Dass diese Dinge auch niemals an einem hellen,
sonnigen Tag im Park passieren können, nein, es muss immer irgendeine Kloake
oder ein Untergrundlabor oder etwas ähnlich schmutziges sein. Manchmal kriege
ich das Gefühl, dass die Realität hier eher versucht Kunst zu imitieren, als
das es normalerweise andersrum wäre.
Tauchen wir hinab in den langen Tunnel. Trotz der
leicht geisterhaften Atmosphäre ist es anders als es beim ersten Begehen war.
Ich kann seine Schritte in einiger Entfernung widerhallen hören. Eiliges
Aufstapfen, er läuft. Keine Munition mehr oder die Angst um das eigene
Überleben?
Diesmal ist der Gang deutlich einfacher zu
durchschreiten, Zwar sehe ich stellenweise gerade mal die Hand vor Augen mit
dem Spinnennetzmuster des Mobiltelefons in der Jackentasche aber selbst das mag
reichen um die Umgebung...Moment.
Ich nehme das Telefon, stecke es um, von der Außen- in
die meine Innentasche. Zwar mag es da kein Licht mehr spenden, aber
gleichzeitig bedeutet es, dass ich deutlich schlechter zu erkennen sein werde,
wenn mich jemand von der anderen Seite aus beobachten will. Und ein
schlechteres Ziel für einen möglichen Schütze abgebe.
Natürlich ist das Ganze im vollen Dunkeln deutlich
seltsamer zu begehen, denn auf einmal höre ich ja nicht mal mehr das Brummen im
Hintergrund, das vorher dafür gesorgt hatte, dass man von einer gewissen
Umgebung begleitet war. Längst sind die Schritte in der Ferne verhallt, während
ich jetzt mit der Helligkeit in meinem Rücken erst bemerke, dass der Gang
eigentlich eine leichte Biegung hat.
Nicht viel, aber gerade so viel, um in den nächsten
zwanzig oder dreißig Metern die Kurve zu kriegen. Seltsam Seltsam, da hat
jemand sich viel Mühe gemacht den Rohrverlauf entsprechend anzulegen. Ungefähr
ab da werde ich auch selbst nicht mehr gesehen werden können.
Und trotzdem bin ich nicht alleine. Jeder Moment,
jeder Atemzug den ich mache, die Gefahr, dass er bemerkt wird. Gehört wird und
dafür sorgt, dass der Mistkerl ihn vorher bemerkt und auf mich feuert. Wenn er
denn noch Munition hat, natürlich. Seine fast schon panische Reaktion ist aber
auch nicht zwangsweise ein Zeichen dafür, dass er keine mehr hat, denn sein
Rückzug war schon durchaus die beste Reaktion für ihn. Schwein.
Wo ich jetzt so durch die Dunkelheit tapse, kommt mir
aber auch erst so richtig das Bild in den Kopf, das er gerade gezeigt hat.
Statt einer Schürze trug er ein rotes Hemd mit einem sehr schmutzig wirkenden
Arztkittel und seine Hände hatten auf den ersten Blick den deutlichen Schein
von medizinischen Handschuhen. Und statt einer Tragetasche hielt er die Flinte
in den Armen. Immerhin konnte ich dank der besseren Helligkeit sein Gesicht
besser erkennen. Es ist nicht ganz das Allerweltsgesicht gewesen das ich im
Donner gedacht hatte zu erkennen. Stattdessen wirkt es wie ein Mann in den
späten Dreißigern, mit einem schlecht rasierten Fünf-Uhr-Schatten und viel zu
dichten Augenbrauen.
Ich schaue mich um. Hah. Nichts zu sehen. Wie auch.
Mein eigener Atem haucht in die Stille hinein und ein Luchs würde in diesem
Moment nicht mehr hören können, als das sanfte Schnaufen meiner Wenigkeit. Wie
weit bin ich schon gegangen? Wie weit ist es noch bis zur Kreuzung? Habe ich
ohne es zu merken schon meinen Angreifer überholt? Oder bin ich in Wirklichkeit
erst seit wenigen Minuten hier drinnen unterwegs?
Warum zum Henker ist keine der Lampen mehr aktiv, die
während meiner ersten Partie hier drinnen geleuchtet haben. Da war wenigstens
noch alle paar Meter mal ein Lichtschein in Sicht. So hingegen kommt es mir
vor, als ob ich in der Dunkelheit im Untergrund alleingelassen mit meinen
Dämonen bin. Alleine, unter Tonnen von Erde, mit einer Person, die mich im
erstem Moment mit einer Schrotflinte über den Haufen ballern wollte und Leute
in einem Hochofen brutzelt.
