich mehr über das Büro. Eine
einsame halbtote Grünpflanze steht auf einem Aktenschrank an der rechten Seite
des Raumes neben einer kleinen Sessel-Sofa-Kombination die sich deutlich mit
der Couch im Vorraum abwechseln könnte und werden durch einen kleinen
Kaffeetisch eingegrenzt, auf dem zwei benutzt Becher stehen und eine junge
Frau, die versucht, ihren Blick irgendwo anders als auf mich zu werfen. Auf der
anderen Seite steht ein Regal mit seltsam geformten Medaillen und Preisen,
Auszeichnungen und persönlichen Bildern. Leuten, die grinsend die Hände
schütteln, während die Kamera zuschaut. Eine veritable Sammlung von Haifischen,
wenn man genauer hinsieht.
Ich schließe die Tür hinter mir und schreite zu einem der Stühle vor dem
Schreibtisch, setze mich jedoch noch nicht hin. Mal gucken, wohin das Gespräch
hier geht. Der Mann am Fenster ist ein übergewichtiger, leicht untersetzter
Mann irgendwo in den Dreißigern, möglicherweise auf die Vierziger zugehend,
wenn man die Falten in seinem Gesicht deuten kann. Ein rundliches Gesicht, die
zurückgehende Haarlinie, das verbleibende schwarze Haar und der dichte
Schnurrbart rahmen ein sehr klischeehaft wirkendes Gesicht ein. Gleichwohl
blitzen die kleinen Augen mit einem scharfen Blitzen hervor, als er seine
Zigarre mit dem Mund gefasst im Mund lässt, sich vom Fenster abwendet und sich
mir zuwendet.
Ein kurzer Blick zur Seite, die junge Frau, ein enges Top, kurzer Rock und
leicht verschmierter Lippenstift, die kurzen Haare in einem wilden Pink
gefärbt, dass es einem entgegen schreit. Die Art und Weise in der sie verschämt
wegguckt, als ich rüber blicke, spricht Bände über die Dinge, die hier
vermutlich vorgefallen sind. Ein junges Licht auf dem Weg zum großen Star, eh?
Eine schmutzige Karriereleiter, wenn ich jemals eine gesehen habe.
Ich wende mich dem Herrn zu. Er beugt sich über den Schreibtisch, hält mir
eine Hand hin. Ich greife danach. Will sie schütteln. Als er sie zu packen
bekommt zerrt er plötzlich an mir, ich werde unsanft nach vorne gezogen und er
qualmt mir den kompletten Zigarrenrauch ins Gesicht. Ich kann nicht umhin, kurz
zu husten, meine Augen brennen leicht. Arschloch! Er grinst dabei noch, als ich
mir Tränen aus den Augen wische.
Herr - Sie sind Zeichner, eh? Setzen sie sich. Was kann ich für sie tun?
Zeichner - Ja. Ich komme *koff* wegen eines Klienten. *hust*
Natürlich mache ich keinerlei Anstalten, mich zu setzen. Wie sollte ich
auch? Mir Höflichkeit nach einer solchen Masche anzubieten, der Mistkerl will
hier ein Dominanz-Spielchen draus machen. Wegen der jungen Frau an der Seite
oder weil er meint, dass er sich so besser vor eventuellen Fingerzeigen
schützen kann?
Herr - Und?
Zeichner - Naja, Mister...?
Ich lasse die Frage im Raum stehen. Auch wenn es sich so ausmacht, dass er
dadurch vermuten könnte, dass ich vielleicht nicht von dem angeblichen Klienten
komme, so bleibt mir im Gespräch wenig Wahl, um ihn zu packen, brauche ich so
schnell es geht seinen Namen. Andererseits, es ist im Nachhinein ja immer nur
eine Rechtfertigung, wenn meine Zunge mal schneller als mein Geist dabei ist.
Ich muss wieder anfangen meine Worte mit Bedacht zu wählen.
Herr - Matthews. Conrad Matthews, Eigentümer und Besitzer von Spritzer
Entertainment.
Zeichner - Nun, Mister Matthews, es geht, wie ich schon ihrer Sekretärin
versuchte zu erklären, um eine Sache mit meinem Klienten, Herrn von Altenstamm.
Er guckt kurz an mir vorbei, wohl Richtung der Sitzecke. Ich kann selbst
ohne Augen im Hinterkopf die Angst des Mädchens hören, das offensichtliche
Schlucken, das ihr im Halse stecken bleibt.
Matthews - Candy, Mädchen, geh rüber und mach dich frisch, wir reden weiter
sobald der Herr gegangen ist.
