20140416

Fall 1 - XXVI

Der Raum vor mir scheint eine Art Besprechungszimmer oder Interview-Raum zu sein. Nicht sehr groß, vielleicht vier mal fünf Meter. Eine schwarze Couch auf der einen Seite, eine undurchsichtige Glaswand mir gegenüber, eine weitere Tür die als Durchgang durch den Raum selbst dient. Ein kleiner Stelltisch an der Seite und ein Drehstuhl hinter dem großen Couchtisch, der zwischen Glaswand und Couch steht. Seltsame Aufmachung. Wobei mir die Gestaltung des Raumes irgendwie bekannt vorkommt. Kann auch daran liegen, dass neben dem Couchtisch ein Kamerastativ steht, wenngleich die Kamera da drauf fehlt. Also werden hier vermutlich Interviews gemacht.

Mit ein paar Schritten bin ich an der nächsten Tür. Immerhin hatte die Sekretärin gesagt, dass ich durchgehen darf. Ein einfacher Drehknauf, eine dünne Holztür. Ob die Wände hier ebenso dünn sind? Als ich die Tür öffne, kommt mir ein Schwall von warmer Luft entgegen, deutlich wärmer als noch im Vorraum. Etwas undeutlich erkennbar, sitzt ein Mann am anderen Ende des Büros, in das ich hier komme an einem offenen Fenster und raucht, während der Dampf eines von außen hereinwehenden Geräts anscheinend die Umgebung verpestet.

Das Büro ist deutlich größer als man von außen erwarten würde, gut zehn Meter breit alleine, sowie mehrere Meter in die Tiefe gehend. Der Fußboden jedoch verrät, was für eine billige Absteige es ist, denn es bleibt weiterhin Filz, anstatt in eine teureren Bezug über zu gehen. Gegenüber von der Eingangstür, getrennt durch einen stabil wirkenden modernen Büroschreibtisch in Elendsgrau mit Monitor und diversen Unterlagen und Bildern sitzt neben dem alten Drehstuhl daneben auf der Fensterbank noch dahinter jemand, den ich vermutlich als die Geschäftsführung vermuten sollte.

Ein kurzer Blick zu den Seiten verrät mir deutlich mehr über das Büro. Eine einsame halbtote Grünpflanze steht auf einem Aktenschrank an der rechten Seite des Raumes neben einer kleinen Sessel-Sofa-Kombination die sich deutlich mit der Couch im Vorraum abwechseln könnte und werden durch einen kleinen Kaffeetisch eingegrenzt, auf dem zwei benutzt Becher stehen und eine junge Frau, die versucht, ihren Blick irgendwo anders als auf mich zu werfen. Auf der anderen Seite steht ein Regal mit seltsam geformten Medaillen und Preisen, Auszeichnungen und persönlichen Bildern. Leuten, die grinsend die Hände schütteln, während die Kamera zuschaut. Eine veritable Sammlung von Haifischen, wenn man genauer hinsieht.

Ich schließe die Tür hinter mir und schreite zu einem der Stühle vor dem Schreibtisch, setze mich jedoch noch nicht hin. Mal gucken, wohin das Gespräch hier geht. Der Mann am Fenster ist ein übergewichtiger, leicht untersetzter Mann irgendwo in den Dreißigern, möglicherweise auf die Vierziger zugehend, wenn man die Falten in seinem Gesicht deuten kann. Ein rundliches Gesicht, die zurückgehende Haarlinie, das verbleibende schwarze Haar und der dichte Schnurrbart rahmen ein sehr klischeehaft wirkendes Gesicht ein. Gleichwohl blitzen die kleinen Augen mit einem scharfen Blitzen hervor, als er seine Zigarre mit dem Mund gefasst im Mund lässt, sich vom Fenster abwendet und sich mir zuwendet.

