20140419

Fall 1 - XXVII


Ich sitze im Taxi. Erstaunlicherweise hat Ibrahim diesmal keine Musik laufen. Der Motor läuft, wir kreuzen ein paar längere Straßen.



Nachdem ich eingestiegen bin habe ich ihm gesagt, er soll erst mal ein bisschen durch die Stadt fahren, da ich meine Gedanken sortieren müsse. Ohne einen weiteren Kommentar ist er angefahren und wir haben uns in den Verkehr außerhalb der Gasse eingereiht. Inzwischen ist es dabei, dunkel zu werden. 



Straßenlaternen gehen nach und nach an und erhellen die langen Teer- und Asphaltstraßen der Stadt. Die Scheinwerfer verschiedener Fahrzeuge ziehen an uns vorbei, ein leuchtendes Meer von Rot und Weiß, Gelb und Blau. Und umgeben wird dieses Meer von den Inseln am Straßenrand, die mit ihren Neon-Zeichen darauf hoffen, ein paar dieser Straßenkreuzer an Land zu ziehen. 



Für ein ungeübtes Auge mag es an Reizüberflutung grenzen. An jeder Straßenecke, sogar an Kreuzungen und Laternen hängen Schilder und Beleuchtungen von nahen Etablissements, den pulsierenden Adern im Herzen der Stadt. 



Und wir, inmitten der launischen Wellen. Gerade zieht eine lange schwarze Limousine an uns vorbei, aus der ein paar junge Damen kreischend und schreiend aus dem Fensterdach gucken, während sie teuren Champagner trinken und den Exzess feiern.



An einer Kreuzung läuft ein Dealer zu einigen der stehenden Wagen und verteilt kleine Kügelchen und Beutel gegen horrende Preise. Ein paar Straßen weiter kommt uns ein Gefangenentransport entgegen, der aus allen Nähten zu platzen droht. Es ist alles überfüllt. Wie eine überreife Frucht. die zu platzen droht, und trotzdem durch den süßlichen Geruch, der bei der Verwesung entsteht noch mehr Parasiten anzieht.



Vielleicht sollte ich tatsächlich mal aus der Stadt fahren. Das sanfte Abendrot beginnt den Horizont zu untermalen. Ein paar Wolken sind dabei, die Sterne zu verdecken. Vielleicht wird es regnen. Ein Sturm?



Ich habe den Kopf fast gegen die Scheibe gelehnt, wie ich nach draußen starre. 



Zeichner - Ibrahim.



Ibrahim - Hmm?



Zeichner - Kannst du mich nach White Springs bringen?



Ibrahim -  Hmmm.



Er überlegt. Ist ganz still. So still habe ich ihn die vergangenen Stunden noch nicht erlebt. Ob es an der fehlenden musikalischen Untermalung liegt?



Ibrahim - Muss tanken, dann gehen.



Zeichner - Wenn du meinst, dass ich übernehmen soll dann



Er fällt mir ins Wort.



Ibrahim - Bah! Habe Tankkarte von alten Chef. Kann tanken für nix.



Zeichner - Wenn du das sagst. 



Ich drehe den Kopf wieder zur Fensterscheibe, an die Seite gelehnt, den Blick nach draußen. Die Wolken verdichten sich. Nach und nach sucht sich Ibrahim einen Weg durch die Straßen, bis wir eine der Stadtautobahnen erreichen. Richtung Norden. Richtung White Springs. 



Inzwischen ist die Nacht über uns hereingebrochen. Dunkle Wolken verdichten sich über der Region, aus einigen wenigen ist inzwischen ein ganzer Haufen von ihnen geworden. Die Straßen werden heute Nacht sauber sein.



Ungefähr auf halber Strecke hält Ibrahim an einer der wenigen freien Tankstellen der Strecke, einer alten Station, die auch noch aus den Fünfzigern stammen könnte mit ihren uralten Zapfsäulen und dem heruntergekommenen Hauptgebäude. Wir sind um diese Uhrzeit der einzige Wagen, der überhaupt zum Tanken hier ist. 



Inzwischen hat ein leichter Nieselregen eingesetzt, der Fahrzeug und Umgebung benetzt. Wie wir durch die Nacht fahren, erhellt nur eine einsame Straßenlaterne hier und da, sowie die Scheinwerfer des Taxis, überhaupt die Umgebung. Vereinzelt kann man ein paar Nadelbäume erkennen, leichter Wuchs entlang der Küste, eher spärlich, karg.



Die Spuren des Regens auf dem Fenster zeichnen sich wie Krallen auf dem Glas nach.



Ich weiß, dass ich irgendwann weggenickt sein muss. Als ich hochkomme leuchtet nur ein Teil des Armaturenbretts überhaupt im Wagen, die typische Nachtbeleuchtung. Vor uns kann man ein paar Industrierohre erkennen, die ab und zu durch die Landschaft schlängeln. Die großen Industrieanlagen im Norden der Stadt. Hässliche, brutale Bauten, die sich hauptsächlich durch Chemie- und Industriewerke kennzeichnen, mit meilenlangen Rohren und seltsamen Becken, in denen stinkende Brühe dazu gerührt wird, eines Tages irgendwo illegal ins Meer entlassen zu werden. Warum bin ich wach geworden? Von hier aus ist es noch eine knappe Stunde Fahrt.



Ein Blick auf das Mobiltelefon in meiner Tasche. Es hat vor kurzem einen Anruf empfangen, ohne dass ich abgenommen habe. Kein Wunder, ich hab es kaum mitbekommen. Unbekannter Anrufer. Ob es Deepthroat wieder war? Oder hat Rieé schonwieder Bedürfnis nach schnellen Ergebnissen? Ich frage mich immer noch, was er sich davon verspricht.



