Als ich die Schritte den Flur entlang
mache, streift mein Blick über die verschiedenen Wohnungstüren. Niemand von
ihnen hat es bemerkt. Und selbst wenn sie es bemerkt hätten, wird keiner von
ihnen die Polizei rufen. Denn sie würde nicht her kommen. Dies ist ein Viertel,
wo die Leute ihre Probleme selbst lösen müssen. Unter meinen Füßen knirscht der
Fußboden. An der Treppe angekommen, drehe ich mich noch einmal um, und bemerkte
den Türspion, den ich bis vorhin zugehalten hatte. Es ist nicht mehr wichtig.
Die Treppe hinunter in das Erdgeschoß.
Bei
der letzten Stufe kann ich ein Klingeln vernehmen. Etwas in meinem Mantel ist
am vibrieren. Bleibe verwirrt stehen. Natürlich. Das Mobiltelefon. Der
Klingelton erinnert an einen stetig brummenden Trafo. Es klingt abscheulich.
Nehme es heraus, klappe es hoch und drücke auf Anrufannahme. Auf dem Bildschirm
steht als Anrufer "Unbekannt". Kann aber auch nur einer sein, der die
Nummer bekannter weise kennen sollte. Ich nehme den Anruf entgegen.
Anrufer
- Guten Tag. Dies ist ihre Kontozentrale. Möchten sie ihre Kontenabrechnung?
Es
wirkt unglaublich perplex, dass Rieé anscheinend glaubt, dass so eine
Seltsamkeit etwas Notwendiges im modernen Alltag ist. Wie war nochmal die
Gegenphrase?
Zeichner
- Ähhh...Nein.
Stille.
Anrufer
- Weil?
Zeichner
- Achso. Das Konto wurde noch nicht abgezogen. Richtig?
Anrufer
- Ich verbinde.
Es
knackt für ein paar Momente in der Leitung und ich kann Geräusche hören, wie
ich sie sonst nur von einem Faxgerät oder einem alten 56k-Modem erwarten würde.
Dann Stille, unterbrochen von einer Stimme.
Rieé
- Herr Zeichner.
Das
Telefon am Ohr, habe ich derweil den Erdgeschoß-Flur durchwandert, und trete
durch die Haustür ins Freie.
Zeichner
- Mr Rieé.
Rieé
- Welche Kenntnisse haben sie bisher gewonnen?
Zeichner
- Wenige. Eine minutiöse Überwachung tut unserer Beziehung nicht gut.
Rieé
- Unerheblich. Was haben sie in der Kipling Street gefunden?
Dieser
Mistkerl! Ich habe ja schon gedacht, dass er meine Schritte überwachen würde,
aber das ist ja, als ob ich ein Hund mit zu kurz geratener Leine bin. Was
glaubt er, was ich in so kurzer Zeit herausgefunden habe? Das ist hier kein
Kinofilm, wo die gesamte Handlung in weniger als zwei Stunden herauskommt. Das
hier ist die Realität!
Zeichner
- Die Wohnung wurde geplündert und ausgeräumt. Sowohl Rassila mitsamt
Handlangern als auch unbekannte weitere Parteien haben Interesse an ihr
gezeigt. Eine davon war ein älterer Herr in schwerem Mantel. Ich gehe davon
aus, dass er die Anwohner einer anderen Wohnung umgebracht und dort gelauert
hat.
Rieé
- Haben sie eine genauere Beschreibung?
Zeichner
- Ein alter Mann mit Filzhut und breitem, dunklen Mantel, hart geschnittenes
graues Haar, soweit es durch den Hut sichtbar ist.
Rieé
- Also
gut. Sie sprachen von mehreren anderen Parteien.
Zeichner
- Laut einem Anwohner ist, kurz nachdem die Meldung über Mokhov auf den Sendern
lief, eine Frau in auffälligem Kostüm in die Wohnung gegangen.
Inzwischen
habe ich trotz meines langsamen Tempos das Taxi erreicht. Ibrahim steht immer
noch da und wartet. Von draußen kann ich Gedudel aus seinem Radio vernehmen,
irgendetwas seltsam Gesangs-artiges.
