20140407

Fall 1 - XXIV

Anrufer - Sie suchen immer noch nach Tatianna.

Zeichner - Sie wissen, dass ich ihnen darauf keine Antwort gegen die, die das bejaht oder verneint.

Anrufer - Natürlich.  Tatianna hat einige Zeit als Call-Girl gearbeitet.

Zeichner - Und wann soll das gewesen sein?

Anrufer - Vor einigen Monaten noch. Sagt ihnen der Name Spritzer Entertainment etwas?

Zeichner - Nein, aber in diesem Zusammenhang ist das vermutlich die Escort-Agentur.

Anrufer - Sehr gut. Sie denken mit, Zeichner.

Zeichner - Das alleine reicht aber noch nicht. Woher soll ich wissen, dass sie die Wahrheit sagen?

Anrufer - Es obliegt ihnen, herauszufinden, was Wahrheit und was Lüge ist. Vergessen sie nicht, dass auch sie nur ein Rädchen im Getriebe sind. 

Zeichner - Ihre seltsamen Sprüche können sich sparen. Haben sie auch noch etwas sinnvolles zu sagen oder kann ich jetzt auflegen?

Anrufer - Wussten sie schon, dass Tatianna ursprünglich hier her geschmuggelt wurde? 

Zeichner - Was wenn?

Anrufer - Der Attaché der deutschen Botschaft hier in der Stadt, Johannes von Altenstamm, hat sie dabei entdeckt.

Zeichner - In welchem Zusammenhang soll das stehen?

Anrufer - Ich bin zuversichtlich, dass sie das noch früh genug rausfinden werden.

Zeichner - Warum erzählen sie mir das? Was gewinnen sie dadurch?

Anrufer - Alles zu seiner Zeit. In diesem Sinne. Einen schönen Tag noch. Sie werden von mir hören.

Zeichner - Ich habe noch Fragen! Legen sie jetzt nicht auf!

Das Geräusch am anderen Ende der Leitung, macht mehr als deutlich, dass keine Person mehr an der Strippe ist. Entnervt entzünde ich eine Zigarette, kurbele das Seitenfenster herunter, versuche meine Gedanken zu sortieren. Es hilft nichts. Der leichte Wind beim ruckartigen Verkehr und die Lautstärke von draußen vermasseln mir jeglichen durchgängigen Gedanken. Schmeiße die Zigarette aus dem Fenster. Bringt mich ja jetzt auch nicht weiter.

Ibrahim hat inzwischen wieder das Radio etwas lauter gestellt, wohl auch um zu zeigen, dass er mein Gespräch nicht unbedingt belauschen will. Das Geleiere erinnert mich an irgendwelche Balladen oder klangvollen Gesänge.  Die Sprache ist nicht richtig einzuordnen. Im ersten Moment klingt es wie etwas europäisches, als ich aber genauer hinhöre, klingen ein paar Worte doch vertraut. Hebräische Musik. Was es nicht alles für Seltsamkeiten gibt. 

Wir passieren das Zolltor auf der Brücke und kommen endlich in den Bereich der inneren City. In der Entfernung kann ich den Coldman-Tower ausmachen. Der Koloss von einem Hochhaus steht als massiver Prunkbau recht im Herzen der Stadt, seitdem irgendein aus der Stadt kommender Milliardär in den 20ern während der Hochphase der Goldenen Jahre seinen eigenen Protzpalast haben wollte. Teure Büros, Unternehmen aus den TOP500 der aktuellen Börsen und teure Prominenz-Apartments sowie das teuerste Restaurant der Stadt sind inmitten dieses inzwischen seit 11 Jahren als Wahrzeichen der Stadt behandelten Wolkenbrecher von Gebäude der Society-Brennpunkt für die Who´s´Whos. Und umgeben von der First National sowie dem Small World Trade Center bilden diese drei Gebäude die unheilige Allianz von Finanz-, Wirtschafts- und Medienwelt für die Stadt und die Nation. 

