Als wir die nächste Straßenbiegung nehmen, quietschen die Reifen des Taxis
bedrohlich auf. Wir haben vielleicht eine Minute Vorsprung. Ibrahim gibt dabei
schon so gut er kann Gas, muss aber damit kämpfen, dass er in einer
unvertrauten Umgebung fährt.
Wir haben vielleicht einen Vorsprung von weniger als einer Minute. Mein
Blick wandert nach hinten. Immer, wenn ich gerade hoffe, dass wir sie hinter
uns gelassen haben könnten, kommt ein neuer Wagen um die Ecke, gefolgt von
einigen anderen. Sie werden nicht locker lassen, bis sie uns kriegen.
Anscheinend habe ich mit der Visitenkarte und der Kneipe genau ins Wespennest
gestochen, anders kann ich mir die Reaktion der Einheimischen nicht erklären.
Wir haben einen geraden Streckenteil erreicht, der Motor heult auf, als
Ibrahim mit einem Mal voll in die Eisen treten muss. Eine Gruppe von nachtwandelnden
Jugendlichen hat sich, mit diversen Alkoholika an der Seite durch die Nacht
ziehend in unserem Weg wieder gefunden. Ich kann nur froh sein, dass ich mich
gerade noch so festhalten konnte und wir rechtzeitig bremsen konnten, ansonsten
wären die meisten der Jugendlichen jetzt eher ein Fettfleck auf der ohnehin
nicht ganz sauberen Frontscheibe des Taxis. Hinter uns kann ich die
Scheinwerfer sehen, Ibrahim hupt derweil wie wild gegen die Jugendlichen in der
Hoffnung, dass sie endlich die Straße freimachen.
Ibrahim – Scheissendreck! Penner!
Einer der Jugendlichen Rabauken haut mit beiden Fäusten auf die Motorhaube
und ein paar der anderen, scheinbar angestachelt beginnen sich wieder in den
Weg zu stellen. Hinter uns kann ich die Lichter kommen sehen.
Zeichner - Ibrahim! Uns läuft die Zeit davon, fahr einfach!
Er wirft mir einen Blick zu. Ich weiß genau was er denkt. Im nächsten Moment
kreischen die Reifen auf, als er von einem Moment auf den nächsten Gas gibt. Es
verbleibt kaum Zeit und dem Anführer der
Jugendlichen scheint im Alkoholrausch die Gefahr nicht bewusst zu sein, als er seitlich
vom Taxi gestreift wird, da er nicht Platz macht. Es knallt dabei nur kurz und
eigentlich gar nicht so laut auf, aber ich kann das Geschreie hinter uns hören,
als wir weiter brettern. Einen Vorteil hat das ganze, denn ich kann sehen wie
ein paar der Autos anfangen bei den Jugendlichen anzuhalten. Als ich den Blick
nach vorne richte, sehe ich, wie wir uns in einiger Entfernung der Stadtgrenze
nähern.
Zeichner - Schmeiß mich da vorne raus und dann fahr bis du zurück in der
Stadt bist!
Er wirft mir einen wilden Blick zu.
Ibrahim - Tscheissndreck! Bist verrückt geworden?
Ich drücke ihm sanft die Schulter, eine Hand ist schon an die Pistole
gelegt, während ich mich bereit mache, mich aus dem fahrenden Wagen fallen zu
lassen.
Zeichner - Vertrau mir. Ich weiß was ich tue
Nicht, dass das wirklich der Fall wäre, aber es kommt vermutlich besser,
wenn er das in diesem Moment glaubt, weil mir das erlauben könnte,
weiterzumachen. Auch, obwohl das bedeutet, ihn als Lockvogel für unsere
Verfolger zu benutzen.
Als wir die Kreuzung erreichen und ich zur Seite die kleine Abzweigung zum
Industriebereich erkenne, reiße ich die Seitentür auf und werfe mich heraus.
Ich kann nicht anders, als zu versuchen, mich so sehr es geht zu einem Ball
zusammenrollen, während ich Fahrtwind spüre.
Es sind diese seltsamen Momente, die einem immer wie Ewigkeiten erscheinen,
bis sie dann endlich vorbei sind. Unsanft pralle ich auf dem harten Boden auf.
Staub und Geröll reißen hart an mir, fetzen in meinen Trenchcoat und anscheinend
bin ich auf dem Weg hinunter auch in irgendeinen großen Strauch gekommen, denn
um mich herum sind unzählige kleine spitze Dornen, die mir beim durchrollen die
Haut aufreißen.
