20140525

Fall 1 - XXXIX

Es sind nur wenige Schritte durch den Raum. Jedes Auftreten auf den kalten Fliesenboden reflektiert den Hall über Meter hinweg und gibt das Gefühl, dass man sich in einem weitaus größerem Raum befindet.

Der Vorhang lässt einem keinen Durchblick. Etwas unwirscher, als beabsichtigt haue ich ihn beiseite, nur um in einen Raum zu blicken, dessen Ausmaße ich nicht erfassen kann. Nebel. Weißlicher Nebel überzieht das Sichtfeld hinter dem Vorhang, als würde irgendwo eine Nebelmaschine versuchen klaustrophobische Serienmörder-Stimmung zu erzeugen.

Vermutlich würde jemand anders dadurch abgelenkt werden, aber du hast die Rechnung ohne mich gemacht, Freundchen. Sein größter Nachteil ist und bleibt die Schusswunde. Schon auf dem Fliesenboden hinter mir sind einzelne Blutflecken zu erkennen und wie ich direkt vor mir sehen kann, setzt sich das Muster fort.

Er blutet aus. Seine Zeit läuft ab. Und der Nebel hier drinnen, egal woher, wird mich nicht aufhalten können. Sanft setze ich ein paar Schritte nach vorne, bis ich, in der Hocke den Boden absuche. Es dauert einen Moment, ehe ich den nächsten Fleck auf dem reinlich weißen Fliesenboden erblicke. Man sollte meinen, dass es etwas offensichtlicher wäre, aber ich kann in dieser Landschaft froh sein überhaupt die Hand vor Augen zu erkennen.

Schon nach dem zweiten Spritzer auf dem Boden wirkt es seltsam. Nicht unbedingt so, dass er mit Absicht versucht hat eine falsche Fährte zu legen, sondern mehr so, als ob er nicht mehr gerade gehen kann. Ich dachte, ich hätte ihn nur in der Schulter getroffen?

Vor mir ist irgendetwas. Oder jemand? Die Pistole im Anschlag mache ich den Schritt vorwärts. Und könnte mich selbst schlagen für meinen Gedanken. Wenn ich noch etwas im Magen hätte, würde ich es sicherlich alsbald entlassen wollen, aber inzwischen ist meine Schwelle für Grausamkeiten auch gedeckelt. Vor mir hängt eine Person. Ein Mann, mitten im Nebel, ungefähr 30 cm über dem Erdboden, soweit ich es erkennen kann, ein Haken in seinem Rücken, der Brustkorb geöffnet. Wie Schlachtvieh.

Ehrlich gesagt hatte ich ursprünglich angenommen, dass es sich bei Fouquier um einen Hinterhof-Chirurgen handelt, nicht um einen Serienmörder, der Menschen im Gros abschlachtet.

Die Blutspur führt eindeutig weiter in den Nebel hinein. Wo kommt eigentlich die Helligkeit her? Lampen an der Decke? Wenn es kein fluoreszierender Nebel ist, was ich für unwahrscheinlich halte, dann vermutlich irgendwo Lampen. Wenn ich von mehreren Haken und einer durchschnittshöhe von knapp zwei ein halb bis drei Metern ausgehe, ist der Raum locker in den Ausmaßen einer Kühlkammer.

Es passt durchaus zusammen. Eine Kühlkammer. Ein Hochofen. Von einem in den anderen. Zu welchem Zweck jedoch, bleibt abzuwarten. 

Je länger ich der Spur durch den Raum folge, desto mehr erscheint es mir deutlich, dass er seinen Weg nicht halten konnte. Ab und zu biegt die Spur in eine Richtung ab, als ob ich auf der Fährte eines betrunkenen hinter her schleiche.

Es dauert einige Minuten und schließlich stehe ich vor einer Tür. Eine zweiflügelige Schwingtür. Keine Klinke oder etwas Ähnliches und genau so in den Türrahmen gehängt, dass man ohne Probleme hindurch laufen könnte. Und an ihrem Kopf, jeweils zur linken und rechten Seite ein Bullauge. Weiß. Milchiges Weiß, das das gesamte Auge ausfüllt, als wäre es das Weiß, in das man blickt, und nicht die Ansicht, die sich dahinter verbirgt.

Ich drücke mich hindurch. Der Fliesenboden setzt sich fort, wenngleich eher als ein Nebengedanke. Der Raum wird zentral von zwei Liegetischen dominiert, die wie aus dem Stein herauskommend, ebenfalls gefliest, in einem gräulichen Weiß und Rot einen seltsamen Kontrast mit den Körpern auf ihnen bieten. Der linke Körper ist der einer jungen Frau, ebenso wie auf den ersten Blick der zur rechten. Beide sind mit Fixierungsband an ihre jeweiligen Tische angebunden, seltsame Apparaturen stehen an den Seiten, die mit Schläuchen und Kanülen Verbindung zu den Körpern haben und ab und zu mal ein leises Geräusch der Betriebsamkeit von sich geben.