Ibrahim schaut über die Schulter kurz zu mir.



Ibrahim - Haben Feinde?



Zeichner - Was?



Ibrahim - Feinde? Auto verfolgt uns.



Ich drehe mich auf seine Aussage hin ruckartig um, schaue nach hinten. Etwas fünfzig Meter hinter uns befindet sich ein Fahrzeug. Es scheint stetig mit uns mitzuhalten.



Zeichner - Bist du dir sicher?



Ich muss mir ob diesem Ereignis erst mal ein bisschen Staub aus den Augen reiben.



Ibrahim - Ist selbe Auto seit Stunden. Zu groß Zufall. Leute auf Schuhe getreten?



Zeichner - Eigentlich dachte ich nicht. Kann es Zufall sein?



Ibrahim - Gibt kein Zufall. Oha, nehmen Fahrt auf.



Der hinter uns fahrende Wagen beschleunigt stark und ist schon bald nur wenige Meter hinter uns. Irgendwann müssten wir eigentlich aus dem Industriebereich zu den Klippen wechseln, hinter denen dann White Springs anfängt.



Im nächsten Moment springt das Auto, als wir von hinten unsanft angestoßen werden. Der andere Wagen hinter uns lässt seinen Motor erneut aufheulen, drückt von hinten gegen uns. Ich überlege, die Waffe zu zücken.



Zeichner - Kannst du ihn abschütteln?



Ibrahim - Wohin? Rohre und Meer versperren Weg! Soll Unfall verursachen?



Zeichner - Solange es nicht unser Unfall ist!?



Im nächsten Moment setzt Ibrahim zur Seite aus, und mit einem Mal sind wir mit dem anderen Auto auf gleicher Höhe. Mit wird erst jetzt deutlich, dass es sich um einen schwarzen Kombi handelt. Im nächsten Moment rattert unser Wagen, als wir von der Seite gerammt werden. Die Seitentür sieht nicht mehr gut aus.



Ibrahim - Festhalten!



Er reißt das Lenkrad zur Seite und wir knallen mit Wucht gegen ihre Seite, wie sie vorher gegen unsere getroffen sind. Nun, zu mindestens scheinen beide Fahrzeuge nicht gut davon wegzukommen. Unser Fahrzeug hat bereits begonnen an Geschwindigkeit zu verlieren. Da! Eine der Scheiben wird heruntergelassen, ein Mann in dunklem Anzug und einer Pistole beugt sich heraus und zielt auf uns.



Zeichner - Waffe!



Kaum habe ich geschrien, reißt Ibrahim uns erneut gegen ihre Flanke und beide Wagen werden durchgeschüttelt. Es scheint den Schützen aus dem Gleichgewicht gebracht zu haben, denn er wackelt und hält sich krampfhaft an der Außentür fest. Meine Hand geht derweil zur Pistole, die ich mir von Mickey geholt habe.



Ibrahim - Uh oh!



Als ich ihn höre, blicke ich nach vorne, und erstarre beinahe.  Der Klippenabschnitt beginnt, und er ist bei weitem nicht breit genug für zwei Fahrzeuge auf den kleinen Spuren.Der Weg wurde nicht umsonst schon vor Jahren für Groß-Fahrzeuge gesperrt, was aber viele nicht davon abhält, ihn illegal nachts für Straßenrennen weiter zu benutzen.



Für mich viel schlimmer ist in diesem Moment die Tatsache, dass unsere Verfolger erneut versuchen, uns von der Straße zu rammen, vermutlich, weil sie uns in den Klippen zerschellen sehen wollen.



Ibrahim - Festhalten!



Ein weiterer Ruck und wir knallen erneut aneinander. Beide Autos sehen inzwischen enorm ramponiert aus und das hintere Rad auf der uns zugewandten Seite scheint dem Verfolger fast abzufallen. Ich ziehe die Pistole, lade durch, drücke die letzten Reste Fensterglas beiseite, welches schon beim ersten Zusammenknall zersplitterte.



Zeichner - Näher ran! Ich muss den Reifen treffen.



Es wird zu einer Zerreißprobe. Ich versuche im Halb-Dunkeln auf den Vorderreifen zu zielen, während Ibrahim verhinder muss, dass wir erneut gerammt werden und gleichzeitig selber nicht rammen soll.



Eine Kugel pfeift mir um die Ohren. Der Schütze? Aber es kommt schlimmer. An der Seite des Schützen hat eine weitere Person auf der Rückbank durch das offene Fenster am Schützen auf unserer Seite in unsere Richtung geschossen. Teufelskerl, das hätte mächtig ins Auge gehen können.



Muss unbeirrt bleiben, drücke in kurzer Abfolge mehrere Schüsse raus. Ich kann nicht klar sagen, ob ich mehr als nur die Karosserie treffe, klar ist aber, dass im nächsten Moment der andere Wagen zu schlingern beginnt. Dann knallt es laut, als sie durch die dünne hölzerne Absperrung brechen und für einen Moment frei im Raum schweben, den Klippen unter uns entgegen. 



Mir steht der Schweiß auf der Stirn, brennt mir in den Augen von der Anstrengung. Mein Herz rast. Schlägt mir bis zum Hals. Von vorne höre ich ein amüsiertes, ja befreites Auflachen. Dann ein lauter Knall hinter uns. Ich kann das Feuer nicht sehen, aber wohl die Schatten und die Rauchentwicklung. Ein seltsames Ende für eine Bande von ... tja, wem eigentlich?

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