Orientierungslos. Ich kann meine Position nicht bestimmen. Wie weit bin ich
geflogen und gerollt? Kann man mich von der Fahrbahn aus sehen? Um mich herum
ist ein größerer Strauch, also ist zu mindestens das unwahrscheinlich. Es ist,
als ob ich Watte in den Ohren habe. In der Entfernung kann ich das Rollen von
Reifen und eine Fahrzeugkolonne hören. Ist Ibrahim schon außer Sichtweite? Kann
er entkommen oder habe ich einen alten Mann für meinen Plan geopfert?
Ein paar Autos jagen dahin. Ich kann es nicht genau ausmachen, während meine
Sicht einigermaßen klar wird, da ich erneut fest stelle, dass ich immer noch
keine Nachtsicht entwickelt habe. Die Dornen des Buches kratzen an mir. Jede
Bewegung wird zu einer Zerreißprobe darin, nicht erneut irgendwas aufreißen zu
lassen.
Nicht einmal die Sterne sind am Himmel zu erblicken, da der stetige
Nieselregen die Sicht unmöglich macht. Es ist finster. Dunkler als ich gedacht
hätte. Kann mich in diesem Moment nur an den vereinzelt auftauchenden
Scheinwerfern orientieren. Inzwischen bin ich soweit auf alle viere gekommen
und fange an zu kriechen.
Im langsamsten Tempo, inzwischen mit der entsicherten Waffe in der Hand, robbe ich jetzt über den Boden. Ein paar einzelne Sträucher am Straßenrand, ich muss offensichtlich das große Glück gepachtet haben, den einzigen Dornenbusch hier erwischt zu haben.
In einiger Entfernung bleibt ein Wagen stehen. Ein Pick-Up. Mindestens drei
Personen, eine verbleibt im Wagen, die anderen beide, anscheinend mit
Jagdgewehren oder Schrotflinten in den Händen, steigen aus und machen ein paar
Schritte Richtung der Kreuzung. Auf die Entfernung kann ich sie nicht gut
verstehen, aber sie brabbeln sich irgendwas in den Bart. Ich versuche still zu
liegen, in der Hoffnung nicht auch noch irgendwie auf mich aufmerksam zu
machen. Aber wenn ich näher rangehe, kann ich vielleicht verstehen, was sie
sagen. Ein paar Meter wären vermutlich schon nicht schlecht. Langsam mache ich
mich vorwärts, gewinne ein paar Zentimeter, dann ein paar Meter.
Dann höre ich das Rasseln. Moment. Rasseln. Babyrassel? Nope. Mist.
Schlange. Ich kann sowohl sehen wie die beiden Herren ihre Waffen umklammern
als auch, dass sich vor mir aus einem der über die Böschung verstreuten Sträucher
eine Schlange in meine Richtung erhebt. Es ist schwierig, die Umrisse
vollkommen auszumachen und sie ist definitiv nicht sehr groß aber ich will
verflucht sein, wenn das nicht gerade ein ungünstiger Zeitpunkt ist. Es ist
auch zu mindestens eine dicke Schlange, aber die Tatsache, dass ich in der
Dunkelheit nun gerade wirklich Garnichts gegen sie machen kann, wenn ich meine
Position nicht verraten will.
Stopp. Schlange. Rasseln. Klapperschlange. Ich habe in den Tierdokus und dem
Schulunterricht vielleicht nicht immer aufgepasst, aber der Biss einer
Klapperschlange kann tödlich sein.
Sie rasselt erneut, vermutlich mit dem hinteren Schwanzende. Schweiß läuft
mir in Strömen über den Kopf und in die Augen, die daraufhin zu brennen
anfangen während ich meinen Atem flach zu halten versuche und keinerlei aggressive
Bewegung machen will. Am besten gar keine Bewegung. Ein schönes vom Regen in
die Traufe.
Es dauert einen Moment, bis sie sich anfängt zu bewegen. Wie ein Kaugummi,
dem man dabei zuguckt, wie es sich für diesen Augenblick vor dem Zerreißen
dehnt, so wirkt es, als sie sich in meine ungefähre Richtung macht. Ich kann es
spüren, wie sie sich an meinem Kopf vorbei auf meinen Rücken schlängelt und
dort für einen Herzschlag verweilt. Wenn mir das hier nicht ein paar graue
Haare einbringt, weiß ich auch nicht, was.
Das Gewicht auf meinem Rücken wird leichter. Kann ich es schon wagen mich zu
bewegen? Meine Glieder fangen an zu schmerzen. Immerhin, die Furcht scheint
eventuelle Schmerzen zurück zu halten.
