Ich sitze im Taxi. Erstaunlicherweise hat Ibrahim
diesmal keine Musik laufen. Der Motor läuft, wir kreuzen ein paar längere
Straßen.
Nachdem ich eingestiegen bin habe ich ihm gesagt,
er soll erst mal ein bisschen durch die Stadt fahren, da ich meine Gedanken
sortieren müsse. Ohne einen weiteren Kommentar ist er angefahren und wir haben
uns in den Verkehr außerhalb der Gasse eingereiht. Inzwischen ist es dabei,
dunkel zu werden.
Straßenlaternen gehen nach und nach an und
erhellen die langen Teer- und Asphaltstraßen der Stadt. Die Scheinwerfer
verschiedener Fahrzeuge ziehen an uns vorbei, ein leuchtendes Meer von Rot und
Weiß, Gelb und Blau. Und umgeben wird dieses Meer von den Inseln am
Straßenrand, die mit ihren Neon-Zeichen darauf hoffen, ein paar dieser
Straßenkreuzer an Land zu ziehen.
Für ein ungeübtes Auge mag es an Reizüberflutung
grenzen. An jeder Straßenecke, sogar an Kreuzungen und Laternen hängen Schilder
und Beleuchtungen von nahen Etablissements, den pulsierenden Adern im Herzen
der Stadt.
Und wir, inmitten der launischen Wellen. Gerade
zieht eine lange schwarze Limousine an uns vorbei, aus der ein paar junge Damen
kreischend und schreiend aus dem Fensterdach gucken, während sie teuren
Champagner trinken und den Exzess feiern.
An einer Kreuzung läuft ein Dealer zu einigen der
stehenden Wagen und verteilt kleine Kügelchen und Beutel gegen horrende Preise.
Ein paar Straßen weiter kommt uns ein Gefangenentransport entgegen, der aus
allen Nähten zu platzen droht. Es ist alles überfüllt. Wie eine überreife
Frucht. die zu platzen droht, und trotzdem durch den süßlichen Geruch, der bei
der Verwesung entsteht noch mehr Parasiten anzieht.
Vielleicht sollte ich tatsächlich mal aus der
Stadt fahren. Das sanfte Abendrot beginnt den Horizont zu untermalen. Ein paar
Wolken sind dabei, die Sterne zu verdecken. Vielleicht wird es regnen. Ein
Sturm?
Ich habe den Kopf fast gegen die Scheibe gelehnt,
wie ich nach draußen starre.
Zeichner - Ibrahim.
Ibrahim - Hmm?
Zeichner - Kannst du mich nach White Springs
bringen?
Ibrahim - Hmmm.
Er überlegt. Ist ganz still. So still habe ich
ihn die vergangenen Stunden noch nicht erlebt. Ob es an der fehlenden
musikalischen Untermalung liegt?
Ibrahim - Muss tanken, dann gehen.
Zeichner - Wenn du meinst, dass ich übernehmen
soll dann
Er fällt mir ins Wort.
Ibrahim - Bah! Habe Tankkarte von alten Chef.
Kann tanken für nix.
Zeichner - Wenn du das sagst.
Ich drehe den Kopf wieder zur Fensterscheibe, an
die Seite gelehnt, den Blick nach draußen. Die Wolken verdichten sich. Nach und
nach sucht sich Ibrahim einen Weg durch die Straßen, bis wir eine der
Stadtautobahnen erreichen. Richtung Norden. Richtung White Springs.
Inzwischen ist die Nacht über uns
hereingebrochen. Dunkle Wolken verdichten sich über der Region, aus einigen
wenigen ist inzwischen ein ganzer Haufen von ihnen geworden. Die Straßen werden
heute Nacht sauber sein.
Ungefähr auf halber Strecke hält Ibrahim an einer
der wenigen freien Tankstellen der Strecke, einer alten Station, die auch noch
aus den Fünfzigern stammen könnte mit ihren uralten Zapfsäulen und dem
heruntergekommenen Hauptgebäude. Wir sind um diese Uhrzeit der einzige Wagen,
der überhaupt zum Tanken hier ist.
Inzwischen hat ein leichter Nieselregen
eingesetzt, der Fahrzeug und Umgebung benetzt. Wie wir durch die Nacht fahren,
erhellt nur eine einsame Straßenlaterne hier und da, sowie die Scheinwerfer des
Taxis, überhaupt die Umgebung. Vereinzelt kann man ein paar Nadelbäume
erkennen, leichter Wuchs entlang der Küste, eher spärlich, karg.
Die Spuren des Regens auf dem Fenster zeichnen
sich wie Krallen auf dem Glas nach.
Ich weiß, dass ich irgendwann weggenickt sein
muss. Als ich hochkomme leuchtet nur ein Teil des Armaturenbretts überhaupt im
Wagen, die typische Nachtbeleuchtung. Vor uns kann man ein paar Industrierohre
erkennen, die ab und zu durch die Landschaft schlängeln. Die großen
Industrieanlagen im Norden der Stadt. Hässliche, brutale Bauten, die sich
hauptsächlich durch Chemie- und Industriewerke kennzeichnen, mit meilenlangen
Rohren und seltsamen Becken, in denen stinkende Brühe dazu gerührt wird, eines
Tages irgendwo illegal ins Meer entlassen zu werden. Warum bin ich wach
geworden? Von hier aus ist es noch eine knappe Stunde Fahrt.
Ein Blick auf das Mobiltelefon in meiner Tasche.
Es hat vor kurzem einen Anruf empfangen, ohne dass ich abgenommen habe. Kein
Wunder, ich hab es kaum mitbekommen. Unbekannter Anrufer. Ob es Deepthroat
wieder war? Oder hat Rieé schonwieder Bedürfnis nach schnellen Ergebnissen? Ich
frage mich immer noch, was er sich davon verspricht.
Ibrahim schaut über die Schulter kurz zu mir.
Ibrahim - Haben Feinde?
Zeichner - Was?
Ibrahim - Feinde? Auto verfolgt uns.
Ich drehe mich auf seine Aussage hin ruckartig
um, schaue nach hinten. Etwas fünfzig Meter hinter uns befindet sich ein
Fahrzeug. Es scheint stetig mit uns mitzuhalten.
Zeichner - Bist du dir sicher?
Ich muss mir ob diesem Ereignis erst mal ein
bisschen Staub aus den Augen reiben.
Ibrahim - Ist selbe Auto seit Stunden. Zu groß
Zufall. Leute auf Schuhe getreten?
Zeichner - Eigentlich dachte ich nicht. Kann es
Zufall sein?
Ibrahim - Gibt kein Zufall. Oha, nehmen Fahrt auf.
Der hinter uns fahrende Wagen beschleunigt stark
und ist schon bald nur wenige Meter hinter uns. Irgendwann müssten wir
eigentlich aus dem Industriebereich zu den Klippen wechseln, hinter denen dann
White Springs anfängt.
Im nächsten Moment springt das Auto, als wir von
hinten unsanft angestoßen werden. Der andere Wagen hinter uns lässt seinen
Motor erneut aufheulen, drückt von hinten gegen uns. Ich überlege, die Waffe zu
zücken.
Zeichner - Kannst du ihn abschütteln?
Ibrahim - Wohin? Rohre und Meer versperren Weg!
Soll Unfall verursachen?
Zeichner - Solange es nicht unser Unfall ist!?
Im nächsten Moment setzt Ibrahim zur Seite aus,
und mit einem Mal sind wir mit dem anderen Auto auf gleicher Höhe. Mit wird
erst jetzt deutlich, dass es sich um einen schwarzen Kombi handelt. Im nächsten
Moment rattert unser Wagen, als wir von der Seite gerammt werden. Die Seitentür
sieht nicht mehr gut aus.
Ibrahim - Festhalten!
Er reißt das Lenkrad zur Seite und wir knallen
mit Wucht gegen ihre Seite, wie sie vorher gegen unsere getroffen sind. Nun, zu
mindestens scheinen beide Fahrzeuge nicht gut davon wegzukommen. Unser Fahrzeug
hat bereits begonnen an Geschwindigkeit zu verlieren. Da! Eine der Scheiben
wird heruntergelassen, ein Mann in dunklem Anzug und einer Pistole beugt sich
heraus und zielt auf uns.
Zeichner - Waffe!
Kaum habe ich geschrien, reißt Ibrahim uns erneut
gegen ihre Flanke und beide Wagen werden durchgeschüttelt. Es scheint den
Schützen aus dem Gleichgewicht gebracht zu haben, denn er wackelt und hält sich
krampfhaft an der Außentür fest. Meine Hand geht derweil zur Pistole, die ich
mir von Mickey geholt habe.
Ibrahim - Uh oh!
Als ich ihn höre, blicke ich nach vorne, und
erstarre beinahe. Der Klippenabschnitt beginnt, und er ist bei weitem
nicht breit genug für zwei Fahrzeuge auf den kleinen Spuren.Der Weg wurde nicht
umsonst schon vor Jahren für Groß-Fahrzeuge gesperrt, was aber viele nicht
davon abhält, ihn illegal nachts für Straßenrennen weiter zu benutzen.
Für mich viel schlimmer ist in diesem Moment die
Tatsache, dass unsere Verfolger erneut versuchen, uns von der Straße zu rammen,
vermutlich, weil sie uns in den Klippen zerschellen sehen wollen.
Ibrahim - Festhalten!
Ein weiterer Ruck und wir knallen erneut
aneinander. Beide Autos sehen inzwischen enorm ramponiert aus und das hintere
Rad auf der uns zugewandten Seite scheint dem Verfolger fast abzufallen. Ich
ziehe die Pistole, lade durch, drücke die letzten Reste Fensterglas beiseite,
welches schon beim ersten Zusammenknall zersplitterte.
Zeichner - Näher ran! Ich muss den Reifen
treffen.
Es wird zu einer Zerreißprobe. Ich versuche im
Halb-Dunkeln auf den Vorderreifen zu zielen, während Ibrahim verhinder muss,
dass wir erneut gerammt werden und gleichzeitig selber nicht rammen soll.
Eine Kugel pfeift mir um die Ohren. Der Schütze?
Aber es kommt schlimmer. An der Seite des Schützen hat eine weitere Person auf der
Rückbank durch das offene Fenster am Schützen auf unserer Seite in unsere
Richtung geschossen. Teufelskerl, das hätte mächtig ins Auge gehen können.
Muss unbeirrt bleiben, drücke in kurzer Abfolge mehrere
Schüsse raus. Ich kann nicht klar sagen, ob ich mehr als nur die Karosserie
treffe, klar ist aber, dass im nächsten Moment der andere Wagen zu schlingern
beginnt. Dann knallt es laut, als sie durch die dünne hölzerne Absperrung
brechen und für einen Moment frei im Raum schweben, den Klippen unter uns
entgegen.
Mir steht der Schweiß auf der Stirn, brennt mir
in den Augen von der Anstrengung. Mein Herz rast. Schlägt mir bis zum Hals. Von
vorne höre ich ein amüsiertes, ja befreites Auflachen. Dann ein lauter Knall
hinter uns. Ich kann das Feuer nicht sehen, aber wohl die Schatten und die
Rauchentwicklung. Ein seltsames Ende für eine Bande von ... tja, wem
eigentlich?
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