Ich kann hören wie sie von der Couch aufsteht, die Zimmertür sich öffnet und
schließt. Derweil lässt Matthews sich in seinen Drehstuhl fallen, der Mühe hat,
ihn dabei aufzufangen. Er knarzt bedenklich, dabei ist der Mann nicht extrem
übergewichtig. Vermutlich ist der Stuhl zu alt. Von draußen weht immer noch ein
leichter weißer Dunst herein, der die Sicht leicht trüben würde, wenn er
massiver aufkommen sollte. Ab und zu kann man einen Teil des Straßenlärms
vernehmen, hupende Autos und ein paar Sirenen die sich hier und da durch den
Tag jagen. Mir wird bewusst, dass ich seit Stunden noch nichts gegessen habe,
das letzte war heute Morgen vor meiner Entlassung der ekelerregende
Krankenhausfraß, den sie einem immer als nahrhaft und gesund verkaufen wollen.
Ich kann nur hoffen, dass mein Magen nicht plötzlich sich zu melden beginnt.
Matthews - Miss Avner erwähnte etwas Wichtiges? Hat Altenstamm ihnen den
Briefumschlag mitgegeben?
Briefumschlag. Erwartet er Anweisungen? Geld? Wenn es Geld ist, ist es
Schweigegeld oder bezahlt ihn der Mann für eine Dienstleistung? Oder noch mehr,
für vorhergehende Dienste? Erwartet er einen Kurier? Ich muss mehr aus ihm
herauslocken.
Zeichner - Nein. Es geht um Tatianna. Es gab einen...Zwischenfall.
Er seufzt laut auf. Greift zu einer Schublade, holt einen kleinen
Zigarrenkasten heraus. Hält mir eine hin.
Matthews - Zigarre?
Zeichner - Danke Nein, ich bevorzuge normale Zigaretten.
Er grunzt, wühlt in einer Hemdtasche und gibt mir dann eine Schachtel
"Dark Taste". Eine ehemalige Marke aus dem letzten Jahrtausend. Ihre
Produktion wurde eingestellt, weil der Markt angeblich nicht positiv auf ihre
Einführung mit einem solchen Namen reagiert hätte. Ich greife die Schachtel,
ziehe eine heraus, mit einem von ihm gegebenen Feuerzug zünde ich sie an.
Zeichner - Danke.
Matthews - Keine Ursache. Zwischenfall, eh?
Er fährt sich durch das verbliebene Haupthaar, zerstreut schaut er durch das
Büro, greift dann zu ein paar Unterlagen auf dem Tisch, schiebt diese beiseite
und offenbart eine kleine Box mit Visitenkarten, die er durchgreift. Er holt
eine heraus. Hält sie mir hin.
Matthews - Hier ist die Adresse von Fouquíer. Sagen sie ihm, er diesmal
etwas aufpassen, ich hatte schon vermutet, dass nach der Behandlung mit ihr
irgendwas nicht richtig war.
Ich nehme die Visitenkarte entgegen. Die Adresse ist in White Springs, einem
kleinem Vorort entlang der Küste nördlich der Stadt. Eine Fahrt von mindestens
einer Stunde von hier aus. Außer dem Namen und der Adresse ist auf der weißen
Visitenkarte sonst nichts verzeichnet. Keine Telefonnummer, kein
Ansprechpartner, keine eMail. Nichts. Ich stecke sie ein. Warte noch einen
Moment. Erwartet er, dass ich jetzt schon wieder abhaue?
Er guckt mich etwas entnervt an.
Matthews - Worauf warten sie noch? Sie werden nicht fürs stehen bezahlt!
Sein Ton ist schroff geworden. Er ist es gewohnt, Befehle zu geben. Er
schaut mich an. Verdächtigt er mich bereits? Ich grinse kurz, schüttele die
Schultern, drehe mich um, gehe Richtung Tür.
Matthews - Und sagen sie ihm, dass er nicht so rau mit ihnen sein soll. Wir
haben nicht so viele davon, dass er sie immer so behandeln kann.
Ich winke über die Schulter zuckend ab, öffne die Tür und gehe raus. Auf dem
Weg die Treppe hinunter muss ich über das nachdenken, was er offenbart
hat.
