20140501

Fall 1 - XXXI


Es dauert nicht lange, und ich bemerke, wie der Erdboden kurz sanft vibriert und über der Tür der Gruft ein leichter Lichtschimmer herauskommt. Mit einem lauten Rucken springt die massive Tür auf, und eine dunkle Gestalt kommt heraus. Im einzelnen Donnerschein kann ich den Typen sehen, wenngleich seine Züge mich verwirren.

Wäre ich ihm auf offener Straße begegnet, ich hätte ihm nicht nachgesagt, dass er mit diesen Ereignissen zu tun haben würde. Ein Allerweltsgesicht, nicht zu groß, nicht zu klein, die Person leicht schlaksig, die Haare etwas dünn und wirr, leicht gräulich im Widerschein, die Kleidung erinnert an eine Arbeitsklamotte, im gleißenden hellen Donner wirkt sie Grau, aber im Donner wirkt vieles gräulich. Schwere Stiefel gucken unter einer langen Schürze hervor, während seine Hände sich einbrennen. Sie sind groß, fast schon wie Pranken, viel zu groß für die schmächtige Person, die sie hält. Und in seiner Hand eine Tragetasche, wie ich sie sonst nur aus schlechten Arztserien kenne.

Organe? Beweismittel? Biologische Waffen? Oder etwas sein Mittag?!

Er scheint mich nicht bemerkt zu haben und stapft seelenruhig über die Wiese Richtung Haus. Als er ungefähr so weit ist, dass er definitiv mit dem Rücken zu mir steht, erhebe ich mich langsam und eile geduckt zur Gruft. Ich komme bei der Tür an, drehe mich schnell um. Sehe, wie er die Gartentür zur Küche öffnet. Drücke mich von innen an die Seite, ohne dabei die Tür selbst zu berühren.

Verdammt. Es war doch in der Familiengruft. An den Seiten kann ich aufgebahrte Skelette sehen, die in halbzerfallenen Fetzen wohl schon ihre besten Jahre hinter sich gebracht haben. Wenn sie wenigstens nicht so grinsen würden dabei. Aber herrjemine, es sind Skelette, die können doch nicht DER EINE HAT KEINE ZÄHNE MEHR WARUM HAT ER KEINE ZÄHNE MEHR?!

Ruhig. Ruhig Blut. Ganz langsam runterkommen. Musst ja nicht auf die Toten starren. auf ihre kalten, unnatürlich gewinkelten, grinsenden Knochen, die weiß und weißer als weiß im Dunkel der Laterne schimmern, die über das Kabel...Moment, Kabel? So ein Mist, mir läuft die Zeit davon.

Vorsichtig hingucken, man muss ja nicht dabei die Skelette betrachten. Wer weiß, wie lange der Typ, denn ich kann nicht mal mit Sicherheit sagen, dass es sich bei dem Kerl um Fouquier handelt, dort noch brauchen wird. Ein Kabel führt zur Innenseite der Grabtür. Erst hier drinnen bemerke ich, wie massiv sie eigentlich ist. Sie scheint von innen heraus verstärkt worden zu sein, was bedeutet, dass die steinerne Außenhaut mehr Fassade denn echtes Aussehen ist und ein Starkstromkabel führt zur Decke und von dort eine Treppe hinunter unterhalb eines Sarkophags, vereinzelt mit Beleuchtung versehen, in das Erdreich.

Unschöner Gedanke. Ein hastiger Blick hinaus. Fuck, er kommt schonwieder zurück. Er hat die Packung nicht mehr in der Hand. Ob sie im Kühlschrank gelandet ist? Egal! Mit einer kurzen aber schmerzvollen Hechtrolle und den Adrenalinspiegel bis zum Anschlag komme ich bis zum Sarg, unter dem die Treppe verläuft und husche hinter diesen.

Jetzt ganz still sein. Es dauert einen Moment. Mein Herz schlägt bis zum Halse, nervös umklammert mein rechter Zeigefinger den Abzug. Fuck. Langsam und gemächlich drücke ich mit meinem linken Daumen das Telefon aus. Das Leuchten hört auf. Ob es gesehen wurde? Meine Ohren sind aufs härteste geschärft. Jeden Moment kann er um diese Ecke kommen und mich versuchen auszunehmen, mit Haut und Haar. Fuck Fuck Fuck.

Da. Das Kratzen von Stiefeln auf Stein. Etwas wird gedreht, ich höre eine Mechanik, dann etwas, dass wie ein Zischen klingt. Das laute Knallen deute ich auf die Tür hin, die sich geschlossen hat. Darf man nicht drin stehen, wenn das Ding zufällt. Ich halte die Luft an. Für ihn ist außer ihm momentan niemand sonst hier. Ich höre aber keine weitere Bewegung. Ich kann es gerade nicht nachgucken, aber wenn ich richtig liege, sollte er ungefähr an der Tür stehen, also hab ich einen Raum von circa sieben Metern bis er bei mir wäre, auf die Distanz sollte ich notfalls auch nicht verfehlen. Hätte doch öfter zum Schützentraining gehen können. Wenn Andernson mir das bloß damals bezahlt hätte.

Ich kann es hören. Das Rasseln. Wie von Ketten. Er hört es auch. Ich kann es am seinem Grunzen erkennen. Solange ich nicht weiß, ob es Fouquier ist, muss ich Vorsicht walten lassen. Überhaupt wäre Vorsicht nicht schlecht, da ich nicht weiß, wie viele Leute er hier unten noch hat, und ich denke mal, dass keiner von ihnen glücklich wäre, mich zu sehen.

Das langsame, harte Kratzen. Er geht weiter. Dann ein Schnaufen und ich kann das Entfernen der Stimme feststellen. Er geht die Treppe runter. Jetzt im richtigen Moment. Ich atme vorsichtig aus und wieder ein. Meine Brust hämmert. Kann mir gar nicht vorstellen, dass er mich nicht bemerkt hat, aber hatte wohl jemand mich aus meiner Misere gerettet. Wachsam hochkommen, die Umgebung, soweit ich bestimmte Elemente ignorieren kann, im Blick behalten. Allmählich krauche ich um den Sarg herum, kann die Treppe erkennen. Ein kurzer Blick von der oberen Seite nach unten. Das Gefälle beträgt immerhin fast 30% würde ich sagen, also geht es schnell nach unten. Was mich mehr verwundert neben der Stromleitung an der Decke ist die Tatsache, dass ich unten dicke Rohre erkennen kann. Ist das hier Teil des Industrienetzwerks?

Sorgfältig auf jeden meiner Schritte achtend und auf sehr, sehr vorsichtigen Füßen gelange ich die Treppe hinunter. Der Gang, der sich in einer T-Kreuzung vor mir eröffnet, wäre breiter, wenn nicht die Hälfte von einem Wirrwarr aus Rohren und seltsamen Messgeräten eingenommen wäre. Einsame Deckenleuchten alle fünf Meter sorgen für einen steten Lichtstrom. Von irgendwoher kann ich ein stetes Brummen vernehmen, das den ganzen Tunnel unterschwellig anfühlt. Selbst der Tunnel wirkt wie ein Rohr, da er anstatt eckig, rund ist, mit einer Begradigung auf dem Bereich, an dem man entsprechend gehen kann. Seltsam, die Wände haben eine Art Riffelung, wie von einem schweren Bohrer. Das erscheint mir unnötig kompliziert.

Hmmm. Rechts oder links?

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