Sicherlich ist es aber ein beeindruckender Anblick für die Hundertausendschaften an Touristen, die jedes Jahr hereinströmen, besonders seit dem nach dem großen Splittersturm vor 10 Jahren die gesamte Außenfassade aller drei Riesen erneuert wurde und mit modernen Glas und Lichtspielen überzogen wurde, was ihnen besonders zur Mittagszeit einen gerade zu goldenen Schein geben kann. Damit ergab sich auch der bekannte Spitzname, die Golden Triad. Etwaige Anspielungen auf Drogenkartelle sind dabei eher unterschwellig und für subtile Beobachter interessant. Gleichzeitig bildet die Golden Triad damit auch den Kontrast zur steinharten Welt des Civic Center ergibt. Die Stadtverwaltung, die in Gebäuden sitzt, die eher an die frühe russische Architektur der Stalin-Ära erinnert, denn an die demokratische Säulenkunst der ersten Jahre.

Ahh, Downtown. Um mich herum beginnt das Leben wieder aufzuflammen, die Adern der Stadt pulsieren und der Verkehr nimmt nicht ab, aber ein stetiger Stau ist es auch nicht. Inzwischen ist Ibrahims Taxi wie eine Ameise im großen Haufen der emsigen Arbeiter unterwegs und wir sind eingereiht in eine der vielen Straßen, die in einigen hundert Metern auf die Park Street und den Bayside Park führen und schließlich den Hudson Drive kreuzen auf dem Weg zur Greenbay.

Als wir endlich auf den Hudson Drive einbiegen, sind meine Finger schon wieder so sehr am kribbeln, dass ich mich fast gezwungen fühle, einen weiteren Glimmstängel anzumachen. Zu schade, dass meine Hand ins Leere greift. Hole die Packung heraus. Auch das noch. Leer. Muss ich mir wohl bei Mickey ein paar holen. Ibrahim parkt am Straßenrand, wie es meist um diese Tageszeit ist, sind viele Plätze vor dem Pub frei. Kein Wunder, es ist kurz vor Mittag. Ich beuge mich über die Lehne, krame in meiner Tasche nach etwas Geld.

Sein Zählmeter steht immer noch auf Null.

Zeichner - Entschuldigung, Ibrahim, aber was macht das für die Fahrt?

Er dreht sich zu mir um, zieht die Augenbrauen hoch, dass sie unter seiner Mütze verschwinden und schaut mich verwundert an. Hab ich was falsches gesagt? Er zuckt mit den Schultern, winkt dann ab.

Ibrahim - Ist ok. Ist kostenlos.

Zeichner - Nein, das ist schon gut, ich will für die Strecke zahlen. Immerhin haben sie mich quer durch die Stadt gefahren.

Ibrahim - Verrat ich Geheimnis, du nicht zahlen, ok?

Zeichner - O...k?

Ibrahim - Komme heute morgen in Büro. Chef sagen, Ibrahim alter Ochse. Zu alt. Sagen, Ibrahim Eselskopf. Zu tumb. Sagen Ibrahim Fledermaus. Zu blind. Kann nicht fahren. Soll gehen und verrecken auf Müllpiste.

Zeichner - Oh. Das ähh..tut mir leid? Das klingt nicht gerade sehr freundlich.

Ibrahim - Bshh! Unterbrich nicht Ibrahim in Geschichte! Also. Er sagen, Ibrahim, warum du nicht nehmen Auto und machen letzte Fahrt. Er grinsen. Er meinen guten Scherz gemacht zu haben. Also ich nehme Schlüssel und Tankkarte und steige los, fahre ein. Chef am fluchen. Auch nicht richtig. Eselskopf. Fledermaus. Dummer Ochse. Du fahren heute auf Rechnung von Chef. Und Ibrahim fahren, ok?

Starre ihn für einen Moment an. Er hat schon Cojones, das muss man ihm lassen. Und offensichtlich war sein Chef ein ziemlicher Trottel, wenn er so mit seinen Leuten umgeht.

Zeichner - Okay.

Ich reiche ihm die Hand, er grinst, schüttelt und macht das Radio lauter, es sich selbst bequem in seinem Sitz und zieht die Mütze ins Gesicht. Ich öffne derweil die Seitentür, steige aus, und begebe mich in den Pub.

