20140413

Fall 1 - XXV

Undeutliche Bilder ziehen vor meinem inneren Auge vorüber. Meine Sitzposition ist unbequem, leicht liegend, leicht sitzen auf der Rückbank von Ibrahims Taxi. Die Umgebung ist schon vor langem so verschwommen, dass ich in einen halben Dämmerschlaf gefallen sein muss.

Ibrahim -  Wir sind da.

Am dichten Mittagsverkehr vorbei biegt Ibrahim in eine Seitengasse ein, stellt sich unter einem Oberstock-Überhang und macht den Motor aus. Es dauert einen Moment, ehe ich meine Sinne wieder klar beisammen habe. Als ich den Kopf einigermaßen frei habe, schüttelt es mich kurz, als würde ein eiskalter Hauch meinen Nacken streifen. Ich schaue mich um.

Wir befinden uns in einem Hinterhof, der nur durch die Seitengasse erreichbar ist, eingepfercht zwischen deutlich größeren Gebäuden. Neben ein paar Hintertüren und einigen Müllcontainern, dampft hier hauptsächlich ein leichter weißlicher Dampf aus verschiedenen Rohren und Lüftungsabzügen.

Als  ich aussteige, kann ich den Hinterhof erst vollständig überblicken. Nur kleine Seitentreppen führen zu den verschiedenen Hintereingängen, und vereinzelt kann ich junge Angestellte erblicken, die kurz hinaus huschen, um etwas in den Müllcontainer zu werfen und dann schnell wieder drinnen zu verschwinden.

Der Eingang jedoch, den ich suche, verbirgt sich unscheinbar circa einen Meter über dem Erdboden durch eine kleine steinerne Treppe, von der das Geländer gebrochen ist, erreichbar hinter einigen größeren Lüftungsmaschinen. Nur das einfache Schild über der Tür macht deutlich, dass ich mein Ziel erreicht habe. Die Eingangstür, sofern es denn eine solche ist, ist wirkt massiv und von außen einfarbig grau, mit einem steinernen Look, der sie fast in der Wand verschwinden lässt, während das Eingangsschild über der Tür selbst einfach nur weiß mit schwarzem Schriftzug darstellt. 

Ein Wort ist darauf abzulesen. Spritzer. Als dazugehöriges Symbol ist anstelle des I im Wort ein paar nach oben gehende kleine Blasen zu erkennen, die wohl die entsprechenden Spritzer darstellen sollen. Miserables Wortspiel, aber was man nicht tut für den Wiedererkennungseffekt, eh?

Als ich die Treppe hochsteige, muss ich mich im ersten Moment davor hüten, nicht intuitiv nach dem Geländer zu greifen, das halbgebrochen an der Seite steht und schon auf leichtesten Druck nachzugeben beginnt. Die Tür selbst ist nicht abgeschlossen, sehr massiv, als sie aufschwingt und sorgt dafür, dass ich von der kleinen Treppe wieder runter muss, um sie überhaupt aufzubekommen.

Der Blick nach innen gibt eine recht schmale Treppe frei, die sich nach mehreren Metern um die Ecke schlängelt. Die Treppenstufen sind rau und anscheinend auf diversen Ebenen mit Flecken versehen. An den Wänden, die nur schlecht beleuchtet dafür sorgen, dass man hier "gefahrlos" hochkommt, kleben alte Banner und Filmplakate von Filmen. Erotikfilmen natürlich. Es kommt nicht umhin, dass ich beim Besteigen der Treppe auf ein paar hängen bleibe.

Als ich oben ankomme, komme ich an eine offen stehende Glastür, durchsichtig, mit einem Alu-Rahmen, nur zum Drücken anscheinend, aber unerheblich, denn sie steht ja offen. Sie eröffnet den Blick in einen Büroflur, und mir entgegengesetzt befindet sich ein Schreibtisch mit einer Dame, die gerade angestrengt versucht, ein paar Briefe mit Briefmarken zu versehen. Ihr Arbeitsplatz ist unaufgeräumt, Zettel und Stifte, Dokumente und Papiere liegen auf dem ganzen Tisch verstreut, der Computer-Monitor an der Seite des Schreibtisches ist am Rande mit Post-Its noch und nöcher beklebt. Sie scheint mich nicht zu beachten, als ich hereintrete.

Der Flur selbst, mit grauem Filz ausgelegt und unbetont weißen Wänden, ist von einer sehr dominanten Yucatan-Palme abgesehen wenig geschmückt. An den Wänden hängen keine Poster, Schilder, Fotos oder sonstiges. Wenn draußen das Schild nicht wäre, könnte man das hier durchaus für einen seriösen Start-Up halten. Nicht mal die verschiedenen Türen und der sich umbiegende Korridor sind irgendwie geschmückt oder verziert, was die karge Landschaft durchaus zu einem drögen Anblick macht. Dagegen wirkt der einzige Arbeitsplatz, den ich hier erblicken kann, durchaus lebendig. Fast schon überzählig so.

Nachdem ich mit der Betrachtung des Raumes soweit durch bin, nähere ich mich dem Schreibtisch. Leider kann ich nirgendswo ein Namensschild erblicken, aber ich vermute mal, dass es sich nur irgendwo unter diesem Papierberg verbergen kann. Die Dame selbst, die hinter dem Schreibtisch sitzt, hochgestecktes hellblondes Haar, eine Hornbrille, schlecht sitzendes Make-Up und eine weiße Bluse umrahmen die Tatsache, dass sie vermutlich deswegen hier am Bürotisch sitzt, weil sie für andere Aufgaben in der Firma nicht die optische Wirkung hat. Aber man soll ja den Menschen nicht nach seinem Äußeren bewerten.