Für so einen Abenteuerurlaub würden andere Leute
vermutlich auch noch Geld ausgeben.
Ein Lichtblick! Auf den ersten Blick wirkt es so, als
ob die Dunkelheit nicht weichen will, aber der fast unmerklich gehende Luftzug
an meiner Seite und die Aufhellung am Ende des Tunnels, sofern man von Ende
sprechen kann, da ich da nur mehr Dunkelheit sehe, wird unterbrochen durch ein
Licht das aus einer Seite kommt. Die Treppe hinauf. Der Weg in die
Familiengruft. Bestimmt nicht nur instinktiv umklammere ich die Pistole etwas
fester. Ich kann eigentlich nur beten, dass noch ein paar Kugeln drin sind.
Sollte er mich da vorne überraschen wollen, so sollte er sich auf eine eigene
kleine 9mm-Überraschung meinerseits gefasst machen.
Schritt für Schritt, den Atem kontrollierend,
schleiche ich an der Wand vorwärts. Gerade so, dass ich von der einschneidenden
Treppe aus nicht sofort gesehen werden kann. Immerhin ist die Dunkelheit in
diesem Moment mein Freund, anstatt mal anders herum. Ich bin fast an der
Biegung rum zur Treppe. Inzwischen ist das von dort oben dringende Licht
immerhin hell genug, dass ich mich selbst erblicken kann, aber nicht hell genug
um wirklich etwas um die Ecke hier zu enthüllen.
Ein Geräusch! Irgendetwas oder noch besser, jemand,
ist da. Umso besser. Langsam in die Knie, fast schon in der Hocke und dann LOS!
Mit einem kurzen Sprint, Waffe im Anschlag, jage ich
in die Biegung und komme auf halber Hüfthöhe zum Stoppen. Vor mir, mitten auf
der Treppe, auf gehangen mit einem geschnittenen Kabel das wohl von der
Starkstromleitung herrührt, die an der Seite der Treppe die Gruft hoch führte,
steht es mittendrin, gehalten nur von einer seltsamen Kabbellage die mir die
Haare zu Berge stehen lassen.
Etwas knallt und ich höre ein leichtes Summen aus dem
gesamten Tunnel, um mich geht das Licht an und vor mir knistert es im ersten
Augenblick bevor es mit einem lautstarken Zischen und Krachen knallt. Funken
sprühen aus dem Kabelende in meine Richtung und in einem leichten Anflug von
Panik halte ich mir schützen den rechten Arm vors Gesicht. Das hilft aber nicht
viel, als ich im nächsten Moment etwas sehr hartes spüre, das gegen meinen Kopf
donnert und mich rechterlings zu Boden wirft.
Alles dreht sich, mein Schädel pocht als wäre er
gerade durch eine Druckerpresse gegangen und irgendetwas Flüssiges geht mir
über Hals, Stirn und Augen. Wie benommen versuche ich aufzustehen, kann aber
meine Bewegung nicht im selben Maße steuern, in dem ich es bisher hätte gekonnt
und wedel stattdessen unbeholfen mit den Armen.
Er hat mir aufgelauert in der Dunkelheit im Gang und
eine Falle gestellt. Ich weiss nicht, was für ein Objekt er benutzt hat, um mir
zu versuchen, den Schädel zu spalten, aber ich weiß, dass ich es ihm heimzahlen
werde.
Die schemenhafte Gestalt die sich mir näher ist klar
auszumachen. Zu dumm für ihn, dass ich die Pistole nicht hab fallen lassen.
Selbst durch den roten Schleier hindurch, ein derartig großes Ziel auf diese
Entfernung kann selbst ich nicht verfehlen. Schüsse knallen. Er schreit
auf.
?
ARGH
Ich habe getroffen! Ich ziehe noch ein paar mal den
Abzug durch und Kugeln pfeifen durch den Tunnel, aber ob ich erneut treffe,
kann ich nicht sagen. Was ich vernehme, sind hastig sich entfernende Schritte, Grunzende
Laute und ein Aufheulen. Geschieht dir Recht, Arschloch!
Zeit vergeht, die Geräusche entfernen sich. Nur das
stetige Brummen der Umgebung, der Stromleitungen an der Decke und der Lichter
begleiten mich hier und jetzt.