Rieé
- Und konnten sie in Erfahrung bringen wer diese Frau ist?
Zeichner
- Da bin ich gerade bei. Kann ich ihnen sonst noch weiterhelfen?
Die
Taxi-Tür offen, beuge ich mich auf den Sitz hinunter und schlüpfe auf die
Rückbank, knalle hinter mir unsanft die Tür zu. Ibrahim, der bis eben noch
halb-euphorisch der Musik lauschte, guckt mich an, dreht mit einer Hand die
Musik weg. Ich wedel mit der Hand nach vorne, und er startet den Motor.
Rieé
- Was werden ihre nächsten Schritte sein, Herr Zeichner?
Im
Hintergrund fahren wir an und bewegen uns in rasantem Tempo von der Kipling
Street weg, auf die 212te, Ecke Thomson.
Zeichner
- Ich werde einige Quellen hinsichtlich dieser Frau aufsuchen und befragen und
hoffentlich bald mehr wissen.
Er
lässt sich mit seinem nächsten Satz Zeit.
Rieé
- Hmmm.
Zeichner
- Wenn ich mich dann jetzt wieder anderen Dingen widmen dürfte?
Rieé
- Forsch, Zeichner. Geradezu rüpelhaft. Aber sei es drum. Eines noch.
Ich
stöhne innerlich. Was will er denn noch?
Rieé
- Mir wurde zugetragen, dass Rassila vor einigen Monaten eine Schiffsladung von
Frauen für Etablissements in Minerstown bekommen hat.
Zeichner
- Eine Schiffsladung? Als Metapher oder im wortwörtlichen
Rieé
- Im wortwörtlichen Sinne. Junge Frauen aus Europa und Afrika, die über einen
von ihm betriebenen Menschenhändler-Ring von hier aus in die Prostitution
gezwungen oder weiterverkauft werden.
Zeichner
- Sie vermuten, dass Tatianna dabei war?
Rieé
- Es ist ihre Aufgabe, das herauszufinden. Einen angenehmen Tag, Herr Zeichner.
Als
er auflegt, brausen wir bereits über die städtische Hochstraße dahin.
Ibrahim
- Wohin?
Zeichner
- Hudson Drive, Mickey´s Irish Pub.
Ibrahim
- Ich kennen. Dauert Weile, ist schwer Verkehr heute.
Das
Telefon klingelt schon wieder. Leicht entnervt nehme ich es raus, drücke auf
Annahme.
Zeichner
- Mister Rieé, was denn noch?
Anrufer
- Guten Tag, Herr Zeichner.
Die Stimme
ist metallisch, blechern, fremdartig. Ich habe sie schon mal irgendwo gehört.
Ob sie Rieé gehört? Oder einer anderen Person?
Zeichner
- Wer sind sie? Dies ist eine private Nummer.
Anrufer
- Es ist gut, zu hören, dass sie Rassilas Kugel überlebt haben.
Zeichner
- Und was hat das mit ihnen zu tun?
Anrufer
- Ich kann ihnen helfen, Zeichner. Sie müssen mir nur vertrauen.
Zeichner
- Der alte Faustsche Deal? Wo muss ich mit meinem Blut unterzeichnen? Davon ab,
ich weiß nicht wer sie sind. Warum sollten sie mir helfen wollen? Woher weiß
ich nicht, dass sie zu den Leuten gehören, die mir eine Kugel rein gejagt
haben?
Anrufer
- Wir haben schon einmal telefoniert. In Rieés Anwesen. Dort haben sie meinen Hinweis
ignoriert und Rieé und seinem Neffen in die Hände gespielt.
Ich
erinnere mich dunkel. Der Anrufer, der behauptete, dass Smetnik von Anfang an
die Show geplant hatte.
Anrufer
- Aber ich werde ihnen trotz ihres Misstrauens helfen. Viele Chancen haben sie
nicht mehr.
Zeichner
- Sprechen Sie.
Als jemand der gerade erst wieder angefangen hat zu lesen: Gibt es einen Blogpost, in dem du das Konzept und die Idee deiner Geschichte erläuterst?
AntwortenLöschenBisher noch nicht. Aber wo du es erwähnst, vielleicht wäre es sinnvoll.
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