Mickey´s Irish Pub ist eigentlich einer dieser Läden, die nicht so recht das sein sollen, wonach ihr Name klingen würde. Das fängt schon damit an, dass Mickey weder Ire ist, noch irgend ein passendes Attribut derselben besitzen würde. Zwar erzählt er jedem neuen Gast, dass er ja zu mindestens einem Teil von vielen er zwar irisches Blut in sich hätte, aber ich glaube kaum, dass entfernte Schwippschwager für so was zählen. Davon ab, dass Mickey vor seiner Namensänderung Zhu Rong Li hieß und eigentlich aus Datong kommt, was für meine Ohren wie China, China klang, als wir uns das erste Mal vor zwei Jahren in einem fast leeren Kinosaal für eine Neu-Aufführung des Malteser Falken trafen. Als die einzigen zwei Personen im Saal kam man dann auch ins Gespräch und es war und ist durchaus faszinierend, jemanden zu treffen, der dieselben Interessengebiete pflegt. Seitdem hat er eine mehr mäßig denn wirklich erfolgreiche Kneipenöffnung hinter sich und einen kleinen aber...naja, feinen würde ich die Leute nicht nennen, aber sicherlich loyalen Kundenstamm angesammelt. Auch wenn ich mich nicht selbst unbedingt dazu zählen würde. 

Durch die schwere Sicherheitstür trete ich ein in eine Welt aus Dunst und alkoholgeschwängerter Luft, die nur von einem langsamen Deckenventilator überhaupt bewegt wird, und ansonsten so sehr steht wie der Fels in der Brandung. Auf der linken Seite gibt es diverse Sitznischen für kleinere Gruppen sowie ein paar freistehende Rundtischen und an den Ecken jeweils Hochsitze, für die maximale Ausnutzung, und es hat alles so einen gewissen Abnutzungsflair, wirkt alles ein bisschen gewetzter als es vielleicht sein sollte, wenn es wirklich neu wäre, aber andererseits soll ein Pub ja auch kein Familienörtchen sein, sondern ein Ort an dem man gesellig Leute zum Trinken finden kann.

Auf der anderen Seite befindet sich erst mal recht zentral die große Theke mitsamt dahinterliegender Bar, dem Asiaten mit den rot gefärbten Haaren namens Mickey Li, welchem gleichzeitig die Kneipe gehört und eine Reihe von Schemeln um die Theke herum. Diverse Spirituosen stehen auf der Bar, Mickey war anscheinend gerade dabei, Gläser zu polieren, als er mich erblickt und freudestrahlend angrinst, mich heranwinkt und unter der Theke verschwindet. Hoffentlich nicht, um erneut mit der Schrotflinte anzugeben, welche er seit Jahr und Tag darunter lagert, in der Hoffnung, mal irgend wem damit zu imponieren. Neben ihm und mir sind momentan nur zwei weitere Gestalten, zwei ältere Herren, beide recht kahlhaarig und mit typischer Jacke, Jeans und einem Kartenspiel und einem vollen Aschenbecher damit beschäftigt, vermutlich seit mehreren Stunden dasselbe Bier zu leeren, das sie sich bestellt hatten, als sie den Pub betreten hatten.

Ich trete an den Tresen heran, setze mich auf einen der abgenutzt wirkenden Schemel und versuche über den Tresen zu lugen, aber die Breite und die ungünstige Sitzposition machen es schwierig, etwas mitzubekommen. Endlich fertig da unten, kommt Mickey hoch, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, grinsend, die nicht-ganz-strahlend-gelben Zähne zeigend.

Mickey - Rate. Was . Ich. Habe.

Zeichner - Hmmm. Du bist aufgeregt. Im Guten. Es ist etwas, das dich persönlich sehr erfreut.

Mickey - Jep.

Zeichner - Es hat mit deinem Hobby zu tun.

Wildes Kopfnicken. Er kann sich fast nicht einkriegen vor Freude.

Zeichner - Es ist etwas hinter dem du schon länger her warst. 

Mickey - Drei korrekte Aussagen. Na, großer Detektiv? Was habe ich hinter meinem Rücken?

Zeichner - Ich vermute...irgendetwas aus den privaten Habseligkeiten eines berühmten Schriftstellers? Chandlers Füllfederhalter? Pierce´s Schreibmaschine? Cain´s Rohfassung von Double Indemnity?

Mickey - Nnnn, nicht so gut. Mist. Jetzt hast du mich auf dein Niveau runtergezogen.