Seine Worte lassen mich verwundern. Sie haben nicht so viele? Geht es hier
nicht um eine einzige Person? Oder ist Tatianna nur ein Codename für eine Art
von Person? Wer ist Fouquíer und was verbirgt sich in White Springs? Meines
Wissens nach ist es ein verschlafenes kleines Fischerstädtchen, das in den
letzten Jahren immer mehr den Anschluss an die Stadt bekommen hat, seitdem sich
der Moloch angefangen hat auszubreiten. Angeblich soll der Stadtrat schon seit
Jahren dafür Lobby-Arbeit betreiben, die Kommune zu schlucken. Und warum geht
Matthews davon aus, dass sowas passieren konnte? Das was genau passieren
konnte? Was machte man in White Springs mit ihr? Oder Ihnen? Als ich unten
angekommen bin und die Tür aufmache, höre ich ein seltsame auf quietschen.
Einen Spalt weiter, und wer auch immer vor der Tür stand wäre herunter
gefallen, auf eine ziemlich unsanfte Art und Weise. Ich dränge mich durch die
Tür soweit es gerade geht, ohne dabei das kaputte Geländer zu nutzen, und
bemerke, als ich draußen bin, dass die als "Candy" angesprochene
junge Dame draußen steht, Zigarette in Mund, zitternd wie ein Stapel Espenlaub
im Winde. Sie guckt mich an. Das verschmierte Make-Up unter ihren Augen lässt
mich vermuten, dass sie geweint hat. Sie guckt mich etwas erschrocken an. Hat
sie sich nicht denken können, dass hier jemand runter kommt? Als ich mich
gerade umdrehen will, höre ich so etwas wie ein kleines Fiepen aus ihrer
Richtung. Drehe mich um. Über ihr stößt eine Klimaanlage gerade etwas Dampf
aus, der die gesamte Umgebung in einen leichten weißlichen Dunst einhüllt.
Candy - Hey Mister.
Ich schaue sie an. Es ist schwierig einzuordnen, sie wirkt so verbraucht wie
jemand, der seit Jahren auf den Straßen umher wandelt, obwohl sie von ihrer
Figur und dem Äußerlichen vermutlich die Zwanzig noch nicht überschritten hat.
Hartes Leben.
Zeichner - Hmm?
Ich gebe mich betont cool. Es ist eine nutzlose Geste, verschwendet sogar,
aber ich kann nicht anders, als es hier heraushängen zu lassen.
Candy - Sie sind kein Kunde, oder?
Zeichner -Ich wüsste nicht, was dich das angeht.
Candy - Ich hab sie im Fernsehen gesehen.
Eine kleine Alarmsirene. Je nachdem, wie sich der Dialog entwickelt. Ich
muss abtasten, was sie weiß.
Zeichner - Glaube ich kaum. Allerweltsgesicht. Wirst mich vermutlich
verwechseln.
Sie zuckt mit den Schultern, mir wird fast schmerzlich bewusst, wie dürr sie
sein muss, dass ihre Schulterblätter gut erkennen kann.
Candy - Keine Sorge, ich hab auch schon überlegt zu springen. Ich weiß wie
das ist.
Natürlich. In meiner ersten Nacht sagte Frau Schwarz, dass ich in den
Nachrichten wäre. Vermutlich hat irgendwer eine halbwegs sinnvolle Beschreibung
abgegeben. Meine fünfzehn Minuten. Fuck.
Zeichner - Und?
Candy - Sie fahren zu ihm, oder? Zu Fouquír.
Zeichner - Was wenn?
Candy - Von mir aus könnten sie dem Schlächter eine Kugel in den Kopf jagen.
Aber. Egal. Einfach nur, wenn, wenn sie...bringen sie niemanden dahin, ok? Ich
hab sie und Conrad über ein Mädchen sprechen gehört. Sie wollen sie nicht zu
Fouquír bringen. Glauben sie mir.
Interessant. Ist es nur die Gerüchteküche oder weiß sie wirklich mehr? Ich
kann die Chance nicht ungenutzt lassen.
Zeichner - Warum nicht?
Candy - Weil er ein Schlächter ist, kein Chirurg. Ernsthaft. Ich hab einen
Freund, einen Bekannten hier in der Stadt, an den Docks, James Torn. Er ist
ehemaliger Arzt aber tausend Mal besser als der Amateur in White Springs. Zu
mindestens kommt man bei Torn noch gesund und halbwegs heil wieder heraus. Ich
hab gesehen was Fouquíer mit manchen Mädchen gemacht hat. Es...war nicht schön,
OK?!
Zeichner - Ok. Danke für den Tipp. Ich werde drüber nachdenken.
Ich tippe mir an die Stirn, stupse den Zigaretten-Stummel beiseite und mache
mich auf den Weg zu Ibrahims Taxi. Als ich einsteige kann ich sehen, wie sie
mir winkt, und dann die Treppe hoch verschwindet.
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