Ich liege noch immer am Boden. Der pochende Schmerz in
meinem Kopf ist abgedumpft, aber nicht verflogen. Er gesellt sich stattdessen
zur Reihe anderer Schmerzen, die sich bereits die Klinke in die Hand geben mit
mir und scheint sich zu begnügen, wie ein stetiger Hammerschlag gegen mein inneres
Nervenzentrum zu funktionieren.
Ich versuche aufzustehen. Es bleibt im ersten Moment
beim Versuch. So ein Trottel. Hätte er nicht trotz Schusswunde da bleiben und
mich wenigstens kalt machen können, statt abzuhauen? Ich brauche zwei weitere
Anläufe, ehe ich überhaupt wieder ein Höhenlevel in gewisser Höhe erreicht
habe. Meine Beine sind wie Pudding. Jeder einzelne Schritt ist eine
Herausforderung. Vorsichtig fühle ich mit der Hand die Wundstelle. Ein ungefähr
Faustballengroßer Punkt links meines Schädels fühlt sich extrem schmerzhaft an,
wenngleich nur ein Teilbereich überhaupt wirklich von selbst geblutet hat.
Vielleicht war der Schaden nicht so groß wie befürchtet.
Die Anstrengungen lassen nicht los. Ich weiß, dass er
den Tunnel entlang ist. Womit soll er mich jetzt noch aufhalten. Außer mehr
Dingen, mit denen er mir weh tun kann? Durch mein linkes Auge wirkt es so, als
ob ich alles in einen leichten rötlichen Filter eintauche. Es ist ein äußerst
seltsamer Anblick, als ob ich eine halbe 3D-Brille trage.
An der Wand entlang hieve ich mich Richtung seines
Fluchtpunktes. Immerhin, dicke Tropfen und kleine Pfützchen von Blut
suggerieren, dass ich irgendetwas wichtiges getroffen haben muss. Andernfalls
würde das nicht so schlimm aussehen. Da vorne! Von einem milchig-durchsichtigem
Vorhang bedeckt scheint der Durchgang zu enden. Es ist an der Zeit dem ein Ende
zu bereiten. Beiß die Zähne zusammen Mann!
Ich bringe die linke Hand hoch, wenngleich die
Bewegung sich anfühlt als würde jemand an den offenen Muskelfäden Geige spielen
und hole das Telefon heraus. Ach Mist, das Display ist hin. Ich drücke ein paar
Mal auf dem Display umher. Irgendwie regiert es auch auf meine Eingabe, aber
nicht so wie ich mir das erhofft hatte. Statt irgendwas zu machen hat man das
Gefühl als würde man auf zwanzig Stellen gleichzeitig drücken. Scheiss Moderne
Technik. Stecke es wieder ein, keuche mich vorwärts.
Ich drücke mich an der Wand entlang durch den Vorhang,
an dem ich, als ich endlich dort angelangt bin, auch Spuren eines blutigen
Handabdrucks sehen kann. Hier bin ich richtig.
Vor mir eröffnet sich ein in mehrere Räume
aufgeteilter Bereich, der im Gegensatz zum Bürohaus vorher mit relativ sauberen
weißen Fliesen versehen ist. Von Vorhängen abgetrennt, mit verschiedenen
Abflüssen an diversen Punkten auf dem Fliesenboden und wenn man von den
Operationsstühlen absieht, erinnert die gesamte Umgebung an eine illegale
Untergrundklinik.
Und eine solche wird es vermutlich auch sein. Dieser
Raum selber, vielleicht seine 20 Meter breit und 15 Meter tief ist immer noch
sehr groß und hat auf der rechten Seite einen großen Stuhl, der an einen dieser
typischen Untersuchungsstühl erinnert, die man sonst meist vom Zahnarzt kennt,
während auf der linken Seite unzählige Wandkammern auf eine Gerichtsmedizin
oder Kühlkammern hindeuten. Und die Leiber auf den davor stehenden
Untersuchungstischen machen ihr übrigens. Und im Hintergrund kommt aus einem
Durchgang, der durch einen undurchsichtigen Vorhang blockiert wird, sanfter
weißer Bodennebel, als ob jemand einen Kühlraum offen gelassen hat. Es ist
bezeichnend, dass die Blutspur direkt über den Fliesenboden quer durch den Raum
Richtung Vorhang führt.
Du wirst mir nicht entkommen.
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