Ich stehe vor dem Schreibtisch, sie guckt nicht hoch, sondern sortiert und sammelt weiter Papiere. Ich räuspere mich vernehmlich.

Zeichner -

Sie macht keinerlei Anstalten mich irgendwie zu bemerken. Drehe mich der Yucatan-Palme zu, beginne das Jeopardy-Lied zu pfeifen. Es dauert nicht lange, bis es eine Reaktion erzeugt, wie ich es mir erhofft hatte.

Dame - Hören sie bitte auf zu pfeifen? Das stört unheimlich bei der Arbeit.

Die Stimme ist unangenehm nasal betont, und etwas zu hoch für einen angenehmen Klang. Welch ungünstige Kombination. Ich drehe mich wieder zu ihr. Sie schaut mich unverwandt an, nur die rechte Hand scheint etwas gespannt mit jedem Finger nacheinander leicht auf den Tisch zu klopfen.

Zeichner - Guten Tag.

Dame - Guten Tag. 

Wir starren uns noch ein paar Momente gegenseitig an.

Zeichner - Müssten sie jetzt nicht...ich weiß nicht, irgendwie Fragen stellen oder mir einen Einleitungstext geben?

Dame - Sind sie sicher, dass sie hier richtig sind?

Zeichner - Wie kommen sie darauf, dass ich es nicht bin?

Dame - Unsere Kunden wissen eigentlich, wie das abläuft.

Zeichner - Ähhhh. Okay. Schieben wir das beiseite.

Dame - Und noch mehr nichts auf der Kante.

Zeichner - Mein Name ist Michael Zeichner, ich möchte gerne mit dem Geschäftsführer sprechen.

Sie betrachtet mich argwöhnisch.

Dame - Geht es um eine Beschwerde?

Zeichner - Was? Nein! Ich 

Dame - Wir haben für sowas ein Online-Formular.

Zeichner - Ich möchte einfach nur mit der Geschäftsführung reden.

Dame - So schon mal gar nicht. Haben sie einen Termin? Natürlich nicht, was frage ich überhaupt, sonst würden sie ja nicht so verschludert reinkommen. 

Zeichner - Hören sie mal...

Dame - Nein, sie hören jetzt zu! Sie unterbrechen mich in meiner Arbeit, stehlen mir auch noch Zeit und haben nicht einmal einen Termin! Seien sie froh wenn ich sie nicht gleich rausschmeißen lasse.

Zeichner - Aber es geht um eine ihrer Damen!

Dame - Also doch eine Beschwerde.

Zeichner - NEIN!

Dame - Danksagungen kommen per Post.

Zeichner - Ich bin nicht mal Kunde bei ihnen!

Dame - Dann müssen sie einen Termin machen.

Zeichner - Es kann nicht warten. Es geht um eine Sache von Leben und Tod.

Dame - Wissen sie, wie oft ich das schon gehört habe? Also da war das eine Mal, wo der Freier von Liz reinkam und...

Zeichner - Ich habe keine Zeit für ihre Geschichten! Ebenso wenig wie sie Zeit für mich haben. Also. Mein Name ist Zeichner, ich bin Privatdetektiv und arbeite für einen Klienten und ich muss mit der Geschäftsführung sprechen weil eines ihrer Escort-Girls in eine Sache verwickelt ist.

Sie spitzt die Ohren, die Augen legen sich in Beobachtung, offensichtlich nimmt sie jetzt erst wie ein Bluthund die Witterung auf.

Dame - Zunächst einmal müssen sie deswegen nicht laut werden. Es gibt hier nichts zu sehen!

Sie hat sich kurz mir abgewendet, aus einer der Seitentüren guckte für einen kurzen Moment ein Damenkopf heraus und beobachtete uns wohl, als ich mich aber umdrehe knallt dort schon die Tür.

Dame - Zweitens kann sowas ja jeder behaupten. Um wen handelt es sich bei ihrem Klienten und wer ist die Dame, die für uns arbeiten soll?

Zeichner - Ich kann derartige Details nur im persönlichen Gespräch mitteilen.

Sie verschränkt die Arme, lehnt sich nach hinten.

Dame - Na wenn das so ist, sind mir wohl leider die Hände gebunden.

Schnell schalten Zeichner!

Zeichner - Sie behalten das für sich?

Sie nickt aufgeregt und übermäßig schnell.

Dame - Ich werde schweigen wie ein Grab.

Ich beuge mich vor, sie ebenso, ich flüstere es ihr fast ins Ohr.

Zeichner - Es geht um eine gewisse "Tatianna" und Herrn von Altenstamm.

Sie kriegt ganz große Augen, beugt sich zurück. Greift zum Telefonhörer, tippt kurz und hat dann offensichtlich jemanden an der Leitung.

Dame - Ja, hier Julia, du, hier ist ein Herr Zeichner, ein Privatdetektiv, der will mit dir reden, kann ich den eben durch schicken, das ist wohl was ernstes. Jep. Okay.

Sie legt auf, atmet tief durch. 

Dame - Sie können durchgehen, die "Geschäftsführung" erwartet sie.

Und zeigt dabei auf eine der Türen nahe ihrem Schreibtisch.

Zeichner - Danke.

Ich trete an die besagte, öffne sie, und trete hinein.

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