Derweil kann ich sehen, wie die zwei an der Kreuzung den Pfad Richtung
Industrieanlagen abschreiten und dann dort etwas aufblinken sehen. Ein
Notfallsäule! Na schau mal einer an. Ich kann sehen, wie einer von ihnen die
Schutzklappe öffnet und einen Telefonhörer rausnimmt. Jetzt sind sie ja noch
weiter weg. Er spricht irgendwas in den Hörer hiein und klappt es wieder zu.
Dann gucken sie sich an und gehen zum Pick-Up zurück, wo der dritte Mann den
Motor anlässt. Sie steigen ein und drehen kurz, um dann wieder Richtung White
Springs zu fahren. Kaum zu glauben, aber meine Chance ist gekommen. Ich bin mir
unsicher, ob die Schlange noch da ist. Ich muss es riskieren. Ich stehe langsam
und auf jede Bewegung bedacht auf.
Im nächsten Augenblicken sprinte ich hinüber und stehe an der Kreuzung. Mein
Herz pocht mir gerade bis zum Halse. Puhh. Vor mir öffnet sich der Weg Richtung
Industrieanlagen. Irgendwo in einigen hundert Metern befindet sich also die
Hausruine Fouquiers.
Meine Erinnerung geht weit zurück. Ich bin mir sicher, schon erzählt
bekommen zu haben, wie das Wandern in einer feuchten Nacht bei stetigem
Nieselregen sich auf die Gemütslage in einer halbtrockenen Umgebung auf einen
auswirkt, während man die eigene Hand vor Augen fast nicht sehen kann. Hätte
mir jemand erzählt, dass ich das mal machen würde, ich hätte ihn zu mindestens
nicht ausgelacht, aber sicherlich für verrückt erklärt.
Der Weg ist die Hölle. Wobei selbst mir beim Latschen auffällt, dass ich
mich eindeutig zu oft beschwere.
Ein kurzer Blick auf das Telefon verrät mir, dass es kurz vor 4h morgens ist,
als ich einen beginnenden Zaunabschnitt und diverse größere Industrierohre
passiere. Die stetige Beleuchtung der großen Anlagen hinter ihren
Sicherheitszäunen und Kamera-gestützten Drohnenüberwachung macht die aber
immerhin Sicht deutlich besser.
Ich kann etwa eine halbe Meile vor mir ein Haus erkennen. Es ist im
Halbschatten einer Zaunbeleuchtung, einem großen Scheinwerfer der wohl die
Umgebung beleuchten soll, und auf der gegenüberliegenden Seite eines mehr
schlecht als rechten Weges beginnt die Grundstücksgrenze mit einer Eingrenzung
in einem halbverfallenen Bretterzaun.
Das Gebäude, zu dem von außen die dran stehenden Adresse, eine große
bronzene Eins an einem ehemals weißen Briefkasten gehämmert, passt, ist in der
Tat niedergebrannt. Aber nicht vollkommen. Das Grundstück selbst ist groß, das
Gebäude hat schon fast die Ausmaße eines kleines Herrenhauses, wie man es sonst
eher in der Stadt gewohnt wäre, mindestens acht Fenster auf jeder Seite neben
der Eingangstür, die doppelflügelig in den Angeln hängt. Soweit es im eher
schlechten Licht erkennbar ist, scheint das Gebäude tatsächlich einem Brand
anheimgefallen zu sein, aber der Brand hat entweder nur das obere Stockwerk
erfolgreich erfasst, oder wurde rechtzeitig gestoppt, denn neben einigen Bereichen
im Erdgeschoss scheint nur das Obergeschoss völlig demoliert und in großen
Bereichen hinunter gestürzt zu sein.
Andererseits erklärt das natürlich auch den Kommentar des Barkeepers,
unabhängig davon, wie viel Wert man dem beimessen will. Ob diese Leute in
irgend einer Weise mit zusammen drin stecken? Aber sind sie Teil einer
konkurrierenden Fraktion oder Mitglieder der Truppe um den Herrn Attaché und um
Matthews?
Das Zaun-Tor ist völlig zertrümmert neben dem Einfang zu finden und der
Garten wirk überwuchert. Trotz allem scheint eine Garage an der Seite frei
gehalten worden zu sein. Das Gebäude selber grinst mich an wie ein Totenschädel
in der Nacht. Es hat etwas Unheimliches. Die Pistole vor mich in der rechten,
das Mobiltelefon als Taschenlampe in der Linken, bewegen sich meine Füße wie
von selbst durch das Tor und Richtung der großen Eingangstreppe.
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