Ein kurzer Blick zur Seite, die junge Frau, ein enges Top, kurzer Rock und leicht verschmierter Lippenstift, die kurzen Haare in einem wilden Pink gefärbt, dass es einem entgegen schreit. Die Art und Weise in der sie verschämt wegguckt, als ich rüber blicke, spricht Bände über die Dinge, die hier vermutlich vorgefallen sind. Ein junges Licht auf dem Weg zum großen Star, eh? Eine schmutzige Karriereleiter, wenn ich jemals eine gesehen habe.

Ich wende mich dem Herrn zu. Er beugt sich über den Schreibtisch, hält mir eine Hand hin. Ich greife danach. Will sie schütteln. Als er sie zu packen bekommt zerrt er plötzlich an mir, ich werde unsanft nach vorne gezogen und er qualmt mir den kompletten Zigarrenrauch ins Gesicht. Ich kann nicht umhin, kurz zu husten, meine Augen brennen leicht. Arschloch! Er grinst dabei noch, als ich mir Tränen aus den Augen wische.

Herr - Sie sind Zeichner, eh? Setzen sie sich. Was kann ich für sie tun?

Zeichner - Ja. Ich komme *koff* wegen eines Klienten. *hust*

Natürlich mache ich keinerlei Anstalten, mich zu setzen. Wie sollte ich auch? Mir Höflichkeit nach einer solchen Masche anzubieten, der Mistkerl will hier ein Dominanz-Spielchen draus machen. Wegen der jungen Frau an der Seite oder weil er meint, dass er sich so besser vor eventuellen Fingerzeigen schützen kann?

Herr - Und?

Zeichner - Naja, Mister...?

Ich lasse die Frage im Raum stehen. Auch wenn es sich so ausmacht, dass er dadurch vermuten könnte, dass ich vielleicht nicht von dem angeblichen Klienten komme, so bleibt mir im Gespräch wenig Wahl, um ihn zu packen, brauche ich so schnell es geht seinen Namen. Andererseits, es ist im Nachhinein ja immer nur eine Rechtfertigung, wenn meine Zunge mal schneller als mein Geist dabei ist. Ich muss wieder anfangen meine Worte mit Bedacht zu wählen.

Herr - Matthews. Conrad Matthews, Eigentümer und Besitzer von Spritzer Entertainment.

Zeichner - Nun, Mister Matthews, es geht, wie ich schon ihrer Sekretärin versuchte zu erklären, um eine Sache mit meinem Klienten, Herrn von Altenstamm.

Er guckt kurz an mir vorbei, wohl Richtung der Sitzecke. Ich kann selbst ohne Augen im Hinterkopf die Angst des Mädchens hören, das offensichtliche Schlucken, das ihr im Halse stecken bleibt.

Matthews - Candy, Mädchen, geh rüber und mach dich frisch, wir reden weiter sobald der Herr gegangen ist.

Ich kann hören wie sie von der Couch aufsteht, die Zimmertür sich öffnet und schließt. Derweil lässt Matthews sich in seinen Drehstuhl fallen, der Mühe hat, ihn dabei aufzufangen. Er knarzt bedenklich, dabei ist der Mann nicht extrem übergewichtig. Vermutlich ist der Stuhl zu alt. Von draußen weht immer noch ein leichter weißer Dunst herein, der die Sicht leicht trüben würde, wenn er massiver aufkommen sollte. Ab und zu kann man einen Teil des Straßenlärms vernehmen, hupende Autos und ein paar Sirenen die sich hier und da durch den Tag jagen. Mir wird bewusst, dass ich seit Stunden noch nichts gegessen habe, das letzte war heute Morgen vor meiner Entlassung der ekelerregende Krankenhausfraß, den sie einem immer als nahrhaft und gesund verkaufen wollen. Ich kann nur hoffen, dass mein Magen nicht plötzlich sich zu melden beginnt.

Matthews - Miss Avner erwähnte etwas Wichtiges? Hat Altenstamm ihnen den Briefumschlag mitgegeben?

Briefumschlag. Erwartet er Anweisungen? Geld? Wenn es Geld ist, ist es Schweigegeld oder bezahlt ihn der Mann für eine Dienstleistung? Oder noch mehr, für vorhergehende Dienste? Erwartet er einen Kurier? Ich muss mehr aus ihm herauslocken.

Zeichner - Nein. Es geht um Tatianna. Es gab einen...Zwischenfall.

Er seufzt laut auf. Greift zu einer Schublade, holt einen kleinen Zigarrenkasten heraus. Hält mir eine hin.

Matthews - Zigarre?

Zeichner - Danke Nein, ich bevorzuge normale Zigaretten.

Er grunzt, wühlt in einer Hemdtasche und gibt mir dann eine Schachtel "Dark Taste". Eine ehemalige Marke aus dem letzten Jahrtausend. Ihre Produktion wurde eingestellt, weil der Markt angeblich nicht positiv auf ihre Einführung mit einem solchen Namen reagiert hätte. Ich greife die Schachtel, ziehe eine heraus, mit einem von ihm gegebenen Feuerzug zünde ich sie an.

Zeichner - Danke.

Matthews - Keine Ursache. Zwischenfall, eh? 

Er fährt sich durch das verbliebene Haupthaar, zerstreut schaut er durch das Büro, greift dann zu ein paar Unterlagen auf dem Tisch, schiebt diese beiseite und offenbart eine kleine Box mit Visitenkarten, die er durchgreift. Er holt eine heraus. Hält sie mir hin.

Matthews - Hier ist die Adresse von Fouquíer. Sagen sie ihm, er diesmal etwas aufpassen, ich hatte schon vermutet, dass nach der Behandlung mit ihr irgendwas nicht richtig war.

Ich nehme die Visitenkarte entgegen. Die Adresse ist in White Springs, einem kleinem Vorort entlang der Küste nördlich der Stadt. Eine Fahrt von mindestens einer Stunde von hier aus. Außer dem Namen und der Adresse ist auf der weißen Visitenkarte sonst nichts verzeichnet. Keine Telefonnummer, kein Ansprechpartner, keine eMail. Nichts. Ich stecke sie ein. Warte noch einen Moment. Erwartet er, dass ich jetzt schon wieder abhaue?

Er guckt mich etwas entnervt an.

Matthews - Worauf warten sie noch? Sie werden nicht fürs stehen bezahlt!

Sein Ton ist schroff geworden. Er ist es gewohnt, Befehle zu geben. Er schaut mich an. Verdächtigt er mich bereits? Ich grinse kurz, schüttele die Schultern, drehe mich um, gehe Richtung Tür.

Matthews - Und sagen sie ihm, dass er nicht so rau mit ihnen sein soll. Wir haben nicht so viele davon, dass er sie immer so behandeln kann.

Ich winke über die Schulter zuckend ab, öffne die Tür und gehe raus. Auf dem Weg die Treppe hinunter muss ich über das nachdenken, was er offenbart hat. 

Seine Worte lassen mich verwundern. Sie haben nicht so viele? Geht es hier nicht um eine einzige Person? Oder ist Tatianna nur ein Codename für eine Art von Person? Wer ist Fouquíer und was verbirgt sich in White Springs? Meines Wissens nach ist es ein verschlafenes kleines Fischerstädtchen, das in den letzten Jahren immer mehr den Anschluss an die Stadt bekommen hat, seitdem sich der Moloch angefangen hat auszubreiten. Angeblich soll der Stadtrat schon seit Jahren dafür Lobby-Arbeit betreiben, die Kommune zu schlucken. Und warum geht Matthews davon aus, dass sowas passieren konnte? Das was genau passieren konnte? Was machte man in White Springs mit ihr? Oder Ihnen? Als ich unten angekommen bin und die Tür aufmache, höre ich ein seltsame auf quietschen.

