Wie auch auf dem Weg hinauf, so dauert es für den
Weg hinunter eine kleine Ewigkeit. Als ich die untere Tür erreiche, habe ich es
längst bemerkt. Vor mir die Tür, welche auf das Gitter führen sollte, von dem
aus ich die nächste Treppe und den Verbindungsbereich zum Hochofen und zum
Tunnel selbst erreichen sollte. Aber es ist vor mir alles still. Die Tür war
schon bei meinem letzten Besuch nicht massiv genug, dass sie die
Geräuschkulisse abhalten hätte können. Also bedeutet das jetzige Fehlen der
Industriegeräusche dahinter...was genau jetzt?
Es ist ein wiederkehrendes Problem. Mir fehlen zu
viele Informationen über Sinn und Zweck dieser Anlage. Fouquier wird die
Antworten haben. Mit diesem Gedanken reiße ich die Tür auf und trete hinaus.
Eine Abwesenheit von Tönen. Der Raum ist immer
noch hell erleuchtet, ich kann die verschiedenen Tanks und Rohre sehen,
die Leuchtstrahler, die aufs aggressivste die Umgebung erhellen und dabei vor
sich hin summen als hätten man einen halben Bienenschwarm losgelassen. Von hier
oben auf dem Metallgitter aus kann ich über den Abgrund nicht einmal eine volle
Übersicht über die Umgebung erlangen. An eines der Geländer gelehnt schaue ich
hinab. Selbst mit den Strahlern wirkt es noch so, als ob sich dieser Raum weit,
sehr weit in die Tiefe begeben würde. Weiter sicherlich, als ich über die
verschiedenen Begehbarkeiten hier erreichen könnte. Kann dies einem Zweck
dienen? Oder ist dies das Konstrukt eines wahnsinnigen Ingenieurs bei dem am
Ende so etwas seltsames wie eine Tasse Tee herauskommt?
Ich kann es hören. Wie sich die Treibladung
bewegt und das Rohr feuer spuckt. Wie Splitter und Metall kreischen und kratzen
als sie aufeinander treffen. Spüren, wie meine Jacke aufgefetzt wird,
rasiermesserscharfe Stücke über meine Schulter gleiten und sich dabei
Millimeter um Millimeter durch das Fleisch mähen, als wäre es nur ein
Gerstenkorn auf dem Felde.
Ich habe Glück im Unglück, stolpere durch den
Schmerz und die überraschende Wucht nach hinten, auf die andere Seite des Metallgitters,
gegen das Geländer kurz vor der Wand, nahe der Tür selbst. Der Schütze hat
nicht gut gezielt, wenngleich die Spuren an mir und um mich herum deutliche
Zeichen setzen.
Jemand hat auf mich geschossen. Durch den Nebel
des Scherzes hindurch ist mir diese Tatsache mehr als nur bewusst. Die ist mir
schmerzlich eingebrannt. Wer? Von Wo? Ich muss in Deckung!
Die Tür kann mir nicht helfen, sie ist nicht hart
genug, eine solche Ladung abzuhalten. Meine Gedanken rasen, Adrenalin pumpt
seinen Pfad durch meine Adern als wolle es die Zeit um mich gefrieren lassen.
Ich habe kein Aufglimmen gesehen, der Schuss traf
mich an der linken Schulter und riss sich dabei in einem schrägen Schussverlauf
über den Oberarm entlang zum Schlüsselbein knapp an meinem Hals vorbei. Die
Schützenposition ist also etwas tiefer als meine und hat Einsicht auf das
Metallgeländer vor mir.
Drücke mich schlagartig vom hinteren Geländer ab,
das sich bereits ungünstig anfängt in meinen Rücken zu bohren, während die
Waffe rechterhand im Schlag nach einem Ziel sucht, meine Augen ein unruhiges
Durcheinander von Punkten ab blickend.
Da bemerke ich es. Das hohle Klacken und Klinken,
gefolgt vom Zusammenschluss der Kammern. Ein Einschüsser, vermutlich eine
altmodische Jagdflinte, entweder Schrot oder ein Jagdgewehr, vermutlich eher
Schrot, so wie das Blut meine Schulter hinab sickert. Problem ist, nur weil ich
jetzt weiß, dass er nur einen Schuss hat, heißt das noch lange nicht, dass ich
weiß, wo er sich hier verbirgt. Er könnte überall in diesem Wirrwarr von
Streben und Gängen sein.
Bewegung am Rande meines Blickfeldes!
Mit einem Hechtsprung zur Seite, knallt es im
selben Moment bereits, als mich die Treibladung nur um Haaresbreite verfehlt.
Wäre ich nicht zur Seite gesprungen hätte ich mich vermutlich über ein paar
neue Löcher freuen dürfen. Komme hart auf, was meinem Bauch überhaupt nicht
gefällt, der sich daraufhin wie eine stetig pochende Wunde zu melden beginnt.
Hab ich jetzt natürlich auch noch gebraucht.
Da ist es wieder, das Klacken. Ziehe mich am
Geländer hoch. Beiß die Zähne zusammen, Zeichner! Der Schuss kam von einer
Position von der aus er mich sehen konnte. Er muss mindestens eine Ebene unter
mir sein. Jetzt wieder hinter einem Rohr. Meine Hand zittert, Schweiß läuft mir
über die Stirn, während ich die Umgebung absuche.
Er hat nachgeladen. Er wird gleich wieder feuern.
Ich kann nicht ewig Glück haben, aber vielleicht muss ich nur schneller sein
als er. Schwungvoll renne ich zur Treppe nach unten, die ich in einem Affenzahn
hinunterstürze, ohne Rücksicht auf meine eigene Sicherheit zu nehmen. Noch beim
Laufen kann ich das Widerhallen von Metall hören, also bewegt sich der Schütze
ebenso, als ich unversehens gegen das untere Geländer krache, dass ich fast
vornüber kippe und drohe hinunter zu stürzen.
Da sehe ich ihn. Auf dem mittleren Gang, neben
einem großen Kessel rückwärts stolpernd, eine Schrotflinte in den übergroßen
Pranken sitzend, das Gewehr am runter reißen, nur um mich zu erwischen, als ob
er überrascht davon ist, dass ich plötzlich hier auftauche. Aber er da hat er
mich unterschätzt.
Blindlings ziehe ich den rechten Arm hoch und
drücke ab. Schüsse knallen, Ein Schuss, Zwei Schüsse, Drei Schüsse.
Funkenschlag und Hochtöne jagen sich ob der Querschläger, die hier umher sausen.
Ich habe nicht getroffen. Aber vielleicht musste ich auch nicht. Er schießt und
verfehlt meilenweit. Schaut mich entsetzt an. Ich richte mich auf. Richte die
Pistole auf ihn, der er am zurück weichen inzwischen die Treppe in den langen
Gang erreicht hat.
Zeichner
Bleiben sie stehen oder ich schieße!
Bleiben sie stehen oder ich schieße!
Er dreht sich um und rennt los. Ich versuche
meinen linken Arm hoch zu bekommen, um ihm wenigstens ein paar Kugeln hinter
her zu jagen, aber der Schmerz sorgt nur für ein unangenehmes Ziehen und
Wummern in der Hand. Ich feuere ihm so nach. Mehrere Schuss peitschen aus dem
Lauf, nur um ihm nachzusetzen. Getroffen habe ich wohl nicht und er
verschwindet in der Dunkelheit.
Reiß dich zusammen, Zeichner! Langsamen Schrittes,
die Waffe immer im Anschlag, gehe ich ihm nach. In das Halbdunkel.
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