Währenddessen wird der Raum aber nicht von diesen beiden Tischen allein eingenommen. An der linken Seite drängt sich aus der Wand heraus ein großes Rohr, nicht weit entfernt in der Machart von den Maschinen die ich vorher sah, in Verbindung mit einer merkwürdig kompliziert aussehenden Laborapparatur, durch die eine orange Flüssigkeit, wie eine Fettlauge hindurch fließt um am Ende in einem Sammelbecken zu landen. Mehrere Eimer voll mit ähnlicher Flüssigkeit stehen bereits daneben. Und an der rechten Wand steht ein Schreibtisch mitsamt Arbeitsfläche, ein Aktenschrank, einem einfachen Camping-Bett und einem Mülleimer, der bis oben hin voll mit irgendwelchen Snacks ist. Getrennt wird dieser Arbeits- und Lebensbereich durch eine kleine Treppe die etwas tiefer zu führen scheint. Dicke Kabel folgen dieser Treppe nach unten und die Blutspur, die hier einen schon eher ziehenden Charakter eingenommen hat, deutet an, dass hier jemand zu Boden gegangen ist und sich dann über den Boden weiter zog, was zur Blutspur führt.

Natürlich könnte auch jemand schon vor weitaus längerer Zeit hier langgezogen worden sein, aber dafür ist die Spur zu frisch. Bewegung! Aber es ist nur eine Überreaktion. Anscheinend sind die Damen auf den Tischen wach, wenngleich nicht völlig bei Bewusstsein. Von ihrer offensichtlichen Nacktheit abgesehen, sind beide mit seltsamen punktuellen Zeichnungen auf dem gesamten Körper versehen, als ob sie bei einem Schönheitschirurgen sitzen würden und nicht auf der Schlachtbank. Ein kurzer Blick auf die Pupillen. Hmm, von wach kann man auch nicht sprechen. Vermutlich sind sie unter Drogen gesetzt worden, um die still zu halten. Würde erklären, was sich für Flüssigkeiten in den Schläuchen befinden, die in ihre Arme und an die Seite ihres Oberkörpers führen.

Ich umrunde den Schreibtisch, betont vorsichtig, auf die Gefahr hin, dass der Mistkerl sich hinter dem Tisch versteckt, aber es ist nur ein Hirngespinst. Ich werde der Treppe hinunter folgen müssen. Na, mehr Höhle des Löwen kann es jetzt ja auch nicht sein.

Jeder Schritt ist ein Wagnis. Die Treppe ist breiter und besser angelegt als diejenige, welche nach oben führte, gleichzeitig aber auch schlechter beleuchtet. Immerhin, die Stufen sind nicht so hoch. 

Als ich nach vielleicht 20 Stufen unten ankomme, stehe ich in einem Raum, der von der Größe her an ein großes Büro erinnern würde, wenn die Inneneinrichtung nicht komplett falsch wäre. Neben mir, die gesamte Treppe hinunter sind die großen Starkstromkabel verlaufen, welche zuweilen immer wieder an verschiedenen Punkten aus der Wand oder unter Abdeckungen ersichtlich waren und führen in die Mitte des Raumes, in der an die Decke reichend eine Kapsel?, ein Tank? steht, beleuchtet von vielen kleinen Lichtern, mit einem Körper in ...Nährflüssigkeit? Cryogenik-Suppe? Umgeben von Kerzen und Bildern erinnert dies mehr an einen Schrein für die Person innerhalb des Objekts. Was zum Henker ist das? Ein Cryogenik-Tank? Eine Cryo-Zelle? 

Der gesamte Raum ist ausgefüllt von Zeitungsschnipseln und Fotos einer Person. Einer Frau, ungefähr Ende 30, eigentlich recht attraktiv, die auf unzähligen Bildern von der Wand starrt oder auf diesen präsentiert wird.

Und vor diesem "Schrein", die Hand nach vorne gestreckt, kriecht der getroffene. Ich trete hart auf bei jedem Schritt und er wendet sich um, sieht mich, versucht sich unter Gestöhne zu drehen. Stützt sich auf seine Flinte.

Vergeblich. Mit einem Tritt gegen seine Waffe fliegt sie ihm aus den Händen. Mit einem Stoß knallt er gegen den Tank im Rücken, keucht schwer auf. Kurzer Blick umher, ob ausser uns noch jemand hier ist. Wir sind allein, wenn man vom Tank absieht. Keine Ahnung, wer sie ist, aber das wird sich noch herausstellen. Ich richte die Waffe auf ihn. Dank der guten Beleuchtung durch Tank und umstehende Kerzen, kann ich ihn deutlich besser inspizieren, als es mir möglich gewesen war, als ich ihn draußen gesehen hatte.

Anscheinend habe ich ihn beim blindlings Feuern deutlich härter getroffen als ich angenommen hatte. Er zieht das rechte Knie und seine Schulter hängt schlaff wie auch der gesamte Arm, blutig rot in seinem Umhang, während er selber mit halb-irrem Blick und schwitzend, keuchend und  leidend vor mir liegt.

Zeichner
Fouquier?

Er nickt nur leicht. Immerhin. Lag ich nicht ganz falsch.

Fouquier
Bitte. Ich habe alles für euch getan, das ihr von mir...verlangt habt.

Sein Husten hinterlässt eine blutige Spur in seinem Mund.

Zeichner
Warum glaubst du bin ich hier?

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