Einen Spalt weiter, und wer auch immer vor der Tür stand wäre herunter gefallen, auf eine ziemlich unsanfte Art und Weise. Ich dränge mich durch die Tür soweit es gerade geht, ohne dabei das kaputte Geländer zu nutzen, und bemerke, als ich draußen bin, dass die als "Candy" angesprochene junge Dame draußen steht, Zigarette in Mund, zitternd wie ein Stapel Espenlaub im Winde. Sie guckt mich an. Das verschmierte Make-Up unter ihren Augen lässt mich vermuten, dass sie geweint hat. Sie guckt mich etwas erschrocken an. Hat sie sich nicht denken können, dass hier jemand runter kommt? Als ich mich gerade umdrehen will, höre ich so etwas wie ein kleines Fiepen aus ihrer Richtung. Drehe mich um. Über ihr stößt eine Klimaanlage gerade etwas Dampf aus, der die gesamte Umgebung in einen leichten weißlichen Dunst einhüllt.

Candy - Hey Mister.

Ich schaue sie an. Es ist schwierig einzuordnen, sie wirkt so verbraucht wie jemand, der seit Jahren auf den Straßen umher wandelt, obwohl sie von ihrer Figur und dem Äußerlichen vermutlich die Zwanzig noch nicht überschritten hat. Hartes Leben.

Zeichner - Hmm?

Ich gebe mich betont cool. Es ist eine nutzlose Geste, verschwendet sogar, aber ich kann nicht anders, als es hier heraushängen zu lassen.

Candy - Sie sind kein Kunde, oder?

Zeichner -Ich wüsste nicht, was dich das angeht.

Candy - Ich hab sie im Fernsehen gesehen.

Eine kleine Alarmsirene. Je nachdem, wie sich der Dialog entwickelt. Ich muss abtasten, was sie weiß.

Zeichner - Glaube ich kaum. Allerweltsgesicht. Wirst mich vermutlich verwechseln.

Sie zuckt mit den Schultern, mir wird fast schmerzlich bewusst, wie dürr sie sein muss, dass ihre Schulterblätter gut erkennen kann.

Candy - Keine Sorge, ich hab auch schon überlegt zu springen. Ich weiß wie das ist.

Natürlich. In meiner ersten Nacht sagte Frau Schwarz, dass ich in den Nachrichten wäre. Vermutlich hat irgendwer eine halbwegs sinnvolle Beschreibung abgegeben. Meine fünfzehn Minuten. Fuck.

Zeichner - Und?

Candy - Sie fahren zu ihm, oder? Zu Fouquír.

Zeichner - Was wenn?

Candy - Von mir aus könnten sie dem Schlächter eine Kugel in den Kopf jagen. Aber. Egal. Einfach nur, wenn, wenn sie...bringen sie niemanden dahin, ok? Ich hab sie und Conrad über ein Mädchen sprechen gehört. Sie wollen sie nicht zu Fouquír bringen. Glauben sie mir.

Interessant. Ist es nur die Gerüchteküche oder weiß sie wirklich mehr? Ich kann die Chance nicht ungenutzt lassen.

Zeichner - Warum nicht?

Candy - Weil er ein Schlächter ist, kein Chirurg. Ernsthaft. Ich hab einen Freund, einen Bekannten hier in der Stadt, an den Docks, James Torn. Er ist ehemaliger Arzt aber tausend Mal besser als der Amateur in White Springs. Zu mindestens kommt man bei Torn noch gesund und halbwegs heil wieder heraus. Ich hab gesehen was Fouquíer mit manchen Mädchen gemacht hat. Es...war nicht schön, OK?!

Zeichner - Ok. Danke für den Tipp. Ich werde drüber nachdenken.

Ich tippe mir an die Stirn, stupse den Zigaretten-Stummel beiseite und mache mich auf den Weg zu Ibrahims Taxi. Als ich einsteige kann ich sehen, wie sie mir winkt, und dann die Treppe hoch verschwindet.

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