Behutsam und mit leicht enttäuschter Miene legt er ein braunes Buch vor mir auf den Tresen. Es wirkt recht abgegriffen und benutzt, die Seiten extrem gelblich und von Fingerabdrücken und Kaffeeflecken übersät.

Zeichner - Okay. Ich sehe es. Was ist so besonders an diesem Exemplar?

Mickey - Es ist eine Ausgabe von The Big Sleep von ´39 mit persönlicher Unterschrift von Chandler!

Er nimmt sachte das Buch in die Hände, blättert vorsichtig die Seiten um und hält mir eine der ersten Seiten hin, auf denen in etwas ungelenker Handschrift "Raymond Chandler" geschrieben wurde. Ich kann mir nicht helfen, aber es wirkt irgendwie falsch an der Stelle. Davon mal abgesehen, dass ich mich frage, wie er da ran gekommen ist. Aber für den Moment ist es nicht das wichtigste für mich.

Zeichner - Cooles Ding. Hör mal, wir müssen reden.

Er guckt mit leicht skeptisch an, ich nicke nur und er legt das Buch wieder zurück unter den Tresen, beugt sich vor. Wir beginnen zu flüstern. Ein wenig albern ist es schon, aber man möchte kein Risiko eingehen. Außerdem hat es einen gewissen Humor.

Mickey - Was los? Hat es damit zu tun, dass ich dich heute das erste Mal seit zwei-ein halb Wochen hier sehe?

Zeichner - So in der Art. Ich brauche eine Feuerwaffe. Unter der Hand. Hast du immer noch den Colt deines Onkels?

Seine Augen werden groß.

Mickey - Klar. Aber hältst du das für eine gute Idee? Was ist mit deiner .38er?

Zeichner - Sagen wir mal, die ist baden gegangen. Ich brauche das dringend. Mitsamt den Kugeln.

Sein Blick schweift misstrauisch über die Umgebung, den Pub und die beiden alten streifend, die leicht launisch zu versuchen scheinen, unsere Unterhaltung mitzuhören, aber sogleich mit den schweren Stühlen knarzen und weiter Karten spielen, als Mickey in ihre Richtung schielt. Ich nicke ihm zu, er hält noch inne, besinnt sich aber dann, bückt sich unter den Tresen. Ich kann hören, wie das alte Scharnier des geheimen Fußbodenverstecks knarzt und quietscht. Es dauert einen Moment, aber er braucht die Zeit, bis man die Entsicherung des Tresors hört. Als er einen Moment darauf wieder hochkommt, übergibt er mir ein kleines Bündel, mitsamt zwei Streifen mit Kugeln. Der Deal geht so schnell über die Bühne wie er muss. Die Waffe verschwindet in meinem Holster, die Magazine in meiner Jackeninnentasche.

Zeichner - Noch was.

Mickey - Schieß los. Fuck.

Ich muss unwillkürlich grinsen, als ich seinen Faux-Pas bemerke.

Zeichner - Keine Sorge. Weißt du zufällig, ob es in der Stadt eine größere Anzahl von Kostümverleihen oder besonderen Schneidereien für eien bestimmte Sorte Kostüm beziehungsweise Kleid gibt?

Mickey - Kommt auf das Objekt an. Auf die Schnelle fällt mir nichts ein, aber ich kann mich informieren. Soll ich es dir dann zukommen lassen?

Zeichner - Bitte. Ich muss dann weiter.

Ich stehe vom Schemel auf, strecke mich kurz, die Knochen knacken etwas.

Mickey - Michael.

Zeichner - Ja?

Mickey - Pass auf dich auf, okay?

Zeichner - Immer.

Als ich aus dem Pub heraustrete, wird die Luft nicht viel besser, aber die Helligkeit blendet enorm. Ibrahim erwartet mich schon, als ich einsteige.

Ibrahim - Wohin?

Ich schaue kurz aufs Mobiltelefon, die Adresse für Spritzer Entertainment suchend. Es dauert keine zwei Sekunden, ein Ergebnis zu haben. Schau mal einer an, in Downtown angesiedelt.

Zeichner - Wir wollen zur 22sten, Ecke Walker und York Street. Spritzer Entertainment.

Ibrahim - Klingt aufregend.

Der Motor heult auf. Wenn er doch wenigstens seine Musik ausmachen würde.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen