20140525

Fall 1 - XXXIX

Es sind nur wenige Schritte durch den Raum. Jedes Auftreten auf den kalten Fliesenboden reflektiert den Hall über Meter hinweg und gibt das Gefühl, dass man sich in einem weitaus größerem Raum befindet.

Der Vorhang lässt einem keinen Durchblick. Etwas unwirscher, als beabsichtigt haue ich ihn beiseite, nur um in einen Raum zu blicken, dessen Ausmaße ich nicht erfassen kann. Nebel. Weißlicher Nebel überzieht das Sichtfeld hinter dem Vorhang, als würde irgendwo eine Nebelmaschine versuchen klaustrophobische Serienmörder-Stimmung zu erzeugen.

Vermutlich würde jemand anders dadurch abgelenkt werden, aber du hast die Rechnung ohne mich gemacht, Freundchen. Sein größter Nachteil ist und bleibt die Schusswunde. Schon auf dem Fliesenboden hinter mir sind einzelne Blutflecken zu erkennen und wie ich direkt vor mir sehen kann, setzt sich das Muster fort.

Er blutet aus. Seine Zeit läuft ab. Und der Nebel hier drinnen, egal woher, wird mich nicht aufhalten können. Sanft setze ich ein paar Schritte nach vorne, bis ich, in der Hocke den Boden absuche. Es dauert einen Moment, ehe ich den nächsten Fleck auf dem reinlich weißen Fliesenboden erblicke. Man sollte meinen, dass es etwas offensichtlicher wäre, aber ich kann in dieser Landschaft froh sein überhaupt die Hand vor Augen zu erkennen.

Schon nach dem zweiten Spritzer auf dem Boden wirkt es seltsam. Nicht unbedingt so, dass er mit Absicht versucht hat eine falsche Fährte zu legen, sondern mehr so, als ob er nicht mehr gerade gehen kann. Ich dachte, ich hätte ihn nur in der Schulter getroffen?

Vor mir ist irgendetwas. Oder jemand? Die Pistole im Anschlag mache ich den Schritt vorwärts. Und könnte mich selbst schlagen für meinen Gedanken. Wenn ich noch etwas im Magen hätte, würde ich es sicherlich alsbald entlassen wollen, aber inzwischen ist meine Schwelle für Grausamkeiten auch gedeckelt. Vor mir hängt eine Person. Ein Mann, mitten im Nebel, ungefähr 30 cm über dem Erdboden, soweit ich es erkennen kann, ein Haken in seinem Rücken, der Brustkorb geöffnet. Wie Schlachtvieh.

Ehrlich gesagt hatte ich ursprünglich angenommen, dass es sich bei Fouquier um einen Hinterhof-Chirurgen handelt, nicht um einen Serienmörder, der Menschen im Gros abschlachtet.

Die Blutspur führt eindeutig weiter in den Nebel hinein. Wo kommt eigentlich die Helligkeit her? Lampen an der Decke? Wenn es kein fluoreszierender Nebel ist, was ich für unwahrscheinlich halte, dann vermutlich irgendwo Lampen. Wenn ich von mehreren Haken und einer durchschnittshöhe von knapp zwei ein halb bis drei Metern ausgehe, ist der Raum locker in den Ausmaßen einer Kühlkammer.

Es passt durchaus zusammen. Eine Kühlkammer. Ein Hochofen. Von einem in den anderen. Zu welchem Zweck jedoch, bleibt abzuwarten. 

Je länger ich der Spur durch den Raum folge, desto mehr erscheint es mir deutlich, dass er seinen Weg nicht halten konnte. Ab und zu biegt die Spur in eine Richtung ab, als ob ich auf der Fährte eines betrunkenen hinter her schleiche.

Es dauert einige Minuten und schließlich stehe ich vor einer Tür. Eine zweiflügelige Schwingtür. Keine Klinke oder etwas Ähnliches und genau so in den Türrahmen gehängt, dass man ohne Probleme hindurch laufen könnte. Und an ihrem Kopf, jeweils zur linken und rechten Seite ein Bullauge. Weiß. Milchiges Weiß, das das gesamte Auge ausfüllt, als wäre es das Weiß, in das man blickt, und nicht die Ansicht, die sich dahinter verbirgt.

Ich drücke mich hindurch. Der Fliesenboden setzt sich fort, wenngleich eher als ein Nebengedanke. Der Raum wird zentral von zwei Liegetischen dominiert, die wie aus dem Stein herauskommend, ebenfalls gefliest, in einem gräulichen Weiß und Rot einen seltsamen Kontrast mit den Körpern auf ihnen bieten. Der linke Körper ist der einer jungen Frau, ebenso wie auf den ersten Blick der zur rechten. Beide sind mit Fixierungsband an ihre jeweiligen Tische angebunden, seltsame Apparaturen stehen an den Seiten, die mit Schläuchen und Kanülen Verbindung zu den Körpern haben und ab und zu mal ein leises Geräusch der Betriebsamkeit von sich geben.

Währenddessen wird der Raum aber nicht von diesen beiden Tischen allein eingenommen. An der linken Seite drängt sich aus der Wand heraus ein großes Rohr, nicht weit entfernt in der Machart von den Maschinen die ich vorher sah, in Verbindung mit einer merkwürdig kompliziert aussehenden Laborapparatur, durch die eine orange Flüssigkeit, wie eine Fettlauge hindurch fließt um am Ende in einem Sammelbecken zu landen. Mehrere Eimer voll mit ähnlicher Flüssigkeit stehen bereits daneben. Und an der rechten Wand steht ein Schreibtisch mitsamt Arbeitsfläche, ein Aktenschrank, einem einfachen Camping-Bett und einem Mülleimer, der bis oben hin voll mit irgendwelchen Snacks ist. Getrennt wird dieser Arbeits- und Lebensbereich durch eine kleine Treppe die etwas tiefer zu führen scheint. Dicke Kabel folgen dieser Treppe nach unten und die Blutspur, die hier einen schon eher ziehenden Charakter eingenommen hat, deutet an, dass hier jemand zu Boden gegangen ist und sich dann über den Boden weiter zog, was zur Blutspur führt.

Natürlich könnte auch jemand schon vor weitaus längerer Zeit hier langgezogen worden sein, aber dafür ist die Spur zu frisch. Bewegung! Aber es ist nur eine Überreaktion. Anscheinend sind die Damen auf den Tischen wach, wenngleich nicht völlig bei Bewusstsein. Von ihrer offensichtlichen Nacktheit abgesehen, sind beide mit seltsamen punktuellen Zeichnungen auf dem gesamten Körper versehen, als ob sie bei einem Schönheitschirurgen sitzen würden und nicht auf der Schlachtbank. Ein kurzer Blick auf die Pupillen. Hmm, von wach kann man auch nicht sprechen. Vermutlich sind sie unter Drogen gesetzt worden, um die still zu halten. Würde erklären, was sich für Flüssigkeiten in den Schläuchen befinden, die in ihre Arme und an die Seite ihres Oberkörpers führen.

Ich umrunde den Schreibtisch, betont vorsichtig, auf die Gefahr hin, dass der Mistkerl sich hinter dem Tisch versteckt, aber es ist nur ein Hirngespinst. Ich werde der Treppe hinunter folgen müssen. Na, mehr Höhle des Löwen kann es jetzt ja auch nicht sein.

Jeder Schritt ist ein Wagnis. Die Treppe ist breiter und besser angelegt als diejenige, welche nach oben führte, gleichzeitig aber auch schlechter beleuchtet. Immerhin, die Stufen sind nicht so hoch. 

Als ich nach vielleicht 20 Stufen unten ankomme, stehe ich in einem Raum, der von der Größe her an ein großes Büro erinnern würde, wenn die Inneneinrichtung nicht komplett falsch wäre. Neben mir, die gesamte Treppe hinunter sind die großen Starkstromkabel verlaufen, welche zuweilen immer wieder an verschiedenen Punkten aus der Wand oder unter Abdeckungen ersichtlich waren und führen in die Mitte des Raumes, in der an die Decke reichend eine Kapsel?, ein Tank? steht, beleuchtet von vielen kleinen Lichtern, mit einem Körper in ...Nährflüssigkeit? Cryogenik-Suppe? Umgeben von Kerzen und Bildern erinnert dies mehr an einen Schrein für die Person innerhalb des Objekts. Was zum Henker ist das? Ein Cryogenik-Tank? Eine Cryo-Zelle? 

Der gesamte Raum ist ausgefüllt von Zeitungsschnipseln und Fotos einer Person. Einer Frau, ungefähr Ende 30, eigentlich recht attraktiv, die auf unzähligen Bildern von der Wand starrt oder auf diesen präsentiert wird.

Und vor diesem "Schrein", die Hand nach vorne gestreckt, kriecht der getroffene. Ich trete hart auf bei jedem Schritt und er wendet sich um, sieht mich, versucht sich unter Gestöhne zu drehen. Stützt sich auf seine Flinte.

Vergeblich. Mit einem Tritt gegen seine Waffe fliegt sie ihm aus den Händen. Mit einem Stoß knallt er gegen den Tank im Rücken, keucht schwer auf. Kurzer Blick umher, ob ausser uns noch jemand hier ist. Wir sind allein, wenn man vom Tank absieht. Keine Ahnung, wer sie ist, aber das wird sich noch herausstellen. Ich richte die Waffe auf ihn. Dank der guten Beleuchtung durch Tank und umstehende Kerzen, kann ich ihn deutlich besser inspizieren, als es mir möglich gewesen war, als ich ihn draußen gesehen hatte.

Anscheinend habe ich ihn beim blindlings Feuern deutlich härter getroffen als ich angenommen hatte. Er zieht das rechte Knie und seine Schulter hängt schlaff wie auch der gesamte Arm, blutig rot in seinem Umhang, während er selber mit halb-irrem Blick und schwitzend, keuchend und  leidend vor mir liegt.

Zeichner
Fouquier?

Er nickt nur leicht. Immerhin. Lag ich nicht ganz falsch.

Fouquier
Bitte. Ich habe alles für euch getan, das ihr von mir...verlangt habt.

Sein Husten hinterlässt eine blutige Spur in seinem Mund.

Zeichner
Warum glaubst du bin ich hier?

20140522

Fall 1 - XXXVIII

Dass diese Dinge auch niemals an einem hellen, sonnigen Tag im Park passieren können, nein, es muss immer irgendeine Kloake oder ein Untergrundlabor oder etwas ähnlich schmutziges sein. Manchmal kriege ich das Gefühl, dass die Realität hier eher versucht Kunst zu imitieren, als das es normalerweise andersrum wäre.

Tauchen wir hinab in den langen Tunnel. Trotz der leicht geisterhaften Atmosphäre ist es anders als es beim ersten Begehen war. Ich kann seine Schritte in einiger Entfernung widerhallen hören. Eiliges Aufstapfen, er läuft. Keine Munition mehr oder die Angst um das eigene Überleben?

Diesmal ist der Gang deutlich einfacher zu durchschreiten, Zwar sehe ich stellenweise gerade mal die Hand vor Augen mit dem Spinnennetzmuster des Mobiltelefons in der Jackentasche aber selbst das mag reichen um die Umgebung...Moment.

Ich nehme das Telefon, stecke es um, von der Außen- in die meine Innentasche. Zwar mag es da kein Licht mehr spenden, aber gleichzeitig bedeutet es, dass ich deutlich schlechter zu erkennen sein werde, wenn mich jemand von der anderen Seite aus beobachten will. Und ein schlechteres Ziel für einen möglichen Schütze abgebe.

Natürlich ist das Ganze im vollen Dunkeln deutlich seltsamer zu begehen, denn auf einmal höre ich ja nicht mal mehr das Brummen im Hintergrund, das vorher dafür gesorgt hatte, dass man von einer gewissen Umgebung begleitet war. Längst sind die Schritte in der Ferne verhallt, während ich jetzt mit der Helligkeit in meinem Rücken erst bemerke, dass der Gang eigentlich eine leichte Biegung hat.

Nicht viel, aber gerade so viel, um in den nächsten zwanzig oder dreißig Metern die Kurve zu kriegen. Seltsam Seltsam, da hat jemand sich viel Mühe gemacht den Rohrverlauf entsprechend anzulegen. Ungefähr ab da werde ich auch selbst nicht mehr gesehen werden können.

Und trotzdem bin ich nicht alleine. Jeder Moment, jeder Atemzug den ich mache, die Gefahr, dass er bemerkt wird. Gehört wird und dafür sorgt, dass der Mistkerl ihn vorher bemerkt und auf mich feuert. Wenn er denn noch Munition hat, natürlich. Seine fast schon panische Reaktion ist aber auch nicht zwangsweise ein Zeichen dafür, dass er keine mehr hat, denn sein Rückzug war schon durchaus die beste Reaktion für ihn. Schwein.

Wo ich jetzt so durch die Dunkelheit tapse, kommt mir aber auch erst so richtig das Bild in den Kopf, das er gerade gezeigt hat. Statt einer Schürze trug er ein rotes Hemd mit einem sehr schmutzig wirkenden Arztkittel und seine Hände hatten auf den ersten Blick den deutlichen Schein von medizinischen Handschuhen. Und statt einer Tragetasche hielt er die Flinte in den Armen. Immerhin konnte ich dank der besseren Helligkeit sein Gesicht besser erkennen. Es ist nicht ganz das Allerweltsgesicht gewesen das ich im Donner gedacht hatte zu erkennen. Stattdessen wirkt es wie ein Mann in den späten Dreißigern, mit einem schlecht rasierten Fünf-Uhr-Schatten und viel zu dichten Augenbrauen.

Ich schaue mich um. Hah. Nichts zu sehen. Wie auch. Mein eigener Atem haucht in die Stille hinein und ein Luchs würde in diesem Moment nicht mehr hören können, als das sanfte Schnaufen meiner Wenigkeit. Wie weit bin ich schon gegangen? Wie weit ist es noch bis zur Kreuzung? Habe ich ohne es zu merken schon meinen Angreifer überholt? Oder bin ich in Wirklichkeit erst seit wenigen Minuten hier drinnen unterwegs?

Warum zum Henker ist keine der Lampen mehr aktiv, die während meiner ersten Partie hier drinnen geleuchtet haben. Da war wenigstens noch alle paar Meter mal ein Lichtschein in Sicht. So hingegen kommt es mir vor, als ob ich in der Dunkelheit im Untergrund alleingelassen mit meinen Dämonen bin. Alleine, unter Tonnen von Erde, mit einer Person, die mich im erstem Moment mit einer Schrotflinte über den Haufen ballern wollte und Leute in einem Hochofen brutzelt.

Für so einen Abenteuerurlaub würden andere Leute vermutlich auch noch Geld ausgeben.

Ein Lichtblick! Auf den ersten Blick wirkt es so, als ob die Dunkelheit nicht weichen will, aber der fast unmerklich gehende Luftzug an meiner Seite und die Aufhellung am Ende des Tunnels, sofern man von Ende sprechen kann, da ich da nur mehr Dunkelheit sehe, wird unterbrochen durch ein Licht das aus einer Seite kommt. Die Treppe hinauf. Der Weg in die Familiengruft. Bestimmt nicht nur instinktiv umklammere ich die Pistole etwas fester. Ich kann eigentlich nur beten, dass noch ein paar Kugeln drin sind. Sollte er mich da vorne überraschen wollen, so sollte er sich auf eine eigene kleine 9mm-Überraschung meinerseits gefasst machen.

Schritt für Schritt, den Atem kontrollierend, schleiche ich an der Wand vorwärts. Gerade so, dass ich von der einschneidenden Treppe aus nicht sofort gesehen werden kann. Immerhin ist die Dunkelheit in diesem Moment mein Freund, anstatt mal anders herum. Ich bin fast an der Biegung rum zur Treppe. Inzwischen ist das von dort oben dringende Licht immerhin hell genug, dass ich mich selbst erblicken kann, aber nicht hell genug um wirklich etwas um die Ecke hier zu enthüllen.

Ein Geräusch! Irgendetwas oder noch besser, jemand, ist da. Umso besser. Langsam in die Knie, fast schon in der Hocke und dann LOS!

Mit einem kurzen Sprint, Waffe im Anschlag, jage ich in die Biegung und komme auf halber Hüfthöhe zum Stoppen. Vor mir, mitten auf der Treppe, auf gehangen mit einem geschnittenen Kabel das wohl von der Starkstromleitung herrührt, die an der Seite der Treppe die Gruft hoch führte, steht es mittendrin, gehalten nur von einer seltsamen Kabbellage die mir die Haare zu Berge stehen lassen.

Etwas knallt und ich höre ein leichtes Summen aus dem gesamten Tunnel, um mich geht das Licht an und vor mir knistert es im ersten Augenblick bevor es mit einem lautstarken Zischen und Krachen knallt. Funken sprühen aus dem Kabelende in meine Richtung und in einem leichten Anflug von Panik halte ich mir schützen den rechten Arm vors Gesicht. Das hilft aber nicht viel, als ich im nächsten Moment etwas sehr hartes spüre, das gegen meinen Kopf donnert und mich rechterlings zu Boden wirft. 

Alles dreht sich, mein Schädel pocht als wäre er gerade durch eine Druckerpresse gegangen und irgendetwas Flüssiges geht mir über Hals, Stirn und Augen. Wie benommen versuche ich aufzustehen, kann aber meine Bewegung nicht im selben Maße steuern, in dem ich es bisher hätte gekonnt und wedel stattdessen unbeholfen mit den Armen.

Er hat mir aufgelauert in der Dunkelheit im Gang und eine Falle gestellt. Ich weiss nicht, was für ein Objekt er benutzt hat, um mir zu versuchen, den Schädel zu spalten, aber ich weiß, dass ich es ihm heimzahlen werde.

Die schemenhafte Gestalt die sich mir näher ist klar auszumachen. Zu dumm für ihn, dass ich die Pistole nicht hab fallen lassen. Selbst durch den roten Schleier hindurch, ein derartig großes Ziel auf diese Entfernung kann selbst ich nicht verfehlen. Schüsse knallen. Er schreit auf. 

?
ARGH

Ich habe getroffen! Ich ziehe noch ein paar mal den Abzug durch und Kugeln pfeifen durch den Tunnel, aber ob ich erneut treffe, kann ich nicht sagen. Was ich vernehme, sind hastig sich entfernende Schritte, Grunzende Laute und ein Aufheulen. Geschieht dir Recht, Arschloch!

Zeit vergeht, die Geräusche entfernen sich. Nur das stetige Brummen der Umgebung, der Stromleitungen an der Decke und der Lichter begleiten mich hier und jetzt.

Ich liege noch immer am Boden. Der pochende Schmerz in meinem Kopf ist abgedumpft, aber nicht verflogen. Er gesellt sich stattdessen zur Reihe anderer Schmerzen, die sich bereits die Klinke in die Hand geben mit mir und scheint sich zu begnügen, wie ein stetiger Hammerschlag gegen mein inneres Nervenzentrum zu funktionieren.

Ich versuche aufzustehen. Es bleibt im ersten Moment beim Versuch. So ein Trottel. Hätte er nicht trotz Schusswunde da bleiben und mich wenigstens kalt machen können, statt abzuhauen? Ich brauche zwei weitere Anläufe, ehe ich überhaupt wieder ein Höhenlevel in gewisser Höhe erreicht habe. Meine Beine sind wie Pudding. Jeder einzelne Schritt ist eine Herausforderung. Vorsichtig fühle ich mit der Hand die Wundstelle. Ein ungefähr Faustballengroßer Punkt links meines Schädels fühlt sich extrem schmerzhaft an, wenngleich nur ein Teilbereich überhaupt wirklich von selbst geblutet hat. Vielleicht war der Schaden nicht so groß wie befürchtet.

Die Anstrengungen lassen nicht los. Ich weiß, dass er den Tunnel entlang ist. Womit soll er mich jetzt noch aufhalten. Außer mehr Dingen, mit denen er mir weh tun kann? Durch mein linkes Auge wirkt es so, als ob ich alles in einen leichten rötlichen Filter eintauche. Es ist ein äußerst seltsamer Anblick, als ob ich eine halbe 3D-Brille trage.

An der Wand entlang hieve ich mich Richtung seines Fluchtpunktes. Immerhin, dicke Tropfen und kleine Pfützchen von Blut suggerieren, dass ich irgendetwas wichtiges getroffen haben muss. Andernfalls würde das nicht so schlimm aussehen. Da vorne! Von einem milchig-durchsichtigem Vorhang bedeckt scheint der Durchgang zu enden. Es ist an der Zeit dem ein Ende zu bereiten. Beiß die Zähne zusammen Mann!

Ich bringe die linke Hand hoch, wenngleich die Bewegung sich anfühlt als würde jemand an den offenen Muskelfäden Geige spielen und hole das Telefon heraus. Ach Mist, das Display ist hin. Ich drücke ein paar Mal auf dem Display umher. Irgendwie regiert es auch auf meine Eingabe, aber nicht so wie ich mir das erhofft hatte. Statt irgendwas zu machen hat man das Gefühl als würde man auf zwanzig Stellen gleichzeitig drücken. Scheiss Moderne Technik. Stecke es wieder ein, keuche mich vorwärts.

Ich drücke mich an der Wand entlang durch den Vorhang, an dem ich, als ich endlich dort angelangt bin, auch Spuren eines blutigen Handabdrucks sehen kann. Hier bin ich richtig.

Vor mir eröffnet sich ein in mehrere Räume aufgeteilter Bereich, der im Gegensatz zum Bürohaus vorher mit relativ sauberen weißen Fliesen versehen ist. Von Vorhängen abgetrennt, mit verschiedenen Abflüssen an diversen Punkten auf dem Fliesenboden und wenn man von den Operationsstühlen absieht, erinnert die gesamte Umgebung an eine illegale Untergrundklinik. 

Und eine solche wird es vermutlich auch sein. Dieser Raum selber, vielleicht seine 20 Meter breit und 15 Meter tief ist immer noch sehr groß und hat auf der rechten Seite einen großen Stuhl, der an einen dieser typischen Untersuchungsstühl erinnert, die man sonst meist vom Zahnarzt kennt, während auf der linken Seite unzählige Wandkammern auf eine Gerichtsmedizin oder Kühlkammern hindeuten. Und die Leiber auf den davor stehenden Untersuchungstischen machen ihr übrigens. Und im Hintergrund kommt aus einem Durchgang, der durch einen undurchsichtigen Vorhang blockiert wird, sanfter weißer Bodennebel, als ob jemand einen Kühlraum offen gelassen hat. Es ist bezeichnend, dass die Blutspur direkt über den Fliesenboden quer durch den Raum Richtung Vorhang führt.

Du wirst mir nicht entkommen.

20140519

Fall 1 - XXXVII


Wie auch auf dem Weg hinauf, so dauert es für den Weg hinunter eine kleine Ewigkeit. Als ich die untere Tür erreiche, habe ich es längst bemerkt. Vor mir die Tür, welche auf das Gitter führen sollte, von dem aus ich die nächste Treppe und den Verbindungsbereich zum Hochofen und zum Tunnel selbst erreichen sollte. Aber es ist vor mir alles still. Die Tür war schon bei meinem letzten Besuch nicht massiv genug, dass sie die Geräuschkulisse abhalten hätte können. Also bedeutet das jetzige Fehlen der Industriegeräusche dahinter...was genau jetzt?



Es ist ein wiederkehrendes Problem. Mir fehlen zu viele Informationen über Sinn und Zweck dieser Anlage. Fouquier wird die Antworten haben. Mit diesem Gedanken reiße ich die Tür auf und trete hinaus.



Eine Abwesenheit von Tönen. Der Raum ist immer noch hell erleuchtet, ich kann die verschiedenen  Tanks und Rohre sehen, die Leuchtstrahler, die aufs aggressivste die Umgebung erhellen und dabei vor sich hin summen als hätten man einen halben Bienenschwarm losgelassen. Von hier oben auf dem Metallgitter aus kann ich über den Abgrund nicht einmal eine volle Übersicht über die Umgebung erlangen. An eines der Geländer gelehnt schaue ich hinab. Selbst mit den Strahlern wirkt es noch so, als ob sich dieser Raum weit, sehr weit in die Tiefe begeben würde. Weiter sicherlich, als ich über die verschiedenen Begehbarkeiten hier erreichen könnte. Kann dies einem Zweck dienen? Oder ist dies das Konstrukt eines wahnsinnigen Ingenieurs bei dem am Ende so etwas seltsames wie eine Tasse Tee herauskommt?



Ich kann es hören. Wie sich die Treibladung bewegt und das Rohr feuer spuckt. Wie Splitter und Metall kreischen und kratzen als sie aufeinander treffen. Spüren, wie meine Jacke aufgefetzt wird, rasiermesserscharfe Stücke über meine Schulter gleiten und sich dabei Millimeter um Millimeter durch das Fleisch mähen, als wäre es nur ein Gerstenkorn auf dem Felde.



Ich habe Glück im Unglück, stolpere durch den Schmerz und die überraschende Wucht nach hinten, auf die andere Seite des Metallgitters, gegen das Geländer kurz vor der Wand, nahe der Tür selbst. Der Schütze hat nicht gut gezielt, wenngleich die Spuren an mir und um mich herum deutliche Zeichen setzen.



Jemand hat auf mich geschossen. Durch den Nebel des Scherzes hindurch ist mir diese Tatsache mehr als nur bewusst. Die ist mir schmerzlich eingebrannt. Wer? Von Wo? Ich muss in Deckung!



Die Tür kann mir nicht helfen, sie ist nicht hart genug, eine solche Ladung abzuhalten. Meine Gedanken rasen, Adrenalin pumpt seinen Pfad durch meine Adern als wolle es die Zeit um mich gefrieren lassen.



Ich habe kein Aufglimmen gesehen, der Schuss traf mich an der linken Schulter und riss sich dabei in einem schrägen Schussverlauf über den Oberarm entlang zum Schlüsselbein knapp an meinem Hals vorbei. Die Schützenposition ist also etwas tiefer als meine und hat Einsicht auf das Metallgeländer vor mir. 



Drücke mich schlagartig vom hinteren Geländer ab, das sich bereits ungünstig anfängt in meinen Rücken zu bohren, während die Waffe rechterhand im Schlag nach einem Ziel sucht, meine Augen ein unruhiges Durcheinander von Punkten ab blickend.



Da bemerke ich es. Das hohle Klacken und Klinken, gefolgt vom Zusammenschluss der Kammern. Ein Einschüsser, vermutlich eine altmodische Jagdflinte, entweder Schrot oder ein Jagdgewehr, vermutlich eher Schrot, so wie das Blut meine Schulter hinab sickert. Problem ist, nur weil ich jetzt weiß, dass er nur einen Schuss hat, heißt das noch lange nicht, dass ich weiß, wo er sich hier verbirgt. Er könnte überall in diesem Wirrwarr von Streben und Gängen sein.



Bewegung am Rande meines Blickfeldes!



Mit einem Hechtsprung zur Seite, knallt es im selben Moment bereits, als mich die Treibladung nur um Haaresbreite verfehlt. Wäre ich nicht zur Seite gesprungen hätte ich mich vermutlich über ein paar neue Löcher freuen dürfen. Komme hart auf, was meinem Bauch überhaupt nicht gefällt, der sich daraufhin wie eine stetig pochende Wunde zu melden beginnt. Hab ich jetzt natürlich auch noch gebraucht.



Da ist es wieder, das Klacken. Ziehe mich am Geländer hoch. Beiß die Zähne zusammen, Zeichner! Der Schuss kam von einer Position von der aus er mich sehen konnte. Er muss mindestens eine Ebene unter mir sein. Jetzt wieder hinter einem Rohr. Meine Hand zittert, Schweiß läuft mir über die Stirn, während ich die Umgebung absuche.



Er hat nachgeladen. Er wird gleich wieder feuern. Ich kann nicht ewig Glück haben, aber vielleicht muss ich nur schneller sein als er. Schwungvoll renne ich zur Treppe nach unten, die ich in einem Affenzahn hinunterstürze, ohne Rücksicht auf meine eigene Sicherheit zu nehmen. Noch beim Laufen kann ich das Widerhallen von Metall hören, also bewegt sich der Schütze ebenso, als ich unversehens gegen das untere Geländer krache, dass ich fast vornüber kippe und drohe hinunter zu stürzen. 



Da sehe ich ihn. Auf dem mittleren Gang, neben einem großen Kessel rückwärts stolpernd, eine Schrotflinte in den übergroßen Pranken sitzend, das Gewehr am runter reißen, nur um mich zu erwischen, als ob er überrascht davon ist, dass ich plötzlich hier auftauche. Aber er da hat er mich unterschätzt.



Blindlings ziehe ich den rechten Arm hoch und drücke ab. Schüsse knallen, Ein Schuss, Zwei Schüsse, Drei Schüsse. Funkenschlag und Hochtöne jagen sich ob der Querschläger, die hier umher sausen. Ich habe nicht getroffen. Aber vielleicht musste ich auch nicht. Er schießt und verfehlt meilenweit. Schaut mich entsetzt an. Ich richte mich auf. Richte die Pistole auf ihn, der er am zurück weichen inzwischen die Treppe in den langen Gang erreicht hat.



Zeichner
Bleiben sie stehen oder ich schieße!



Er dreht sich um und rennt los. Ich versuche meinen linken Arm hoch zu bekommen, um ihm wenigstens ein paar Kugeln hinter her zu jagen, aber der Schmerz sorgt nur für ein unangenehmes Ziehen und Wummern in der Hand. Ich feuere ihm so nach. Mehrere Schuss peitschen aus dem Lauf, nur um ihm nachzusetzen. Getroffen habe ich wohl nicht und er verschwindet in der Dunkelheit. 



Reiß dich zusammen, Zeichner! Langsamen Schrittes, die Waffe immer im Anschlag, gehe ich ihm nach. In das Halbdunkel.